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Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit

Der Schriftsteller Stefan Heym ist einer der bekanntesten deutschen Autoren. Er selbst hat gegen die Nazis gekämpft und war die „bekannteste Unperson“ der DDR. Für den SVU  sprach Oliver Nachtwey mit ihm.

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Warum war die DDR kein Sozialismus?

Man könnte darauf sehr einfach antworten: weil sie zugrunde gegangen sind. Also kann es kein Sozialismus gewesen sein. Beim richtigen Sozialismus würden die Menschen ihn getragen haben und nicht versucht haben wegzugehen und den Kapitalismus wieder einzuführen. Ich glaube, deshalb kann etwas an diesem Sozialismus nicht richtig gewesen sein. Denn ein wirklicher Sozialismus, der wäre ja so gewesen, dass die Menschen Gefallen an ihm gefunden hätten und festgestellt hätten, dass er ihnen hilft in ihrem Leben. Und dann hätten sie ihn nicht so leicht  aufgegeben.

Ich kann ihnen jetzt keine Liste geben von Dingen, die falsch gewesen sind. Es wäre eine sehr lange Liste und dann müsste man dann sehr viel debattieren. Das müssen schon die Leute machen, - die Fehler analysieren -, die direkt damit zu tun gehabt haben.

In ihrem Roman „Fünf Tage im Juni„ schreiben sie, dass die Arbeiter gegen den Arbeiterstaat revoltiert hätten. War es in nachhinein vielleicht gar kein Arbeiterstaat?

Die Leute, die diesen Staat gelenkt haben, waren natürlich auch ehemalige Arbeiter, aber ich glaube, dass ihnen etwas passiert ist, wovor man sich sehr in acht nehmen muss. Dass sie nämlich die Verbindung, den inneren Konnex mit de Arbeitern verloren haben im Laufe der Konstruktion ihres Herrschaftsgebäudes.

Macht ist ja etwas sehr Verführerisches. Wenn sie nur auf einen Knopf zu drücken brauchen, um etwas geschehen zu lassen, dann verändert das auch ihre ganze Haltung zum Leben.

Und dann glauben sie, dass alle, auf allen Gebieten, ihnen den selben Gehorsam entgegenbringen müssen wie dieser Knopf. Und das ist eben der Kernschaden bei der Sache.

Warum ist das den Leuten passiert?

Das ist, glaube ich, die menschliche Psyche. Wenn Sie in der Geschichte zurückgehen, werden sie auch in anderen Perioden feststellen, dass Macht diese Wirkung auf die Menschen hat. Es war ein englischer Lord, der Name entfällt mir im Augenblick, der gesagt hat: „Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert absolut.“

Es gibt eine zentralen Satz von Marx, wo er gesagt hat: „Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiterklasse selbst sein.“ Aber die Revolution, die dafür notwendig ist, hat in der DDR nie stattgefunden.

Das ist wahr. Das habe ich auch schon mehrmals festgestellt, und gesagt und geschrieben: dass die Macht nicht erobert wurde in der DDR von den Arbeitern oder von den Leuten, die die DDR dann regiert haben, sondern die Macht wurde ihnen geschenkt von der Roten Armee. Trotzdem bedeutet das nicht, dass die nicht auch eigene Bemühungen unternommen hätten und Sie müssen ja auch sehen, dass diese Leute in der Zeit der Diktatur der Bourgeoisie, d.h. als die Nazis, an der Macht waren, dass sie damals in die KZs gesteckt wurden, in die Gefängnisse, z. T. hingerichtet wurden; d.h. die haben schon gekämpft, aber nicht siegreich.

War das der Grund, warum Stalin in dieser Zeit eine solche Bindungskraft entwickeln konnte?

Er war ja der Hauptvertreter der Partei, die eine Revolution durchgeführt hatte und die eine Struktur errichtet hatte, die ihnen gestattete, einen ganz großen Teil der Welt zu beherrschen. Das war schon eine große Verlockung, es genauso zu versuchen, wie die es gemacht haben, oder sich ihnen zu unterwerfen und ihnen zu sagen: zeigt uns mal, wie man das macht. Ich glaube, wenn sie z.B. an die Macht kämen, und sie fänden irgendwo ein Vorbild, dann würden sie dem auch folgen. Und einem Freund, sie dürfen ja nicht vergessen, die waren Freunde, man nannte sie auch die Freunde.

Wer?

In der DDR sprach man von den sowjetischen Menschen als die Freunde. Die Freunde haben soundso gesagt, die Freunde haben soundso gemacht.

War diese Sprechweise nicht hauptsächlich eine Phrase, eine Oberfläche?

Das war eine Form, in der man von denen sprach und dahinter versteckte sich natürlich eine innere Haltung. Das muss man sehen.

In ihrem Buch wechselt eine der Hauptfiguren, der Architekt Sundstrom, seine Gesichter. Auf der einen Seite benutzt er die Sprache des offiziellen DDR-Jargons, auf der anderen spricht er wie ein ganz normaler Mensch. Es kann aber von einem auf den anderen Moment wechseln.

Eine sehr interessante Beobachtung, die Sie da machen. Aber ich glaube, dass das bei vielen Menschen in der DDR so war, besonders bei höheren Funktionären. Die redeten in Versammlungen oder in Konferenzen oder bei Besprechungen auf eine bestimmte Weise und wenn sie abends zusammen saßen mit Freunden oder mit ihrer Frau oder mit ihrer Familie, dann redeten sie wie andere auch - nämlich menschlich. Und das widerspiegelt sich auch in der Literatur. Ist doch klar, dass wenn ein Sundstrom mit seiner Julia redet, dass er da nicht parteichinesisch spricht.

In ihrem Roman vergleichen sie die stalinistische Architektur mit der der Nazis. Was sind die Gründe für die Ähnlichkeiten?

Es geht ja nicht nur um stalinistische Architektur. Bei einem Besuch meiner Schwägerin aus Amerika, als ich sie durch die Stalin-Allee führte und ihr sagte, das sei eine sehr teure und nicht sehr nützliche Art des Bauwesens, sagte sie nein, dass gefalle ihr sehr, das sei ja genau wie bei ihr in New York die Park Avenue. Da ich die Park Avenue kannte, fiel es mir wie ein Schleier von den Augen. Das stimmte ja. Also, die New Yorker Park Avenue hat ihrer Verwandtschaft mit der Stalinschen Architektur genauso wie die Speersche Charlottenburger Chaussee. Und ich glaube, es gibt da ein gemeinsames Muster. Nämlich jedesmal entsteht eine solche Architektur, wenn sie eine Klasse oder eine Gruppe von Menschen haben, die zeigen wollen: wir sind wer, wir können uns das leisten. Und das war sicher auch die Absicht von den Stalin-Leuten und von der SED. Die wollten zeigen, wir haben Macht und wir haben auch die Mittel, um derartig verschwenderisch zu bauen.

Alle bisherigen Revolutionen, genauso wie die sogenannten sozialistischen Länder, sind gescheitert, bzw. sie haben die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt. Muss man die Hoffnungen jetzt aufgeben?

Ich meine, dass der siegreiche Kapitalismus auch nicht das letzte ist, das beste, was die Menschheit erreichen kann, sondern dass es auch da große Widersprüche gibt und viele Millionen, die leiden und die sich nach anderen Möglichkeiten umsehen, nach Alternativen, wie man das nennt. Zur Zeit gibt es keine aktiv existierende Alternative. Auch die Chinesen versuchen praktisch einen Kapitalismus zu machen. Und von Kuba können wir im Augenblick nicht sprechen – das ist zu klein. Die Menschen werde sich also umsehen - in 50 Jahren oder ich weiß nicht in welcher Zeit, vielleicht ist es auch weniger - nach Alternativen. Und da wird sich eine Erinnerung anbieten – da war doch mal was! –, da waren immerhin 70 Jahre Sowjetunion und waren immerhin 40 Jahre DDR. Und das hat Spuren hinterlassen. Schon jetzt also, 10 Jahre nachdem der Laden hier zusammengebrochen ist, denken Leute daran zurück und denken nicht nur an die Fehler, die damals gemacht wurden, sonder auch daran, was gut war und nützlich war. Als hauptsächlichen Vorzug damals sehe ich das Verhältnis der Menschen zueinander. Im allgemeinen war da nicht der Ellbogen das Hauptorgan des Menschen, sondern er hatte auch noch ein Herz. Und das ist jetzt, im gegenwärtigen Zustand, umgekehrt. Das Hauptorgan ist nicht mehr das Herz, sondern der Ellbogen.

Ich würde behaupten, dass gerade der Untergang des Ostblocks, die Idee eines libertären Sozialismus wiederbeleben kann, weil man nicht mehr die Diktatur, die im Namen de Sozialismus herrschte, als Alternative vor Augen hat.

So können sie das sehen. Man muss aber vor allem wieder von vorn anfangen. Man muss also neue Formen entwickeln.

Wie können die aussehen?

Ich weiß nicht, wie man das machen will und welche Formen das dann sein werden, aber die Möglichkeit besteht. Es war natürlich sehr schwer, innerhalb der existierenden DDR etwas durchzuführen oder durchzusetzen, was nicht dem Willen der Oberen oder dem Willen des Apparats entsprach. Jetzt gibt es die Oberen nicht mehr, der Apparat ist auch kaputt, also wenn jetzt etwas neues anfängt, dann hat man wenigstens nicht diese hindernden Elemente. Insofern können Sie sagen, es wird leichter sein. Aber glauben Sie bloß nicht, eine Revolution machen und dann versuchen, ein neues System zu erreichen, dass das ein leichter Job sein wird.

Ich fürchte auch..

Vielleicht können sie das sogar erleben - ich weiß es nicht -, einen solchen Versuch. Sie haben eine Chance mit ihren 25 Jahren.

Warum wurden sie Sozialist ?

Weil mir gar nichts anderes übrig blieb. Weil ich gegen die Nazis war und die Nazis mich verfolgt haben. Da gab es nur eine Gegenkraft, und das war also die Linke. Wobei ich natürlich damit beides einbegreife, die Kommunisten und die Sozialdemokraten. Und auch die anderen, die zu keiner der beiden Gruppierungen zählten.

Was halten sie von dem neuerlichen Aufstieg von Nazis?

Ich finde, man soll mit allen Maßnahmen, die möglich sind, diese Nazis und die Neonazis und die Glatzen und all das bekämpfen. Nicht nur mit ihnen diskutieren, sondern sich auch wehren. Ich sage: keine Freiheit für die, die die Freiheit abschaffen wollen, keine Demokratie für die, die die Demokratie zugrunde richten wollen. Und das muss man tun auch mit Gewalt. Ich würde z.B. diesen Glatzköpfen ihre Waffen wegnehmen. Ich betrachte auch ihre Stiefel als Waffen. Denn mit diesen Stiefeln treten die den Menschen den Schädel und das Gesicht ein. Man soll ihnen ihre Stiefel ausziehen, dann wird man gleich sehen, dass sie sehr klein werden - mit Hut. Und sie dann wegschicken. Aber nicht sagen: Brüder ihr seid also mal schlecht behandelt worden oder irgendwie und daher seid ihr jetzt böse geworden. Nein sie sind böse. Punkt. Das darf man ihnen nicht gestatten. Man darf man ihnen nicht gestatten, dass sie andere Menschen terrorisieren und kaputtschlagen und töten. Diese Menschen, die eine andere Hautfarbe haben oder eine andere Religion oder was auch immer.

Was kann jeder einzelne tun?

Das hängt davon ab - vom tägliche Leben. Im täglichen Leben muss jeder einzelne dagegen auftreten. Man soll sich auch dagegen organisieren. Man soll vor allen Dingen auch die Organe des Staates dazu zwingen, gegen diese Leute vorzugehen endlich und nicht so zu tun, als ob sie irregeleitete Kinder sind. Das sind sie nicht. Das sind böse Gestalten. Das sind Mörder, potentielle und richtige.

Eine Variante waren die Ideen von Leo Trotzki. Sie sind bis heute lebendig, sind sie mit ihnen vertraut?

Einige würde ich durchaus unterstützen und empfehlen, nicht alle. Ich vergesse auch nicht, dass Trotzki schon 1905 in der Revolution eine führende Rolle gespielt hat. Und dass seine Ideen doch recht fruchtbar waren. Ob sie in Russland nach der Revolution erfolgreich gewesen wären, wenn man ihn hätte machen lassen, das kann ich nicht sagen. Das ist wie überhaupt alle Wenn-Fragen in der Geschichte, die kaum endgültig zu beantworten sind.

Die Theorie von der Globalisierung besagt, dass die multinationalen Konzerne nicht mehr an Grenzen gebunden und deshalb nicht mehr zu kontrollieren sind. Was halten Sie davon?

Das sind Gedanken, mit denen ich mich nicht immer beschäftige. Ich sehe, dass die Konzerne, dass die großen Banken usw. natürlich sich um Grenzen nicht scheren. Das haben sie aber nie getan. Dass große internationale Konzerne sich miteinander verbinden und noch größere Konzerne schaffen in der Hoffnung, dass sie dadurch noch mehr Rendite erhalten werden, noch mehr Einkommen schaffen werden, das ist doch selbstverständlich. So hat sich die ganze Sache von vornherein entwickelt. Das ist an sich nichts neues. Dass das aber der Mehrheit der Menschen nicht viel nutzen bringen wird, das halte ich auch für wahrscheinlich. Sondern dass es eben nur Nutzen bringen wird für die Besitzenden.

Nach den Demonstrationen von Seattle, Melbourne und Prag zeichnen sich die Konturen einer neuen weltweiten Bewegung gegen den Kapitalismus ab. Erlebt die Globalisierung einen globalen Widerstand?

Das ist durchaus möglich, dass es sich so entwickelt. Was ich ihnen vorhin schon sagte: die Zustände sind so, dass die Suche nach einer Alternative kommen wird oder schon da ist. Und dass diese Alternative notwendigerweise dann sozialistische Züge tragen wird, das halte ich auch für wahrscheinlich.