Buchtipp

Klappe auf statt Klappe zu

Günther Gellrich hat die Geschichte der GIM, der wichtigsten trotzkistischen Organisation der BRD, geschrieben.

von Christof Meueler
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Die Trotzkisten, das waren die Süßen in der kommunistischen Bewegung. Dagegen, dabei: pro und contra Moskau. Die Sowjetunion erschien ihnen als ein fortschrittlicher, aber deformierter Arbeiterstaat, in denen statt der Arbeiter Bürokraten das Sagen hatten. Man dachte: In der UdSSR hat eine soziale Revolution stattgefunden, fehlt nur noch die politische. Als die allerdings um 1989 kam, brach gleich die gesamte sogenannte zweite Welt zusammen. Pardon, pardauz: Eine Weltrevolution von rechts in Richtung Neoliberalismus hatten die Trotzkisten nie für möglich gehalten.

Man könnte aber auch sagen, daß der offiziöse Sozialismus in seiner fetischisierten Selbstgerechtigkeit derart real war, daß seine linken Kritiker notwendigerweise surreal agieren mußten. Oder mit Udo Lindenberg singen: »Immer noch crazy nach all den Jahren.« Angefangen bei Leo Trotzki, der zusammen mit 21 Leuten 1938 in einer Pariser Wohnung die 4. Internationale zur Rettung der Menschheit aus der Taufe hob. Andererseits waren bei der Zimmerwalder Konferenz 1915 auch nur 38 Personen einschließlich Trotzki anwesend, als die 3. Internationale ihren Anfang nahm, die Sozialdemokratie weltweit massiv zu schwächen. Vergleichbares hat die 4. Internationale nie vermocht, sich eher komisch gebärdet - treffen sich zwei Trotzkisten, gründen sie drei Parteien.

Die heute gängigen, entfernt auf Debord und Foucault basierenden emanzipativen Überlegungen, mikropolitisch, momenthaft und diskursstrategisch zu agieren, nahmen die Trotzkisten vorweg, ohne es zu wollen. Sie waren immer auf dem Weg zur Massenpartei - auf irgendwelchen mikrokosmischen Wegen mit Flugblatt, gutem Gespräch und hübschem Graffiti. Das Gespenst der trotzkistischen Unterwanderung ist legendär. Es gab so wenig Trotzkisten, daß man sie kaum verorten, aber dafür überall vermuten konnte. Schon Stalin fühlte den Trotzkismus immer mächtiger werden, je mehr er alles, was er dafür hielt, ausrottete. Seine Nachfolger trugen zumindest ein schlechtes Gewissen mit sich herum, mehr ist der Trotzkismus tatsächlich nie gewesen. 1989 hat er sich dann von selbst erledigt - man kann nicht etwas kritisieren, was es nicht mehr gibt.

Vorher aber ermöglichte der Trotzkismus seinen Anhängern ein erhebendes Gefühl: linker als die Linken zu sein. Sich an der Seite der Sowjetunion zu wähnen, um sie gegen die dortigen Machthaber und gegen die Imperialisten sowieso zu verteidigen. Das hat Nichttrotzkisten immer auf die Palme getrieben und an Eispickel denken lassen. Dabei lagen die Trotzkisten gar nicht so falsch: Die gegenwärtig mafiotisch strukturierte Ökonomie Rußlands leitet sich aus der Transformation der alten Bürokraten in neue Unternehmer ab.

Überhaupt entwickelte der Trotzkismus allerhand vernünftige Ideen. Bezogen auf Westdeutschland kann man das bei Günther Gellrich nachlesen, der im trotzkistischen Kleinverlag ISP seine sozialwissenschaftliche Diplomarbeit »Die GIM - zur Politik und Geschichte der Gruppe Internationale Marxisten 1969 bis 1986« veröffentlicht hat. Die GIM war die größte und am wenigsten bekloppte Organisation unter den zahlreichen trotzkistischen Gruppierungen der BRD, die teilweise einen wahnhaften Mix aus Selbstüberschätzung, Verschwörungstheorie und Heilserwartung kredenzten, gegen den sich die Politik der traditionell angefeindeten DKP als geradezu seriös ausnahm. Auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung Mitte der Siebziger verfügte die GIM über 600 Mitglieder.

In dieser Zeit dürfte die BRD das Land mit den meisten, sinnlosesten und daher auch lustigsten kommunistischen Gruppen der Welt gewesen sein. Wer auf sich hielt, war mindestens für zwei Wochen mal organisiert. Eine Form studentischer Mode - vergleichbar mit der Esoterik und dem Popismus der neunziger Jahre. Keine Duftsteinsammlung, sondern MEW komplett. Herausgekommen ist da natürlich nichts außer den Grünen und der taz.

600 Mitglieder waren eine bescheidene Zahl, verglichen mit den 2 500 Maoisten des KBW, der stärksten K-Gruppe. Trotzdem eine passable Zahl, verglichen mit den 50 bis 100 Trotzkisten, die sich bis zur GIM-Gründung 1969 mangels Alternative in der SPD versteckt gehalten hatten. Als GIM machte man dann die übliche Gewerkschafts-, Friedens-, Solidaritäts- und AStA-Politik - allerdings etwas anders als die anderen. »Da keine finanziellen Abhängigkeiten bestanden und ihre Politik nicht von den Interessen anderer sich selbst »sozialistisch« nennender Länder geleitet wurde, konnte sie hierbei eine selbständige Politik entwickeln« (Gellrich). Wie sonst vielleicht nur der gemäßigt maoistische, zirka viermal größere KB gelangte die GIM schon in den Siebzigern zu Positionen, die heute progressiver Stammtischstandard sind, in den damaligen linken Glaubenskriegen aber revolutionär- atheistisch wirkten: Für Feminismus, Ökologie, offene Grenzen, Meinungsfreiheit und Rätedemokratie, gegen alle, die dagegen sind.

Daß in der GIM kein sonst übliches Fraktionsverbot bestand, sondern Fraktionen, Strömungen und Tendenzen erwünscht und in jedem Gremium zu berücksichtigen waren, machte diese Organisation einzigartig. Klappe auf statt Klappe zu. Hätten wir nicht verstärkt die Talkshows im Ohr, könnte man meinen, das wäre die Befreiung. In der GIM durfte man nicht, man mußte diskutieren. Zum Beispiel darüber, daß die »Gewinnung von Arbeiterinnen und Arbeitern... vergleichsweise gering blieb« (Gellrich).

Derartig motiviert, vereinigte sich die GIM 1986 mit ihrem ratlos gewordenen Gegenteil, der nicht mehr so recht für die Strahlkraft von Enver Hodscha empfänglichen KPD, zur VSP, gedacht als »hoffentlich erster Schritt zur Überwindung der Zersplitterung der sozialistischen Linken«.

Von denen hört man auch nichts mehr. Hallo Trotzkisten, wo seid ihr? Laßt uns mal ein Bier trinken.

  • Günther Gellrich: Die GIM. Zur Politik und Geschichte der Gruppe Internationale Marxisten 1969-1986, Köln 1999, 123 Seiten, DM 38
    Der Buchtipp erschien in der "Jungen Welt"