Das "rot-grüne Projekt" hat eine Ideologie, die "Neue Rechte" stand Pate:
Biosozialismus

von Peter Kratz
04/02
 
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Der Wirtschaftsstandort wird abgesichert, ob populär, ob wissenschaftlich:
Aus allen Rohren wird Deutschland im "Jahr der Lebenswissenschaften" biologisiert

"Zum Glück haben Sie Ahnenforschung gemacht", sagte der Sprachhistoriker Prof. Dr. Jürgen Udolph kürzlich einer stolzen Frau, die im Radio die Bedeutung ihres Familiennamens erklärt haben wollte, denn die territoriale Herkunft der Familie sei entscheidend für die nominale Sinndeutung. Die tägliche Sendung mit dem Namensforscher, der sich bisweilen ungeniert auf Nazi-Literatur beruft und über "Namenkundliche Studien zum Germanenproblem" die frühgeschichtliche germanische "Landnahme" der belgischen und französischen Zielgebiete späterer deutscher Weltkriege nachweist, ist der Renner in Radio Eins, dem Programm von SFB und ORB für junge moderne Menschen in Berlin und Umgebung. Viele rufen beim Sender an und wollen wissen, warum ihre Familie so heißt. Udolph hat an der Uni Leipzig den einzigen deutschen Lehrstuhl für Onomastik und ist renommiertes Mitglied der wissenschaftlichen Indogermanischen Gesellschaft. Im Radio erklärte er bisher nur deutsche Namen, keine türkischen, afrikanischen oder jüdischen, der Nachfrage wegen.

Stolz und Schönheit

Zwischendurch sendet Radio Eins Werbe-Jingles für die in Berlin gastierende Ausstellung verstorbener Menschen des Prof. Dr. Gunter von Hagens ("Körperwelten"), die der Sender promotet. "Echte Leichen, die, sagen wir mal, wie der Elchkopf an der Wand präpariert sind. Wenn Sie noch nicht da waren, dann nichts wie hin!", tönt der DJ aus den Empfangsgeräten des Volkes. Von Hagens gibt zu, auch "herrenlose Leichen" für seine "Plastination" zu benutzen, die zu Lebzeiten nichts davon wußten, einmal aufgeschlitzt angegafft zu werden. Mehr als eine Million Schaulustige kamen bisher schon nach Berlin, zweiundzwanzig Mark kostet der Eintritt. Der Leichenverwerter will den Besuchern mit seinen Exponaten helfen, "Körperstolz" zu entwickeln. Bei der Love Parade der stolzen Schönen fuhr er selbst mit, ließ 5000 Freikarten verteilen und in der Ausstellung Techno-Musik spielen. Das gefiel Radio Eins. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin Andreas Nachama sah dagegen in der Leichenschau "die logische Konsequenz dessen, was im 20. Jahrhundert schon passiert ist - da wurde kein Halt gemacht vor lebenden Menschen, da wurden menschliche Körper millionenfach von Mördern zu Asche verbrannt oder zu Seife verarbeitet, aus menschlicher Haut Lampenschirme hergestellt". Der Berliner Tagesspiegel wiederum ließ zum Jubiläum der "Sendung mit der Maus" auf seiner Kinderseite die lustig belehrenden ARD-Tiere für die Ausstellung werben: "Wir finden, daß Kinder so etwas ruhig anschauen dürfen. Man bekommt ein Gefühl dafür, was für eine genau ausgetüftelte Maschine so ein Körper ist." Gutes Deutsch lernen die Kinder so nicht, aber Wichtiges für den Standort Deutschland.

L'homme machine hat kein Gedächtnis, sondern Ahnen, kein Bewußtsein, sondern Gene. Die Rückkehr zum bürgerlichen Materialismus ist von der Verwertungslogik des Kapitals gefordert, da beißt die Maus kein' Faden ab. Der Sozialismus habe sich "historische überlebt", meint Gerhard Schröder, und mit ihm das historisch-materialistische Menschenbild. Körperstolz und Ahnenstolz treten an seine Stelle, das soziale Individuum wird zum Nachkommen, der Tote zum Ausstellungsobjekt, das Subjekt zur Ware Mensch, auch stückweise verkaufbar als Stammzellenhaufen, Ersatzteil der Maschine.

Konjunktur, wenigstens für "Soziobiologen" und "Ahnenforscher(innen)"

Die Biologisierungs-Propaganda treibt Blüten. Als Höhepunkt einer einschlägigen Artikelreihe brachte der Tagesspiegel Ende Juli einen ganze Seite über das Verlieben, das "in den Zeiten von Stammzellen- und Genomforschung" nun ebenfalls von "Soziobiologen" erforscht werde. "Der biologische Imperativ" zwinge Mann und Frau beim "berühmten 'ersten Blick'" dazu, das "Reproduktionspotenzial des Gegenübers" abzuschätzen; Frauen bevorzugten von Natur aus Ehepartner mit hohem Einkommen, um durch bessere Startchancen der Nachkommen "die Weitergabe ihrer Gene (zu) sichern", während beim Mann "die Biologie des Fremdgehens" den Selektionsvorteil bringen soll. Gerhard als Bundeskanzler, sein Halbbruder dagegen schon wieder arbeitslos - für den "stern" ist auch das ein Bio-Thema: "Brioni gegen Ballonseide, das kann nur daran liegen, daß sie unterschiedliche Väter haben". Die Biologisierung des Strafrechts war Schröders eigener Sommerhit: "Wegschließen, und zwar für immer". Der Tagesspiegel ergänzte zur Vorbereitung des 7. Weltkongresses für Biologische Psychiatrie, der erstmals nach 1945 in Berlin tagte: "Kälte aus den Genen. Schwerverbrecher wie der Mörder von Ulrike" seien nur ein "Teil einer größeren Gruppe mit einer 'Antisozialen Persönlichkeitsstörung'"; zum Glück fahndeten Forscher bereits nach der "biologischen Basis" der Antisozialen. Der Schließer bekommt einen sicheren Arbeitsplatz.

Ahnenforschung betrieb auch Forschungsministerin Edelgard Bulmahn zur Eröffnung ihres "Jahres der Lebenswissenschaften", das die gesellschaftliche Akzeptanz der Biotechnologie herstellen soll, nachdem die Presse, bis hin zur kapitalfreundlichen "Welt", im Jahr 2000 noch sehr kritisch über die "Ersatzteillager-Züchtung" in Großbritannien berichtet hatte. "Selber Banane!" rief Bulmahn nun dem Volk auf Postkarten zu, die kostenlos in Kneipen verteilt wurden, und duzte jovial: "Dein Genom ist zu 50 % mit dem der Banane identisch. Mehr unter www lebenswissen de." Auf einer anderen Karte forderte sie: "Mach mir den Affen! Das dürfte dir nicht schwerfallen, denn dein Erbgut stimmt zu über 99 % mit dem des Zwergschimpansen überein". Der Affe schaut konsterniert, doch die Ministerin lächelt auf der Karte und verspricht: "Das Jahr der Lebenswissenschaften bietet große Chancen zur Diskussion auf gleicher Augenhöhe. Jeder soll die Möglichkeit haben, mit Forscherinnen und Forschern Meinungen und Argumente auszutauschen und dadurch informierter zu entscheiden." Lustig listige PR-Strategie für die Stammtische der Neuen Mitte. Wenn man Bananen zermatschen darf, dann wohl auch den achtzelligen Embryo, der ja augenscheinlich zu weit weniger als 50 % Mensch ist - ein Mißverständnis der Pop-Kampagne, ich gebe es zu, ebenso wie die Frage nach der Identität des "normalen" Genoms des Deutschen mit dem "kalten" des Schwerverbrechers, die sich aber, Entschuldigung, angesichts der "über 99"-prozentigen Nähe, die sogar zu den Laborversuchstieren besteht, doch geradezu aufdrängt.

Auch "gleiche Augenhöhe" und "Entscheidungsfreiheit" für "jeden" sollte man nicht mißverstehen. Wer mit Bulmahns "Lebenswissenschaften"-Kampagne die Lebensphilosophie assoziiert, die in Deutschland die Biologie als Gesellschaftswissenschaft "implementierte" und derart die für manche schon prähistorischen politischen Schwerverbrechen ermöglichte, wurde bei der Eröffnungsveranstaltung der Kampagne in Berlin nicht enttäuscht. Als Bulmahns Hausphilosoph saß Peter Sloterdijk auf dem Podium gleich neben der Ministerin, der legitime Nachfolger der Lebensphilosophie, der sich schon 1999 als conclusio seines Textes "Regeln für den Menschenpark", sich ausführlich auf seinen Ahnherrn Nietzsche berufend, gegen die "gleiche Augenhöhe" ausgesprochen hatte: "Der würdigste Hüter und Züchter der Menschen" sei "der Weise", quasi als Abstraktion des Ethikrates. Dem Volk bleibt immerhin die Entscheidung zwischen Euro- und Dollar-Bananen.

"Biopolitik" aus der "Neuen Rechten"

So geht Biopolitik, mal populär, mal elitär. Machen auch wir Ahnenforschung: Der Begriff "Biopolitik" stammt aus den Schriften der Neuen Rechten. Die heute wieder aktuellen Bücher von Michael Billig (Die rassistische Internationale, 1981) und Margret Feit (Die 'Neue Rechte' in der Bundesrepublik, 1987) analysierten, wie der intellektuelle Neofaschismus - international organisiert, in Deutschland im Thule-Seminar - von Alain de Benoist über Sigrid Hunke bis Armin Mohler zurückgreift auf biologistische Konzepte von Konrad Lorenz, Hans Jürgen Eysenck oder Arthur Jensen, die sich nicht scheuten, auch in den Blättern der Neuen Rechten, wie Benoits "Nouvelle École" (Lorenz) oder Jürgen Riegers "Neue Anthropologie" (Eysenck, Jensen), zu publizieren, in denen auch Nazi-Rassisten wie Hans F. K. Günther wieder zu Ehren kamen. Eysencks erbpsychologische Arbeiten zum Charakter des Kriminellen, Jensens Thesen von der genetisch minderen Intelligenz der Schwarzen wurden in den Kampagnen gegen die teure Bildungsförderungs- und Resozialisierungspolitik in den USA direkt politisch umgesetzt.

Auch heute ist die Biopolitik eng verzahnt mit der Ideologie der Neuen Rechten. Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), Hubert Markl, ein Schüler von Konrad Lorenz, schloß sich in seiner Rede auf der diesjährigen Hauptversammlung der MPG im Juni dem nominalistischen Verständnis der Neuen Rechten vom Menschen an., nach dem "Mensch" ein willkürlicher Zuschreibungsbegriff ist. "Zwar gehört jeder heute lebende Mensch biologisch zur Art Homo sapiens", sagte Markl, doch "Menschenwürde, ja eigentlich Menschsein ist mehr als dies Faktum, es ist eine kulturell-sozial begründete (!) Attribution", und zwar "mit allen Rechtsfolgen"; die "Zuschreibung des vollgültigen Menschseins" werde "in heutigen Hochkulturen ... durchaus verschieden begründet". Mensch ist demnach nicht als absolute, sondern als eine nach weltanschaulichen Kriterien relative Kategorie zu verstehen. Den Nominalismus, der im Gegensatz zur Rousseauschen und Kantschen Auffassung steht, nach der jeder Mensch von Natur aus gleiche Rechte hat, wies Feit - neben dem Postulat von der Bestimmtheit des Menschen durch biologische Triebe (Territorial-, Aggressions-, Dominanz-, Besitz-, Sozietäts- und Sexualtrieb) - als die zentrale Kategorie der Neuen Rechten nach. Er eröffnet erst die Möglichkeit, bestimmten Menschen die Qualität des Menschseins abzusprechen. Selbst die FAZ tat einen Aufschrei, weil Markl hieraus die Berechtigung zu Eugenik und "Sterbehilfe" ableitete und diese auch noch - ganz Lorenz-Schüler - in den Dienst der Evolution stellte, deren natürliche Auslesemechanismen in den zivilisierten Gesellschaften nicht mehr funktionierten. Markl knüpfte nun auch noch "Wissenschaft" und "technische Erfindungsgabe" an die Zuschreibung und schloß mit einem Bekenntnis zum faustischen Menschen, der "seine Grenzen überschreiten muß, um ganz Mensch zu sein", die Rede ab. So kam er implizit an die Thesen des Neurechten Guillaume Faye heran, der 1988 in dem Buch des Thule-Seminars "Mut zur Identität" nur die Indoeuropäer als berechtigte Träger der Attribution "Mensch" anerkannte, weil nur sie Wissenschaft und Technik entwickelten und auch die Willenskraft hätten, "vor allem durch die Beherrschung der Genetik ... die differenzierende Logik der natürlichen Evolution ab(zu)lösen" (Faye) und ihre kulturelle Überlegenheit genetisch zu festigen. Damit nicht genug. Markl rief schon im Januar dazu auf, die Zahl der Menschen weltweit auf zwei Milliarden zu senken, und er ließ keinen Zweifel daran, wer zu wessen Gunsten weg muß: "Ein Fünftel der Menschheit braucht dringend mehr, vier Fünftel brauchen dringend weniger Nachkommen". Dies sind in der Tat "gattungspolitische Entscheidungen" (Sloterdijk), die Markl mit Lorenz' "Parasiten"-These begründete, nach der die bald zehn Milliarden Menschen "ein gigantisches Nahrungsreservoir für gefährliche Mikroben" (Markl) darstellten, die am Ende auch das zu vermehrende Fünftel bedrohten. Lorenz hatte diese These 1976 in Benoists "Nouvelle École" publiziert. Im Februar forderte Markl in Anspielung auf die Jensen-Debatte der 70er Jahre dann auch, die genetischen Grundlagen von menschlichem Verhalten und Intelligenz stärker zu berücksichtigen, als es die Sozialwissenschaften im Gefolge von Marxismus und Frankfurter Schule bisher tun.

Eugenischer und völkischer Rassismus

Der Antifaschismus der 80er und 90er Jahre kritisierte vor allem den völkischen Rassismus als wichtigste politische Konsequenz neurechter Ideologie und überließ die Kritik des eugenischen Rassismus weitgehend der Frauenbewegung und den politisch bewußten Behinderten, die den Nominalismus in der Debatte um Peter Singers Euthanasie-Konzept der "Person" und "Nicht-Person" thematisierten. Doch Markls Aufruf, die dringend benötigten ausländischen Fachkräfte ins Land zu holen und gegen die Stiefel und Knüppel der Neonazis zu verteidigen, verbunden mit seiner Forderung, die Zahl der nicht indoeuropäischen Menschen auf der Welt zu verringern, zeigt einmal mehr die Grenzen dieses Antifaschismus. Schon der Ahnherr des Rassismus, Francis Galton, hatte eine "intelligente Auslese" durch menschlichen Willen und Wissenschaft gefordert. Markl verband nun, vor der MPG und in Zeitungsartikeln, die "Willenskraft" und die "Pflicht zur selbstverantwortlichen Lenkung der eigenen Geschicke" (Markl) mit den vermeintlichen Anforderungen der Evolution und den tatsächlichen der hochentwickelten Ökonomien des Nordens. Dennoch ist auch der eugenische Rassismus, der die wirtschaftlich Brauchbaren aus allen Kontinenten rekrutiert und die Unbrauchbaren überall biopolitisch bekämpft, nicht frei vom völkischen Rassismus. Bulmahn belehrt uns auf einer weiteren Postkarte ihrer Lebenswissenschaften-Pop-Kampagne: "Fast wäre aus dem Bayern ein Eskimo geworden. Ihr Erbgut ist zu 99,99 % identisch" - fast, denn Eskimos sind eben keine indogermanischen Computer-Inder, sondern - siehe oben - offenbar näher am Zwergschimpansen als am Süddeutschen, wenn man den Postkarten der Forschungsministerin glaubt. Passend berief Bulmahn, die kürzlich selbst - und erstmalig seit 1945 - den Begriff der Evolution wieder in die deutsche Politik einführte, Markl sogleich in den "Innovationsbeirat", dem fast nur Industriemanager angehören und der das Projekt "futur" anleiten soll, eine Quasi-Sekte aus 2000 Leuten, die im Internet-Dialog miteinander "Leitvisionen", "Zukunftsbilder" und "wahrscheinliche Zukünfte" entwerfen, Transzendentes also, an dem sich die Forschungspolitik der Bundesregierung demnächst ausrichten soll. Das Projekt ergänzt den praktisch orientierten Nationalen Ethikrat, der neben der Stammzellenforschung bereits die Pränataldiagnostik (eine Voraussetzung der Eugenik) und die Euthanasie zu seinen Themen bestimmte und dem mit Jens Reich ebenfalls ein Anhänger Lorenz'scher Ausmerze des als fehlerhaft definierten menschlichen Erbgutes angehört.

Heimliche Traditionen ...

Verdacht hat der Begriff "Biopolitik" schon anderweitig erregt. Der Faschismusforscher Michael H. Kater stellte Ende Juli 2001, nach Schöders "Wegschließen!" und dem Bio-Psychiater-Weltkongreß, in der Frankfurter Rundschau die Volksgesundheitspolitik der Nazis als "biopolitisches Konzept" vor. Weitere Parallelen zum heutigen Diskurs, als in diesem Adjektiv erkennbar, wollte er nicht ziehen, ließ die Erinnerung an die Nazipolitik für sich selbst sprechen: die von jedem Glied der Volksgemeinschaft verlangte "sittliche Pflicht zur Gesundheit", das "Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher", die Erbgesundheitsgesetze, das nicht mehr verwirklichte Gesetz zur erbmedizinischen Ausmerze von "Gemeinschaftsfremden", darunter soziale Randgruppen und Oppositionelle. "Toleranz gegen moralisch Minderwertige ist eine schwere Gefahr für die Volksgemeinschaft", hatte auch Konrad Lorenz in den 40er Jahren in seinen pro-nazistischen Artikeln geschrieben. Geradezu als sittliche Pflicht zur Eugenik erscheint heute Sloterdijks Appell im Tagesspiegel: "Die Verhütung von schwersten Erbkrankheiten ist keine heillose Machenschaft, sondern ein Ausdruck von Verantwortlichkeit", denn "mißgebildete Kinder" seien "skandalös", ihre Existenz eine "Lebenszumutung". Nicht skandalös fand er seine Anspielung auf Jürgen Habermas, der ihm bürgerlich-aufgeklärte Opposition gegen seine "Menschenpark"-Rede zugemutet hatte. Listig machte er Habermas zum Anwendungsfall der Eugenik: "Ich lehne die theologische Verklärung von Erbkrankheiten ab, ich glaube nicht an den Gott, der Hasenscharten schuf." So weit geht Biopolitik schon wieder.

... in bekanntem Auftrag

Schröder nahm in seinem Artikel "Gen-ethischer Grenzgang" zum Start des Jahres der Lebenswissenschaften unter Bezug auf Jens Reich Markls Verbindung von Nominalismus und faustischer Hybris schon vorweg. Einzige Grenze sei die Unantastbarkeit der Menschenwürde, und "diese Würde steht nicht in der Buchstabenfolge des Genoms" - gegen Rousseau und Kant gelesen: Sie ist kein Naturrecht eines Jeden. Gleichzeitig machte er klar, daß die Überbau-Kampagne der ökonomischen Basis dient: Es gehe um "Patentschutz" für deutsche Firmen, da "eine Selbstbeschränkung Deutschlands auf Lizenzfertigungen" zur Fremdbestimmung führe, denn Deutschland verlöre die Macht über "die Anwendungen und Folgen dieser Techniken". Später sagte er: "Ich setze noch einen drauf: Es ist nicht unethisch, darüber nachzudenken, ob man einem Volk ... die ökonomische Nutzung dieser Technologie möglich macht oder nicht", ein Satz mit weitreichenden Interpretationsmöglichkeiten, auch im Sinne Fayes. Enorme Kosteneinsparungen durch neue Produktionsabläufe sieht der Verband forschender Arzneimittelhersteller. Das Testen neuer Medikamente kann statt im Tierversuch, der die teure Züchtung und Haltung der Tiere erfordert, an künstlich hergestellten Geweben aus menschlichen Stammzellen erfolgen; deshalb fordert er, wie Schröder, die Freigabe auch der embryonalen Stammzellen als kostengünstigste Quelle der Testgewebe-Produktion. Schon heute betreibt das Forschungsministerium "die wohl weltweit bedeutendste staatliche Fördermaßnahme zur Entwicklung von Alternativen für Tierversuche", prahlt Bulmahn und rühmt sich des Tierschutzes. Auf solche Wettbewerbsvorteile bei Testen und Zulassung sind auch andere Branchen scharf, z.B. bei den Nebenwirkungen industriell eingesetzter chemischer Substanzen oder künstlich hergestellter Lebensmittel. Dagegen ist das Arbeitsplatz-Argument nach Studien des Forschungsministeriums weniger bedeutsam: Gut 200 000 Arbeitsplätze seien in der Landwirtschaft, der Lebensmittelverarbeitung und im pharma-medizinischen Bereich durch die Biotechnologie beeinflußt, nur 25 000 neue Arbeitsplätze in den Biotech-Unternehmen selbst entstünden in den nächsten zehn Jahren. Auch die unter Linken verbreitete These, der Wissenschaftsapparat treibe aus sich heraus die Debatte an, die Karrieren des Nachwuchses verlangten nach neuen Promotionsthemen, ist wohl zu vernachlässigen, weil z.B. seltene Krankheiten mangels Massen-Markt ja nicht erforscht werden. Bedeutender ist wohl die Verquickung von Wissenschaft und Kapital, wie bei Detlef Riesner, Düsseldorfer Biologieprofessor und Mitgründer der Qiagen AG, einer der bedeutendsten deutschen Biotech-Firmen, oder wie bei Günter Stock, Vorsitzender des Senats der MPG und Forschungsvorstand der Schering AG, der letztjährigen Top-Gewinnerin im Dax, die ihren Börsenkurs gegen den Trend um die Hälfte steigerte. Stock forderte im Juli die Erlaubnis zum therapeutischen Klonen; ein Patent für die noch verbotene Technik will sich auch Oliver Brüstle von der Uni Bonn sichern, für den NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement die embryonalen Stammzellen auf dem Weltmarkt beschaffte. Ob die Stammzellen, deren Wirtschaftskreislauf Clement zu organisieren hilft, immer nach "ethischen Mindeststandards" gewonnen werden, bezweifelten Regine Kollek vom Nationalen Ethikrat und Ingrid Schneider von der Ethik-Kommission des Bundestages kürzlich in der Süddeutschen Zeitung: Kontrollen über die Herkunft der Eizellen und Embryonen, aus denen die heute handelbaren Stammzellinien gewonnen wurden, gebe es nicht, teilweise kämen sie über dunkle Kanäle aus der Dritten Welt. Aus abgetriebenen menschlichen Föten gewonnene Stammzellen wurden bereits in transgenen Tierversuchen eingesetzt. Von der Verwertung "herrenloser Embryonen" bis zur Zwangsentnahme von Eizellen in Gefängnissen, in denen ja auch zwangsweise Abtreibungen vorkommen, ist - jedenfalls derzeit - offenbar alles denkbar auf dem Markt der Einzelteile.

Therapien mit totipotenten Stammzellen werden nur durch therapeutisches Klonen wirtschaftlich, weil körperfremde Embryonalzellen teure Antiimmunbehandlungen (wie bei Organtransplantationen) nötig machen. Bedenkt man, daß die gesetzlichen Krankenkassen, denen 80 % aller Versicherten angehören, auch intern, durch ihre "sozialpartnerschaftliche" Kontrolle, dem direkten Zugriff der Kapitalseite unterliegen, sind deren Behandlungspräferenzen vorhersehbar, auch wenn das therapeutische Klonen ein Heer an eizellspendewilligen Frauen voraussetzt. Der Umbau der Sozialversicherungssysteme, das Abzweigen von Profiten für private Versicherer aus diesem gigantischen Finanzpool bei gleichzeitig sinkender Zahl der Beitragszahler, gehört ebenfalls zum volkswirtschaftlichen Hintergrund der Bioethikdebatte, weil die Leistungen verbilligt werden müssen. Das gilt ebenso für zukünftige Therapiearten, für die eugenische Verhinderung teurer Kranker wie auch für deren "Euthanasie". Von Einsparungen an den Lohnnebenkosten profitieren alle Kapitalfraktionen. So wirkt "Biopolitik" weit über eine "Ethik des Heilens" hinaus, sie wird die gesamte Gesellschaft umgestalten.

Früher Rassenpflege, heute Nutzengemeinschaft:
Von der Stammzelle zur Sozialeugenik

Menschen als Rohstoff des Kapitals vernutzen zu wollen, um Mehrwert zu schaffen, ist keine absonderliche Haltung, wie die Bioethik-Debatte bisweilen nahelegt, sondern dies ist das Grundgesetz des Kapitalismus. Zum Beispiel: Heute erreicht in Deutschland nur ein Drittel der Arbeitenden die Rente mit gesetzlicher Altersgrenze, ein Drittel ist bereits vorher tot und ein Drittel wird invalide frühverrentet. Die "biopolitische" Position des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, der von den Vorstandsvorsitzenden der meisten Großkonzerne aus Industrie, Versorgern, Banken und Versicherungen sowie den Präsidenten der Wissenschaftsorganisationen geleitet wird und Forschungsprojekte aus den Konzernprofiten fördert, kann also nicht erstaunen: Manfred Erhardt, Generalsekretär des Stifterverbandes, sprach sich im August für den profitablen Einsatz von Embryonen und für das "therapeutische" Klonen aus, das in Wahrheit die massenhafte Herstellung und Verwendung menschlichen Gewebes im industriellen Produktionsprozeß solcher Branchen bedeuten wird, deren Produkte auf ihre Wirkungen am Menschen getestet werden müssen. Ausdrücklich stimmte Erhardt dem Nominalismus Hubert Markls zu, den die "Neue Rechte", vor allem ihr deutscher Nestor Armin Mohler, in Anlehnung an ältere faschistische Ideen entwickelt hatte: daß "Mensch" nur eine "kulturelle Zuschreibung" sei, "kulturbezogen-werteorientiert. Und damit gesellschaftsabhängig, also relativ", so der promovierte Jurist Erhardt, die gegen allgemeine Menschenrechte gerichteten Äußerungen Markls noch zuspitzend. Die Logik deutscher Kapitalvertreter kehrt zu den 30er Jahren zurück, zur Logik der Entrechtungs-Gesetze. Dabei geht es nicht mehr nur um den achtzelligen Embryo, der die begehrten Gewebe produzieren soll. Erhardt verwies zur Legitimation der Arbeit mit den Stammzellen zu tötender Embryonen ausdrücklich auf die zahlreichen Spätabtreibungen "wegen genetischer Defekte", die ja sogar "bis kurz vor der Geburt zugelassen" seien. Die juristisch falsche Parallele (die Legalität des Spätabbruchs bei bereits selbständig lebensfähigen "behinderten" Föten ist rechtlich an die reale Gefahr für die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren geknüpft, nicht an den "Defekt" des Kindes) zeigt implizit ein wert- und gesellschaftsabhängiges Verständnis von "Defekt", der zum beliebig verfügbaren Konzept wird, um Lebens- und Menschenrechte zu- oder abzuerkennen. En passant wird die Eugenik auf eine neue Stufe gehoben, eine neu-rechte, auf der die gesellschaftliche Wertigkeit des Menschen das bisher dominierende Argument der "normalen" medizinischen Überlebensfähigkeit abgelöst. Sie hat nun das Potential zur Sozialeugenik, zur biologischen Selektion nach sozialen statt medizinischen Kriterien. Bei so viel akzeptiertem Kulturrelativismus gegenüber dem Nutzobjekt Mensch wirkte der Nominalimus Detlev Gantens, des Chefs der Hermann-Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren und des im Humangenomprojekt tätigen Max-Delbrück-Zentrums in Berlin-Buch, geradezu biologisch-archaisch, als er im Juli im Sender Phoenix ("Kinder nach Maß?") die Embryonenforschung rechtfertigte: zum richtigen Menschen gehöre schließlich auch das Immunsystem, und das entwickele sich ohnehin erst postnatal und umweltabhängig. Wehe den Immungeschwächten! Die Beispiele Erhardt und Ganten zeigen erneut, wie auch die Lebenden von der Bioethik-Debatte erfaßt werden.

Interessengeleitete Menschenforschung von
Deutscher Forschungsgemeinschaft und Max-Planck-Gesellschaft

Die prominenten wissenschaftlichen Propagandisten der neuen Biotechniken zur Verarbeitung von Menschenmaterial sitzen praktischerweise sowohl in den staatlichen Beratungs- und Ethikräten als auch in Vorstand und Kuratorium des Stifterverbandes der Wirtschaft: neben Ganten auch Markl (Präsident der Max-Planck-Gesellschaft MPG) oder Ernst-Ludwig Winnacker (Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG und darin Nachfolger Markls). Im Gegenzug sitzt z.B. Erhardt im Hauptausschuß der DFG (bei der wiederum die MPG Mitgliedsorganisation ist) und kontrolliert die Verteilung der Forschungsgelder mit, die von den Konzernen "gespendet" wurden, z.B. für die Forschung an embryonalen Stammzellen, die von der DFG mitfinanziert werden soll. Die Entscheidungen zur "Biopolitik" sind offenbar intern längst gefallen, man hat lediglich noch ein Vermittlungsproblem in einem immer noch mehrheitlich christlich geprägten Land. Ganten weiß Rat: "Unsere Gesellschaft" sei "im Moment" mit der "weitgehenden Freigabe" der Embryonenforschung "überfordert", deshalb habe er sich "immer für ein schrittweises Vorgehen ausgesprochen", sagte er im August der "Zeit". Dabei spielt Schröders Ethikrat, dem er mit Winnacker angehört, wohl keine Rolle mehr, denn hier sei "kaum die Zeit, all die komplizierten Fragen im Umfeld dieser Forschung abschließend zu beantworten".

Vordenker "Neue Rechte"

Die Antworten hat man sich längst woanders geholt. Das Menschenbild der "Neuen Rechten" ist bei den Eliten der deutschen Wirtschaft und Wissenschaft heute so hegemonial, wie damals das verwandte der Nazis. Dieser Teil der Bioethik-Debatte ist allerdings bisher fast völlig tabuisiert. Hegemonie erreichte die "Neue Rechte" durch Think Tanks, die teilweise von den Konzernen finanziert oder kontrolliert werden, wie der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung unter Armin Mohler und Heinrich Meier, die die Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften "mit einem interdisziplinären Ansatz" fördern will, oder der von früheren NSDAP- und SS-Mitgliedern gegründeten, viel kleineren, aber sehr einflußreichen Freien Akademie (FA), die schon in den 80er Jahren Markls Thesen verbreitete, als dieser DFG-Chef war. Sie betreiben seit Jahrzehnten durch Vortrags- und Diskussionsreihen und in ihren Publikationen offensiv die Biologisierung der Gesellschaft: die Siemens-Stiftung z.B. mit sozialdarwinistischen Veranstaltungen zu den "biologischen Grundlagen unseres sozialen Verhaltens", Konrad Lorenz folgend, der ebenso wie Hans-Jürgen Eysenck selbst hier auftrat; die FA, in deren Schriftenreihe Lorenz schon in den 60er Jahren publizierte, z.B. mit dem Thema "Evolution und Evolutionsstrategie in Biologie, Technik und Gesellschaft", zu dem Lorenz-Schüler Markl und der Direktor des österreichischen Konrad-Lorenz-Instituts für Evolutions- und Kognitionsforschung Franz Wuketits Beiträge lieferten.

Die enge Vernetzung von Führungspersonen und Referenten dieser Think Tanks mit der "Neuen Rechten" sicherte den Ideologie-Transfer vom offenen Rechtsextremismus der Jürgen Rieger ("Neue Anthropologie") oder Alain de Benoist ("Nouvelle École") hinein in die Mitte der Gesellschaft. Mohler, Lorenz oder Eysenck sind nur die prominente Spitze; die aus "Nation Europa", vom "Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes" (DKEG) und den "Lippoldsberger Dichtertagen" der früheren Hitler-Geburtstags-Dichter bekannte rechtsextreme Autorin Margarete Dierks z.B., ehemals in der Schulung der NSDAP-Kader aktiv, war jahrzehntelang die Organisatorin der FA-Tagungen und noch in den 90er Jahren dort Referentin. Den Einladungen des von Mohler unterstützten Thule-Seminars konnten prominente Politiker schlecht folgen, wenn hier der verfassungsschutzbekannte Rassist Rieger publizierte, bei der Siemens-Stiftung dagegen geben sie sich die Klinke in die Hand; dem DKEG, das Lorenz mit dem "Schiller-Preis" ehrte, mußten sie fernbleiben, weil es immer wieder in den Verfassungsschutzberichten als rechtsextremistisch aufgeführt wurde, zur FA dagegen bestehen keine Berührungsängste. Die aktuelle "Biopolitik" schafft nun das Bedürfnis, auch die neueren Ergebnisse der Verhaltens- und Evolutionsbiologie auf die menschliche Gesellschaft anzuwenden; Wuketits z.B. bereitet die nächste "wissenschaftliche Fachtagung" der FA im Mai 2002 vor, deren Ergebnis sich aus der Ankündigung ablesen läßt: daß allgemeine Menschenrechte aufgrund der Gesetze der biologischen Evolution nur eine "Illusion" seien.

Freireligiöse, Deutsche Unitarier, "Humanisten"

Zu den einschlägigen Entwicklern und Vermittlern des neurechten Menschenbildes zählen auch die rechten Sekten, die die FA durch Referenten, Besucher, Werbung für die Fachtagungen und Kreuzmitgliedschaften mittragen und deren Vorläufer schon in den 20er und 30er Jahren an der faschistischen "Ethik" mitwirkten: neben Deutschen Unitariern und Freireligiösen auch "Humanisten" wie der Humanistische Verband Deutschlands (HVD; vgl. KONKRET Nr. 7/2001), die personell, inhaltlich und durch ihre gemeinsame Nazi-Vergangenheit untereinander, aber auch mit der "Neuen Rechten" um Mohler und Benoist vernetzt sind. Sie erfreuen sich heute der Mitgliedschaft und Unterstützung prominenter Biowissenschaftler und Philosophen ("Humanisten"), führender Industriemanager (Deutsche Unitarier) und ministrabler Politiker (Freireligiöse). Ihr wachsender Einfluß in den Parteien links der Konservativen - und damit auch die historische Kontinuität der aktuellen Bio-Debatte - ist für die Presse, die sich aus den ganzseitigen Anzeigen der Konzerne finanziert, tabu. Diese Sekten waren es vor allem, die nach 1945 in Deutschland unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit - und in den Dachverbänden International Humanist and Ethic Union (IHEU) und International Association for Religious Freedom angebunden an weltweite, dem Faschismus vordergründig unverdächtige Entwicklungen der Bioethik - daran arbeiteten, aus Nominalismus und Sozialdarwinismus eine voluntaristische Ethik zu entwickeln, die zwar immer noch große Anleihen bei Nietzsche und den faschistischen Denkern seit Houston Steward Chamberlain macht, das "Tue, was Du willst!" jedoch immer weniger völkisch-rassistisch als mehr und mehr utilitaristisch interpretiert. Nicht mehr so sehr die Blutsgemeinschaft soll nun das individuelle und gesellschaftliche Handeln (darunter die Selektion der Brauchbaren und Unerwünschten) bestimmen, sondern die Nutzengemeinschaft, die im Einzelfall auch die gut bezahlte ausländische Fachkraft umfaßt. So können die Deutschen Unitarier - weit entfernt von Aktionen wie dem Kirchenasyl, aber heute ideologisch geführt von dem Rüstungs-, Luft- und Raumfahrt-Manager Horst Prem aus der Daimler-Chrysler-Unternehmensfamilie - bei Otto Schilys "Bündnis für Demokratie und Toleranz" mitmachen, und nur das "ötv-magazin" wunderte sich im Januar 2001 noch, daß sich die Sekte auch hier "als Partner tummelt" und diese "Völkischen ausgerechnet beim Innenminister eine Plattform erhalten".

Die Wende zur Nutzengemeinschaft wurde durch die moderne Evolutionsbiologie nötig, die mit dem alten Rassismus kaum noch vereinbar ist, wohl aber, entsprechend interpretiert, sehr gut mit dem Sozialdarwinismus. Seine Renovierung besorgte z.B. der "Humanist" Richard Dawkins mit seiner Theorie vom "egoistischen Gen", das in Verfolgung des größten eigenen Nutzens auch die Evolution bestmöglich vorantreibe. Wuketits sieht in seinem neuen Buch "Humanität zwischen Hoffnung und Illusion", das ein Bestseller bei den rechten Sekten ist, ebenfalls den "Eigennutz" als das durchschlagende biologische Prinzip "unserer Natur". Die Optimierungsstrategien der Evolution werden - aufgrund der sozialdarwinistischen Vertauschung von Kausalität mit Finalität - utilitaristisch interpretiert, statt wie vom echten Darwin: historisch. "Alle Evolutionsstrategien", so der heutige FA-Präsident und frühere Vize-Präsident der Deutschen Unitarier Jörg Albertz, hätten "sich deshalb herausgebildet, weil sie im Evolutionsprozeß ein effektiveres und schnelleres Fortschreiten ermöglichen" - die Präsenzform des Verbs verrät den Fehlschluß. Man glaubt den Zweck der Evolution zu erkennen (Oh Wunder, er scheint sich mit Zielen der Konzerne zu decken!) und will alles Handeln darauf ausrichten; man sieht sich als Teil der Natur ("Humanisten") oder in freimütig bekundeter eigener Göttlichkeit (Unitarier, Freireligiöse) ethisch berechtigt, die Evolution nunmehr selbst zu lenken, und zwar im Effekt hin zu betriebs- und volkswirtschaftlichen Einsparungen. Sigrid Hunke, die herausragende Ideologin der europäischen "Neuen Rechten", die sogar Benoist die Ideen lieferte, ebenfalls Schiller-Preisträgerin des DKEG ist und von Prem 1985 zur Ehrenpräsidentin der Deutschen Unitarier gemacht worden war, nachdem FA-Albertz sie als Vizepräsidentin abgelöst hatte, nannte ihre utilitaristisch modernisierte Ethik schon früh "selbstbestimmte Ethik", eine emanzipationsdemagogische Formel, mit der z.B. Markl oder Erhardt heute Embryonenforschung, Klonen, Eugenik und Euthanasie rechtfertigen, wie es diese Sekten schon vorher taten. Hunke, durch ihren Doktorvater ehemals selbst der SS verbunden, hatte sich in ihrer Nackriegs-Ideologieproduktion passend auf Zitate des damaligen Arbeitgeberpräsidenten und vormaligen SS-Mitglieds Hanns-Martin Schleyer berufen. Wie weit Modernisierung und Demagogie - und auch das Verdecken der historischen Wurzeln - inzwischen gehen, zeigt der Verweis von Markl und Erhardt auf die alte Parole "Mein Bauch gehört mir!", die nun für die Evolution im Allgemeinen wie für die Embryonenforschung im Konkreten in Dienst genommen wird. Die Emanzipationsdemagogie der "Selbstbestimmung", die den Verheißungen des Neoliberalismus und seiner utilitaristischen Philosophie folgt und im krassen Gegensatz zu den sich real weiter verengenden sozialen Voraussetzungen individueller Freiheit steht, ist bei der "Neuen Rechten" an die Stelle der Sozialismusdemagogie des alten Faschismus getreten.

Pränatal- und Präimplantationsdiagnistik in der Nutzengemeinschaft der "Neuen Mitte"

Ohne Appell an die Freiheit kommen auch die heutigen Genetiker, die konkrete Eugenik betreiben, nicht aus. Sabine Stengel-Rutkowski, Mitglied im Ethikrat der Bayrischen Staatsregierung, Leiterin der genetischen Schwangerenberatung in Oberbayern und Professorin am Institut für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin der Uni München, hat als Top-Wissenschaftlerin auf diesem Gebiet die Studien der DFG zur bundesdeutschen Pränataldiagnostik der letzten 30 Jahre geleitet. 1978 brachte sie eine erste Zwischenbilanz heraus, die sich "an den Hausarzt in seiner Tätigkeit als genetischer Familienberater" wandte. Hier wurde die - bis heute als verfassungswidrig verbotene - völlige Freigabe der eugenisch motivierten Abtreibung gefordert. Die Eltern müßten sich auch ohne eigene Gefährdung der Schwangeren "frei für oder gegen das Kind entscheiden" können, auch aufgrund von "Erwägungen zur Sinnhaftigkeit eines behinderten Lebens oder auch gesundheitspolitische(n) Überlegungen", die die verantwortungsbewußte Schwangere bisher durch entwürdigende "Egozentrik" (das Vorschieben eigener psychischer Gefährdung) verdecken müsse. Das sind die Argumente Peter Singers, auf den sich heute auch die "Neue Rechte" beruft. Am Ende des Buches wurde dann, rein utilitaristisch, eine akribische Aufrechnung der Kosten des Aufbaus eines pränatalen Diagnose- und Beratungssystems zur "Prävention des Down-Syndroms" gegen die Sozialausgaben für Menschen mit Down-Syndrom angestellt und (1978) ein jährlicher "monetärer Nutzen" in zweistelliger Millionenhöhe durch Abtreibung der möglicherweise betroffenen Föten errechnet. Solche Menschen sind zu teuer, ihr Leben nützt nur ihnen selbst. Das waren auch die Argumente der Nazis in "Volk und Rasse" 1936, die die Ausstellung "Der (im-) perfekte Mensch" kürzlich im Dresdner Hygienemuseum anprangerte: "Hier trägst du mit. Ein Erbkranker kostet bis zur Erreichung des 60. Lebensjahres im Durchschnitt 50 000 RM". Auch Markl brachte bei der diesjährigen Hauptversammlung der MPG das Beispiel Down-Syndrom, um für die "Freiheit der Eltern" bei der "Präimplantations- und Pränataldiagnostik" zu werben, nicht ohne auf die Evolution zu verweisen: "schon von Natur aus" kämen "möglichst nur gesunde und entwicklungsfähige Keime zur Entwicklung". Daß tatsächlich fast alle Föten mit dieser als wahrscheinlich diagnostizierten Krankheit, auch mit erwarteter Mukoviszidose oder Lippen-Kiefer-Gaumenspalte nach genetischer Beratung abgetrieben wurden, war ein Ergebnis der von Stengel-Rutkowski in den 90ern abschließend publizierten DFG-Studien. Herabwürdigende Bezeichnungen wie "Zwergwuchs", "Klumpfuß", "Mißgeburt", "Kellerkind in unwürdigen sozialen Verhältnissen" und "Fehlentwicklungen im Sozialisationsprozeß" - 1978 in Stengel-Rutkowskis Hausärzte-Buch als ethisch gerechtfertigte eugenische Abtreibungsgründe angeführt, die jedoch der reformierte § 218, "das sei mit einiger Bitterkeit vermerkt", als juristische Rechtfertigung weiterhin "versagt", wie es dort hieß - lassen ahnen, wer noch alles ins Visier gerät. Trotz ihrer jüngsten Warnungen vor "einer Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Genotyps" beharrt sie auch heute auf der freien Entscheidung zwischen "Verhinderung oder Akzeptanz der Geburt eines Kindes, welches anders sein wird als das erwartete 'Wunschkind'", eine Scheinalternative, die faktisch über die ökonomische und kulturelle Ausgrenzung entschieden ist.

Wie die Alten sungen ...

Sabine Stengel-Rutkowski ist die Schwiegertochter des vormaligen SS-Offiziers Lothar Stengel-von Rutkowski (den Adelstitel hat man vornehm abgelegt), der als "Erbarzt" im Rasse- und Siedlungsamt der SS Thüringen über den "kulturbiologischen Volksbegriff" arbeitete, "die Fortpflanzung von 20 000 thüringischen Bauern" medizinisch untersuchte, noch 1944 als Medizinalrat beim Thüringischen Landesamt für Rassewesen sein Praktiker-Buch "Grundzüge der Erbkunde und Rassenpflege" in dritter Auflage publizierte ("Einleitung: Der Sozialismus des Blutes") und im selben Jahr das Buch "Deutsch auch im Glauben. Eine Sammlung für Front und Heimat" im Verlag "Sigrune" herausbrachte. Er war mit dem Nazirassisten Hans F. K. Günther eng befreundet und schrieb Günthers Biographie in mehreren Folgen für die "Nationalsozialistischen Monatshefte". 1933 gründete er mit den Freireligiösen und anderen völkischen Sekten die "Deutsche Glaubensbewegung" Wilhelm Hauers mit, die gegen die "Verknechtung" durch die jüdisch-christliche Ethik einen Nazi-Gotteststaat auf der Basis einer "Religion der freien Deutschen" anstrebte und aus der nach 1945 die heutigen Unitarier und Teile der Freireligiösen und "Humanisten" entstanden. 1956 half er Hauer - vormals selbst SS-Mitglied - auch bei dessen letztem Lebenswerk, der Gründung der FA, als deren "Ehrenmitglied" Stengel-von Rutkowski bis heute geführt wird. Postnazistisch vom Erbarzt zum Genetiker mutiert und mit Hilfe der SPD in Hessen Leiter eines Gesundheitsamtes geworden, engagierte er sich bei den Deutschen Unitariern, wo er noch 1990 zur Gentechnik sprach. Jürgen Riegers "Artgemeinschaft" und das Thule-Seminar druckten seine Gedichte, die Hauers und Hunkes "Religion" lobpreisen: "Wir werden wie Knechte nicht wimmern, wir werden getrost uns zimmern eine Wiege aus eichenem Schaft, und werden Geschlechter zeugen, die nimmer mehr sich beugen, der Wille formt die Welt" ("elemente" des Thule-Seminars 1990, die auch einen Beitrag Günthers über "das Knechtsverhältnis des Menschen zu Gott" bei den "Völkern semitischer Sprache" im Gegensatz zu den selbstgöttlichen "freien Indogermanen" enthielten).

Die Schwiegertochter hat ihre Ethik, wie jeder sonst, nicht aus den Genen des Schwiegervaters, sondern aus dem Bücherregal. FA-Autor Hubert Markl verbat sich auf der diesjährigen MPG-Hauptversammlung, den DFG-Präsidenten und Genetiker Ernst-Ludwig Winnacker beschützend, solche Ahnenforschung als "beleidigende Verunglimpfung", nachdem Sandra Maischberger den DFG-Chef im Sender n-tv damit konfrontiert hatte, daß sein Vater ja wohl Direktor bei der IG Farben gewesen war. Winnacker verteidigte sich, sein Vater habe mit der Zyklon-B-Produktion der IG Farben für die Vernichtungslager ja nicht direkt etwas zu tun gehabt. Der infame Zusammenhang ist einfach zu erkennen und wohl deshalb tabuisiert: die Opfer wurden zwangssterilisiert oder getötet, die (Schreibtisch-) Täter und ihre Hinterleute hatten Kinder, die heute die Legalität ihres Handelns "schrittweise" erweitern können, um etwas wie den Nürnberger Ärzteprozeß nicht erleben zu müssen. Das ist die spezifisch deutsche Kontinuität der Bildungseliten.

SPD-Familienpolitik als Sozialeugenik

Die hat nun auch die SPD-Familienpolitik im Sinn. "Kellerkinder" sollen sozialeugenisch verhindert werden. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Renate Schmidt, neuerdings als Nachfolgerin Raus für das Bundespräsidentenamt ab 2004 im Gespräch, legte kürzlich das Parteikonzept "Familienpolitik für das 21. Jahrhundert" vor, in dem die CDU/CSU-Idee eines monatlichen Familiengeldes von 1200 Mark abgelehnt wird mit dem Argument, für die "mittleren und höheren Einkommen" sei dies kein Grund, "weitere Kinder zu bekommen". In der SPD-Mitgliederzeitung "Vorwärts" wurde sie im Juni noch deutlicher: "Zur Zeit bekommen gerade die Paare wenig oder keine Kinder, die traditionell Wert auf Bildung legen. Wen wundert es deshalb, wenn die Zahl der Studierenden immer weiter zurückgeht"; das Unions-Konzept sei "bestenfalls ein Anreiz für diejenigen, die keine Ausbildung haben und ein Einkommen von 1200 Mark nicht selbst erwirtschaften können". In ihrem Jahrhundert-Konzept schreibt sie: "Kinderreichtum bei den Benachteiligten, Kinderarmut bei der restlichen Bevölkerung hat gravierende Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Bevölkerung" und sei deshalb "kritisch" zu beurteilen. Diese sozialeugenische Politik der Wiegen ist auch selbst "aus eichenem Schaft" gezimmert: Freireligiöse und "Humanisten" beklagen schon seit langem - und mit Unterstützung von Sozialdemokraten aus ihren Reihen (vgl. KONKRET Nr. 1/1998) - die "Gegenauslese", bei der "die wertvollen Individuen ihre Kinderzahl beschränken", weshalb sogar "Entartung" drohe, wie es beim IHEU-Kongreß schon 1968 hieß. Ihr Vordenker Konrad Lorenz schrieb 1973 in "Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit": "Unser Mitleid mit dem asozialen Ausfallbehafteten, dessen Minderwertigkeit ebensogut durch irreversible frühkindliche Schädigungen verursacht sein kann wie durch erbliche Mängel, verhindert, daß der Nicht-Ausfallbehaftete geschützt wird". Das soll sich nun ändern. Bisher war die finanziell unterstützte "Chancengleichheit" das sozialdemokratische Credo, nach dreißig Jahren "biopolitischer" Agitation der Think Tanks aber führt nun auch in der SPD der Sozialdarwinismus die Politik. Während für die Öffentlichkeit noch um die Präimplantationsdiagnostik gestritten wird, die ja nur den wenige Zellen großen Embryo betrifft - Schröder und Bulmahn dafür, andere dagegen -, ist die Vize-Vorsitzende schon bei bevölkerungspolitischen Argumenten zur Steuerung der Fortpflanzung nach sozialen Kriterien. Als langjährige Nürnberger Bundestagsabgeordnete hat Renate Schmidt, die nach der Wahl 2002 erst einmal Familienministerin werden soll, wie der "Tagesspiegel" meldet, den rechten Hintergrund dazu, denn die dortige SPD ist eine Hochburg der rechten Sekten. Die fast vergessene Käte Strobel z.B., Mitglied des HVD, war seit 1949 Nürnberger SPD-MdB und ab 1966 Bundesministerin für Familie, Jugend und Gesundheit; für die Regierung Schröder ist das Andenken an Strobels politisches Wirken derart wichtig, daß kürzlich zu ihren Gunsten sogar Marlene Dietrich von der Einszehner-Briefmarke weichen mußte. Für eine Antifaschistin ist auch im Kleinen kein Platz mehr.

Noch eins drauf setzt das "Netzwerk 2010", eine parteioffizielle Gruppe, in der sich jüngere Sozialdemokraten zusammengeschlossen haben, die sich als die Zukunft der SPD ansehen, darunter die Landesvorsitzenden von Hamburg (Scholz), Thüringen (Matschie) und Baden-Württemberg (Vogt), die Bundesminister Bodewig und Bury, auch HVD-Chef MdB Rolf Stöckel und MdB Hans-Peter Bartels, der als Sektenbeauftragter der schleswig-holsteinischen Landesregierung im engen Einvernehmen mit dem Unitarier-Funktionär Ralf-Bernd Abel gegen amerikanische Konkurrenzsekten kämpfte (vgl. KONKRET Nr. 12/1996). Stöckel und Bartels und weitere "Netzwerker" sind auch Mitherausgeber der neuen programmatischen SPD-Zeitschrift "Berliner Republik". Familien seien "von wachsender Bedeutung für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft", heißt es im "Netzwerk"-Gründungspapier, "vor allem in Zeiten fundamentaler Veränderungen und Umbrüche vermittelt die Familie Sicherheit und Stabilität". In der Neuen Mitte wird Platz geschaffen für die neue Mutti. Bartels erläuterte im April im "Tagesspiegel", seine Mutter habe in den 30er Jahren acht Geschwister, sein Vater sogar dreizehn gehabt, von denen etliche für den Krieg draufgingen ("manche habe ich nie kennengelernt - der Krieg!"), heute dagegen sei "ein Drittel aller Frauen in Deutschland kinderlos, Tendenz steigend". Der heutige "individualisierungsbesoffene Megatrend" sei "Quatsch! Dummer, ideologischer Quark!" Gehe es weiterhin nach "unseren Links-Libertären", dann werde bald "hier gar nichts mehr funktionieren. Die Lampen werden nicht mehr weitergegeben, eine nach der anderen erlischt; eine Gesellschaft schafft sich selbst ab".

"Neue Mitte" und "Alte Kameraden"

Wem angesichts solch strahlender Lampen wie Schmidt und Bartels noch kein Licht aufgeht, dem erhellt der Einfluß, den die rechte Sektenszene seit Schröders Wahlsieg erringen konnte, vielleicht den ideologischen Hintergrund des derzeitigen - und seit den 30er Jahren größten - Sozialabbaus: Sparkommissar Hans Eichel unterstützte als hessischer Ministerpräsident persönlich die Deutschen Unitarier, mehr noch sein Vorgänger Holger Börner, der damals gerne mit "Dachlatten" gegen linke Demonstranten losgezogen wäre und heute Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung ist, der wichtigsten NGO der neuen deutschen Großmachtpolitik. Die Freireligiösen-Aktivistin Doris Barnett ist Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung, "Humanisten"-Mitglied Gerd Andres Staatssekretär beim Arbeits- und Sozialminister, wo die Kürzungen für Arbeitslose und Sozialhilfebedürftige zugunsten teurer Militäreinsätze organisiert werden. Justizministerin Hertha Däubler-Gmelin kritisierte zwar die Forderung ihres Parteifreundes Stöckel nach Legalisierung der kostensparenden - weil nicht-militärischen - "aktiven Sterbehilfe", als diese Debatte zur Unzeit kam und mit der ökonomisch viel drängenderen Embryonenforschung gefährlich vermengt wurde (die Euthanasie kommt über die Harmonisierung des Strafrechts in der EU, an der ihr Ministerium arbeitet, ohnehin durch die Hintertür); dagegen erledigte die Notarskanzlei der Privatfrau Däubler-Gmelin Vereinsangelegenheiten der Berliner Freireligiösen, die sich mit ihrem Dachverband, den Unitariern und dem HVD in dieser Forderung einig sind. Parlamentarischer Staatssekretär im Justizministerium ist der Freireligiöse Eckhart Pick, dessen Vater 1933 mit Hauer die "Deutsche Glaubensbewegung" gründen wollte; als Verbindungsinstanz zwischen Ministerium und Parlament hat er eine Schlüsselstellung, denn im Justizministerium werden alle Gesetzespläne juristisch bearbeitet, ob Arbeitszwang für Hilfeempfänger, die geplante Erfassung der teuren chronisch Kranken oder die familienpolitische Sozialeugenik gegen die Unbrauchbaren. Wolfgang Thierse holte sich Anregungen beim Vizepräsidenten der FA, dem brandenburgischen "Humanisten"-Chef Volker Mueller, und beim Unitarier Prem, die er als Parlamentspräsident in deren Funktion als Vertreter des Dachverbandes Freier Weltanschauungsgemeinschaften (DFW), der Freireligiöse, Unitarier, FA und einige "Humanisten" vereint, im April 2000 zum Gedankenaustausch empfing. 1982 noch hatte Prem den für die Nazi-"Euthanasie" mitverantwortlichen SS-Mann und Unitarier-Funktionär Albert Hartl, der im Nürnberger Ärzteprozeß als Entlastungszeuge aufgetreten war, zum "Wegweiser" der Unitarier erklärt, nun hieß es in der Presseerklärung des DFW: "Herr Thierse ermutigte den DFW, gerade Fragen der Menschenrechte sowie der ethischen Lebensorientierungen in unserem demokratischen Gemeinwesen zu thematisieren und sich intensiv einzubringen". Schon 1999 konnte der DFW im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Parteizentrale, mit einem Festakt sein 50-jähriges Gründungsjubiläum feiern; das Grußwort sprach Thierse als SPD-Vize. Da mochte man an der Parteibasis nicht nachstehen. Darmstadts SPD-Oberbürgermeister Peter Benz wollte im letzten Jahr die dort lebende FA-Funktionärin und Unitarierin Dierks ehren und sagte erst notgedrungen ab, nachdem örtliche Antifaschisten und dann auch FR und FAZ berichtet hatten, Dierks habe sich unlängst wieder zu den Nazi-Dichtern Hans Grimm ("Volk ohne Raum") und Hans Baumann ("Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt") bekannt, die sie vor "Verfemung" schützen wollte. Über allen schwebend, gab der Philosoph im Ministeramt Julian Nida-Rümelin sein Bestes, als er Biologismus und Nominalismus zu einem runden Rechtsprinzip verband, das wieder an Peter Singer erinnert: noch auf Embryonen bezogen, meinte er im Januar, man dürfe sie ruhig klonen, denn nur wer fähig zur "Selbstachtung" sei, habe überhaupt einen Anspruch auf Menschenwürde. Für die rechten Sekten ist das "Selbst" seit jeher identisch mit "Deutschland".

Bei all dem kann die Helferin aus jeder Abstimmungsnot nicht fehlen: Die PDS engagiert sich nicht nur im HVD, ihr Vorstandsmitglied Sylvia Yvonne Kaufmann ließ sich im April 2001 aus Anlaß der Erwähnung des europäischen "religiösen Erbes" in der Präambel der EU-Grundrechte-Charta, an der sie als Europaabgeordnete mitgearbeitet hatte, von Prem zum "Thingplatz" der Deutschen Unitarier im Ostseebad Scharbeutz einladen, nachdem PDS-MdB Ulla Jelpke noch vier Jahre zuvor eine parlamentarische Anfrage zu den rechtsextremen Verbindungen der Sekte gestellt hatte. Mit uns zieht die neue Zeit, heißt es in dem alten Parteilied. Und während die Antifa-Linke in Villa Abajo noch gegen die NPD Putz macht, baut die sozialdarwinistische "Linke" in Villa Arriba längst schon den Biosozialismus auf.

Bevölkerungspolitik für den Wirtschaftsstandort:
Sozialeugenik der "Neuen Mitte" nach dem Beispiel der "Neuen Rechten"

Das rot-grüne Projekt hat erwartungsgemäß die deutsche Familie erreicht. Gegen die demographische Bedrohung, auf mittlere Sicht dem Kapital zu wenig geeignete Arbeitskraft für das Erwirtschaften des Mehrwerts bereitstellen zu können, setzt die Bundesregierung jetzt ihre Plakataktion "Familie Deutschland", mit der sie, passend zum Frühling, das Kindermachen anregen will. Selbst die FAZ witterte "einen ausgrenzenden oder gar nationalen Effekt" in dem Slogan; auf den Plakaten voller "Elternstolz", "stolzer Hochschwangerer", "richtiger" und "authentischer Familien" (inklusive der allein erziehenden Mutter) sei nur ein einziges Mal "ein farbiger Papi abgebildet", man glaube wohl selbst nicht mehr an den Erfolg der eigenen Einwanderungspolitik. Am Sinn der millionenschweren Kampagne vorbei krittelte das Blatt: "Großeltern fehlen auf allen Bildern". Bevölkerungspolitik unter den Bedingungen der Kapitalverwertung fördert eben nur die Brauchbaren, deshalb gibt es auch keine Familien mit Behinderten auf den Plakaten, was der FAZ jedoch entging. Die sozialökologische Gebär-Werbung propagiert gesunde Massenfruchtbarkeit, wie beim Symbol der Grünen, der stolzen Sonnenblume mit ihrer reichen Samenkrone. Einen Fall von Normabweichung geboren zu haben, bringt kein Mutterkreuz ein.

Schon die letzten Parteitage von SPD und Grünen hätten mit ihren Beschlüssen zur Förderung der Familie als wieder entdeckter Keimzelle der Gesellschaft und zur Nutzung der vorhergehenden embryonalen Stammzellen die neue deutsche Reproduktionspolitik propagieren und einen Schwerpunkt des kommenden Bundestagswahlkampfs vorbereiten sollen. Doch im Schatten des Krieges stehend, entrann nicht nur die Pracht gesunder Tracht als Fortsetzung der Politik mit biologischen Mitteln, sondern auch die sozialeugenische Zielrichtung der kommenden Familien- und "Biopolitik" der öffentlichen Aufmerksamkeit. Selbst der Nationale Ethikrat erhellte im Kriegsdezember 2001 nur noch mit einem kurzen Schlaglicht die zukünftige Rekrutierung der Bioreserven, die Feinheiten und Folgerungen aber blieben im Dunkeln.

Nationaler Ethikrat im Kapitalinteresse

Die Empfehlung des Rates, embryonale Stammzellen am Embryonenschutzgesetz vorbei zu importieren, könnte den Ansprüchen der Bio-Firmen erst einmal genügen und wird wohl im Januar 2002 vom Bundestag übernommen werden, notfalls durch Vertrauensfrage. Doch Schering-Chef Hubertus Erlen forderte im "Tagesspiegel" sogleich mehr, assistiert von seinen Lobbyisten im Ethikrat, allen voran Richard Schröder, dessen Ethik bisher im Vorschlag gipfelte, mit einem Holocaust-Mahnmal in hebräischer Schrift und Sprache diejenigen, die sie lesen können (also nicht die gemeinen Deutschen, aber jedenfalls die Juden), zu ermahnen, nicht zu töten. Erlen und Schröder wollen nun auch die heimische Produktion embryonaler Stammzellen legalisieren, weil Forschung und Industrie standardisierte Stammzellinien aus gezielt hergestellten Embryonen benötigen. Die importierbaren Zellen nämlich stammen heute oft noch von Embryonen unbekannter Herstellung und taugen nicht für biotechnische Normprodukte wie z.B. Ersatzgewebe, sondern allenfalls für die Anfangsforschung. Der Ethikrat machte sich zwar wichtig mit seiner Forderung nach strenger Herkunftskontrolle als Importbedingung, doch die genaue Kenntnis der vorangegangenen Zellgewinnung ist vor allem aus biologischen Gründen nötig; man verzichtete also mit viel "ethischem" Brimborium nur auf das technisch ohnehin Unbrauchbare, den Zellramsch vom Weltmarkt.

Dennoch löst die Rats-Empfehlung das Problem, und Forschungsministerin Bulmahn hat den Wink verstanden. Auch sie verficht inzwischen die gezielte Embryonenherstellung und -tötung zum Zwecke der Stammzellnormierung, wenn auch nicht in Deutschland. Die Grundproduktion können (deutsche?) Zuliefererfirmen im Ausland erledigen, importiert werden ihre Halbfertigwaren - ein Produktionsablauf, den Autohersteller schon lange verfolgen. Ethikrat Detlef Ganten äußerte sich zufrieden, weil das Gremium genau dies offen hielt. Die heikle Änderung des Embryonenschutzgesetzes ist damit vorerst verzichtbar. Von den - angeblich nur fünfzehn - in Deutschland ohnehin schon vorhandenen "überzähligen" Embryonen aus der künstlichen Befruchtung, die "nutzlos" eingefroren seien und doch besser der Forschung zugeführt würden, so Bulmahn bisher abwiegelnd, ist nun keine Rede mehr, statt dessen kann gezielt im Ausland bestellt werden. Man folgt wohl doch der Salami-Taktik-Empfehlung Gantens und geht angesichts der ethischen Widerstände lieber "schrittweise" vor.

Kaum war der Embryo vom Eis, wurde bekannt, daß der die Politiker meinungsführende Stammzellexperte Oliver Brüstle bereits an Mensch-Maus-Chimären forscht, die er importiert hat. Auch die Ethikrätin Christiane Nüsslein-Volhard und der Chef der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) Hubert Markl bereiteten in der FAZ und vor der Schering-Forschungsgesellschaft, dicht gefolgt von Peter Singer im "Spiegel", schon die nächsten Schritte vor, indem sie die infame Frage "Wann ist der Mensch kein Mensch?" biologisch, nominalistisch oder utilitaristisch beantworteten. Die drei rissen kräftig die Gattungsschranke zwischen Mensch und Tieren ein, so daß zukünftig weit mehr möglich sein wird als nur die gezielte Tötung von Embryonen für die Gewebeproduktion der Bio-Industrie. Der soeben gewählte Nachfolger Markls als MPG-Präsident, der Genetiker Peter Gruss, reiht sich ebenfalls ein: er will dem jungen Embryo keinen Schutz durch die Menschenrechte zugestehen.

Tabu-Kritik für Deutsche: Nazi-Traditionen

Während deutsche Ethikräte nach ihrer erfolgreichen Lösung der Embryonenfrage nun auch bei Eugenik und Präimplantationsdiagnostik Empfehlungen zur Durchsetzung von Normen geben wollen, bezichtigt der erzkonservative Chef des US-amerikanischen Ethikrates, Leon Kass, die Zunft rundheraus des "eugenischen Redesigns künftiger Generationen", das ihn an die "Dehumanisierungen" der Nazis erinnere. In Deutschland sind solche Reminiszenzen tabu, obwohl sie sich hier geradezu aufdrängen.

Die Genetikerin Sabine Stengel-Rutkowski zum Beispiel, Mitglied des Ethikrates der Bayrischen Staatsregierung und Leiterin der Studien der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) über die pränataldiagnostisch begründeten "eugenischen" Abtreibungen von Föten, die nicht den Bio- und Sozialnormen gerecht werden, ist die Schwiegertochter des vormaligen SS-Offiziers Lothar Stengel-von Rutkowski, der als "Erbarzt" im Rasse- und Siedlungsamt der SS Thüringen über den "kulturbiologischen Volksbegriff" arbeitete, "die Fortpflanzung von 20.000 thüringischen Bauern" medizinisch untersuchte, noch 1944 als Medizinalrat beim Thüringischen Landesamt für Rassewesen sein Buch Grundzüge der Erbkunde und Rassenpflege in dritter Auflage publizierte ("Einleitung: Der Sozialismus des Blutes") und im selben Jahr das Buch Deutsch auch im Glauben. Eine Sammlung für Front und Heimat im Verlag "Sigrune" herausbrachte. Er war mit dem Nazirassisten Hans F.K. Günther eng befreundet und schrieb Günthers Biographie in mehreren Folgen für die "Nationalsozialistischen Monatshefte". 1933 gründete er mit völkischen Sekten die "Deutsche Glaubensbewegung" Wilhelm Hauers mit, die gegen die "Verknechtung" durch die jüdisch-christliche Ethik einen Nazi-Gotteststaat auf der Basis einer "Religion der freien Deutschen" anstrebte und aus der nach 1945 rechtsorientierte Sekten wie die Deutschen Unitarier, Teile der Freireligiösen und des "Humanistischen Verbandes" entstanden, Organisationen, die immer schon "Biopolitik" betrieben. 1956 half er Hauer - vormals selbst SS-Mitglied - auch bei dessen letztem Lebenswerk, der Gründung der "Freien Akademie" (FA), einer Denkfabrik von bio-gläubigen Wissenschaftlern aus diesen Sekten und der "Neuen Rechten". Noch in den 90er Jahren wurde Stengel-von Rutkowski als "Ehrenmitglied" der FA geführt. Nach 1945 vom Erbarzt zum Genetiker mutiert und mit Hilfe der SPD in Hessen Leiter eines Gesundheitsamtes geworden, engagierte er sich bei den Deutschen Unitariern, wo er noch 1990 Vorträge zur Gentechnik hielt. Jürgen Riegers "Artgemeinschaft" und das Thule-Seminar druckten seine Gedichte, die Hauers völkische "Religion" lobpreisen: "Wir werden wie Knechte nicht wimmern, wir werden getrost uns zimmern eine Wiege aus eichenem Schaft, und werden Geschlechter zeugen, die nimmermehr sich beugen, der Wille formt die Welt" ("elemente" des Thule-Seminars 1990, die auch einen Beitrag Günthers über "das Knechtsverhältnis des Menschen zu Gott" bei den "Völkern semitischer Sprache" im Gegensatz zu den selbstgöttlichen "freien Indogermanen" enthielten).

Die Schwiegertochter hat ihre Ethik selbstverständlich nicht aus den Genen des Schwiegervaters, sondern aus dem Bücherregal. Hubert Markl, der trotz seiner leitenden Funktionen in DFG und MPG als Autor auch der FA verbunden war, verbat sich auf der MPG-Hauptversammlung 2001, den DFG-Präsidenten und Genetiker Ernst-Ludwig Winnacker schützend, solche Ahnenforschung als "beleidigende Verunglimpfung", nachdem Sandra Maischberger den DFG-Chef im TV-Sender n-tv damit konfrontiert hatte, daß sein Vater ja wohl Direktor bei der IG Farben gewesen war. Winnacker verteidigte sich, sein Vater habe mit der Zyklon-B-Produktion der IG Farben für die Vernichtungslager ja nicht direkt etwas zu tun gehabt. Der "verunglimpfende" Zusammenhang ist einfach zu erkennen und wohl deshalb tabuisiert: Die Opfer wurden zwangssterilisiert oder getötet, die (Schreibtisch-)Täter und ihre Hinterleute hatten Kinder, die heute die Legalität ihres Handelns "schrittweise" erweitern können, um etwas wie den Nürnberger Ärzteprozeß nicht erleben zu müssen. Das ist die spezifisch deutsche Kontinuität der Bildungseliten.

Bundespräsidentin in spe Renate Schmidt für Sozialeugenik

Die hat nun wohl auch die SPD-Familienpolitik im Sinn. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Renate Schmidt, neuerdings als Nachfolgerin Johannes Raus für das Bundespräsidentenamt ab 2004 im Gespräch, legte dem SPD-Parteitag im letzten November das Konzept "Familienpolitik für das 21. Jahrhundert" vor, in dem die CDU/CSU-Idee eines monatlichen Familiengeldes von 1.200 Mark abgelehnt wird mit dem Argument, für die "mittleren und höheren Einkommen" sei dies kein Grund, "weitere Kinder zu bekommen". In der SPD-Mitgliederzeitung "Vorwärts" wurde Schmidt im Juni 2001 noch deutlicher: "Zur Zeit bekommen gerade die Paare wenig oder keine Kinder, die traditionell Wert auf Bildung legen. Wen wundert es deshalb, wenn die Zahl der Studierenden immer weiter zurückgeht"; das Unions-Konzept sei "bestenfalls ein Anreiz für diejenigen, die keine Ausbildung haben und ein Einkommen von 1.200 Mark nicht selbst erwirtschaften können". In ihrem Jahrhundert-Konzept schriebt sie: "Kinderreichtum bei den Benachteiligten, Kinderarmut bei der restlichen Bevölkerung hat gravierende Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Bevölkerung" und sei deshalb "kritisch" zu beurteilen - Kellerkinder biologisch unerwünscht.

Diese sozialeugenische Position ist tatsächlich "aus eichenem Schaft" gezimmert: Freireligiöse und "Humanisten" beklagen seit langem - mit Unterstützung von Sozialdemokraten aus ihren Reihen (vgl. KONKRET Nr. 1/1998) - die "Gegenauslese", bei der "die wertvollen Individuen ihre Kinderzahl beschränken", weshalb sogar "Entartung" drohe, wie es beim IHEU-Kongreß schon 1968 hieß. Ihr Vordenker Konrad Lorenz, als dessen Schüler Hubert Markl gilt, schrieb 1973 in Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit: "Unser Mitleid mit dem asozialen Ausfallbehafteten, dessen Minderwertigkeit ebensogut durch irreversible frühkindliche Schädigungen verursacht sein kann wie durch erbliche Mängel, verhindert, daß der Nicht-Ausfallbehaftete geschützt wird." Das soll sich nun ändern. Bisher war die finanziell unterstützte "Chancengleichheit" das sozialdemokratische Credo, nach dreißig Jahren "biopolitischer" Agitation der Think Tanks der "Neuen Rechten" aber führt nun auch in der SPD der Sozialdarwinismus die Politik. Während für die Öffentlichkeit noch um die "eugenische" Präimplantationsdiagnostik gestritten wird, die ja nur den wenige Zellen großen Embryo betrifft - Kanzler Schröder und Ministerin Bulmahn dafür, andere dagegen -, ist die Vize-Parteivorsitzende Schmidt schon bei bevölkerungspolitischen Argumenten zur Steuerung der Fortpflanzung nach sozialen Kriterien.

SPD-Zukunft im Netzwerk der Vergangenheit

Noch eins drauf setzt das "Netzwerk 2010", eine parteioffizielle Gruppe, in der sich jüngere Sozialdemokraten zusammengeschlossen haben, die sich für die Zukunft der SPD halten, darunter die Landesvorsitzenden von Hamburg (Scholz), Thüringen (Matschie) und Baden-Württemberg (Vogt), die Bundesminister Bodewig und Bury, auch "Humanisten"-Chef MdB Rolf Stöckel und MdB Hans-Peter Bartels, der als Sektenbeauftragter der schleswig-holsteinischen Landesregierung im engen Einvernehmen mit dem Unitarier-Funktionär Ralf-Bernd Abel gegen amerikanische Konkurrenzsekten kämpfte (vgl. KONKRET Nr. 12/1996). Stöckel und Bartels sind, samt weiteren "Netzwerkern", auch Mitherausgeber der SPD-Zeitschrift "Berliner Republik". Familien seien "von wachsender Bedeutung für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft", heißt es im "Netzwerk"-Gründungspapier vom Frühjahr 2001, und weise die Kriegszukunft vorhersehend wußte man schon: "Vor allem in Zeiten fundamentaler Veränderungen und Umbrüche vermittelt die Familie Sicherheit und Stabilität". In der Neuen Mitte wird Platz geschaffen für die neue Mutti. Bartels erläuterte im "Tagesspiegel", seine Mutter habe in den dreißiger Jahren acht Geschwister, sein Vater sogar dreizehn gehabt, von denen etliche für den Krieg draufgingen ("manche habe ich nie kennengelernt - der Krieg!"), heute dagegen sei "ein Drittel aller Frauen in Deutschland kinderlos, Tendenz steigend". Der heutige "individualisierungsbesoffene Megatrend" sei "Quatsch! Dummer, ideologischer Quark!" Gehe es weiterhin nach "unseren Links-Libertären", dann werde bald "hier gar nichts mehr funktionieren. Die Lampen werden nicht mehr weitergegeben, eine nach der anderen erlischt; eine Gesellschaft schafft sich selbst ab."

Wem angesichts solcher Leuchten noch kein Licht aufgeht, dem erhellt der Einfluß, den die rechte Sektenszene seit Schröders Wahlsieg erringen konnte, vielleicht einen Teil des ideologischen Hintergrunds des derzeitigen Sozialabbaus: Sparminister Eichel unterstützte als hessischer Ministerpräsident die Deutschen Unitarier, mehr noch sein Vorgänger Holger Börner, zur Zeit Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung, der wichtigsten NGO der neuen deutschen Großmachtpolitik. Die freireligiöse Aktivistin Doris Barnett ist Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung, "Humanisten"-Mitglied Gerd Andres Staatssekretär beim Arbeits- und Sozialminister, wo die Kürzungen für Arbeitslose und Sozialhilfebedürftige organisiert werden. Justizministerin Hertha Däubler-Gmelin kritisierte zwar die Forderung ihres Parteifreundes Stöckel nach Legalisierung der kostensparenden "aktiven Sterbehilfe", als diese Debatte zur Unzeit kam und mit der ökonomisch viel drängenderen Embryonenforschung gefährlich vermengt wurde (die Euthanasie kommt über die Harmonisierung des Strafrechts in der EU ohnehin durch die Hintertür); dagegen erledigte die Notarskanzlei der Privatfrau Däubler-Gmelin Vereinsangelegenheiten der Berliner Freireligiösen, die sich mit ihrem Dachverband, den Unitariern und dem HVD in der Forderung nach "Sterbehilfe" einig sind.

Freunde rechter Sekten in der Bundesregierung

Parlamentarischer Staatssekretär im Justizministerium ist der Freireligiöse Eckhart Pick, dessen Vater 1933 mit Hauer die "Deutsche Glaubensbewegung" gründen wollte; als Verbindungsinstanz zwischen Ministerium und Parlament hat Pick eine Schlüsselstellung, denn im Justizministerium werden alle Gesetzespläne juristisch bearbeitet, ob der Arbeitszwang für Hilfeempfänger, die geplante Erfassung der teuren chronisch Kranken oder die Sozialeugenik gegen die Unbrauchbaren. An der nationalen Umsetzung der EU-Biopatent-Richtlinie, die den Bio- und Pharmakonzernen ihre Profite sichern soll, arbeitet das Ministerium gerade. Wolfgang Thierse holte sich Anregungen beim Vizepräsidenten der FA, dem brandenburgischen "Humanisten"-Chef Volker Mueller, und beim Unitarier Prem, die er als Parlamentspräsident in ihrer Funktion als Vertreter des Dachverbandes Freier Weltanschauungsgemeinschaften (DFW), der Freireligiöse, Unitarier, FA und einige "Humanisten" vereint, im April 2000 zum Gedankenaustausch empfing. 1982 noch hatte Prem den für die Nazi-"Euthanasie" mitverantwortlichen SS-Mann und späteren Unitarier-Funktionär Albert Hartl zum "Wegweiser" der Sekte erklärt, nun hieß es in der Presseerklärung des DFW: "Herr Thierse ermutigte den DFW, gerade Fragen der Menschenrechte sowie der ethischen Lebensorientierungen in unserem demokratischen Gemeinwesen zu thematisieren und sich intensiv einzubringen". 1999 feierte der DFW im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Parteizentrale, mit einem Festakt sein 50-jähriges Gründungsjubiläum; das Grußwort sprach der SPD-Vize Thierse. Über allen schwebend, gab der Philosoph im Ministeramt, Julian Nida-Rümelin, sein Bestes, als er Biologismus und Nominalismus zu einem runden Rechtsprinzip verband, das an Peter Singer erinnert: Embryonen, meinte er im Januar, dürfe man ruhig klonen, denn nur wer fähig zur "Selbstachtung" sei, habe einen Anspruch auf Menschenwürde.

Bei all dem kann die Helferin aus jeder Abstimmungsnot nicht fehlen: Die PDS engagiert sich nicht nur bei den "Humaniten", ihr Vorstandsmitglied Sylvia Yvonne Kaufmann ließ sich im April 2001 aus Anlaß der Erwähnung des europäischen "religiösen Erbes" in der Präambel der EU-Grundrechte-Charta, an der sie als Europaabgeordnete mitgearbeitet hatte, von Prem zum "Thingplatz" der Deutschen Unitarier im Ostseebad Scharbeutz einladen. Vier Jahre zuvor hatte PDS-MdB Ulla Jelpke eine parlamentarische Anfrage zu den rechtsextremen Verbindungen der Sekte gestellt. Mit uns zieht die neue Zeit, heißt es in dem alten Parteilied. Und während die Antifa-Linke in Villa Abajo noch gegen die NPD Putz macht, baut die sozialdarwinistische "Linke" in Villa Arriba längst schon den Biosozialismus auf.

Editorische Anmerkungen:

Der Artikel erschien teilweise gekürzt in drei Teilen in der Zeitschrift Konkret. Und zwar in Nr. 9/2001 unter dem Titel "Die Biologisierung des Sozialen", in Nr. 10/2001 unter dem Titel "Tue, was du willst" und in Nr. 1/2002 unter dem Titel "Neue Mutti". Folgende Seiten wurden dazu von der BIFF-Website gespiegelt: