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Zur Dialektik der Wertform


von Hans-Georg Backhaus
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Bei einer kritischen Durchsicht der Sekundärliteratur zum Kapital läßt sich der Nachweis erbringen, daß die Arbeitswerttheorie nur in einer grob vereinfachten und häufig gänzlich entstellten Form rezipiert oder kritisiert worden ist. So ist es vor allem der positivistischen Marx-Interpretation eigentümlich, klassische und marxistische Werttheorie zu identifizieren. Schumpeter steht stellvertretend für andere, wenn er die Eigenständigkeit der Marxschen Wertanalyse bestreitet: „Das wirkliche Verständnis seiner Wirtschaftslehre beginnt mit der Erkenntnis, daß er als Theoretiker ein Schüler Ricardos war.“ [ 1 ] „Seine Werttheorie ist die Ricardianische. (...) Marxens Argumente sind bloß weniger höflich, weitschweifiger und ‘philosophischer’ im schlimmsten Sinne des Wortes.“ [ 2 ] Die „ökonomistische“ Interpretation muß jedoch die kritische Intention der Marxschen Werttheorie verfehlen: aus der Kritik der politischen Ökonomie wird eine „Wirtschaftslehre“ neben vielen anderen. Das positivistische Verständnis führt notwendig dazu, die Marxsche Theorie der Gesellschaft in ein Bündel von soziologischen und ökonomischen Hypothesen oder „Tatsachenbeobachtungen“ aufzulösen. Die von Böhm-Bawerk als „dialektischer Hocuspokus“ oder von Schumpeter als „philosophisch“ diskreditierten Argumente finden sich vor allem in der Lehre von der Wertform. Soweit diese überhaupt zur Darstellung kommt, wird sie entweder unverständlich oder aber kommentarlos referiert. Die Verständnislosigkeit der Interpreten ist um so erstaunlicher, als Marx, Engels und Lenin wiederholt auf die eminente Bedeutung der Wertformanalyse hingewiesen haben. Im Vorwort zum Kapital warnt Marx nachdrücklich davor, die Lehre von der Wertform zu vernachlässigen: „Für die bürgerliche Gesellschaft ist aber die Warenform des Arbeitsprodukts oder die Wertform der Ware die ökonomische Zellenform. Dem Ungebildeten scheint sich ihre Analyse in bloßen Spitzfindigkeiten herumzutreiben.“ (23/12) Die Ricardo-Schule eingeschlossen, habe sie „der Menschengeist seit mehr als 2000 Jahren vergeblich zu ergründen gesucht“. (Ebd.) Aus dem Zitat geht hervor, daß Marx in Anspruch nimmt, zum ersten Mal in der Geschichte der Forschung diese „rätselhafte Form“ durchschaut zu haben.

Die mangelhafte Rezeption der Wertformanalyse ist aber nicht allein einer gewissen Problemblindheit der Interpreten anzulasten. Die Unzulänglichkeit ihrer Darstellungen läßt sich wohl nur von der Annahme her verstehen, daß Marx keine abgeschlossene Fassung seiner Arbeitswertlehre hinterlassen hat. Obwohl er sie in der Kritik der politischen Ökonomie von 1859 bereits entwickelt hatte, sah Marx sich genötigt, die Wertformanalyse in drei weiteren, jeweils voneinander abweichenden Fassungen darzustellen, „weil selbst gute Köpfe die Sache nicht ganz richtig begriffen, also etwas Mangelhaftes an der ersten Darstellung sein mußte, speziell der Analyse der Ware“. (31/534) Eine zweite, gänzlich neue Darstellung gibt Marx in der Erstauflage des Kapital. Doch schon während der Drucklegung wurde Marx von Engels und Kugelmann auf die „Schwerverständlichkeit“ der Wertformanalyse hingewiesen und deshalb angeregt, eine dritte, nunmehr popularisierte Darstellung als Anhang hinzuzufügen. Eine vierte, wiederum von den vorhergegangenen Darstellungen abweichende Fassung wird für die zweite Auflage des Kapital erarbeitet. Weil aber in dieser vierten und letzten Fassung die dialektischen Implikationen der Wertformproblematik immer mehr verblassen und Marx bereits in der Erstauflage „die Analyse der Wertsubstanz (...) möglichst popularisiert“ (23/11) hat, mußten erhebliche Meinungsverschiedenheiten in der Interpretation dessen auftreten, was Marx mit den Begriffen „Wertsubstanz“ und „abstrakte Arbeit“ bezeichnen wollte. [ 3 ] Es bleibt daher ein vordringliches Desiderat der Marx-Forschung, aus den mehr oder minder fragmentarischen Darstellungen und den zahlreichen, in anderen Werken verstreuten Einzelbemerkungen das Ganze der Werttheorie zu rekonstruieren.

Im Vorwort zur Erstauflage des Kapital spricht Marx noch ausdrücklich davon, daß „Dialektik“ seine Darstellung der Arbeitswertlehre kennzeichne. (II.5/11 f.) Wenn die herkömmlichen Interpretationen ausnahmslos diese Dialektik ignorieren, so muß der Frage nachgegangen werden, ob das „Mangelhafte der Darstellung“ nicht nur die Wertformanalyse, sondern schon die beiden ersten Abschnitte im ersten Kapitel des Kapital betrifft. Lenin insistiert auf dem dialektischen Charakter des Marxschen Verfahrens: „Man kann das Kapital von Marx und besonders das erste Kapitel nicht vollkommen begreifen, wenn man nicht die ganze Logik Hegels durchstudiert und begriffen hat.“ Er schließt hieraus: „Folglich hat nach einem halben Jahrhundert keiner von den Marxisten Marx begriffen!!“ [ 4 ] Hat also „nach einem ganzen Jahrhundert keiner von den Marxisten Marx begriffen“, oder ist Marx in seiner Popularisierung der beiden ersten Abschnitte des Kapitels Die Ware so weit gegangen, daß die ‘Deduktion’ des Werts sich überhaupt nicht mehr als dialektische Bewegung begreifen läßt?

Im ersten Abschnitt geht Marx bekanntlich in der Weise vor, daß’; er von dem ‘empirischen’ Faktum Tauschwert ausgeht und diesen als „Erscheinungsform eines von ihm unterscheidbaren Gehaltes“ bestimmt. Dasjenige, was dem Tauschwert ‘zugrunde’ liegen soll, wird Wert genannt. Im Fortgang der Analyse ist dieser zunächst jedoch unabhängig von seiner Form zu betrachten. Die von der Erscheinungsform unabhängige Analyse des Wesens führt nun dazu, daß Marx gänzlich unvermittelt, ohne Aufweis einer inneren Notwendigkeit, zur Analyse der Erscheinungsform zurückkehrt: „Wir gingen in der Tat vom Tauschwert (...) der Waren aus, um ihrem darin versteckten Wert auf die Spur zu kommen. Wir müssen jetzt zu dieser Erscheinungsform des Wertes zurückkehren.“ (23/62) Ist nun diese Entwicklung noch als Ausdruck jener Methode verstehbar, die Marx in seiner Einleitung zu den Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie als das Aufsteigen „vom Abstrakten zum Konkreten“ (42/35) charakterisiert? Die „Reproduktion des Konkreten“, das sich nunmehr als „reiche Totalität von vielen Bestimmungen“, - als „Einheit des Mannigfaltigen“ (ebd.) darstellen soll, wird doch wohl erst von folgender Fragestellung her verständlich: Wie wird der Wert zum Tauschwert und zum Preis - warum und in welcher Weise hat der Wert sich im Tauschwert und im Preis als den Weisen seines „Andersseins“ aufgehoben? Mir scheint, daß die Darstellungsweise im Kapital keineswegs das erkenntnisleitende Motiv der Marxschen Wertformanalyse durchsichtig macht, die Frage nämlich, „warum dieser Inhalt jene Form annimmt“. (23/95; Herv. d. Verf.) Die mangelhafte Vermittlung von Substanz und Form des Werts kommt schon darin zum Ausdruck, daß in der Entwicklung des Werts ein Bruch aufweisbar ist: Der Übergang vom zweiten zum dritten Abschnitt des ersten Kapitels ist als notwendiger Übergang nicht mehr einsichtig. Was sich daher dem Leser einprägt, ist die scheinbar leichtverständliche Lehre von der Wertsubstanz und dem Doppelcharakter der Arbeit, die in den beiden ersten Abschnitten entfaltet wird. Der dritte Abschnitt aber - die Lehre von der Wertform wird meist nur als zusätzlicher Beweis oder als „dialektisches“ Ornament dessen verstanden, was in den beiden ersten Abschnitten ohnehin schon abgeleitet wurde. Daß der „allgemeine Gegenstand“ als solcher, das heißt der Wert als Wert sich gar nicht ausdrücken läßt, sondern nur in verkehrter Gestalt „erscheint“, nämlich als „Verhältnis“ von zwei Gebrauchswerten, entzieht sich dem Verständnis des Lesers. Ist aber die Entwicklung Tauschwert - Wert - Wertform nicht mehr begreifbar als dialektische „Bewegung vom unmittelbaren ‘Sein’ durch das ‘Wesen" zur vermittelten ‘Existenz’“, dergestalt, daß „die Unmittelbarkeit aufgehoben und als vermittelte Existenz wieder gesetzt wird“, [ 5 ] so wird auch der Ursprung jener ‘dialektischen Interpretationen’ verständlich, die auf eine Karikatur von Dialektik hinauslaufen. Die Marxsche Warenanalyse stellt sich dann dar als - unvermittelter - „Sprung vom Einfachen zum Komplizierten, von der Substanz zur Erscheinungsform“. [ 6 ] Das Wesen im Unterschied zur Erscheinungsform wird formallogisch als das „Allgemeine, Typische und Hauptsächliche“ bestimmt. Die Vermittlung von Wesen und Erscheinungsform ist nur noch als pseudodialektische Bewegung pseudodialektischer Widersprüche konstruierbar: „Das Allgemeine existiert (...) nicht unabhängig von den Einzelerscheinungen. Es ist als Allgemeines, Invariantes (!) in ihnen enthalten.“ [ 7 ] Selbst jene Autoren, die in Anspruch nehmen können, „die ganze Logik Hegels durchstudiert und begriffen zu haben“, geben keinen Aufschluß darüber, in welcher Weise die Grundbegriffe der Werttheorie dialektisch strukturiert sind. Die dialektische Methode kann sich nicht darauf beschränken, die Erscheinungsform nur auf das Wesen zurückzuführen: sie muß darüber hinaus auch zeigen, warum das Wesen gerade diese oder jene Erscheinungsform annimmt. Statt sich darauf zu konzentrieren, die dunklen und scheinbar unerklärbaren Stellen zu interpretieren, erfolgt die Darstellung bei jenen ‘philosophischen’ Marxisten vielfach rein referierend.

Der Bruch zwischen den beiden ersten Abschnitten und dem dritten Abschnitt macht aber nicht nur die methodologische Struktur der Wertlehre problematisch, sondern erschwert vor allem das Verständnis dessen, was Marx unter der „selbst einigermaßen geheimnisvollen Überschrift“ [ 8 ] Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis entwickelt. Diese Überschrift bezeichnet bekanntlich den vierten Abschnitt des ersten Kapitels. Von einer unsystematischen und deshalb das Verständnis der Lehre vom Fetischcharakter erschwerenden Gliederung der ersten Abschnitte muß gesprochen werden, weil das „Geheimnis“ nicht erst im vierten, sondern bereits im dritten Abschnitt sichtbar wird und in der Lehre von den drei Eigentümlichkeiten der Äquivalentform dechiffriert sein soll. Daß der Inhalt des vierten Abschnitts nur vom dritten her verständlich wird, geht schon aus der Gliederung des Anhangs der Erstauflage von 1867 hervor, dem Marx den Titel „Wertform“ vorangestellt hat. Dieser Anhang - nur als popularisierte Fassung der Wertformanalyse konzipiert - enthält die Analyse des Fetischismus, freilich nicht als selbständige Lehre, sondern lediglich als „vierte Eigentümlichkeit“ der Äquivalentform.

Diese Zuordnung läßt erkennen, daß die Lehre vom Fetischcharakter - in der zweiten Auflage des Kapital erweitert und als vierter Abschnitt konzipiert - ihrem Inhalt nach nur als verselbständigter Teil des dritten Abschnitts zu verstehen ist. Die Eliminierung oder kommentarlose Darstellung des dritten Abschnitts, der die „Dunkelheit der ersten Kapitel des Kapitals über den Wert“ [ 9 ] ausmacht, äußert sich vor allem in folgenden Fehlinterpretationen:

1. Zahlreiche Autoren ignorieren den Anspruch der Arbeitswertlehre, das Geld als Geld abzuleiten und somit eine spezifische Geldtheorie zu inaugurieren. Es ist dann nicht mehr verwunderlich, wenn diese Interpreten nur die Werttheorie darstellen, die Geldtheorie hingegen ausscheiden oder korrigieren und deshalb kaum noch imstande sind, den Unterschied zwischen der klassischen und der marxistischen Arbeitswerttheorie plausibel zu machen. Sie verkennen, daß die Grundbegriffe der Werttheorie nur dann verstanden sind, wenn sie ihrerseits das Verständnis der geldtheoretischen Grundbegriffe ermöglichen. [ 10 ] Die Werttheorie ist adäquat interpretiert, wenn die Ware so gefaßt wird, daß sie sich im Prozeß eines „immanenten Über-sich-Hinausgehens“ als Geld setzt. Dieser innere Zusammenhang von Ware und Geld verbietet es, die Marxsche Werttheorie zu akzeptieren und dabei die mit ihr gesetzte Geldtheorie zu verwerfen. Die „Roheit und Begriffslosigkeit“, Produktions- und Zirkulationssphäre - „das organisch Zusammengehörende“ - „zufällig aufeinander zu beziehn, in einen bloßen Reflexionszusammenhang zu bringen“ (42/23), kennzeichnend für die Interpretation der austromarxistischen Schule, ist Ausdruck der Unfähigkeit, die Werttheorie als Wertformanalyse zu verstehen.

2. Der Zusammenhang zwischen der Arbeitswertlehre marxistischer Prägung und dem Phänomen der Verdinglichung bleibt undurchsichtig. Marx hebt zwar im vierten Abschnitt ausdrücklich hervor: „Die späte wissenschaftliche Entdeckung, daß die Arbeitsprodukte, soweit sie Werte, bloß sachliche Ausdrücke der in ihrer Produktion verausgabten menschlichen Arbeit sind, macht Epoche in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit, aber verscheucht keineswegs den gegenständlichen Schein der gesellschaftlichen Charaktere der Arbeit.“ (23/88) „Die Bestimmung der Wertgröße durch die Arbeitszeit ist (...) ein unter den erscheinenden Bewegungen der relativen Warenwerte verstecktes Geheimnis. Seine Entdeckung hebt den Schein der bloß zufälligen Bestimmung der Wertgrößen der Arbeitsprodukte auf, aber keineswegs ihre sachliche Form.“ (23/89) Diese klare Aussage hält aber zahlreiche Autoren keineswegs davon ab, eben jenes „unter den erscheinenden Bewegungen der relativen Warenwerte versteckte Geheimnis“ als Untersuchungsgegenstand der Marxschen Lehre vom Warenfetischismus auszugeben. Diesen Interpretationen zufolge ist es das „Geheimnis“ der Wertgröße, nicht aber das „Geheimnis“ jenes „gegenständlichen Scheins“ oder der „sachlichen Form“, was den „mystischen Charakter“ der Ware ausmacht. Dann aber war schon mit den Entdeckungen der klassischen Arbeitswertlehre die Genesis der Verdinglichung durchschaut. Wiederum zeigt sich, daß eine isolierte Darstellung der Werttheorie die wesentliche Differenz der Marxschen und der klassischen Analyse nicht mehr hervortreten läßt.

Die das Wesen des Warenfetischismus verfehlende Darstellung läßt sich so kennzeichnen: Die Autoren referieren einige Sätze aus dem Fetischkapitel des Kapital und interpretieren sie begrifflich, meist auch terminologisch, in der Weise der Deutschen Ideologie - ein Manuskript, in dem Marx und Engels die Bedeutung der Arbeitswerttheorie noch verkannten. Das einschlägige Zitat lautet: Den Produzenten „erscheinen (...) die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das, was sie sind, d. h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen“. (23/87; Herv. d. Verf.) Aus diesem Zitat wird lediglich herausgelesen, daß die sozialen Verhältnisse sich den Menschen gegenüber „verselbständigt“ haben. Eine Feststellung, die das Thema der Frühschriften ausmacht und unter dem Stichwort „Entfremdung“ oder „Entpersönlichung“ zum Gemeinplatz konservativer Kulturkritik geworden ist. Worauf es in der Kritik der politischen Ökonomie ankommt, ist aber nicht die bloße Beschreibung dieses Tatbestands, sondern die Analyse seiner Genesis.

Eine genuine Interpretation des Fetischcharakters hat demnach diesen Text in folgender Weise aufzugliedern und zu untersuchen:

1. Wie ist für Marx das „gesellschaftliche Verhältnis der Sachen“ strukturiert?

2. Warum und inwiefern läßt sich das „Verhältnis der Sachen“ nur als eine „ihm selbst äußerliche und bloße Erscheinungsform dahinter versteckter menschlicher Verhältnisse“ (23/105) begreifen? Hieraus ergeben sich weitere Fragen.

a. Die „menschlichen Verhältnisse“ werden als „gesellschaftliche Beziehungen von Privatarbeiten“ oder auch als „gesellschaftliche Verhältnisse der Produzenten zur Gesamtarbeit“ definiert. Was ist unter den Begriffen „Verhältnis“ und „Gesamtarbeit“ zu verstehen?

b. Was bezeichnet den Grund, warum „gesellschaftliche Beziehungen“ notwendig dem Bewußtsein als ein Anderes „erscheinen“?

c. Was macht die Realität dieses Scheins aus: in welcher Weise ist dieser Schein selber noch ein Moment der Wirklichkeit?

d. Wie ist die Genesis abstrakter Wertgegenständlichkeit: zu begreifen: in welcher Weise „vergegenständlicht“ sich das Subjekt, tritt es sich selbst als Objekt gegenüber? - Dieser mysteriöse Sachverhalt läßt sich auch folgendermaßen beschreiben: Der Wert eines Produkts ist als ein Gedachtes vom Produkt selbst unterschieden. Andererseits jedoch ist der Wert immer nur Wert eines Produkts und erscheint so als „ideelle Form“ eines Materiellen. Als ein Gedachtes ist der Wert dem Bewußtsein „immanent“. In dieser Weise seines Seins wird er jedoch nicht gewußt: er setzt sich dem Bewußtsein als ein Fremdes entgegen. Die Realität der Arbeitsprodukte ist schon vorausgesetzt. Problematisch wird hier allein die Tatsache, daß die Arbeitsprodukte eine „von ihrer Realität verschiedne phantastische Gestalt“ annehmen und nicht die Konstitution des ens qua ens.

Wir werden uns hier nur mit der ersten Frage befassen: Wie beschreibt Marx jene Struktur, die er als „gesellschaftliches Verhältnis der Sachen“ bezeichnet? Es ist zunächst daran zu erinnern, daß die Gebrauchswerte immer schon in Preisform gesetzt sind. Insofern ist die Redeweise, daß die Gleichsetzung zweier Gebrauchswerte ein „Verhältnis“ herstellt, mißverständlich: Rock und Leinwand werden nicht gleichgesetzt, sondern sind je schon gleichgesetzt. Die Gleichsetzung ist vollzogen, weil sie einem Dritten, dem Gold, gleichgesetzt werden und auf diesem Umweg einander gleich sind. Das Wertverhältnis ist stets Wertausdruck. Diese Gleichsetzung ist dann aber eine nur dem Wertinhalt nach, bezüglich der Form jedoch eine Ungleichsetzung: das eine Produkt wird Ware, das andere Geld. Das Verhältnis der Sachen, das „Wertverhältnis“, ist als „Wertausdruck“ das Verhältnis von Ware und Geld. Als Preise sind die Produkte „nur verschiedene Quanta desselben Gegenstandes“ (13/33), „nur noch vorgestellte Goldquanta von verschiedener Größe“ (13/54). Sofern die Waren je schon als „Geldpreise dargestellt, (...) kann ich sie vergleichen; sie sind in fact schon verglichen. Um aber die Werte als Preise darzustellen, muß vorher der Wert der Waren als Geld sich dargestellt haben.“ (26.3/161)

Dieses Problem impliziert die Lösung der Frage: „Wie kann ich überhaupt eine Ware in einer andren oder Waren als Äquivalent darstellen?“ Der Inhalt der Marxschen Formanalyse ist die Genesis des Preises als Preis. Im Unterschied zur klassischen Arbeitswertlehre wird nunmehr der „Übergang“ vom Wert zum Tauschwert oder Preis als Problem erkannt: „Es ist einer der Grundmängel der klassischen politischen Ökonomie, daß es ihr nie gelang, aus der Analyse der Ware und spezieller des Warenwerts die Form des Werts, die ihn eben zum Tauschwert macht, herauszufinden.“ (23/95 Fn.) Es blieb den Ricardianern verborgen, daß ihre Behauptung, die Arbeit bestimme den Wert der Ware, dem Wertbegriff selbst äußerlich bleibt: Bestimmungsgrund und Bestimmungsobjekt dieser Aussage bleiben unterschieden und stehen in keinem „inneren Zusammenhang“. Die Arbeit verhält sich zum Wert auch dann noch als ein Fremdes, wenn die Wertgröße als Funktion der verausgabten Arbeitsmenge bestimmt wird. So ist die Grundannahme der klassischen Ökonomie bloß eine Versicherung - ein „metaphysisches Dogma“. Samuel Bailey, ein Vorläufer der subjektivistischen Werttheorie, war mit seiner Kritik an der klassischen Schule auf einen wunden Punkt gestoßen: „Wenn die Ricardianer dem Bailey grob, aber nicht schlagend antworten, so nur, weil sie bei Ricardo selbst keinen Aufschluß über den inneren Zusammenhang zwischen Wert und Wertform oder Tauschwert fanden.“ (23/98 Fn.; Herv. d. Verf.) Der „absolute Wert“ der Ricardo-Schule konnte deshalb von Bailey als ein „der Ware Eignes“, ihr „Innewohnendes“ [ 11 ] und somit als „scholastische Erfindung“ kritisiert werden. Bailey stellte die Frage: „’Einen Wert besitzen’, ‘einen Teil des Werts übertragen’ (...), ‘die Summe oder Gesamtheit der Werte’ usw. - ich weiß nicht, was das alles sagen will.“ [ 12 ] Er antizipiert die Kritik des modernen Subjektivismus, wenn er Ricardo vorhält: „Ein Ding kann ebensowenig an sich wertvoll sein ohne Bezug auf ein anderes Ding“. [ 13 ] „Der Wert einer Ware muß ihr Wert in etwas sein. (...) Es ist unmöglich, den Wert einer Ware zu bestimmen oder auszudrücken, es sei denn durch eine Menge irgendeiner anderen Ware.“ [ 14 ] Wert und Tauschwert oder Preis sind für Bailey identisch und als ein bloß quantitatives Verhältnis von Gebrauchswerten definiert. Zwar ist der Wert nur als „relativer Wert“, als ein Verhältnis von Dingen ausdrückbar. Allein, „die Waare steht nicht einfach dem Geld gegenüber; sondern ihr Tauschwerth erscheint an ihr ideell als Geld, als Preiß ist sie ideelles Geld“. (II.2/69) Das Verhältnis von Ware und Geld ist also nicht nur ein quantitatives, sondern in mysteriöser Weise qualitativ strukturiert: als Waren sind die Produkte „ideelle Quanta Gold“, das Gold aber ist die „Realität ihres eignen Preisses“. (Ebd.) Der Versuch Baileys, den Wert auf eine bloß quantitative Relation zu reduzieren, eskamotiert also die Problematik der Ware-Geld-Gleichung. „Weil er es in der monetary expression ausgedrückt findet, braucht er nicht zu ‘begreifen’, wodurch dieser Ausdruck möglich wird (...) und was er in der Tat ausdrückt.“ (26.3/155) - Marx kritisiert die subjektivistische Position in einer Weise, deren grundlegende Bedeutung für die Kritik am modernen Positivismus, zumal dem der linguistischen Analyse, nur unzulänglich erkannt ist: „Es zeigt uns dies die Art der Kritik, die die in den widersprechenden Bestimmungen der Dinge selbst liegenden Schwierigkeiten gern als Reflexionsprodukte oder Widerstreit der definitions wegschwatzen will.“ (26.3/129) „Daß das Paradoxon der Wirklichkeit sich auch in Sprachparadoxen ausdrückt, die dem common sense widersprechen, dem what vulgarians mean and believe to talk of, versteht sich von selbst. Die Widersprüche, die daraus hervorgehn, daß (...) Privatarbeit sich als allgemeine gesellschaftliche darstellt, (...) liegen in der Sache, nicht in dem sprachlichen Ausdruck der Sache.“ (26.3/134) Seiner minuziösen Auseinandersetzung mit Bailey ist aber auch zu entnehmen, daß Marx den „rationellen Kern“ der semantischen Kritik ernst nimmt. Der „absolute Wert“, der nur seine „eigne Quotität und Quantität“ ausdrückt, ist in der Tat ein Sprachparadox oder eine „Mystifikation“, jedoch ein „Paradoxon der Wirklichkeit“ oder eine „reelle Mystifikation“ (13/35; Herv. d. Verf.). Als ein „Verhältnis von Personen“ wird es erst dann dechiffrierbar, wenn die Vermittlung von „absolutem“ und „relativem“ Wert aufgezeigt worden ist.

Marxens Feststellung, daß die Ricardianer sich ausschließlich für den Bestimmungsgrund der Wertgröße interessieren - „die Form als solche“ ist ihnen „eben weil natürlich, gleichgültig“ (42/249); die ökonomischen Kategorien „gelten ihrem bürgerlichen Bewußtsein für (...) selbstverständliche Naturnotwendigkeit“ (23/95 f.) -, gilt auch für die gegenwärtige Ökonomie. Die Eliminierung der Formproblematik ist nach Marx darauf zurückzuführen, daß die Schulökonomie an den Bestimmungen der formalen Logik festhält: „Es ist kaum verwunderlich, daß die Oekonomen, ganz unter dem Einfluß stofflicher Interessen, den Formgehalt des relativen Werthausdrucks übersehn haben, wenn vor Hegel die Logiker von Profession sogar den Forminhalt der Urtheils- und Schlußparadigmen übersahen.“ (II.5/32 Fn.)

Die Analyse der logischen Struktur der Wertform ist nicht zu trennen von der Analyse ihres historisch-sozialen Gehalts. Die klassische Arbeitswerttheorie stellt aber nicht die Frage nach der historisch-sozialen Beschaffenheit jener Arbeit, die sich als „wertbildende“ darstellt. Die Umsetzung der Arbeit in eine ihr fremde Form wird nicht reflektiert: „Die Arbeitszeit stellt sich sofort bei Franklin ökonomistisch einseitig als Maß der Werte dar. Die Verwandlung der wirklichen Produkte in Tauschwerte versteht sich von selbst“. (13/42) Die von Marx gerügte „ökonomistische Einseitigkeit“ besteht also darin, daß die Ökonomie als separater Zweig der wissenschaftlichen Arbeitsteilung auf der Ebene bereits konstituierter ökonomischer Gegenstände operiert. „Die politische Ökonomie hat (...) zwar, wenn auch unvollkommen, Wert und Wertgröße analysiert und den in diesen Formen versteckten Inhalt entdeckt. Sie hat niemals auch nur die Frage gestellt, warum dieser Inhalt jene Form annimmt, warum sich also die Arbeit im Wert (...) des Arbeitsprodukts darstellt?“ (23/94 f.; Herv. d. Verf.)

Die linken Ricardianer, die eine Theorie des „gerechten Lohnes“ entwickelten, fragten daher: „Wenn die Arbeitszeit das immanente Maß der Werte ist, warum nehmen wir ein anderes äußeres Maß?“ Wenn die Arbeit den Wert der Waren bestimme, müsse die Wertrechnung nur als „Umweg“ angesehen und in ihrer die Ausbeutung verschleiernden Funktion verworfen werden. Die Produkte sollten unmittelbar in Arbeitszeiteinheiten berechnet und das Geld durch Arbeitszertifikate ersetzt werden. Sie stellen nicht die Frage, warum in der Warenproduktion die Arbeit als Tauschwert der Produkte, als „eine von ihnen besessene sachliche Eigenschaft“ (19/20) ausgedrückt wird. Den verborgenen Grund für die Existenz der Wertrechnung sieht Marx in einem das Wesen der Produktionssphäre kennzeichnenden Widerspruch: in dem für seine Gesellschaftstheorie eminent bedeutsamen Widerspruch von privater und gesellschaftlicher Arbeit. Daß in der Warenproduktion gesellschaftliche Arbeit nur als gesellschaftliche Arbeit privater Produzenten geleistet wird - dieser grundlegende Widerspruch äußert sich in dem abgeleiteten, daß der Austausch von Tätigkeiten und Produkten durch ein besonderes und zugleich allgemeines Produkt vermittelt werden muß. Bei aller Schärfe seiner Kritik an den utopischen Sozialisten hält auch Marx die Forderung für realisierbar, die Wertrechnung aufzuheben - freilich nur dann, wenn die Warenproduktion, das heißt die Produktion unabhängiger einzelner für den Markt, beseitigt wird. Diese Forderung ist eine zwingende Konsequenz, ein substantieller und nicht nur akzidenteller Bestandteil der Marxschen Werttheorie. Der eigentliche Sinn der „Kritik der ökonomischen Kategorien“ besteht darin, die sozialen Bedingungen aufzuzeigen, welche die Existenz der Wertform notwendig machen. „Die Analyse der herrschenden Form von Arbeit ist gleichzeitig eine Analyse der Voraussetzungen ihrer Abschaffung. (...) (Die Marxschen) Kategorien sind negativ und zur gleichen Zeit positiv: sie schildern einen negativen Zustand im Licht seiner positiven Aufhebung“. [ 15 ] Der historische Charakter der Wertformanalyse besteht eben darin, „daß gleich in der einfachsten Form, der der Ware, der spezifisch gesellschaftliche, keineswegs absolute Charakter der bürgerlichen Produktion analysiert ist“. (29/463)

Ricardos mangelhafte Analyse der Wertform hatte neben der subjektivistischen Kritik Baileys und der Arbeitsgelddoktrin der utopischen Sozialisten noch die weitere Konsequenz, daß die „Gestalt (...) - die besondere Bestimmung der Arbeit als Tauschwert schaffend“ nicht untersucht wird. Ricardo „begreift daher durchaus nicht den Zusammenhang zwischen der Bestimmung des Tauschwerts der Ware durch Arbeitszeit und der Notwendigkeit der Waren zur Geldbildung fortzugehn. Daher seine falsche Geldtheorie.“ (26.2/161) „Diese falsche Auffassung des Geldes beruht aber bei Ricardo darauf, daß er überhaupt nur die quantitative Bestimmung des Tauschwerts im Auge hat“. (26.2/504) Die falsche Geldtheorie Ricardos ist die Quantitätstheorie, deren Kritik die Analyse der Wertform intendiert.

Obwohl an der mühsam errungenen Einsicht festzuhalten ist, daß die Marxsche Kritik der ökonomischen Kategorien den Bereich der Fachökonomie transzendiert, ist die Wertformanalyse - an philosophischen Kategorien orientiert - in ihrer Funktion zu verstehen, fachökonomische Antinomien aufzuheben. In Abwandlung der vierten These über Feuerbach, läßt die Marxsche Kritik an Ricardo sich folgendermaßen kennzeichnen: Ricardo geht aus von dem Faktum der ökonomischen Selbstentfremdung, der Verdopplung des Produkts in ein Wertding, ein vorgestelltes, und ein wirkliches Ding. Seine Theorie besteht darin, den Wert in Arbeit aufzulösen. Er übersieht, daß die Hauptsache noch zu tun bleibt. Die Tatsache nämlich, daß das Produkt sich von sich selbst abhebt und sich, ein selbständiges Reich ökonomischer Kategorien, jenseits des Bewußtseins fixiert, ist eben nur aus der Selbstzerrissenheit und dem Sich-selbst-Widersprechen der gesellschaftlichen Arbeit zu erklären. Diese selbst muß also erstens in ihrem Widerspruch verstanden und sodann durch Beseitigung des Widerspruchs praktisch revolutioniert werden. Also z. B.: nachdem die Arbeit als das Geheimnis des Werts entdeckt ist, muß nun erstere selbst theoretisch kritisiert und praktisch umgewälzt werden. Methodisch handelt es sich hier um die schon aufgezeigte Problematik des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten, vom Wert zur Erscheinungsform des Werts.

Befassen wir uns nunmehr mit der Frage, wie das qualitative Verhältnis von Ware und Geld strukturiert ist, was also den „Formgehalt des relativen Wertausdrucks“ ausmacht. Setze ich Goldwährung voraus, so sind 20 Ellen Leinwand = x Gramm Gold oder 20 Ellen Leinwand sind x Gramm Gold wert. Diese Gleichung besagt, daß Leinwand und Gold nicht nur gleich große Werte vorstellen, sondern auch in einer eigentümlichen Weise ineinander verschränkt sind: die Leinwand ist dem Gold „größengleich“ und „wesensgleich“ gesetzt. Statt in Gold ist der Wert der Leinwand im Gebrauchswert eines jeden anderen Produkts ausdrückbar, etwa als Rock. „Ihr Werthsein kommt (...) zum Vorschein, drückt sich aus in einem Verhältniß, worin eine andre Waarenart, der Rock, ihr gleichgesetzt wird oder als ihr Wesensgleiches gilt.“ (II.5/629) Die Leinwand als Gebrauchswert ist durch Gold nicht vertretbar. Leinwand ist Leinwand und nicht Gold. Die Produkte sind „relative Werte“ nur dann, wenn die Relata schon als Werte, und zwar als „absolute Werte“ dem Gold „wesensgleich“ gesetzt sind. Als Wert gleicht die Leinwand dem Gold „wie ein Ei dem andern“. (23/67) „Als Wert ist sie Geld“ (42/76; Herv. d. Verf.): als Wert ist somit die Leinwand Gold. „All der Zauber und Spuk, welcher Arbeitsprodukte auf Grundlage der Warenproduktion umnebelt“ (23/90), äußert sich in dem paradoxen Verhältnis, daß die Ware sie selbst und zugleich ihr Anderes ist: Geld. Sie ist also Identität von Identität und Nichtidentität. Die Ware ist dem Geld wesensgleich und doch zugleich von ihm unterschieden. Diese „Einheit in der Verschiedenheit“ wird bekanntlich mit dem Hegelschen Terminus „Verdopplung“ bezeichnet. Dieser dialektische Begriff wird von Marx verwandt, um die Struktur der Ware-Geld-Gleichung zu kennzeichnen: Der Warenaustausch „produziert eine Verdopplung der Ware in Ware und Geld, einen äußeren Gegensatz, worin sie ihren immanenten Gegensatz von Gebrauchswert und Wert darstellen“. (23/119; Herv. d. Verf.)

Die Ware-Geld-Gleichung ist die ökonomische Aufhebung des Satzes der Identität. Stets hat man sich den strukturellen Unterschied zwischen dem „Maßstab“ des Werts und dem Maßstab einer natürlichen Eigeschaft zu vergegenwärtigen. So wird ein Liter Wasser als Gewichtsmaß Kilogramm genannt. Ein Quantum Wasser wird als Einheit von Schwere definiert. Das bedeutet aber keineswegs, daß die Schwere eines Dings in der räumlichen Dimension des Wassers „erscheint“ und sich „realisiert“. Nicht das Wasser als Wasser ist die Erscheinungsform von Schwere. Das Ding als „Vergegenständlichung“ von Schwere steht zum wirklichen Wasser nicht in einem dialektischen Verhältnis dergestalt, daß das Ding als Schwere mit dem Wasser als einer raumerfüllenden Erscheinung identisch und zugleich als ein qualitativ bestimmtes Etwas von ihm verschieden ist. Das Ding „entzweit“, „verdoppelt“ sich nicht etwa in „Träger“ von Schwere und Wasser - es ist nicht zugleich es selbst und sein Anderes. Eben in dieser Weise aber ist die Beziehung von Ware und Geld beschaffen. Der Wert einer Ware läßt sich von ihrem Gebrauchswert nur dadurch unterscheiden, daß er in Gestalt eines anderen Gebrauchswerts ausgedrückt wird, daß somit „die Ware in ihrem unmittelbaren Dasein als Gebrauchswert nicht Wert ist, nicht die adäquate Form des Werts ist, = daß sie als ein sachlich andres oder als gleichgesetzt einer andren Sache dies ist“. (42/686) Die Ware wird ein „sachlich andres“ und bleibt doch in ihrem Anderssein sie selbst. In dem Ausdruck „20 Ellen Leinwand sind 1 Rock wert“ ist der Wert einer Sache durch eine andere ausgedrückt. Dieser Wertausdruck bewirkt eine merkwürdige „Verkehrung“: Der Rock „wie er leibt und lebt“, der Rock als Gebrauchswert, gilt unmittelbar als Wert: „Im Geld ist der Wert der Sachen von ihrer Substanz getrennt.“ (42/84) „Aber einerseits bleibt der Tauschwert natürlich zugleich eine inhärente Qualität der Waren, während er zugleich außer ihnen existiert“. (42/85) „Im Geld tritt ihr (der Ware; d. Verf.) daher der Tauschwert als etwas andres gegenüber.“ (42/119) „Alle Eigenschaften der Ware als Tauschwert erscheinen als ein von ihr verschiedner Gegenstand“. (42/80) „Der Tauschwert (...) hat eine von ihr unabhängige, in einem eignen Material, in einer spezifischen Ware verselbständigte Existenz gewonnen.“ (42/119) Die mysteriöse Gleichsetzung von Leinwand und Rock ändert die ökonomische Bestimmtheit des Rockes. Indem die Leinwand „ihn als Werth sich gleichsetzt, während sie sich zugleich als Gebrauchsgegenstand von ihm unterscheidet, wird der Rock die Erscheinungsform des Leinwand-Werths im Gegensatz zum Leinwand-Körper (...). Da sie als Werth gleichen Wesens mit dem Rock ist, wird die Naturalform Rock so zur Erscheinungsform ihres eignen Werths.“ (II.5/30) Das Geld als Geld wird von Marx als eine widersprüchlich strukturierte Einheit bestimmt: ein Besonderes erscheint unmittelbar als sein eigenes Gegenteil, als Allgemeines. „Statt auseinanderzufallen, reflektiren sich die gegensätzlichen Bestimmungen der Waare hier in einander.“ (II.5/32) „Es ist als ob neben und außer Löwen, Tigern, Hasen und allen andern wirklichen Thieren (...) auch noch das Thier existirte, die individuelle Incarnation des ganzen Thierreichs. Ein solches Einzelne, das in sich selbst alle wirklich vorhandenen Arten derselben Sache einbegreift, ist ein Allgemeines, wie Thier, Gott u. s. w.“ (II.5/37) Die Frage stellt sich, ob von hier aus auch das Wesen des Werts faßbar wird.

Wir haben die „Bewegung“ eines Etwas beschrieben, das die merkwürdige Eigenschaft besitzt, sich zu „verwandeln“, zu „verdoppeln“, „auszudrücken“, sich „jeweils im anderen Extrem zu erhalten“, seine „Naturalform abzustreifen“ und sich zu „realisieren“. Dieses Etwas - sinnlich nicht wahrnehmbar - wird „gemessen“, „übertragen“ usw. Der „Träger“ dieses Geschehens ist ein „Gedankending“, „abstrakte Gegenständlichkeit ohne weitere Qualität und Inhalt“. Die Gedankenlosigkeit zahlreicher Vertreter der Arbeitswerttheorie, die mit diesen Begriffen bewußtlos operieren und deren logischen Status nicht einmal als Problem erkennen, macht die Tendenz der semantischen Kritik verständlich, Argumentationen marxistischer Ökonomen als puren Wortfetischismus zu verwerfen. Es scheint mir daher eine vordringliche Aufgabe der marxistischen Ökonomie, die eigenen Begriffe zu problematisieren. Das gilt vor allem für die Grundbegriffe der Werttheorie: „absoluter Wert“ und „Ware“. Wir haben bereits darauf verwiesen, daß der Wert als ein dem Bewußtsein „Immanentes“ nicht gewußt wird; er setzt sich dem Bewußtsein als ein Fremdes entgegen.

Es ist eben diese Problematik, die Simmel veranlaßt hat, den Wert als metaphysische Kategorie zu bestimmen: „als solche steht er (...) jenseits des Dualismus von Subjekt und Objekt“. [ 16 ] Zwar ist der Wert ein Gedachtes, aber kein „Begriff“ im Sinne der formalen Logik: eine spezifische Differenz läßt sich ebensowenig aufzeigen wie ein materielles Korrelat. Er ist kein Gattungsbegriff, sondern „ein vom logischen Umfang, der Merkmaleinheit irgendwelcher Einzelelemente total verschiedenes Begriffliches“. [ 17 ] Der Hinweis auf den traditionellen Gottesbegriff zeigt, daß Marx „Allgemeines“ als eine Einheit begreift, welche die Totalität aller Bestimmungen in ihrer Verschiedenheit in sich enthält. Ist nun diese Bestimmung, die unmittelbar nur das Wesen des Geldes bezeichnet, auch für den „allgemeinen Gegenstand“ Wert gültig? Der Wert erscheint nur in „Einheit“ mit dem Gebrauchswert. Diese „Einheit“ wird Ware genannt - ein „sinnlich-übersinnliches Ding“. Ding im Sinne der traditionellen Philosophie ist entweder ein Materielles oder aber „transzendentaler Gegenstand“. Die Ware als ein Etwas, dem Sinnliches und Übersinnliches, Gebrauchswert und Wert als Eigenschaften zukommen, ist nicht denkbar. Diese Eigenschaften werden nicht von einem Dritten umfaßt, das wie eine Klammer die in sich reinen Schichten zur Einheit zusammenfügt.

Vorläufig läßt die Ware sich folgendermaßen beschreiben. Gegeben ist ein „Verhältnis“ von Gebrauchswerten. Als Gebrauchswerte sind die Waren aber „gleichgültige Existenzen füreinander und vielmehr beziehungslos“. (13/30) Das Unmittelbare ist aber stets auch ein Vermitteltes. Das Verhältnis des einen Gebrauchswerts zu sich selbst als zu einem Anderen erscheint als eine unmittelbare Beziehung zweier mit sich selbst identischer Gebrauchswerte. Es wird vergessen, daß in der Gleichsetzung von zwei Gebrauchswerten der eine mit sich selbst ungleich gesetzt wird: „Ich setze jede der Waren = einem Dritten; d. h. sich selbst ungleich.“ (42/78) Daß die Ware als Gebrauchswert nicht Wert ist, kann nur bedeuten „daß sie als ein sachlich andres oder als gleichgesetzt einer andren Sache dies ist“. (42/686) Als „etwas von sich Ungleiches“ bleibt das Ding im Unterschied, den es als eignen in sich selbst hat, mit sich identisch. Es „unterscheidet (...) sich (...) von sich selbst als Gebrauchswerth“ (II.5/29; Herv. d. Verf.) und gewinnt konkrete Identität. Die „Einheit“ von Wert und Gebrauchswert, die Einheit in der Selbstunterscheidung stellt sich dar als Verdopplung der Ware in Ware und Geld. „Der in der Ware eingehüllte innere Gegensatz (...) wird also dargestellt durch einen äußeren Gegensatz“. (23/75) Zugleich tritt eine „Verkehrung“ ein: Der Wert der Ware, der das Gold erst zum Geld macht, erscheint an der Ware nur noch als ideelles Quantum Gold, d. h. als Tauschwert oder Preis. „Die vermittelnde Bewegung verschwindet in ihrem eignen Resultat und läßt keine Spur zurück.“ (23/107) Im Unterschied zur klassischen Arbeitswerttheorie ist für Marx der Wert nicht nur der Bestimmungsgrund der Wertgröße, sondern in seiner „vermittelnden Bewegung“ jenes Konstituens, das die Beziehung erst als Beziehung konstituiert. Wert ist also für Marx nicht eine unbewegliche Substanz in ununterschiedner Starrheit, sondern ein sich selbst in Unterscheidungen Entfaltendes: Subjekt. „Aber das Ganze der Zirkulation an sich betrachtet liegt darin, daß derselbe Tauschwert, der Tauschwert als Subjekt, sich einmal als Ware, das andre Mal als Geld setzt und eben die Bewegung ist, sich in dieser doppelten Bestimmung zu setzen und sich in jeder derselben als ihr Gegenteil, in der Ware als Geld und im Geld als Ware zu erhalten.“ (42/190)

Es versteht sich, daß die Verdopplung der Ware in Ware und Geld erst dann dechiffriert ist, wenn sich nachweisen läßt, daß diese antagonistische Beziehung von Dingen eine Beziehung von Menschen ausdrückt, die in gleicher Weise antagonistisch strukturiert ist. Umgekehrt müssen diese „gesellschaftlichen Verhältnisse der Personen“ so bestimmt werden, daß von ihrer Struktur her das antagonistische „Verhältnis der Sachen“ verstehbar wird.

Das „sinnlich-übersinnliche“ Ding bezeichnet eine Realität sui generis, die sich weder auf die technologischen und physiologischen Aspekte des Arbeitsprozesses noch auf die Bewußtseins- und Unbewußtseinsinhalte der Menschen reduzieren läßt. Abstrakte Wertgegenständlichkeit ist für Marx gesellschaftliche Objektivität schlechthin. Dadurch daß diese Dimension der Wirklichkeit subjektiv und objektiv zugleich ist, unterscheidet sie sich von jenen sozialen Beziehungen, die allein durch bewußtes Handeln konstituiert werden.

Die Wertformanalyse ist in dreifacher Hinsicht für die Marxsche Theorie der Gesellschaft bedeutsam: sie ist die Nahtstelle von Soziologie und Wirtschaftstheorie; sie inauguriert die Marxsche Ideologiekritik und eine spezifische Geldtheorie, die den Primat der Produktionssphäre gegenüber der Zirkulationssphäre und somit der Produktionsverhältnisse gegenüber dem „Überbau“ begründet. „Die verschiednen Formen des Geldes mögen der gesellschaftlichen Produktion auf verschiednen Stufen besser entsprechen, die eine Übelstände beseitigen, denen die andre nicht gewachsen ist; keine aber, solange sie Formen des Geldes bleiben (...), kann die dem Verhältnis des Geldes inhärenten Widersprüche aufheben, sondern sie nur in einer oder der andern Form repräsentieren. (...) Ein Hebel mag besser den Widerstand der ruhenden Materie überwinden, als der andre. Jeder beruht darauf, daß der Widerstand bleibt.“ (42/58 f.)

Der einer rationalen Gestaltung des materiellen Reproduktionsprozesses sich entgegensetzende „Widerstand“ ist für Marx die abstrakte Wertgegenständlichkeit. Eine spezifische Form der materiellen Produktion - gesellschaftliche Arbeit privater Produzenten - ist der Grund dafür, daß im historischen Materialismus der Produktions- und Reproduktionsprozeß als „Basis“, die bewußten Beziehungen hingegen nur als „Überbau“ bestimmt werden - „Hebel“, die darauf beruhen, „daß der Widerstand bleibt“. Sofern die Individuen „weder subsumirt sind unter ein naturwüchsiges Gemeinwesen, noch andrerseits als bewußt Gemeinschaftliche das Gemeinwesen unter sich subsumiren, muß es ihnen als den Unabhängigen Subjekten gegenüber als ein ebenfalls unabhängiges, äusserliches, zufälliges, Sachliches ihnen gegenüber existiren. Es ist dieß eben die Bedingung dafür, daß sie als unabhängige Privatpersonen zugleich in einem gesellschaftlichen Zusammenhang stehn.“ (II.2/54)

Geld ist für Marx kein „bloßes Zeichen“, sondern Schein und Realität zugleich: der vergegenständlichte gesellschaftliche Zusammenhang der isolierten Individuen. „Es selbst ist das Gemeinwesen und kann kein andres über ihm stehendes dulden.“ (42/149) Für die nominalistische Geldtheorie hingegen sind „Gold und Silber (...) wertlose Dinge, aber innerhalb des Zirkulationsprozesses erhalten sie eine fiktive Wertgröße als Repräsentanten der Waren. Sie werden durch den Prozeß nicht in Geld, sondern in Wert verwandelt.“ (13/139) Wird das Zirkulationsmittel ausschließlich als „Geldschleier“ des Güterstroms begriffen, so ist die Geldzirkulation überhaupt nur eine sekundäre Bewegung. Diese Theoretiker verkennen nach Marx das Wesen der Verkehrung und somit auch die begriffliche Genesis des Geldes. „Das Geld ist ursprünglich der Repräsentant aller Werte; in der Praxis dreht sich die Sache um, und alle realen Produkte (...) werden die Repräsentanten des Geldes.“ (42/84) „Als Preise sind alle Waren unter verschiednen Formen Repräsentanten des Geldes“. (42/122) Es bleibt zu untersuchen, ob sich ein Zusammenhang von nominalistischer Geldtheorie und pluralistischer Gesellschaftstheorie nachweisen läßt.

Wenden wir uns abschließend einer Reihe von Problemen zu, die von positivistischen Autoren zwar erkannt, aber nicht gelöst wurden, die sich aber von der Marxschen Formanalyse her verstehen lassen und somit deren Aktualität erweisen. Hinsichtlich der nichtmarxistischen Ökonomie stellt Jahn zutreffend fest: „Für sie ist das Kapital bald Geld - bald Ware: zum einen Produktionsmittel - zum anderen eine Wertsumme. Es bleibt in der vereinzelten Erscheinungsform erstarrt und steht in keiner inneren Beziehung zur anderen. (...) Was im Kapitalkreislauf prozessiert, ist weder Geld noch Ware, noch Produktionsmittel noch ‘Arbeit’, sondern es ist der Wert, der abwechselnd in der Geld-, Waren- und produktiven Form erscheint. Nur der Wert ist zu dieser Metamorphose fähig.“ [ 18 ]

Kapital ist einerseits Geld, andererseits Ware. Scheinbar ein Drittes. Eben dies irritiert. Es ist weder das eine noch das andere und doch sowohl das eine wie das andere. Das also, was ein „Übergreifendes“ genannt wird. Um dieses Übergreifende zu denken, sieht man sich gezwungen, das zu denken, was sich auf der Basis der subjektiven Werttheorie gar nicht denken läßt: den „absoluten Wert“. Ein Etwas, das sich einmal in Gestalt von Gold darstellt - ohne jedoch mit diesem Gold als Gold identisch zu sein - dann wiederum als Ware oder gar als Arbeitskraft. Beim einfachen Warenaustausch scheint dieses Dilemma sich noch nicht zu stellen: die Ware erscheint als Ding und unterscheidet sich als solches von dem anderen Ding Gold. Hier glaubt man noch auf die Analyse des „inneren Zusammenhanges“ und der „inneren Bewegung“ verzichten zu können. Beim Kapital hingegen sieht man sich gezwungen, eine „abstrakte Wertsumme“ zu konstruieren, die mit dem Gold als Gold nicht identisch sein darf, weil sie sich doch auch in anderen Kapitalgütern „verkörpern“ soll. „Alles Kapital befindet sich in einem beständigen Gestaltwechsel“, schreibt Zwiedineck-Südenhorst. [ 19 ] Es muß jedoch befremden, wenn Vertreter der subjektiven Ökonomie von „Gestaltwechsel“ sprechen, die Marxsche Formel des Kapitalumschlages G1 - W - G2 rezipieren, aber jenes Subjekt nicht benennen können, das die Eigenschaft besitzt, diesen „Gestaltwechsel“ zu vollziehen.

Der Problemgehalt der Wertform läßt sich nicht dadurch aus der Welt schaffen, daß man die Marxsche Lösung und Darstellung ignoriert. Es zeigt sich nämlich, daß die Kritiker der Arbeitswerttheorie gelegentlich in selbstkritischer Einsicht die Unlösbarkeit eben jener Probleme konstatieren, die den Gegenstand der von ihnen ignorierten Wertformanalyse ausmachen. Die Bewußtlosigkeit jenes Zusammenhangs zwischen der eben noch kritisierten, als „metaphysisches Dogma“ verworfenen objektiven Werttheorie und der in den folgenden Abschnitten dargestellten qualitativen Wertprobleme äußert sich exemplarisch in Joan Robinsons Abhandlung Doktrinen der Wirtschaftswissenschaft. Die Autorin verkennt, daß sie mit ihrer Frage nach der Qualität ökonomischer Quantitäten und nach dem Wesen ökonomischer Grundbegriffe genau jenen Problemkomplex beschreibt. um den das Marxsche Denken kreist: „Es ist noch immer üblich, Modelle zu konstruieren, in denen Quantitäten von ‘Kapital’ erscheinen, ohne daß man die geringste Angabe darüber macht, wovon dies eine Quantität sein soll. Wie man das Problem, dem Nutzenbegriff einen praktischen Inhalt zu geben, gewöhnlich umgeht, indem man ein Diagramm zeichnet, so entzieht man sich auch dem Problem, der Quantität von ‘Kapital’ einen Sinn zu geben, durch Übersetzung in Algebra. K ist Kapital, ( ΔK ist Investition. Was aber ist K? Was soll das heißen? Kapital natürlich. Es muß einen Sinn haben, also wollen wir mit der Analyse fortfahren und uns nicht mit spitzfindigen Pedanten abplagen, die zu wissen begehren, was gemeint ist.“ [ 20 ] Joan Robinson enthüllt die paradoxe Situation des modernen Ökonomen, der einerseits komplizierte mathematische Methoden entwickelt, um die Bewegungen der Preise und des Geldes zu berechnen, andererseits das Nachdenken darüber verlernt hat, was das wohl sein mag, was den Gegenstand seiner Berechnungen ausmacht. Verbleibt man jedoch in der Denkweise Joan Robinsons, dann läßt sich ihre der modernen Ökonomie entgegengehaltene Frage: „Quantität wovon?“ von ihrer eigenen Position her nur als „metaphysisch“ charakterisieren; denn es ist eben diese Problemstellung, die als Frage nach der Genesis der „übernatürlichen Eigenschaft“ Wert oder - was dasselbe besagt - als Frage nach der „Substanz“ des Werts Gegenstand der Marxschen Überlegungen ist. Der positivistischen Manier, qualitative Probleme zu eliminieren - „Geld und Zinssatz erweisen sich wie Güter und Kaufkraft als unfaßliche Begriffe, wenn wir wirklich versuchen sie festzuhalten“ [ 21 ] - entspricht jener berüchtigte Formalismus, der von Joan Robinson folgendermaßen glossiert wird: „Die modernen Vertreter der neoklassischen Ökonomie flüchten sich in immer kompliziertere mathematische Manipulationen und ärgern sich immer mehr über Fragen nach deren mutmaßlichem Gehalt“. [ 22 ]

Wenn maßgebliche Darstellungen der modernen Geldtheorie sich darauf beschränken, Geld als „allgemeines Tauschmittel“ zu definieren, so bleibt immer noch die Frage offen, was den spezifischen Unterschied von besonderem und allgemeinem Tauschmittel, Ware und Geld ausmacht. Erst wenn die Beziehung beider als Einheit in der Verschiedenheit begriffen ist, verschwindet auch jener „Spuk“, der das ökonomistische Denken zwingt, Geld als „unfaßlichen Begriff“ auszugeben.

Daß die Beziehung von Ware und Geld nur als soziale, nicht aber als dingliche Beziehung faßbar ist, diese an sich triviale Einsicht wird auch von Vertretern der subjektiven Ökonomie ausgesprochen. Von der Feststellung ausgehend, daß der subjektive Wert nur eine psychische Beziehung zwischen einem Subjekt und einem Objekt zum Inhalt hat, stellt Amonn zutreffend fest: „Eine in ihrem Wesen davon verschiedne Beziehung objektiver Natur ist zum Ausdruck gebracht im Begriff des ‘objektiven Tauschwerts’. Das ist eine soziale Beziehung.“ [ 23 ] Diese Überlegung soll die ökonomische Analyse in eine soziologische überführen. Soziale Beziehungen sind für Amonn „Bewußtseinstatsachen“ und „Willensbeziehungen“ wie Staat, Familie, Freundschaft etc. „Kapital, Geld, Unternehmung sind ebensolche sozialen Tatsachen“. [ 24 ] Kapital gilt ihm als „konzentrierte und abstrakte (...) unpersönliche soziale Macht“, der Unternehmer „als Träger der konzentrierten und abstrakten individuellen Verfügungsmacht“. Es ist offensichtlich, daß dieser Begriff seinem Anspruch nicht genügt, ökonomische Kategorien soziologisch aufzulösen. „Abstrakte Verfügungsmacht“ ist nur ein anderer Name für jenen ökonomischen Tatbestand, der als soziale Beziehung erklärt werden soll: Kaufkraft. Die tautologische Umschreibung ökonomischer Kategorien verleitet Amonn, Kapital wie Freundschaft und Familie bloß als „Bewußtseinstatsache“ und „soziale Beziehung“ zu verstehen. Diese Bestimmung wird jedoch von ihm selbst negiert, wenn er feststellt, daß abstrakte Verfügungsmacht ein an „reale Güter gebundenes, aber doch von ihnen wesentlich Unterschiedenes ist“. Die „Gebundenheit“ an materielle Güter unterscheidet aber abstrakte Verfügungsmacht qualitativ von anderen sozialen Beziehungen wie Freundschaft oder Familie. Jenes Etwas, das an reale Güter gebunden und doch zugleich von ihnen unterschieden ist, stellt freilich ein Problem, das sich dem Verständnis der positivistischen Handlungstheorie entzieht: die materialistische Form der Synthesis.

Eine soziologische Theorie, die gesellschaftliche Beziehungen aus einem bewußten „Sich-aufeinander-Beziehen“ verschiedener Individuen abzuleiten sucht und „Reflexivität“ und „Intentionalität“ als konstitutive Merkmale sozialen Handelns ausgibt, muß allein schon daran scheitern, daß ökonomische Kategorien sich nicht auf Bewußtseins- und Unbewußtseinsinhalte reduzieren lassen. „Ihr (der Produzenten; d. Verf.) ‘mind’, ihr Bewußtsein, mag durchaus nicht wissen, für es mag nicht existieren, wodurch in fact der Wert ihrer Waren oder ihre Produkte als Werte bestimmt sind. Sie sind in Verhältnisse gesetzt, die ihren mind bestimmen, ohne daß sie es zu wissen brauchen. Jeder kann Geld als Geld brauchen, ohne zu wissen, was Geld ist. Die ökonomischen Kategorien spiegeln sich im Bewußtsein sehr verkehrt ab.“ (26.3/163)


Anmerkungen

[ 1 ] J. A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 44.
[ 2 ] Ebd., 46 f..
[ 3 ] Vgl. hierzu die Diskussionsbeiträge von O. Lendle und H. Schilar zur Problematik der Ware-Geld-Beziehung im Sozialismus.
[ 4 ] W. I. Lenin, Zur Kritik der Hegelschen ‘Wissenschaft der Logik’, 99.
[ 5 ] H. Marcuse, Zum Begriff des Wesens, 21 f.
[ 6 ] R. Banfi, Probleme und Scheinprobleme bei Marx und im Marxismus, 172.
[ 7 ] W. Jahn, Die Marxsche Wert- und Mehrwertlehre, 116 f.
[ 8 ] K. Korsch, Karl Marx, 96.
[ 9 ] F. Petry, Der soziale Gehalt der Marxschen Werttheorie, 16. - Der fragmentarische Charakter der Lehre vom Warenfetischismus wird von Sartre erkannt: „die von Marx in den Grundzügen entworfene Theorie des Fetischismus ist niemals voll entwickelt worden“. (Marxismus und Existentialismus, 64) Wenn Sartre „die völlige Verständnislosigkeit der Marxisten anderen Ideen gegenüber“ (ebd., 34) konstatiert - „sie verstehen buchstäblich kein Wort von dem, was sie lesen“ (ebd., Fn.) - so trifft dieser Vorwurf auch zahlreiche marxistische Ökonomen hinsichtlich ihrer völligen Verständnislosigkeit Marxschen Texten gegenüber. Ihre eigene Problemblindheit ist ein Paradebeispiel für jenes verdinglichte Denken, das sie forsch der subjektiven Ökonomie vorhalten. Reden sie von „Dialektik“ und „Verdinglichung“, so meinen sie schon, der Anstrengung enthoben zu sein, „sich überhaupt etwas unter Wert zu denken“. (26.3/143) Begriffe wie ‘Substanz’ des Werts, ‘Realisierung’, ‘Metamorphose’, ‘Erscheinungsform’ werden mit derselben kategorialen Bewußtlosigkeit vorgetragen, die Marx den Vertretern der positivistischen Ökonomie vorgeworfen hat.
[ 10 ] Der Zusammenhang von Wert- und Geldtheorie wird am klarsten von Wygodski ausgesprochen: „Marx faßte das Verständnis der Kategorie ‘Geld’ als Kriterium dafür auf, ob das Wesen des Wertes tatsächlich begriffen ist.“ (Die Geschichte einer großen Entdeckung, 54)
[ 11 ] Zit. n. 26.3/137 f.
[ 12 ] Zit. n. 26.3/129.
[ 13 ] Zit. n. 26.3/140.
[ 14 ] Zit. n. 26.3/144.
[ 15 ] H. Marcuse, Vernunft und Revolution, 260.
[ 16 ] G. Simmel, Philosophie des Geldes, 38.
[ 17 ] Th. W. Adorno, Soziologie und empirische Forschung, 95.
[ 18 ] W. Jahn, Die Marxsche Wert- und Mehrwertlehre, 332 ff. Jahn unterläßt es allerdings, die Argumente Erich Preisers, der Kapital nur als Geldkapital definiert, hinreichend zu würdigen. Preiser geht es nicht zuletzt darum, den Begriff ‘Metamorphose’ zu eliminieren: „Es scheint mir wenig zweckmäßig zu sein, diese einfachen Sachverhalte als Metamorphosen des Kapitals zu bezeichnen oder durch andre Bilder zu verdunkeln. Geld kann sich nicht in Ware verwandeln, das Wirtschaftsleben ist keine Zaubervorstellung.“ (Bildung und Verteilung des Volkseinkommens, 106) Die Feststellung, daß das Sprachparadox ein Paradoxon der Wirklichkeit ausdrückt, bleibt eine bloße Versicherung, solange die marxistische Theorie nicht zeigen kann, wie jene sozialen Beziehungen beschaffen sind, die sich notwendig als Metamorphose von Ware und Geld darstellen. Ob freilich die herrschende ökonomische Schulmeinung imstande ist, die Eliminierung des Begriffs Real- oder Produktivkapital in jeder Teildisziplin durchzuhalten, darf bezweifelt werden. Schneider schließt sich der Meinung Preisers an, daß man die ökonomisch relevanten Vorgänge exakt beschreiben kann, ohne den Kapitalbegriff zu gebrauchen. In seiner Darstellung der Wachstumstheorie steigen die eben noch negierten Begriffe ‘Erzeugersachkapital’ und ‘Kapitalstock’ wie der Phönix aus der Asche auf.
[ 19 ] O. v. Zwiedineck-Südenhorst, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 102.
[ 20 ] J. Robinson, Doktrinen der Wirtschaftswissenschaft, 85.
[ 21 ] Ebd., 109. Die nominalistische Geldtheorie hätte sich mit dem merkwürdigen Phänomen zu beschäftigen, „daß die Namen, die bestimmte aliquote Gewichtteile des Goldes (edlen Metalls) erhalten, Pfund, Shilling, Pence etc., durch irgendeinen unerklärlichen Prozeß sich selbständig verhalten gegen die Substanz, deren Namen sie sind“. (42/690) Im Unterschied zu den Begründern der nichtmetallistischen Geldtheorie, die jener ‘unerklärliche Prozeß’ noch irritiert hatte, halten die modernen Lehrbücher der Geldtheorie dieses Problem nicht einmal für erwähnenswert. Knapp stellte immerhin fest: „Eine wirkliche Definition des Zahlungsmittels dürfte schwerlich zu geben sein“. (G. F. Knapp, Staatliche Theorie des Geldes, 6) Seinem Schüler Elster zufolge glaubte er „den Begriff des Zahlungsmittels, dessen Definition ihm nicht gelingen will, als einen jener letzten, ursprünglichen Begriffe betrachten zu sollen, die keiner weiteren Definition mehr zugänglich sind“. (K. Elster, Die Seele des Geldes, 4 f.) Elster selbst spricht von dem Problem der Wirtschaft „an dessen Lösbarkeit ich nicht zu glauben vermag. (...) Die inneren psychischen Beziehungen des Menschen zu den Gegenständen der Wirtschaft - der Nutzen, als die Lust, nach der der Wirtschafter strebt (...), diese psychischen Tatbestände vermögen nie und nimmer zu zahlenmäßigen Ausdrücken zu gelangen. Zwei ganz verschiedenen Welten gehören sie an: der Wert und die Zahl, das heißt: der Preis“. Die Vertreter der subjektiven Werttheorie stünden hier „vor einem jener Probleme, die menschlichem Begreifen nicht mehr faßbar sind“. (Ebd., 52 f.)
[ 22 ] J. Robinson, Doktrinen der Wirtschaftswissenschaft, 156.
[ 23 ] A. Amonn, Volkswirtschaftliche Grundbegriffe und Grundprobleme, 134.
[ 24 ] A. Amonn, Objekt und Grundbegriffe der theoretischen Nationalökonomie (1911), 409 ff. - Neuere Versuche, eine „gesellschaftliche Theorie des Geldes“ (Gerloff) zu erarbeiten oder „Nationalökonomie als Soziologie“ (Albert) zu konstituieren, kommen über die Position Amonns nicht hinaus. Nach Albert führt „die soziologische Interpretation der Preisproblematik (...) von der Werttheorie zur Machtanalyse. (...) Das Machtphänomen (...) wird damit zum Zentralproblem einer Nationalökonomie, die als integrierender Bestandteil der Soziologie aufzufassen ist“. (H. Albert, Marktsoziologie und Entscheidungslogik, 496)
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