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Nr. 04-04
Notausgabe
3. April 2004

9. Jahrgang online

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Zur Diskussion um eine Lehrstellenabgabe
„Es gibt zu wenig Lehrstellen“ – Für wen?

von der Redaktion AndersGesehen

Da habt Ihr nun massenweise Bewerbungen geschrieben und ebenso viele Absagen erhalten – es gibt einfach keine Lehrstellen. Doch Münte und Consorten greifen jetzt durch: Wenn die Wirtschaft es nicht schafft, jedem Schulabgänger eine Lehrstelle zu verpassen, dann müssen eben andere Saiten aufgezogen werden. Eine Zwangsabgabe muss her für alle Betriebe, die ihrer Pflicht zur Ausbildung nicht nachkommen. Umgekehrt sollen alle, die ausbilden, finanziell unterstützt werden.
Das dürfte so manchem doch aus der Seele sprechen: Wenn die Wirtschaft nicht für genug Lehrstellen sorgen kann, dann muss eben die Politik ‘ran.
Doch – „genügend“ Lehrstellen? Für wen eigentlich? Für die Unternehmer, die die neue "Belastung" so steinerweichend bejammern? Ganz bestimmt nicht. Wenn die Nachwuchs gebrauchen könnten, würden sie ja Lehrlinge einstellen. An den Kosten kann es ja nun wirklich nicht liegen; die gleicht jeder Betrieb locker aus, indem er seine Azubis kräftig mit anpacken lässt. Aber wenn man dank Rationalisierung und Arbeitszeitverlängerung alle Aufträge auch in Zukunft mit der Stammbelegschaft abarbeiten kann – wozu dann ausbilden?
Das sagen die Unternehmer natürlich nicht so offen. Wenn sie vor laufender Kamera gefragt werden, dann heißt es meistens, Ihr wäret zu wenig leistungsbereit, zu dumm, könntet noch nicht einmal richtig rechnen, lesen oder schreiben.
Nun ja - dass die Schule nicht dazu da ist, dass ihr was lernt, wisst ihr ja aus eigener Erfahrung: wer beim Lernen Schwierigkeiten hat, bekommt dort keine Hilfe, sondern eine Fünf, und im Abschlusszeugnis wird euch dann auch noch bescheinigt, dass eure Fähigkeiten doch wohl mehr auf handwerklichem Gebiet liegen. Kurz: Als Hauptschulabgänger seid Ihr für stumpfsinnige Handarbeiten vorgesehen, sollt also gar nicht allzu viel wissen.
Und viel Lesen, Schreiben und Rechnen ist in den meisten Lehrberufen ja nun wirklich nicht erforderlich. Wenn sich Friseure oder Metzgermeister dennoch über eure mangelhaften Fähigkeiten beklagen, dann ist das schlichtweg gelogen. Sie wollen nämlich euch die Schuld dafür geben, dass sie euch nicht gebrauchen können. Sonst könntet Ihr euch womöglich ja fragen, wozu Ihr dann eigentlich die Unternehmer braucht....
Dass die Wirtschaft keine neuen Azubis braucht, weiß natürlich auch die Regierung. Trotzdem verspricht der neue SPD-Vorsitzende vollmundig: „Wir wollen in diesem Jahrzehnt erreichen, dass kein junger Mann, keine junge Frau von der Schulbank in die Arbeitslosigkeit kommt.“ (Rede von Franz Müntefering vor dem SPD-Landesverband NRW am 14. Februar 2004). Hört sich ja gut an. Doch was ist nach der Lehre, wenn es keine Jobs gibt? Fehlanzeige. Es heißt ja nur: „von der Schulbank in die Arbeitslosigkeit“ - das soll nicht sein, denn:
„Wer 25 wird oder so ähnlich und nie arbeiten musste, nie früh aufstehen, seinen Tag strukturieren, zur Arbeit gehen – auch wenn man mal keine Lust hat, und wir haben ja nicht immer Lust dahin zu gehen – wer nicht auf der Arbeit Erfolg oder Misserfolg erfährt, wer nicht lernt, wer nicht Prüfungen machen muss, der ist irgendwann für den Arbeitsmarkt verloren. Und die Kinder die von da kommen, sind wieder die Benachteiligten. Denn Kinder, die in Familien groß werden, in denen Anstrengung nicht nötig ist, die nicht aufstehen müssen, die nichts leisten müssen, die davon leben, dass von irgendwoher ein bisschen Sozialhilfe kommt, solche Kinder haben verdammt schlechte Perspektiven.“ (ebenda).
Wie - mit 25 oder 30 Jahren soll man nicht mehr arbeiten können? Gerade wenn man vorher „nie arbeiten musste“, ist man doch noch frisch und unverbraucht! Und wieso haben Kinder von Arbeitslosen „verdammt schlechte Perspektiven“? Kann man denen nicht beibringen, wie man Rohre zusammenschweißt oder eine Wand verputzt?
Klar kann man das. Der Haken ist nur: in einem Unternehmen kommt es darauf gerade nicht an. Ein Arbeitsplatz, das ist nicht einfach ein Platz, wo ihr nach der Lehre in Ruhe Autos zusammenbauen, Brot backen oder Häuser bauen könnt. Das wäre ja prima: wenn dabei noch die ganzen Arbeitslosen mitmachen dürften, dann wäre man ja im Nu mit der Arbeit fertig.
Doch Arbeitsplätze sind nun einmal nicht dazu da, die Menschheit mit Gebrauchsgütern zu versorgen, sondern sie sollen sich rentieren (für die Unternehmer, versteht sich). Und das funktioniert nur, wenn möglichst wenige Arbeitskräfte möglichst viel leisten und möglichst wenig dafür bekommen. Deswegen stehen ja so viele von euch auf der Straße – und wenn ihr doch noch irgendwo unterkommt, werdet ihr schnell merken, was hinter dem Gerede von der „Selbstverwirklichung durch Arbeit“ steckt.
Es wird euch dann nämlich nicht nur beigebracht, dass ihr mit einem Lohn auskommen müsst, der vorne und hinten nicht reicht. Es wird euch auch gesagt, wie schnell ihr dafür zu arbeiten habt, wann Ihr antreten müsst und gehen dürft, von wann bis wann euch eine Pause gestattet ist... und dass sich euer „Erfolg und Misserfolg“ allein danach bemisst, ob der Chef mit euch zufrieden ist oder nicht.
Ihr fragt euch wahrscheinlich, warum sich Millionen erwachsener Menschen so etwas täglich gefallen lassen. Das geht in der Tat nur, wenn diese Menschen früh genug entsprechend erzogen werden - und genau das ist Münteferings Sorge: wenn diese Erziehung ausbleibt, weil es keine Lehrstellen gibt, sind viele womöglich tatsächlich „für den Arbeitsmarkt verloren“ – wie gesagt, nicht weil sie nicht arbeiten könnten, sondern weil sie dann vielleicht nicht mehr bereit sind, sich den Bedingungen des kapitalistischen Arbeitsalltags zu unterwerfen und diese für sich zu akzeptieren.
Und eine Lehre ist seit jeher ein gutes Mittel, auch euch diese Botmäßigkeit einzubläuen. Vielleicht kennt ihr noch den alten Spruch: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre.“ Das bedeutet natürlich nicht, dass ihr nach der Lehre alle zu Herren werdet. Sondern dass ihr – neben ein paar handwerklichen Fertigkeiten – in der Lehre vor allem eins beigebracht kriegt: euren Herren zu gehorchen.
Die Bundesregierung legt auf diese Erziehung offenbar so großen Wert, dass sie jetzt die Unternehmer dazu verpflichten will. Kein Wunder: was wäre auch eine Herrschaft ohne ein gehorsames Volk. Aber was habt ihr eigentlich davon?
 

Editorische Anmerkungen

Die Redaktion schickte uns ihren Artikel in der vorliegenden Fassung am 5.4.2004 mit der Bitte um Veröffentlichung. www.anders-gesehen.de

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