junge Welt

Eine kleine Geschichte der linkssozialistischen VSP von 1986 bis 2000

Von Christoph Jünke
04/01
trdbook.gif (1270 Byte)
 
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel:
info@trend.partisan.net
ODER per Snail:
trend c/o Anti-Quariat
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin

Vereinigen statt spalten

Die ursprünglichen organisatorischen und politischen Hoffnungen der VSP, der Vereinigten Sozialistischen Partei, waren bereits tiefgreifend enttäuscht, als sich die kleine westdeutsche Organisation linker Aktivistinnen und Aktivisten Mitte der 90er Jahre umtaufte und fortan als Vereinigung für sozialistische Politik mit nur noch bescheidenem Anspruch auftrat. Ursprünglich angetreten, die westdeutsche Linke jenseits der Grün-Alternativen zu sammeln und zum klassenkämpferischen Sturm gegen Krise und Kapital zu blasen, hat sie im Dezember vergangenen Jahres einen organisatorischen Schlußstrich unter ihre 14jährige Geschichte gezogen und die Einstellung ihrer politischen Tätigkeit erklärt. Damit wurde eines der letzten und spannendsten Kapitel bundesdeutscher Parteiformierungsversuche der radikalen Linken abgeschlossen.

Ursprünge der Vereinigung

Im Gefolge der 68er Revolte und des Zerfalls des ehemaligen Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) nach dem Niedergang der Außerparlamentarischen Opposition (APO) gründeten sich diverse politische Strömungen als eigenständige Parteiorganisationen. Neben der Wiedergründung der alten KPD unter dem neuen Namen DKP waren es vor allem maoistische Organisationen, die sogenannten »K-Gruppen«, die fortan den linken Ton Westdeutschlands bestimmen sollten.

Von einiger Bedeutung waren außerdem noch das Sozialistische Büro (SB), eine recht lose und undogmatische Intellektuellenorganisation, und die Gruppe Internationaler Marxisten (GIM) als deutsche Sektion der Vierten (trotzkistischen) Internationale. All diese (und einige weitere) durchaus heterogenen Organisationen bildeten während der 70er Jahre das nicht sehr trennscharfe Milieu jener »Neuen Linken«, welche angetreten waren, den sozialdemokratischen und den realsozialistischen Reformismus revolutionär zu überwinden. Doch auch vor dem Hintergrund der in den 70er Jahren offen aufbrechenden ökonomischen Krisenpotentiale des herrschenden Kapitalismus und der Rückkehr nationaler und internationaler Klassen- und Massenkämpfe vermochten es diese Organisationen nicht, sich dauerhaft zu etablieren.

Der Aufstieg der grün-alternativen Bewegung Ende der 70er Jahre versetzte den meisten dieser zu jener Zeit bereits in die Krise geratenen Gruppen den organisatorischen Todesstoß. Die in ihren Anfängen stark antikapitalistisch orientierte grüne Partei sog viele der alten linken Kader wie ein Magnet an und ließ links von sich nicht mehr viel Platz. Lösten sich manche der K-Gruppen ganz auf, versuchten die anderen, sich auf niedrigerem Organisationsniveau neu zu positionieren. Einigen Gruppen gelang dies zumindest soweit, daß sie noch die gesamten 80er Jahre weiterexistieren sollten. Doch politische Impulse gingen von ihnen kaum mehr aus.

Die Gründung der Vereinigten Sozialistischen Partei (VSP) ist vor diesem Hintergrund eine bemerkenswerte Ausnahme und ein in der Geschichte der deutschen Linken eher seltener Fall. Mit der in Dortmund am 5. und 6. Oktober 1986 erfolgten Gründung vereinigten sich mit der KPD und der GIM zwei dieser revolutionär-linken Organisationen, die sich in der Vergangenheit noch heftigst befehdet hatten. Die KPD/ML, wie sie bis in die 80er Jahre hieß, war bereits 1968 als Abspaltung von der noch illegalen KPD entstanden und orientierte sich zunächst an China, um dann, im entsprechenden Streit zwischen China und Albanien, die Partei Tiranas zu ergreifen. Lange Zeit galt sie als eine der härtesten stalinistischen Organisationen der westdeutschen 70er-Jahre- Linken. Die Anfang der 70er Jahre entstandene GIM war dagegen als deutsche Sektion der Vierten Internationale am antistalinistischen Erbe Leo Trotzkis orientiert.

»Elefantenhochzeit«

Die westdeutsche Restlinke reagierte unverständig auf die Vereinigung von 1986. Große Teile der linken Öffentlichkeit (bspw. »Konkret«) nahmen sie überhaupt nicht wahr, kleinere wie der »Arbeiterkampf« (ak) taten sie als anachronistische »Elefantenhochzeit«, als hoffnungslose Mischung von Feuer und Wasser ab. Doch wer sich die Mühe machte, genauer hinzugucken, für den war dieser Schritt durchaus verständlich.

Die damalige GIM diskutierte im weltweiten Rahmen der IV. Internationale die Möglichkeiten eines Aufbaus neuer revolutionär-sozialistischer Organisationen über den »Trotzkismus« hinaus. Und die sich mittlerweile nur noch KPD nennende KPD/ML hatte sich im Rahmen umfassender Diskussionen seit Anfang der 80er Jahre weitgehend von ihrem stalinistischen Erbe verabschiedet und den Marxismus- Leninismus auch symbolisch abgestreift. Offensiv war sie in einen Prozeß programmatischer Neuorientierung eingetreten, verband ihre Diskussion zur Überwindung des autoritär- bürokratischen Erbes mit einer Neubestimmung des gesellschaftspolitischen Zieles als einer umfassenden sozialistischen Demokratie und öffnete sich massiv feministischen Ideen. D.h., sie holte einen Diskussionsprozeß nach, den viele andere K-Gruppen Ende der 70er durchliefen. Sie führte diese Diskussionen allerdings nicht wie jene im Sinne eines postmodernen Abschieds von der klassenkämpferischen Vergangenheit.

Bei der praktischen Umsetzung dieser neuen Politik stießen die Aktivistinnen und Aktivisten zunehmend auf die GIM. In den großen, vor allem 1984 geführten gewerkschaftlichen Kämpfen um die 35-Stunden-Woche, im Kampf gegen die Ausländerfeindlichkeit und in anderen Bewegungen machten beide Organisationen die Erfahrung, fast identische Positionen und eine ähnliche politische Praxis zu entwickeln. So trat man in einen zweijährigen gemeinsamen Diskussionsprozeß ein, an dessen Ende eine neue Organisation mit neuem Programm, Statut und Selbstverständnis sowie mit einer neuen linken Zweiwochenzeitung stand.

Politische Grundlagen

In einer Zeit, in der auf der einen Seite die konservativ-liberale Wenderegierung unter Kohl und Genscher mit nur bedingtem Erfolg versuchte, eine gesellschaftliche Aufbruchs- und Wendestimmung zu erzeugen, und auf der anderen Seite die Linken weitgehend mit den Grün-Alternativen identifiziert wurden, ging die neue VSP auch weiterhin von der Notwendigkeit aus, den Kapitalismus zu stürzen und eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen. Weil sich diese Notwendigkeit »der Arbeiterklasse nicht automatisch aus dem Erleben der Verfaultheit, Krisenhaftigkeit und Perspektivlosigkeit der kapitalistischen Gesellschaft oder unmittelbar aus der Erfahrung in den Klassenauseinandersetzungen« erschließe (Zitate aus »Selbstverständnis der VSP«, Köln 1986), wollte sie den klassenbewußten Teil der Arbeiterbewegung in einer dem Marxismus verpflichteten revolutionären Klassenpartei sammeln, um »die Arbeiterbewegung zu einer erfolgreichen Führung des Klassenkampfs zu befähigen«. Sie legte dabei Wert auf die Feststellung, daß sie jede Form eines manipulativen Verhältnisses zwischen Partei und Klasse, jede Form von Stellvertreterpolitik und anmaßendem Avantgardismus ablehnt.

Zwei Entwicklungen sollten aus der neuen Vereinigung eine dynamische revolutionäre Partei machen. Zum einen sollten sich andere linksrevolutionäre Kleinorganisationen dem Vereinigungsprojekt »auf der Grundlage gemeinsamer Praxis im Klassenkampf und klarer programmatischer Zielbestimmung« anschließen, was sich in der zentralen VSP- Parole »Vereinigen statt spalten« niederschlug. Zum anderen sollte durch diese organisatorische Entwicklung Einfluß vor allem auf das Milieu der westdeutschen Gewerkschaftslinken genommen werden, um sich auf diesem Wege eine gesellschaftliche Basis für eine radikale, sozialistische, d. h. klassenkämpferische Linke zu erarbeiten.

Die programmatische Wurzel dieser Konzeption war die Erkenntnis, daß sich linkssozialistische Politik in der BRD, will sie zur emanzipativen Gesellschaftsveränderung beitragen, entlang der Entwicklung des nationalen Klassenkampfes zu entwickeln und zu organisieren habe. So wichtig also die noch immer umstrittene Einschätzung des damals noch »realen Sozialismus« auch sei, so zweitrangig sei sie für die organisatorischen Grundlagen bundesrepublikanischer Parteipolitik. Da aber »die Aufgeschlossenheit der Arbeiterklasse für eine klassenkämpferische Politik auch von der Glaubwürdigkeit bestehender politischer Alternativen zum kapitalistischen System abhängt«, sei »eine klare, unmißverständliche Position von revolutionären Sozialistinnen und Sozialisten in der Ablehnung der Verhältnisse in den >real- sozialistischen Ländern<, in denen die Arbeiterklasse nicht herrscht, sondern beherrscht wird«, erforderlich.

Die bürgerliche Gesellschaft der 80er Jahre sah die VSP von einer tiefen gesellschaftlichen Krise in nahezu allen Bereichen durchzogen. Arbeitslosigkeit, Existenzunsicherheit, Verzweiflung und Armut sowie eine Arbeitswelt, »in der Kreativität und selbständiges Denken unterdrückt werden, der Mensch immer mehr in ein bloßes Anhängsel der Maschinerie oder in ein blind funktionierendes Teilchen bürokratischer Apparate verwandelt wird« (Zitate aus »Programm der VSP«, Köln 1986), führten zu »Entfremdung und Leere«, zur Einschränkung demokratischer Rechte und Freiheiten, zum Aufleben nationalistischer und faschistischer Bestrebungen, zur wachsenden Kriegsgefahr und zur fortschreitenden Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen. Da die bürgerliche Politik einerseits versuche, die Krisenlasten vor allem auf die arbeitende Bevölkerung abzuwälzen und deswegen einen Kurs offener Konfrontation gegen die Gewerkschaftsmacht anstrebe, die Arbeiterklasse andererseits die gesellschaftliche Klasse sei, »die aufgrund ihrer Stellung in der Produktion, ihrer zahlenmäßigen Stärke und ihrer Fähigkeit zum gemeinsamen Handeln in der Lage ist, im Bündnis mit allen, die den wirklichen Fortschritt der Menschheit wollen, den Kapitalismus zu stürzen«, hänge »die Verwirklichung aller fortschrittlichen Bestrebungen in unserer Gesellschaft letztlich vom Fortschritt der Arbeiterbewegung ab«. Auch hier legte man Wert auf die Feststellung, daß gerade der Kampf der Frauen zeige, »daß (nicht) alle sozialen Bewegungen im Kapitalismus umstandslos dem Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit unterzuordnen sind«.

Enteignung der Kapitalisten, Verstaatlichung der wesentlichen Produktionsmittel und großen Wirtschaftsunternehmen, einheitliche Wirtschaftsplanung, Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates, umfassende Demokratisierung in Richtung einer direkten Selbstverwaltungsdemokratie, dieses und manches andere werden genannt als »notwendige Voraussetzungen und erste Schritte« auf dem Wege zu einer sozialistischen Demokratie, die die Herrschaft über Menschen durch eine Verwaltung der Sachen ersetze.

Gedämpfter Start

Auf diesen programmatischen und organisatorischen Grundlagen kam es, nicht ohne Reibungsverluste im Vorfeld, zur Vereinigung im Oktober 1986. Ein Teil der KPDler kehrte als »Marxisten-Leninisten« derselben den Rücken, und ein Teil der GIMler ging lieber in die grüne Partei. Die Mehrheit beider Mitgliedschaften wagte jedoch den Sprung ins Ungewisse, wollte, wie es im Vorfeld der Vereinigung ein GIM- Metallarbeiter ausdrückte, »lieber mit der roten Kontiki über den Ozean als mit der grünen Titanic untergehen«.

160 Delegierte vertraten auf dem Vereinigungsparteitag etwa 600 Aktivistinnen und Aktivisten. Diese waren bundesweit in etwa 30 Ortsgruppen organisiert und überwiegend in der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit engagiert. Weitere Schwerpunktfelder der politischen Aktivität waren der Internationalismus und der Antifaschismus. Ein Großteil der etwa 30 Prozent Frauen engagierte sich zudem in der Frauenpolitik, vor allem in den Betrieben.

Die Leitungsstrukturen der VSP (Zentralkomitee, Landesleitungen u.a.) wurden paritätisch besetzt. Ex-GIMler und Ex-KPDler saßen genauso paritätisch zusammen wie Frauen und Männer. Die Geschlechterquotierung zu Leitungen und Konferenzen wurde statuarisch festgelegt.

Von den hohen Mitgliedsbeiträgen leistete sich die kleine Organisation einen hauptamtlichen Stab von immerhin sechs Menschen. Deren Hauptaufgabe war die Herausgabe und Redaktion der neuen, zuerst zwölf- und später sechzehnseitigen, zweiwöchentlich erscheinenden SoZ - Sozialistische Zeitung. Die SoZ begann mit einer Druckauflage von 2 500 Stück. Ihre vorherrschenden Themen waren der Bereich der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, der Internationalismus und der Antifaschismus. Stärker als viele andere linke Kleinstgruppen widmete sich die SoZ der innenpolitischen Berichterstattung. Eine Umfrage in der Leserschaft ergab 1987, daß der damalige durchschnittliche Leser der SoZ männlich (der Frauenanteil lag bei etwa einem Viertel), gebildet und zwischen 30 und 40 Jahren alt war. Er war Mitglied der IG Metall oder der ÖTV, war überwiegend Vertrauensmann oder Betriebsrat. Schließlich war er Mitglied der VSP und wählte zumeist die Grünen. Selbstironisch betrachtete deswegen die SoZ-Redaktion ihre Zeitung fortan als ein »Blatt der männlichen Arbeiteraristokratie«. Da die Mehrheit der Befragten VSPler waren, haben wir es hier auch mit einer Annäherung an die Struktur der VSP zu tun.

Betrachtet man die paritätischen Anfänge der VSP, so kann man sagen, daß die Vereinigung gelungen war. Zwar waren die unterschiedlichen politischen Traditionen noch immer sehr präsent und sollten es bis zum Schluß der VSP auch bleiben. Doch die politischen Diskussionen und Aktivitäten der nächsten Jahre lassen sich kaum ernsthaft nach diesen Unterschieden sortieren. Trotzdem sollten sich die großen Hoffnungen des Anfangs nicht erfüllen. Die Vereinigung hatte keinerlei unmittelbaren Einfluß auf andere westdeutsche Linke, geschweige denn auf die bundesrepublikanische Gesellschaft. Die linke Öffentlichkeit reagierte, wenn überhaupt, dann eher überheblich, die linken Organisationen ebenso verhalten. Die Sozialistische Arbeiter Gruppe (SAG) lehnte ebenso wie der Kommunistische Bund (KB) jede Vereinigungsperspektive ab, während der letztere immerhin gemeinsame Diskussionen anbot. Zur Marxistisch- Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) gab es nur kurz Kontakte, und bei den Demokratischen Sozialisten (DS) war es nur ein kleiner Flügel, der ernsthaftes Interesse zeigte.

Einzig der Bund Westdeutscher Kommunisten (BWK) reagierte mit konkreten Vorschlägen auf die Vereinigungsangebote. Zwei Jahre sollte sich der intensive Diskussionsprozeß mit dem BWK hinziehen, bis er schließlich weitgehend erfolglos scheiterte.

Die Konsequenzen dieses eher enttäuschenden Beginns für die innerparteiliche Entwicklung waren schleichend. Die mangelnde Wahrnehmung durch die linke Öffentlichkeit führte zu einem nur sehr vereinzelten - zudem von vielen VSPlern ungläubig bis kritisch beäugten - Interesse neuer Sympathisierender an der VSP. Und viele Altgenossinnen und -genossen verloren schnell ihre Hoffnung, daß die Vereinigung zu einem linken Aufbruch führen könnte. Schon bald nach der Vereinigung kam es zu vermehrten Austritten auch führender Aktivisten. Man blieb also weitgehend unter sich in den ersten beiden Jahren der VSP-Existenz, gab die SoZ heraus und erarbeitete weitere programmatische Dokumente, um die inhaltlichen Lücken des Vereinigungsprozesses zu füllen.

Die ersten Jahre

Zwei Jahre hatten die Kader von GIM (Gruppe Internationaler Marxisten) und KPD an den politischen und organisatorischen Grundlagen der Ende 1986 neu gegründeten Vereinigten Sozialistischen Partei (VSP) gearbeitet. Die westdeutsche Linke reagierte jedoch mit Desinteresse und Feindschaft auf diesen Versuch, aus dem linken Ghetto des letzten Jahrzehnts herauszukommen. So blieb man in den ersten beiden Jahren weitgehend unter sich, gab die SoZ - Sozialistische Zeitung heraus und diskutierte auf den mehrfach im Jahr stattfindenden Zentralen Delegiertenkonferenzen die programmatischen Herausforderungen an eine neue sozialistische Politik.

Konferenzmarathon

Der Auszehrungsprozeß der frühen VSP war unverkennbar, als man sich im November 1987 zur ersten ordentlichen Zentralen Delegiertenkonferenz (ZDK) in Wuppertal traf. 117 Delegierte vertraten nur mehr 500 Mitglieder. Die Quotierung wurde nicht erfüllt. Auch sonst herrschte Selbstkritik vor. Man räumte die mangelnde Organisation und die Entscheidungsschwäche der Leitungsorgane ein und beklagte die schwache Außentätigkeit und zu geringfügige Auseinandersetzung mit anderen politischen Kräften des Anti- Wende-Lagers. Man stellte fest, daß die Tarifbewegungen des letzten Jahres keinen Fortschritt an der Klassenkampffront gebracht hatten. Die Stahlarbeiterkämpfe um Rheinhausen und Hattingen trafen zwar auf viel Sympathie in der breiten Bevölkerung, wurden jedoch als letztlich lokal bleibende Defensivkämpfe ohne jede offensive Perspektive angesehen.

Die Betriebs- und Gewerkschaftsaktivisten der VSP mischten zwar ordentlich mit beim »Aufruhr an der Ruhr«, engagierten sich individuell vor Ort, agitierten für die Vergesellschaftung der Stahlindustrie, sammelten Spenden für die Streikenden, verteilten die SoZ und Flugblätter. Trotzdem hinterließ das überwiegend individuelle Engagement Fragen. Die VSP vermochte es kaum, als bundesweite Gesamtpartei wirklich eigenständig einzugreifen. Die Leitungsorgane, so beklagten sich viele auf der ersten ZDK, seien vor allem mit der Herausgabe der SoZ beschäftigt, die VSP sei mittels Zeitung und Flugblätter kaum mehr als eine ideologische Kraft. Die einzelnen Mitglieder griffen nur vereinzelt und lokal ein - in jenen Bewegungen, in denen sie sich sowieso tummelten. Viele seien gänzlich passiv.

Trotzdem überwog das Prinzip Hoffnung. Die anwesenden Delegierten diskutierten und verabschiedeten eine ganze Reihe von Resolutionen und mußten gar einen zweiten Teil der ZDK auf das Frühjahr 1988 verschieben.

Im Mittelpunkt der Konferenz stand die Erarbeitung einer »Plattform der VSP zum Kampf gegen Frauenunterdrückung«. Ausführlicher als im Parteiprogramm wurde hier nochmals begründet, warum die VSP als eine dem »traditionellen Lager« angehörende Organisation die autonome Frauenbewegung für eine historische Errungenschaft hielt. Höhere Schulbildung und berufliche Qualifikation hätten es zwar einem Teil der Frauen im Spätkapitalismus erlaubt, unabhängiger zu werden, doch die Mehrzahl der Weltfrauen sei noch immer ökonomisch abhängig von den Männern. Es sei die gesellschaftliche Funktion der Frauen, für eine weitgehend reibungslose Reproduktion all dessen zu sorgen, was der Kapitalismus auf die Individuen abwälze. Hinzu komme, daß die patriarchalische Familie die Klassenteilung der Gesellschaft verewige und von einer zur anderen Generation vermittle.

Forderungen nach weiblicher Selbstbestimmung stünden deshalb im Widerspruch zur herrschenden Gesellschaft. Wirklich umfassende Forderungen zur Frauenbefreiung könnten zwar »erst im Verlauf der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft durchgesetzt werden«, doch die bisherigen Erfahrungen mit solchen Revolutionsversuchen zeigten, »daß die Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse in Produktion und Reproduktion allein noch keine Garantie dafür bietet, daß die Forderungen der Frauen umfassend und fortschreitend verwirklicht werden«. So wie die autonome Frauenbewegung den Frauen in der gleichfalls patriarchalen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung den Rücken gestärkt hätte, so müsse ihre Autonomie auch in postrevolutionärer Zeit gesichert sein.

In einer »Resolution zum Kampf gegen Erwerbslosigkeit« wandte sich die VSP erneut gegen jegliches Gerede von Solidarpakten. Die Überwindung der Erwerbslosigkeit sei nur bei Überwindung ihrer marktwirtschaftlichen Grundlagen möglich. Der Kampf gegen die ständige Verschärfung der Ausbeutung und der Kampf für gesellschaftlich nützliche Produktion erforderten, »Rücksichtslosigkeit gegenüber dem kapitalistischen Profitinteresse«, die Verteidigung des Normalarbeitsverhältnisses, eine radikale Arbeitszeitverkürzung sowie Verstaatlichung und Vergesellschaftung als Kampfperspektive.

In der »Resolution zum antifaschistischen Kampf« schließlich analysierte die VSP die damals deutliche Umgruppierung bei der extremen Rechten. Nationalismus und Rassismus werden als eigenständige Bewegungen begriffen. Doch die Klassenkonfrontation von oben brauche eben dieselben als ideologische Hilfstruppen. Trotzdem forderte man nicht nur gemeinsame antifaschistische Bündnisse und Foren aller antifaschistischen Kräfte, sondern auch die Auflösung und das Verbot aller faschistischen Organisationen und Publikationen nach Art. 139 Grundgesetz sowie die soziale und rechtliche Gleichstellung aller Immigranten.

Bei den »Aufgaben des antiimperialistischen Kampfes in der BRD« ging man schließlich davon aus, daß, entgegen des Geredes vom freien Markt, noch immer Finanzkapital, Monopole und Großkonzerne herrschen und die Metropolenländer noch immer die Länder der Peripherie ausbeuten und plündern. Die Hauptstoßrichtung der Internationalismusarbeit solle gegen den BRD-Imperialismus gerichtet, das Hauptaugenmerk auf die Entwicklungen in der Türkei, in Südafrika und Nikaragua gelegt werden. Vor allem die für 1988 geplante bundesweite Kampagne gegen IWF und Weltbank sei für eine breite linke Aktivität geeignet.

Aufbrüche ...

Damit erwies sich die VSP auf der Höhe der linken Zeit. Gerade die internationalistische Szene begann sich 1987 als Bewegung für die Streichung der Schulden der »Dritten Welt« zu reaktivieren. Der linksalternative Gegenkongreß gegen den Weltwirtschaftsgipfel in Westberlin im Herbst 1988 wurde zum Höhepunkt von Massendemonstrationen und publizistischen Offensiven der vielfältigsten Art. Parallel dazu entfaltete sich eine neue und überwiegend junge antifaschistische Szene, die den Kampf gegen den neonazistischen Aufstieg nicht nur genauestens beobachtete, sondern auch handfest zu bekämpfen versuchte.

Eine übergreifende Klammer bekamen die vielfältigen Graswurzelbewegungen durch die »Gorbi«-Euphorie im Westen. Der neue sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow forcierte zu Beginn des Jahres 1987 den vermeintlichen Erneuerungsprozeß des östlichen »Sozialismus« mit seiner Proklamation: »Wir brauchen die Demokratie wie die Luft zum Atmen«. Der Reformkommunist weckte alte linke Hoffnungen auf einen demokratischen Sozialismus und beflügelte eine Renaissance linken Gedankengutes nicht nur, aber vor allem in Westdeutschland. Als schließlich auch noch die Grünen mit der Wahl Thomas Ebermanns zum Sprecher der Bundestagsfraktion einen Linksruck zu vermelden hatten, war kein Halten mehr. Die Monatszeitschrift Konkret titelte mit den Konterfeis des Trios Lenin, Gorbatschow und Ebermann, und ihr Herausgeber Hermann L. Gremliza kommentierte, jetzt »bekommt revolutionäre Theorie endlich wieder Luft«.

Erstmals bekam nun auch die VSP Zulauf von jüngeren Aktivistinnen und Aktivisten, vor allem aus dem Antifabereich und dem universitären Milieu. VSPler machten sich nicht nur in der Internationalismusdebatte stark, sie griffen auch in die Debatte um die Sowjetunion ein und lehnten sich an die feministische PorNo-Kampagne an. Seit 1988 kam es zu einer Expansion des SoZ-Outputs. Während die sogenannten Ortskontingente - jede VSP-Ortsgruppe nahm eine teilweise erhebliche Zahl an SoZ-Exemplaren ab, um sie vor Ort bei Veranstaltungen und Demonstrationen zu verkaufen - aufgrund der schleichenden Organisationskrise zurückgegangen waren, nahmen die Einzelabonnements spürbar zu. Die SoZ-Redaktion erweiterte sich personell und öffnete ihre Spalten zunehmend auch Linken jenseits der VSP. Die SoZ bekam mit 20 neuen Seiten mehr Umfang, neue feste Rubriken, z.B. eine Frauenseite und eine Ökologieseite, und - ab 1990 - rote Farbe auf dem Titel. Als regelmäßige Beilage gab es nun auch die vierseitige SoZ-aktuell, eine Art Massenzeitung, die der SoZ zwar auch beilag, vor allem jedoch in Auflagen von 15 000 bis 25 000 Stück umsonst verteilt wurde. Noch höhere Auflagen erreichte die jährlich zum 1. Mai erscheinende Blind.

... und Blockaden

Die neue gesellschaftliche Situation wirkte sich widersprüchlich auf die VSP aus. Während sich ihre organisationspolitische Offenheit neuen Bewegungen und neuen Möglichkeiten linker Einheit und Politik gegenüber deutlich positiv auswirkte, verhärteten sich die innerparteilichen Blockaden. Das Aufbrechen nicht nur der osteuropäischen Verhältnisse, sondern auch die Risse in der ehemals monolithischen Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) machte gerade jene Stalinismusdiskussion aktuell und notwendig, die die VSP seit ihrer Vereinigung zu vermeiden suchte, da sie an die Grundfesten der alten Strömungen rührte. Und während viele Ex-GIMler den Gorbatschowschen Reformkurs aus trotzkistischer Sicht zu kritisieren begannen, reagierten die ehemaligen KPD/MLer darauf mit teilweise heftigen Vorbehalten. Auf den Leserbriefseiten der SoZ tobte sich der ideologische Kampf zwischen »Dschugaschwilis« und »Bronsteins« ungehemmt aus. Während die einen ungeduldig »die Partei aufbauen« wollten, witterten die anderen trotzkistischen »Revisionismus«. Sahen die einen den »Reformismus« auf dem Vormarsch, sahen die anderen neue weltrevolutionäre Möglichkeiten.

Organisatorischen Ausdruck fand diese Diskussion auf einem außerordentlichen Kongreß im Oktober 1988. Die ehemaligen GIMler hatten mit Gründung der VSP ihren Anspruch einer Organisationsmitgliedschaft in der IV. Internationale aufgegeben. Es gab nur noch individuelle Mitgliedschaft mit der Maßgabe, einige Zeit nach der Vereinigung eine neue Diskussion über organisierten Internationalismus und die Stellung zur IV. Internationale zu führen. Die nun anberaumte Konferenz zur internationalen Organisierung brachte zwar eine umfangreiche Konkretisierung dieses Internationalismus, aber wegen der durch die starken maoistischen Vorbehalte bedingten Spaltungsgefahr keine forcierte Annäherung an die IV. Internationale, was zu einer vertieften Enttäuschung vieler Trotzkisten beitrug.

Währenddessen pflanzte sich der gesellschaftliche Aufbruch fort. Im Wintersemester 88/89 brach an den westdeutschen Universitäten der studentische »Un(i)mut« aus. In der DKP bildete sich ein einflußreicher Reform-Flügel heraus und schrieb sich die »Erneuerung der Politik« auf seine Fahnen. Der allseits bekannte und sich jenseits der Strömungen positionierende DKP-Intellektuelle Georg Fülberth rief im Januar 1989 auf einem Kongreß des Kommunistischen Bundes (KB) zur Bildung eines strömungsübergreifenden Blocks der Linken auf und fand aufmerksame Zuhörer. Vor allem der anwesende Ex-KBler Thomas Ebermann witterte hierin eine Möglichkeit, seine unter Druck geratenen linken Grünen von außerhalb der Partei zu stützen. Im Frühjahr 1989 kam es schließlich zu ersten gemeinsamen Treffen der radikalen Linken. Man solidarisierte sich nun auch mit dem neuen Hungerstreik der RAF-Gefangenen, fühlte sich beflügelt durch das Aufkommen unabhängiger Massenbewegungen in der UdSSR und verurteilte die blutige Niederschlagung des Pekinger Frühlings.

Der allgemeine linke Aufbruch war nicht mehr zu übersehen. Und die VSP war fast überall dabei. Zur selben Zeit erarbeitete sie eine umfangreiche, die Ausmaße ihres Programms übersteigende Resolution »Ohne Arbeiterklasse - keine >andere< Zukunft«, die sie im April 1989 verabschiedete. In diesem reichhaltigen und noch heute bemerkenswert aktuellen Grundlagentext beschreibt und analysiert sie den neokonservativen Umbau des krisengeschüttelten Sozialstaats als nachhaltige, aber nicht grundsätzliche Veränderung des Gesichts des Kapitalismus. So wie der Zwang zur Lohnarbeit durch die neuen Technologien nicht aufgehoben werde, so ändere die aufziehende Informationsgesellschaft auch nichts an den grundlegenden Klassenverhältnissen und der kapitalistischen Logik. Entsprechend seien auch die notwendigen neuen gesellschaftlichen Utopien gehalten, sich an der alten Utopie der Arbeiterbewegung, der sozialistischen Gesellschaft, zu orientieren. Gegen Erwerbslosigkeit und Flexibilisierung setze man ein neues Normalarbeitsverhältnis, das auch die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern neu regele, gegen Sozialpartnerschaft, Rassismus und das Europa der Konzerne setze man die Einheit der Arbeiterklasse, die Demokratisierung der Gewerkschaftsbewegung und den Sturz der bürgerlichen Gesellschaft. »Auch wenn die Arbeiterklasse in der Bundesrepublik bisher nicht besonders zur allgemeinen Erhebung gegen die herrschenden Verhältnisse neigte, so findet die Auseinandersetzung um ihre Interessen heute in den Betrieben und Büros täglich statt. Der Widerstand, der in vielfältiger Form zum Alltag gehört, ist weder in der Linken und schon gar nicht in der Gewerkschaftsbewegung Gegenstand der Betrachtung.«

Alte Vorbehalte

Die intensive Selbstverständigungsarbeit an dieser Resolution vermochte es nicht, die innerparteilichen Gräben zuzuschütten. Jene genossenschaftliche, solidarische Diskussionskultur, die zu einem organisatorischen und programmatischen Aufschwung der VSP nötig gewesen wäre, fehlte bereits weitgehend. Sie vermochte es auch nicht, die heiklen Bereiche der eigenen Identität, vor allem das Verhältnis zur Geschichte der Arbeiterbewegung und des Nominalsozialismus, auf produktive Weise aufzuarbeiten. Das Ausbrechen traditioneller Vorbehalte aus der Zeit von vor der Vereinigung führte nicht nur zum Verlust jedes organisatorischen Selbstvertrauens, sondern auch zu unterschiedlichen Politikformen. Während die einen meinten, die Propagierung des richtigen Programms - ihres alten - würde ausreichen, um den Durchbruch zu schaffen, stellten die anderen immer mehr auch ihre eigene Tradition in Frage. Die zumeist jungen Neumitglieder konnten dem nichts entgegensetzen, und die politische Führung versuchte überwiegend defensiv, den Laden irgendwie zusammenzuhalten. Die Teilnahme an Leitungssitzungen ließ nach und die Rückkopplung von örtlicher Basis und zentraler Leitung war »absolut unzureichend«, wie es in dem rückblickenden Rechenschaftsbericht der politischen Leitung von 1990 zu lesen ist. »Eines der Hauptprobleme in der VSP«, so der Bericht, »besteht (nach wie vor) darin, daß es uns bisher nicht gelungen ist, Formen der gemeinsamen, die gesamte VSP einbeziehenden inhaltlichen Diskussionen, Analysen, Schulungen u.a. zu entwickeln«.

Ende 1989 ließ die VSP schließlich die zweijährigen Vereinigungsverhandlungen mit dem Bund Westdeutscher Kommunisten (BWK) scheitern. Auf dem Papier war man sich zwar sehr nahe gekommen - gemeinsame programmatische Grundlagentexte lagen bereits vor -, doch in der praktischen Politik, vor allem in der Haltung zur Frauenbewegung und zum demokratischen Widerstand gegen die Politgerontokratie im Osten, waren die Unterschiede zu groß.

Dies war die schwierige Gemengelage, als der Kollaps der ostdeutschen Parteidiktatur die westdeutsche Linke vor Probleme stellte, die sie offensichtlich nicht bewältigen konnte. Während die Radikale Linke im Oktober 1989 ihr politisches Manifest gegen die vermeintliche rosa-grüne Besoffenheit veröffentlichte und 2 500 Menschen am Kongreß der DKP- Erneuerer teilnahmen, brach in Leipzig und Berlin eine deutsche Revolution aus, die die Koordinaten nicht nur der nationalen Politik nachhaltig verändern sollte.

Revolution und Konterrevolution

Die Vereinigte Sozialistische Partei (VSP) begrüßte den Zusammenbruch des Ostberliner Regimes, stand dem Erneuerungsprozeß der SED-PDS allerdings skeptisch gegenüber und fand schnell in der Vereinigten Linken (VL) den ihr passenden Ansprechpartner im Osten. Mit einer gehörigen Portion distanzierter Vorsicht vor dem jeweils anderen kam man ins politische Gespräch und hoffte auf einen weitergehenden revolutionären Prozeß. Man war gegen den Anschluß der DDR an die BRD und geißelte aufs schärfste den um sich greifenden Nationalismus. Die Zusammenarbeit mit der VL ging immerhin soweit, daß die VSP deren Wahlkampf zu Beginn des Jahres 1990 organisatorisch und publizistisch unterstützte. Die Enttäuschungen nach den Märzwahlen waren jedoch auf beiden Seiten tief - vor einer zeitweise diskutierten Vereinigung beider Organisationen schreckten sie nun erst recht zurück.

Gegen den »Anschluß«

Das Jahr 1990 war in vielerlei Hinsicht ein Jahr des Übergangs. »Soviel Anfang war nie«, hieß es damals. Auf der anderen Seite waren die Zeichen der Niederlage spürbar. So beispielsweise in dem schnell vor sich gehenden Niedergang der ostdeutschen radikalen Linken. Auch die westdeutsche radikale Linke sah bereits das »Vierte Reich« gekommen und stürzte sich mit dem entsprechenden Mut der Verzweiflung in den ideologischen Kampf. Die einen setzten auf den um sich greifenden, eher losen Zusammenhang jener radikalen Linken, die zum organisatorischen und ideologischen Zentrum des »antideutschen« Kampfes wurde. Andere hofften auf eine ebenso gesamtdeutsche wie erneuerte »Linke Liste PDS«.

Doch auch die internationalen Verhältnisse schlugen um. Autonome Streikbewegungen und das Aufkommen unabhängiger Massenbewegungen von unten führten in der UdSSR zum Schulterschluß der Reformer um Gorbatschow mit den alten Apparatschiks, um dieser kaum zu kontrollierenden »Perestroika von unten« zu begegnen. Das Ergebnis war die Reformstagnation der Jahre 90/91, die u.a. 1991 zum Zusammenbruch der UdSSR und damit des Ostblockes führen sollte. In Nikaragua, lange Jahre der Kristallisationspunkt des westdeutschen Internationalismus, verloren die Sandinisten bereits Anfang 1990 die Macht. Hin und her gerissen zwischen großen Hoffnungen und skeptischer Einsicht war auch die VSP. Ihre generelle, die gesamte Öffentlichkeitsarbeit durchziehende Einschätzung der Lage brachte sie im Juni 1990 in einer Resolution »Imperialistischer Anschluß und Aufgaben« zum Ausdruck. Die Entscheidung für eine schnelle Einverleibung der DDR sei mit dem 18. März gefallen, und dieser Anschluß stelle »den tiefgreifendsten Einschnitt der Nachkriegsgeschichte Europas und der beiden deutschen Staaten dar«. Am Ende dieses Prozesses stehe »ein neues imperialistisches Großdeutschland, das in der Kontinuität des Deutschen Reiches steht«.

Die »politische und ökonomische Machtübernahme der westdeutschen Bourgeoisie über das Gebiet der DDR« sei jedoch kein isoliertes Ereignis, sondern stehe im Zusammenhang mit dem wesentlich selbstverschuldeten Zusammenbruch der osteuropäischen Regime. »Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß die jahrzehntelange Unterdrückung jeder selbständigen Regung der Menschen nicht nur ein wesentliches Element für die bürokratische Mißwirtschaft war, sondern auch systematisch verhindert hat, daß sich in der Bevölkerung sozialistisches Bewußtsein weiter entfaltet. Sozialistisches Bewußtsein ist nicht zu erringen, wenn keine Massendemokratie praktiziert, Solidarität und kollektives Handeln nicht gelebt, Ansprüche und Bedürfnisse nicht in eine solidarische gesellschaftliche Zieldiskussion eingebracht werden können.«

Die demokratische Opposition gegen das SED-Regime sei jedoch, so argumentierte die VSP gegen die kommunistische Linke, kein historischer Rückschritt, sondern ein deutlicher Fortschritt, »unabhängig davon, daß ein großer Teil der demokratischen Bewegung sich später unter dem Druck der Massenstimmung und unter dem Druck sozialer Erpressung aus der BRD nach rechts entwickelt hat«. Weder sei ein Zurück zu den alten Verhältnissen wünschenswert, noch habe der Erneuerungsversuch der SED eine glaubwürdige Alternative zum Kapitalismus hervorgebracht.

Die Kosten des Anschlusses, so die gemeinsame Einschätzung, sollen die Bevölkerungen der DDR und der BRD tragen. Soziale Errungenschaften würden zuerst im Osten und dann, in einem Angleichungsprozeß nach unten, auch im Westen abgebaut. Das Lebenshaltungsniveau in der DDR werde »auf Dauer unter dem in der jetzigen BRD liegen«, die DDR »auf lange Zeit in Großdeutschland das Armenhaus bleiben«. Die Anschlußverlierer seien einmal mehr vor allem die Ausländer und die Frauen. »Vor allem aber wird die amtlich geschürte Ausländerfeindlichkeit zunehmen (...) Viel stärker als bisher laufen die AusländerInnen Gefahr, zu Sündenböcken abgestempelt zu werden.« Daß sich die westdeutschen Gewerkschaften zu willfährigen Gehilfen dieses Anschlusses machten, wird besonders kritisiert.

Das imperialistische Anschlußprojekt mache Deutschland nicht nur zur absolut dominierenden Macht im europäischen Block, es erfordere, so die Resolution weiter, auch »eine erhebliche Veränderung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses zwischen Lohnarbeit und Kapital zugunsten des letzteren«. Um das imperialistische Großdeutschland zu bekämpfen, sei man solange für die Eigenstaatlichkeit der DDR, solange es sie gäbe und plädiere für eine breite Entmilitarisierung des neuen Deutschland, für ein »Deutschland ohne Soldaten und Spitzel«, für den Abzug aller ausländischen Truppen, die Auflösung von Bundeswehr und Nationaler Volksarmee sowie der Geheimdienste und politischen Polizei. Vor allem gelte es, breiten Widerstand gegen eine gesamtdeutsche Mitgliedschaft in der NATO zu organisieren, da dies das wesentlichste Ziel (nicht nur) der westdeutschen Bourgeoisie sei.

Um die nachhaltige Veränderung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses zu verhindern, wolle man sich »zum entschiedensten Anwalt der Hoffnungen der Menschen der DDR auf eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen (machen), wie sie von Kohl und Kapital geschürt worden sind; wir werden sie hier einklagen und wollen so mit dazu beitragen, die absehbare Enttäuschung gegen den richtigen Gegner zu richten«. So sehr man sich also auch zum erklärten Gegner der deutschen Einheit mache, so sehr sei doch »eine reine Position der Ablehnung« (wie die der meisten radikalen Linken) für einen langfristigen Kampf gegen das imperialistische Großdeutschland »nicht ausreichend«. Deswegen sehe man beim »Ansetzen an den sozialen Ängsten und Forderungen die einzige Chance, die Gegnerschaft gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse im künftigen Großdeutschland auszuweiten und die Notwendigkeit einer umfassenden Alternative dazu breiter zu verankern. Neben den antinationalen und antiimperialistischen Beweggründen, die uns veranlassen, das Projekt >Anschluß< abzulehnen, spielt für uns deshalb die Frage der Kosten und wer sie tragen soll, eine herausragende Rolle.«

Schließlich verband die VSP die Kritik der radikalen Linken mit Selbstkritik: »Wenngleich wir nicht zu denen gehörten, die die DDR als ein >sozialistisches< Land bezeichneten, stellt diese Entwicklung auch uns vor große Probleme: Auch wir können der Tatsache nicht entrinnen, daß das Projekt >Sozialismus< erheblich an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat. (...) Ohne theoretische und programmatische Erneuerung wird die revolutionäre Bewegung in den Strudel des stalinistischen Unterganges mitgerissen werden. Sie wird theoretisch unglaubwürdig sein, wenn sie Aufstieg und Fall, Erscheinung und vor allem Terrorsystem des Stalinismus, den Untergang des eigentlichen Sozialismus in dieser Barbarei nicht aus den gesellschaftlichen Bedingungen erklären kann. Sie wird zu keiner ersehnten Alternative werden, wenn ihre Aussagen zur sozialistischen Demokratie verschwommen oder gar zweideutig bleiben, wenn sie keine klaren Vorstellungen über das Funktionieren einer Gesellschaft im Übergang zum Sozialismus entwickelt. Sie wird zu einer isolierten Sekte degenerieren, wenn sie nicht am Bewußtsein und den Interessen der Massen ansetzt, nicht eine Strategie und Praxis entwickelt, die zu Kämpfen führt.« Um eine solche Erneuerung zu leisten, wolle man seine eigenen theoretischen Schulungen und programmatischen Diskussionen verstärken und sie bundesweit organisieren und koordinieren.

Wende im Golfkrieg

Mit diesem Ansatz schwankte die VSP im Jahre 1990 zwischen den verschiedenen linken Tendenzen hin und her. Ein Teil der Organisation engagierte sich stark bei der radikalen Linken, ein Teil bei der Linken Liste/PDS, manche bei beiden, und andere wollten sich auf den alleinigen Aufbau der VSP konzentrieren. Daß man die eigenen Pläne für eine antimilitaristische Offensive nicht ernsthaft umzusetzen versuchte, zeigt jedoch, daß auch die VSP mehr zu den Getriebenen als zu den Treibenden des Anschlußprozesses gehörte. Man versuchte den Spagat in einer immer unübersichtlicheren Zeit, die auf der einen Seite von einem sich radikalisierenden Liberalkonservatismus und einer zunehmenden Selbstzerfleischung der Linken auf der anderen Seite geprägt war. Die radikale Linke zerfiel bis Ende 1990 weitgehend, die Hoffnungen auf eine Erneuerung der PDS erlitten mit dem Finanzskandal Ende des Jahres schwere Dämpfer - die Westausdehnung scheiterte im ersten Anlauf.

Die endgültige Wende kam zu Beginn des Jahres 1991 mit dem Kreuzzug des Westens gegen Saddam Hussein im Zweiten Golfkrieg. Die durch 1989 im allgemeinen und die Entstehung des neuen Deutschland im besonderen entstandene Krise linker, organisierter Politik brach offen hervor. Quer zu den noch existierenden Strömungen bekämpften sich »Pazifisten« und »Bellizisten« erbittert. Nur wenige gesellten sich zu der spontan entstandenen Schülerbewegung gegen den Krieg, namhafte Ideologen engagierten sich dagegen aufgrund der spezifisch deutschen Verantwortung für den israelischen Staat für das vermeintlich kleinere Kriegsübel, die westlichen Alliierten. Gerechtfertigt wurde diese Komplizenschaft mit dem Imperialismus mit der mangelnden linken Alternative. Ignoriert wurde dabei allerdings die Tatsache, daß mit einer solchen Haltung jeder Versuch, eine solche alternative Bewegung aufzubauen, geradezu torpediert wurde. So wurde der Golfkrieg zum Wendepunkt der Linken in Deutschland. Die VSP engagierte sich personell und publizistisch stark in der Antikriegsbewegung, trug wesentlich zu einem letzten Aufbäumen der übriggebliebenen radikalen Linken bei und brachte mehrere Flugschriften gegen den Krieg heraus. Sie wandte sich »gegen jedwede imperialistische Einmischung (...) und gegen jedwede Anmaßung, den Schiedsrichter zwischen den Völkern zu spielen«. Man erneuerte nicht nur das antimilitaristische Credo und lehnte jede Form von Bundeswehreinsätzen ab. Auch UNO-Friedenstruppen wurden abgelehnt, da die UNO keinen Zusammenhang darstelle, »in dem die Völker selbst frei ihr Zusammenleben regeln. Darüber hinaus hat der Golfkrieg einen erneuten Beweis dafür geliefert, daß es die imperialistischen Interessen sind, die unter dem Deckmantel der UNO betrieben werden«, hieß es in einer Resolution nach dem Ende des Golfkrieges.

Selbstkritik

Mitte 1991 zog die VSP schließlich eine umfassende Bilanz der letzten Jahre. In einem Papier zu »Bilanz und Perspektiven der Linken und der VSP« versuchte sie, sich jener »historischen Zäsur« zu nähern, deren »Dreh- und Angelpunkt« der Zusammenbruch und die völlige Diskreditierung der sozialistischen Bewegung sei. Auch man selber habe die ehemals realsozialistischen Verhältnisse nur unzureichend analysiert, doch das typische Phänomen des »Überraschtwerdens durch den Sturz der Bürokratien bei gleichzeitigem prokapitalistischem >mainstream< in der Gesellschaft« teile man mit allen Strömungen der Linken. Nun stehe man vor zwei elementaren Gefahren: »Einerseits der Weg ins Sektierertum: Die Degenerierung zu einer Gruppe von Aufrechten, die eine sozialistische Heilslehre verkünden, die mit keiner Wirklichkeit mehr in Verbindung steht. Andererseits die Anpassung an die bürgerliche Wirklichkeit und die Beschränkung linker Politik auf ein Reformprogramm, in welchem die notwendige gesamtgesellschaftliche Perspektive keinen Platz mehr hat. Diese Gefahren zu nennen, heißt noch nicht, sie zu meiden, sondern lediglich festzustellen, daß wir uns auf einer Gratwanderung befinden - und daß wir uns dessen bewußt sind.«

Erneut gestand man sich mangelnde programmatische Arbeit ein, hielt aber explizit fest an der prinzipiellen Orientierung auf die Arbeiterklasse. »Hier konstatieren wir umgekehrt vom postmodernen Trend, daß wir unseren Anspruch nur unzureichend einlösten, uns auf die arbeitende Klasse zu orientieren, daß wir bei den neuen Diskussionen, die in den Gewerkschaften geführt werden, nur Zaungast sind.« Selbstkritisch bilanzierte man nun, daß die ursprüngliche Vereinigungsperspektive der VSP auf einer verengten Sichtweise beruht habe, daß heutige Formierungsprozesse auf der Linken breiter gefaßt werden müßten. »Es stellt sich die Frage, ob wir eine ausreichende Offenheit gegenüber anderen Strömungen, die sich ebenfalls für eine gesellschaftliche Emanzipation engagieren, gezeigt haben: Strömungen, die als antiimperialistische, autonome, anarchistische, ökosozialistische, radikalfeministische und radikaldemokratische charakterisiert werden, tauchten in unserer Einheitskonzeption nicht auf.«

Neue Möglichkeiten der Zusammenführung revolutionärer Kräfte sah man nun weniger auf der bundesweiten Ebene, sondern mehr auf lokaler Ebene. Am Ziel einer organisierten politischen Linken hielt man jedoch auch weiterhin genauso prinzipiell fest wie an der eigenen Organisation: »Gerade weil wir für eine organisierte breite Einheit eintreten, müssen wir an unserer eigenen Organisierung solange festhalten, bis diese in einer solchen breiteren Organisierung aufgehen kann. (...) Der Prozeß der politischen Desintegration vieler Menschen würde sich ohne diesen organisierten Zusammenhang beschleunigen.«

Auch weiterhin wollte man also sozialistisch, feministisch und demokratisch sein. Von nun an wolle man jedoch »eine Politik entwickeln, die von der Tatsache der Vereinigung von DDR und BRD ausgeht, sie als neue Realität anerkennt und sich mit der dadurch entstandenen Situation offensiv auseinandersetzt«. Gegen die drohende Entsolidarisierung im Zuge des neuen Ost-West-Gefälles, »die noch weit über das hinausgeht, was bürgerliche Politik ohnehin in Krisenzeiten produziert«, setze man eine »neue Solidarität« mit Solidaritätskomponenten in den Tarifrunden, mit der Entwicklung eines Programms gesellschaftlich sinnvoller Investitionen beim Wohnungsbau, der Siedlungs- und Stadtsanierung, sowie im Verkehrs- und Energiesektor, sowie dem Versuch einer Koordinierung der Gewerkschaftslinken in West und Ost.

Daß die Zeit des Übergangs vorbei war, das wurde seit 1991 zunehmend offensichtlich. Doch wohin die Reise ging, war den Beteiligten noch nicht klar. Die »neue Weltordnung« zeichnete sich erst in Umrissen und Widersprüchen ab. Wenn die Herausforderungen an die deutsche Linke auch immer drückender wurden, es schien, als ob ihnen die VSP besser begegnen könnte als der größte Teil der übrig gebliebenen radikalen Linken.

Agonie und Ende

Seit 1991 ist der nachhaltige und bisher kaum aufgearbeitete Zerfall linkssozialistischer Opposition im neuen Deutschland offensichtlich. Die linken Auseinandersetzungen anläßlich des Zweiten Golfkrieges markieren den Wendepunkt vom neuen Aufbruch Ende der 80er zu den neuen Spaltungen seit Beginn der 90er Jahre. Sind die Jahre 1992 und 1993 vom mörderischen Aufstieg eines rassistischen völkischen Nationalismus begleitet, so reagierte die in die Ghettoecke getriebene Restlinke mit einem aus Hilflosigkeit gespeisten Sektierertum, das für die zarten Pflanzen eines bürgerlich- humanistischen Aufstandes gegen den neuen Rassismus, die sogenannten Lichterketten, nicht mehr als zynischen Spott übrig hatte.

Während sich die SPD in der Instrumentalisierung dieser Mord- und Pogromwelle den regierenden Konservativ- Liberalen gleichschaltete, streiften auch die Bündnisgrünen ihren Oppositionscharakter weitgehend ab und sahen die BRD auf dem Weg in die sogenannte Zivilgesellschaft. Die letzten namhaften linken Grünen hatten sich abgespalten, doch die von ihnen neu gegründete Ökologische Linke zerfiel schneller als sie entstand. Die westdeutsche radikale Linke war genauso zerfallen und mehrfach gespalten wie der Kommunistische Bund (KB). Der sowjetische »Kommunismus« war ebenso Geschichte wie alles, was sich im Osten Deutschlands links der PDS sammelte. Die PDS hatte einen großen Teil der westlinken Hoffnungen auf Öffnung und einen neuen sozialistischen Beginn enttäuscht und sich zunehmend auf die Verteidigung ihrer Ostidentität zurückgezogen.

Der vermeintlich antinationale Kampf gegen die Deutschtümelei wiederum war hegemonial und feierte wunderliche Blüten u.a. in der Beschimpfung der politischen Friedensinitiative der RAF-Gefangenen vom Herbst 1992, die als linke Anbiederung an die völkisch-faschistoide Bevölkerung und ihre Herrschenden bezeichnet wurde. Entsprechend unfähig erwiesen sich die meisten, den Charakter und die Bedeutung der bemerkenswerten Streikwelle im Öffentlichen Dienst, bei Bahn und Post (Frühjahr 1992) zu registrieren. Die offensichtliche Mehrdimensionalität der gesellschaftlichen Krisensituation wurde eindimensional verkannt, der politische Raum konsequent verschlossen.

Als offizielle Beerdigung dieser deutschen radikalen Linken kann der von der Zeitschrift Konkret veranstaltete Kongreß vom Frühjahr 1993 gelten. Ein letztes Mal kamen fast alle, die Rang und Namen hatten, unter der Überschrift »Was tun?« zusammen. Doch die nachdenklichen Töne gingen ebenso unter wie die ernsthaften Versuche, neuen politischen Boden unter die eigenen Füße zu bekommen. Die neue zynische Intelligenz feierte statt dessen lauthals ihren Abgesang an die Politik.

Abwärtsspirale

Die Vereinigte Sozialistische Partei (VSP) hat sich vergleichsweise gut, zumindest recht anständig verhalten in diesen Jahren. Sie beteiligte sich kaum an der linken Hatz auf den Feind in den eigenen Reihen, versuchte statt dessen den Spagat zwischen dem Opportunismus der Anpassung an die neuen Verhältnisse und dem Sektierertum der zynischen Antipolitik. Wo sich - wie bei der Ökologischen Linken, der Streikbewegung von 1992 und der RAF-Initiative - Bewegung auftat, versuchten VSP-Aktive, sich einzumischen und ihr programmatisches Selbstverständnis einzubringen. Doch entziehen konnten sie sich dem bundesdeutschen Trend nicht auf Dauer. »Vereinigen statt spalten«, das zentrale politische Selbstverständnistheorem der VSP, war nicht nur organisatorisch schon lange gescheitert, es wirkte geradezu grotesk unter den neuen Verhältnissen. Das Setzen auf die lohnarbeitende Klasse wirkte im Angesicht der tiefen Krise der Gewerkschaftsbewegung und vor allem ihres linken Flügels sowie im Kontext des linksradikalen Bruchs mit jeglichem Bezug auf soziale Subjekte der Befreiung - seitdem als Sehnsucht nach einem völkischen Nationalismus denunziert- hoffnungslos anachronistisch. Die programmatische und personale Substanz der VSP reichte zwar noch aus, dem herrschenden Trend für eine gewisse Zeit zu widerstehen, sie reichte aber nicht mehr für eine programmatische und personelle Erneuerung, die den neuen Herausforderungen hätte entgegentreten und auf diesem Wege neue Leute gewinnen können.

Es kam zu einem rapide absinkenden Aktivitätsgrad der meisten VSP-Ortsgruppen, zum Austritt vieler Mitglieder und zur zunehmenden Frustration der verbliebenen. Es begann der bekannte Kreislauf: Je mehr Menschen die Organisation verlassen, desto mehr gewinnen die übriggebliebenen Individuen mit ihren persönlichen Stärken und vor allem ihren Schwächen an Bedeutung. Verstärkt wird dies durch den Druck der vorherrschenden regressiven politischen Verhältnisse, die gleichermaßen Opportunismus und Revisionismus wie Sektierertum und Zentrismus befördern. Der Wille zur gemeinsamen Diskussion nimmt ab, die alten Fronten und Animositäten verhärten sich, die Verantwortung wird beim jeweils anderen gesucht. Eine Spirale, die sich langsam abwärts entwickelt.

Postmoderne Wende

In der zweiten Hälfte des Jahres 1991 setzte die VSP einige Hoffnungen auf die Gründung der Ökologischen Linken, deren Vertreter auf der Sommerkonferenz der VSP sogar eine tragende Rolle gespielt hatten. Doch als deren Gründungskonferenz mit internen Zerwürfnissen endete, konstruierte die politische Führung um Jutta Ditfurth und Manfred Zieran eine hanebüchene Verschwörungstheorie, in deren Mittelpunkt die angeblichen Trotzkisten der VSP stünden.

Der Versuch, mittels eines rein weiblich besetzten Zentralkomitees die VSP nach innen zu stabilisieren, brachte 1991/92 nicht den gewünschten Schwung und die erhoffte neue Tiefe. Und auch der daran anschließende Versuch, mittels einer Strukturkommission zu einer »Heuristik der lebendigen Kräfte« zu gelangen, verlief weitgehend im Sande. Das auf der Zentralen Delegiertenkonferenz im Juni 1993 in Bochum nur mit größter Mühe gebildete neue Leitungsgremium bestand überwiegend aus jungen Genossinnen und Genossen. Während die zum Großteil aus alten GIMlern bestehende VSP-Minderheit ihre Organisation bereits abgeschrieben hatte, kam die Diskussion um ein neues politisches Programm über die allgemeine Akzeptanz von Gliederungspunkten nicht mehr hinaus. Der alte, in linken Organisationen selbstverständliche Anspruch, »in umfassender Weise aus heutiger Sicht Zusammenhänge zu erklären, wurde kritisiert bis hin zur Feststellung, der dahinter stehende universelle Anspruch als solcher sei falsch«, berichtete die SoZ anschließend. Der revolutionäre Charakter des Proletariats wurde nun auch offen von einigen Mitgliedern in Frage gestellt. Und bei der politischen Diskussion um den neuen deutschen Rassismus verlangten andere, den eigenen Rassismus in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen - bis hin zu der Forderung, die eigenen Organisationsstrukturen der Immigrantenbewegung zur Verfügung zu stellen.

Diese postmoderne Wende zumindest einer gewichtigen Minderheit der nun keine 300 Mitglieder mehr zählenden VSP nahm nach der Konferenz noch deutlich zu. Vor allem alte KPD/MLer begannen, die traditionellen Strukturen und Ideen sozialistischer Politik und Organisation u.a. als patriarchalische grundsätzlich in Frage zu stellen.

Der Zerfallsprozeß des VSP-Maoismus holte Prozesse nach, die andere Teile des deutschen Maoismus bereits hinter sich hatten. Waren es vor allem die exmaoistischen Kader, die in der Geschichte der VSP eine treibende Kraft der politischen Innovation spielten, so kippte dieser Avantgardismus nun in zunehmenden politischen Nihilismus um und fand bei den jüngeren, in den 80er Jahren politisierten Genossen einen aufnahmebereiten Resonanzboden. Mit viel Energie beispielsweise diskutierte man vermeintlich antisemitische Äußerungen in der SoZ. Und aus Gründen der political correctness wurde die jährlich zum 1. Mai erscheinende und über die Grenzen der Linken bekannte VSP-Massenzeitung Blind in Blech umgetauft.

Die VSP-Minderheitsfraktion spaltete sich schließlich Ende 1993 von der VSP ab - eine Entwicklung, die sich seit 1991 langsam abgezeichnet hatte - und suchte im Revolutionär- Sozialistischen Bund (RSB) ihre Ruhe vor einer Entwicklung, mit der sie politisch nie richtig umzugehen verstand. Damit konnte der für die VSP-Identität so zentrale Vereinigungsanspruch nicht einmal mehr intern aufrechterhalten werden. Andererseits verdeutlichte sich gerade beim RSB, daß die Preisgabe des VSP- Selbstverständnisses und die Reaktivierung längst vergangener Organisationsvorstellungen noch schneller ins politische Abseits führen mußte.

Renovierungsversuche

Gaben sich die übriggebliebenen Mitglieder, nach der Abspaltung weniger als 200, der Hoffnung hin, daß das Ende der innerparteilichen Opposition neue Energien freisetzen könnte, so erwies sich auch dies mit der Zeit als falsch. Das bundesweite Organisationsleben verfiel immer mehr, ebenso die Leitungsstrukturen. Statt dessen nahm die Bedeutung der weniger verbindlichen VSP-Ortsgruppen-Konferenzen zu.

Mitte 1994 wurde die Parteisatzung von altem, vermeintlich sektiererischem Ballast entschlackt (das ZK hieß nun Leitung, die ZDK Bundeskonferenz, die ZK-Abteilungen Arbeitsgruppen etc.) und eine neue Selbstverständnisdebatte beschlossen, in der nicht mehr nur der gemeinsame Minimalkonsens, sondern auch die internen Unterschiede aufgezeigt werden sollten.

Hatte sich die SoZ-Redaktion bereits Ende 1992 ein Redaktionsstatut gegeben, um ihre Arbeit transparenter und demokratischer zu gestalten, so begann man ab Ende 1993, eine mögliche Erweiterung der Herausgeberschaft über die VSP hinaus zu diskutieren. Generell wurde die SoZ professioneller gestaltet und auch personell breiter getragen. Doch die Identifikation der SoZ mit der VSP ließ zunehmend nach und die Auflage begann langsam, aber deutlich auf 1 750 Exemplare Ende 1994 zu sinken. Die Auflage der vierseitigen Massenzeitung SoZ-aktuell sank dramatisch auf durchschnittlich nur noch 10 000 Stück und wurde vom monatlichen Rhythmus auf vierteljährliches Erscheinen umgestellt und entsprechend in SoZ-extra umbenannt. Als neue Beilage der SoZ erschien seit Ende 1994 die SoZ- Bibliothek, in der umfangreiche Diskussionsbeiträge aus der internationalen Linken veröffentlicht wurden. Alle Versuche jedoch, zumindest mit der SoZ in eine neue politische Offensive zu gelangen, scheiterten.

Die Abwärtsspirale brach sich nun weitgehend ungehemmt Bahn. Die einzelnen Mitglieder machten - auch dort, wo sie Leitungsfunktionen inne hatten, - fast nur noch »ihr Ding«, die Gruppenkollektivität zerfiel zunehmend. Man koexistierte friedlich, scheute allerdings jede ernsthafte Aufarbeitung der eigenen Geschichte und Fehler und fand immer weniger Kraft und Lust, selbst interne Rundbriefe, Materialien und Protokolle zu verfassen sowie programmatische Erklärungen zu erarbeiten.

Im Bundestagswahlkampf 1994 einigte man sich noch auf einen gemeinsamen Wahlaufruf für die PDS. An der beschlossenen Selbstverständnisdiskussion beteiligten sich jedoch nur noch wenige und dies in einem Ton, der jede grundlegende Gemeinsamkeit vermissen ließ. Entsprechend wurde auch dieser Versuch eines Neuanfangs auf der Delegiertenkonferenz von 1995 sang- und klanglos beerdigt. Nennenswerte Teile der nun nur noch etwa 150 Mitglieder zählenden Organisation, davon nur noch ein Fünftel Frauen, wollten sich fortan explizit mit einem Diskussionszusammenhang begnügen. Entsprechend nannte man sich nun um und buchstabierte VSP fortan mit Vereinigung für sozialistische Politik. Außer zu Absichtserklärungen sollte es auch in Zukunft zu keiner politischen Vereinheitlichung mehr kommen. Die VSP versank in Agonie.

Das Ende

Ein letztes Aufbäumen war nochmals Ende 1998 zu spüren, als knapp die Hälfte der bestenfalls noch 100 Mitglieder zählenden Organisation zusammenkam, um die Perspektiven nach dem Regierungsantritt von SPD und Bündnisgrünen zu erörtern. Im Aufeinanderprallen teils unterschiedlicher, teils sich überlappender strategischer Visionen war noch einmal ein blasser Glanz alter Zeiten zu vernehmen, doch die Wunden und Gräben waren bereits zu tief. Zu mehr als einem erneuten politischen Kater reichte es nicht mehr. Ein Jahr später beschloß man schließlich, sich an die Umsetzung der organisatorischen Konsequenzen der internen Situation zu machen. An gemeinsame Politik war nicht mehr zu denken, einzig die Zweiwochenzeitung SoZ bildete noch einen gemeinsamen Nenner. Dieser Nenner sollte auf jeden Fall erhalten bleiben. Das Ergebnis war die Auflösung der politischen Organisation und der Versuch, in einem Trägerverein die SoZ weiter herauszugeben. Auf dem letzten VSP-»Ratschlag«, wie es nun hieß, beschloß man im Dezember 2000 formvollendet die politische Auflösung. Alle sich noch als Mitglieder der ehemaligen VSP verstehenden Menschen wurden aufgefordert, in den Verein für solidarische Perspektiven e.V. einzutreten und ernsthaft über eine Stabilisierung der immer stärker in die finanzielle Krise geratenen SoZ nachzudenken.

Das Grunddilemma der späten VSP, ihre Unfähigkeit zu einer kollektiven Erneuerung sozialistischer Politik jenseits alter Strömungen, wurde jedoch durch diesen Schritt nicht gelöst. Konsequent, aber überraschend selbst für manche aus den eigenen Reihen, wurde auf demselben Treffen, das die VSP politisch beerdigte, die Gründung einer neuen, nun wieder weitgehend trotzkistischen Organisation angekündigt. Das historisch und politisch bemerkenswerte Projekt einer Vereinigung unterschiedlicher revolutionär-sozialistischen Gruppen war nicht nur endgültig gescheitert, es fand auch in den eigenen Reihen keine Fürsprecher mehr.