Visionen 
über die Ökonomie im Verein freier Menschen

von Rolf Köhne

04/01
trdbook.gif (1270 Byte)
 
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel:
info@trend.partisan.net
ODER per Snail:
trend c/o Anti-Quariat
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin
Wer das Bedürfnis nach einem Pilzgericht verspürt, der geht zunächst in den Wald, Pilze sammeln, um sie anschließend in der Küche zu einer Mahlzeit zu verarbeiten. Solange es Pilze im Wald gibt, hat jeder Mensch die reale Möglichkeit, dieses spezielle Bedürfnis durch eigene Arbeit zu befriedigen. Wie aber steht es mit Bedürfnis nach Produkten, die sinnvoll nur gesellschaftlich-arbeitsteilig hergestellt werden können, z.B. der Herd, auf dem die Mahlzeiten zubereitet werden sollen?

Wer heute in einen Laden geht, um sich ein Produkt zu kaufen, benötigt Geld; ein Arbeitszeitäquivalent. Er muß also schon gearbeitet haben. Dies setzt wiederum voraus, daß ein Unternehmer zuvor seine Arbeitskraft gekauft hat, um mit ihr etwas für den Markt zu produzieren - obwohl dieser nicht weiss, welches Produkt der Produzent anschließend als Konsument zu kaufen gedenkt. Chronisch zunehmende Massenarbeitslosigkeit und Verarmung machen deutlich, daß dieser fehlerhafte Kreislauf kapitalistischer Marktökonomie immer mehr Menschen daran hindert, ihre Bedürfnisse durch eigene Arbeit zu befriedigen. Obwohl Arbeitslose und Arme Bedürfnisse haben, die sie durch eigene Arbeit befriedigen könnten, sind sie daran gehindert, dies zu tun, weil sie nicht über die entsprechenden Produktionsmittel verfügen.

Wie könnte es nun jenseits des Kapitalismus im Verein freier Menschen sein? Das Ideal wäre, wenn jeder, ebenso wie er zum Pilze sammeln in den Wald, zur Herstellung eines sonstigen Gebrauchswertes sich in den gesellschaftlichen Produktionsprozess begeben könnte, um sein Bedürfnis durch eigene Arbeit zu befriedigen. Dies wäre zum einen wirkliche Produktion nach dem Bedarf. Zum anderen hätte unser freie Mensch als Produzent das Interesse, möglichst wenig Arbeitszeit auf die Produktion zu verwenden. Und als Konsument hätte er ein Interesse, daß sein Produkt möglichst lange hält. Dies hilft, Ressourcen zu schonen und unnötige Produktion zu vermeiden.

Nun hat die kapitalistische Produktionsweise einige Voraussetzungen für dieses Ideal bereits geschaffen. Zum einem gibt es ein relatives Überangebot an Waren, die in Geschäften und Kaufhäusern auf Kunden warten. Ferner gibt es die moderne Informationstechnologie und die Barcode-Kassen. Jede Entnahme im Kaufhaus kann sofort erfasst werden. Und die nachfrageorientierte Betriebsorganisation mit ihrer „just in time“-Produktion ermöglicht es, unmittelbar das entnommene nachzuproduzieren. Man muß „nur noch“ den fehlerhaften Wirtschaftsprozess vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Produktion auf Bestellung

Zunächst eine Abstraktion: Wenn danach unser freier Mensch in den Laden geht und sich ein Produkt aneignet, so stellt er zugleich einen Wechsel auf die Inanspruchnahme seiner Arbeitskraft zur Nachproduktion des von ihn angeeigneten Produktes aus. Der Laden wird nun bei seinem Lieferanten eine Nachbestellung auslösen und mit diesem Wechsel „bezahlen“. Die verschiedensten Unternehmen, die in der Prozesskette für dieses Produkt liegen, erhalten so entsprechende Anteile am Wechsel auf Arbeitskraft unseres freien Menschen. Und wann immer so im Prozess der Nachproduktion Arbeitskraft benötigt wird, werden sie ihn einlösen. Damit schließt sich der Kreis: der freie Mensch geht nun in all diese Unternehmen, um zu arbeiten und so einerseits den ausgestellten Wechsel einzulösen und andererseits das von ihm benötigte Produkt selbst zu produzieren. Was es nun braucht, um die Vorzüge der Arbeitsteilung zu nutzen, ist eine Art Tauschring, wo die freien Menschen untereinander organisieren, daß jeder das tut, was er am besten kann.

Natürlich gibt es über die reine Produktion hinaus noch etwas zu tun. So wie unser freie Mensch bei seiner Pilzmahlzeit auch seine Kinder und die Großeltern mit ernährt und auch dem Kranken von nebenan etwas abgibt, und so wie er anschließend die Küche säubert und instandsetzt, so muß er sich natürlich auch im gesellschaftlichen Produktionsprozess verhalten. Dies alles muß eingerechnet werden. Unser freie Mensch, soweit er sich jenseits der Ausbildungsphase und vor dem Rentenalter befindet, muß natürlich auch anteilige Wechsel auf seine Arbeitskraft für Staat (bzw. der Verein, die Kommune) und Sozialversicherung etc. geben. Als Gegenleistung erhält er schließlich soziale Sicherheit, Gesundheitsschutz und das Recht auf Nutzung kollektiver Güter.

Ökonomie jenseits kapitalistischer Marktwirtschaft ist im wesentlichen eine Frage gesellschaftlicher Übereinkunft. Wie weit z. B. bestimmte Güter wie der öffentliche Verkehr gegen kollektive Arbeitsverpflichtung kollektiv genutzt wird oder aber die Nutzung individuell berechnet wird, ist eine Frage demokratischer Übereinkunft. Auch über die Erweiterung der Produktionsmittel kann so entschieden werden. Und letztlich ist es (übergangsweise) auch denkbar, daß die Eigentümer der Produktionsmittel ein Nutzungsentgelt, ebenfalls in Form eines Wechsels auf die Arbeitskraft unseres dann eben noch nicht ganz freien Menschen erhalten. Nur sollte er eben nicht mehr gezwungen werden, ein Maximum an Arbeitszeit, daß über die eigene Reproduktion hinaus verbleibt, für den Profit zu arbeiten. Die spekulative Aufblähung der Finanz- und Aktienmärkte zeigt, daß dies sinnlos geworden ist.

Entscheidend ist: der freie Mensch kann weitgehend frei entscheiden, ob und wie er seine Bedürfnisse befriedigt. Das schlimmste, was ihm dabei passiert, ist, daß er dafür proportional dem dafür erforderlichen Arbeitsaufwand selbst arbeiten muß. Der freie Mensch entscheidet damit also auch weitgehend frei, wieviel Arbeitszeit er auf die materielle Produktion verwenden muß.

Demokratische Rahmenplanung

Nur das, was alle angeht, muß gemeinsam geplant und beschlossen werden. Der Verein freier Menschen wird demokratisch beschließen müssen, wieviel Arbeitszeit auf die Bereitstellung kollektiver Güter und für Investitionen in Infrastruktur und Produktionsmittel verwandt wird. Die Wirtschaftsbereiche Energie, Wasser, Entsorgung, Telekommunikation, öffentlicher Verkehr, Infrastruktur für Bildung, Kunst und und Kultur, Wohnen und Gesundheit usw. können problemlos gemeinschaftlich geplant und betrieben werden. Soweit zweckmäßig, sollte es dezentral auf kommunaler Ebene erfolgen.

Zu planen, zu beraten und zu beschließen sind vor allem die Investitionsentscheidungen. Objektive Planungskriterien sind die Auslastung der Betriebe, der einzelnen Produktionszweige und der Regionen. Es sind im wesentlichen makroökonomische statistische Daten, die den notwendigen Diskussionen und Beratungen zu grunde liegen. Und es handelt sich um Entscheidungen, die in größeren Zeiträumen zu treffen sind. Der Verein freier Menschen wird sich also als Verein auf die wesentlichen Dinge konzentrieren, die auch demokratisch zu bewältigen sind. Ansonsten ist die Wirtschaft so strukturiert, daß sie entsprechend dem individuellen Bedarf produziert.

Ökonomie der Zeit

Wo bleibt der Anreiz für Effizienz in der Wirtschaft und für Innovationen, werden nun die Apologeten kapitalistischen Wirtschaftens schreien. Ganz einfach - in der Zeit.

Unternehmen sind nun Organisationen, an denen freie Menschen ihre eingegangenen Arbeitsverpflichtungen erfüllen können und müssen. Sie „verkaufen“ ihre Produkte gegen Zeit. Dies erfolgt im Wettbewerb, also realisieren die einzelnen Unternehmen die gesellschaftlich notwendige durchschnittliche Arbeitszeit. Betriebe, die effektiver arbeiten, brauchen eben weniger Realzeit, andere eben mehr. Die effektiver arbeitende Belegschaft kann also früher nach Hause gehen als andere. Wer im Betrieb Erfindungen etc. macht, die allen Arbeitszeit ersparen, der könnte als Lohn zunächst einen Teil der Zeit, die allen anderen zukünftig erspart wird, zunächst selbst geniessen - also ein paar Tage Sonderurlaub.

Der Anreiz zur Innovation wäre mit Sicherheit deutlich höher. Alle hätten ein Interesse daran, sich quasi selbst wegzurationalisieren. Keiner hätte einen Nachteil, den seine Bedürfnisbefriedigung wäre davon nicht betroffen. Niemand hätte auch einen Nachteil, wenn nun das Betriebsgeheimnis einer arbeitssparenden Produktion ausgeplaudert würde - im Gegenteil, die entsprechenden Produkte würden für alle einfach nur „billiger“, also gegen geringere Arbeitszeitverpflichtungen zu haben sein. Auf diesen Punkt komme ich später nochmals zurück.

Ganze Berufszweige würden so überflüssig. Alle, die sich speziell mit Werbung, Vertrieb und Umsatzsteigerung beschäftigt haben, können anderen Arbeiten nachgehen und so ihren Beitrag zur Erhöhung der Freizeit für alle leisten.
Sozialisierung von Information

Wenn sich auf diese Art die notwendige Arbeitszeit zur Befriedigung materieller Bedürfnisse erheblich verkürzt, dann ist es auch eine Frage der Zeckmäßigkeit und demokratischer Übereinkunft, ob bisher hauptamtliche Berufe wie Politiker, Künstler, Wissenschaftler und Schriftsteller etc. noch erforderlich wären, oder ob dies nicht besser von allen, entsprechend den Bedürfnissen, in der üppig zur Verfügung stehenden Freizeit erledigt werden kann. Damit würde sich nicht nur eine Vision von Marx erfüllen, der schon vor 150 Jahren über die Aufhebung der Arbeitsteilung philosophierte.

Wichtiger noch ist, daß jede Art von Information sozialisiert werden kann. Informationen sind etwas, was ich gleichzeitig weitergeben und behalten kann. Sie privat zu behalten, war immer schon eine Vergewaltigung ihrer Natur. Nicht nur die Betriebsgeheimnisse, alle Informationen müssen von der unsinnigen Beschränktheit des Privateigentums befreit werden. Wenn Wissenschaftler wie Software-Entwickler weltweit völlig frei über das Internet kooperieren können, dann wird dies zu einem ungeheuren Schub in der Entwicklung und in der Arbeitsproduktivität führen.

Käme der Verein freier Menschen weltweit zustande, so könnte der Welthandel auf das reduziert werden, was notwendig materiell ausgetauscht werden muß. Ansonsten werden Informationen und Baupläne ausgetauscht. Entwicklungsunterschiede würden allein schon dadurch ein Stück eingeebnet, daß alle Informationen frei sind.

Wege vom Heute zum Morgen

Visionen sind wenig wert, wenn sie nicht auch Vorstellungen über die Wege zum Ziel beinhalten. Zwei wesentliche Projekte müßten zunächst auf den Weg gebracht werden.

Erstens muß ein einklagbares Recht auf Einkommen durch Arbeit durchgesetzt werden. Jeder Mensch, der seine Arbeitskraft der Gesellschaft anbietet, sollte bereits entsprechend seiner Qualifikation ein tariflich abgesichertes und mindestens existenzsicherndes Einkommen erhalten. Es ist dann Aufgabe der Gesellschaft –mittels einer neu zu schaffenden Institution- , die angebotene Arbeitskraft sinnvoll zu nutzen. Damit wäre zunächst erreicht, daß jeder die Möglichkeit einer angemessenen Bedürfnisbefriedigung hätte. Volkswirtschaflich würde die zahlungsfähige Konsumnachfrage also annähernd dem Bedarf entsprechen.

Zweitens brauchen wir eine Investitionslenkung durch die demokratische Kontrolle von Banken und Versicherungen. Insbesondere die Profite, die momentan sinnlos die Finanz- und Aktienmärkte spekulativ aufblähen, müßten in die Finanzierung des ersten Projektes gelenkt werden. Dabei geht es nicht um unproduktive Beschäftigungstherapie, sondern um immaterielle Zukunftsinvestitionen: Bessere Bildung, mehr Kultur, mehr Sozial - und Gesundheits Für- und Vorsorge etc.

Dies sind zwei Projekte, die sich in konkrete, funktionstüchtige Gesetzesvorhaben umsetzen lassen. In diesem Sinne sind sie also realistisch. Was dabei herauskommen würde, wäre zwar immer noch kapitalistische Marktwirtschaft, aber sie wäre bereits nachhaltig qualitativ verändert.

Internetquelle:
http://home.debitel.net/user/rk-hne/tdoc_alt/980610_oekonomie_freier_menschen_rolf_koehne.html