Quelle: Badische Zeitung vom 25. März 1999

Übrig bleibt ein Volk von Karma-, Schicksals- und Vorsehungsgläubigen
Astrologie, Hellsehen oder Tarotkartenlegen erleben einen seit Jahren anhaltenden Boom, selbst ursprünglich nur Insidern bekannte Begriffe wie I-Ging, Kabbala oder Runenmagie sind geläufig.
Mechthild Blum sprach mit Esoterik-Kenner Colin Goldner

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Hoffnungen auf das „New Age“, „Heilserwartungen“ unterschiedlischster Art: Jeder zweite Deutsche glaubt an außerirdische Wesen, jeder dritte an UFOs, jeder siebte an Magie und Hexerei, andere fürchten sich vor Erdstrahlen, über 35 Prozent halten die Zukunft für vorhersehbar, 20 Prozent glauben an Kontakte zum Jenseits. Colin Goldner, Autor des Buches „Psycho – Therapien zwischen Seriosität und Scharlatanerie“, ist mehr als ein Kenner der Szene: Es gibt kaum eine Gruppierung, in der er nicht selbst undercover recherchiert hätte. Mit ihm sprach Mechthild Blum.

BZ:
Irrationalität gehört zum Menschsein dazu, und nicht nur „in Zeiten der Pleite bevorzugt die Seele das Jenseits“, um Ihr Musil-Zitat aufzugreifen, oder?

Goldner: Irrationalität gehört zum unterdrückten Menschsein. Sie ist allemal ein künstlich hergestelltes und/oder unterfüttertes Instrument in den Händen der Herrschenden bzw. ihrer priesterlichen Handlanger, die damit Angst und Terror verbreiten. In anderen Worten: Ohne Pfaffen keine Angst vorm Teufel.

BZ: Sie sprechen von einem undurchdringlichen Wirrwarr anthropologischer, religiöser und kultureller Versatzstücke...

Goldner: Nicht nur altbekannte Verfahren wie Astrologie, Hellsehen oder Tarotkartenlegen erleben einen seit Jahren anhaltenden Boom, selbst einst nur Insidern bekannte Namen und Begriffe wie I-Ging, Kabbala oder Runenmagie sind heute weiten Kreisen geläufig. Allenthalben werden PSI- oder transpersonale KI-Kräfte entwickelt, Chakren werden gelesen, Bach-Blüten und Kristall-Essenzen verabfolgt. Kontakte mit Verstorbenen werden gepflogen oder mit Schutzgeistern aus jenseitigen Sphären, bevorzugt auch mit intergalaktischen Wesen, die in UFOs die Erde umkreisen. Germanische und keltische Vorstellungen tauchen da auf, daneben buddhistische, taoistische oder indianische. Einer der Großmeister der Verwurstung von allem und jedem war der indische Guru Baghwan-Osho Rajneesh, dessen Nachfolger bis heute einen blühenden Handel mit irrationalem Schwachsinn jeder Art betreiben.

BZ: Sie schreiben in Ihrem Buch von 10000 Zentren, Instituten und Heilpraxen im deutschsprachigen Raum. Warum vertrauen sich Menschen solchen Therapien und autoritären Sekten an?

Goldner: Woran liegt es, daß aufgeklärte Menschen des ausgehenden 20. Jahrhunderts all den Irrwitz für bare Münze nehmen, der ihnen da von Astrologen und Hellsehernverkauft wird? Wie ist es möglich, daß, wie im Falle der „Teneriffa-Sekte“, intelligente und gebildete Menschen davon überzeugt sein können, sie könnten dem bevorstehenden Ende der Welt durch Suizid entgehen, woraufhin ihre Seelen von UFOs abgeholt und auf den Sirius verbracht würden?

Das Massenphänomen des neuen Irrationalismus läßt sich am ehesten in psycho(patho)logischen Kategorien begreifen: In Zeiten gesellschaftlichen Umbruches, in denen tradierte Werte und Normen zunehmend ihre Geltung verlieren und zugleich reale ökonomische Probleme unüberwindbar werden, suchen viele Menschen, vor allem der hauptbetroffenen Mittelschicht, ihr Heil in vermeintlich höheren Autoritäten, in Lebenslehrern und Gurus samt ihren jeweiligen Doktrinen, die, hergeleitet vorgeblich aus „kosmischen“ oder „universellen“ Gesetzen, sich als ewig gültig und verläßlich darstellen. Als bestes Beispiel hierfür gilt die moderne Volksseuche der Astrologie.

Es nicht wichtig, ob die jeweilige Lehre irgendwelchen kognitiven Sinn macht; ganz im Gegenteil: je abstruser, desto attraktiver, da sie das ersehnte bedingungslose Vertrauen zugleich voraussetzt wie auch erzeugt.


Gerade wenn das Verrückteste und Unsinnigste geglaubt wird, fühlen sich die Anhänger und Anhängerinnen eins mit ihrem Führer und die leidvoll erlebten Zweifel, Selbstzweifel und Existenzängste lösen sich auf. So läßt sich der Erfolg der in der Regel faschistoid angehauchten Gurus begreifen, von Baghwan-Osho Rajneesh über Sang Myung Mun hin zu L. Ron Hubbard, David Koresh oder auch Shoko Asahara, der – mit Hilfe des Dalai Lama! – zu einem der potentiell gefährlichsten Massenmörder dieses Jahrhunderts aufstieg: die Giftgas-Attentate in der Tokioter U-Bahn waren nur das Vorspiel auf dem Weg der AUM-Sekte zur „Weltherrschaft“.

BZ: Werden es in den nächsten Jahrzehnten 100000 dieser Therapieschulen und -praxen sein?

Goldner: Schön möglich, die Szene boomt und alle Augenblicke tritt ein neuer „Lebenslehrer“ mit irgendeinem vorgeblich neuen „Therapieverfahren“ auf den Plan. Allerdings handelt es sich bei sämtlichen dieser „Neuschöpfungen“ bestenfalls um Ideen- und Methodenrecycling. Tatsächlich Neues hat die Szene noch nie hervorgebracht.

BZ: Wie halten Sie es mit den großen Religionen? Dem Katholizismus, Protestantentum, dem moslemischen Glauben, der jüdischen Religion, dem Buddhismus etwa? Um mit Marx zu fragen: Ist Religion nicht schon immer das Opium des Volkes gewesen?

Goldner: Ich sehe keinen Unterschied zwischen Glauben und Aberglauben. Die Heilslehren der etablierten Großreligionen und die der kleinen Sekten sind völlig identisch: dieselben Strukturen (unhinterfragbare Doktrin, strenge Hierarchie mit oberstem Führer oder Guru, unumkehrbare Machtverhältnisse etc.), dieselben Inhalte (künstlich geschürte Angst vor Verdammnis oder Ausgestoßensein mit gleichzeitiger elitärer Errettungslehre, Ausrichtung auf Jenseits.) bzw. auf Kontakt mit höheren, metaphysischen Mächten, abstruse Kulthandlungen und Rituale, oft mit Blut, Erde, Feuer, Reglementierung der Sexualität etc.); Exorzismushysterie und Engelwerk unterscheiden sich in nichts von den Praktiken, die im Zeichen des Wassermannes betrieben werden. Selbst der Fanatismus der Gläubigen ist derselbe; von undurchsichtigem Finanzgebaren der jeweiligen Organisation ganz zu schweigen.

BZ: Das Orakel befragen, die Sterne deuten, Zauber aussprechen... Das kann einen völlig in Bann schlagen, aber auch so harmlos sein, wie Horoskope in Illustrierten lesen. Oder ist das doch gefährlich?

Goldner: Der horoskopische Blödsinn auf einem Zuckerwürfel ist an sich natürlich nicht gefährlich. Ansonsten kann Astrologie, Hellsehen, Wahrsagen etc. sehr wohl gefährlich werden: die Ratschläge werden von den Kunden in der Regel als „höhere Offenbarung“ und damit als sakrosankte Verhaltensmaßgabe gewertet. Ohne die geringste Ahnung von der Lebenssituation des Kunden zu haben – oftmals findet die „Beratung“ am Telefon statt – wird beliebige Weisung für teils weitestreichende Entscheidungen erteilt. Ratsuchende können in schwerste Krisen gestürzt werden, zumal die Klientel von Sternedeutern oder Hellsehern in ihrem Glauben an deren höhere Einsicht sich ohnehin im Grenzbereich psychischer Gesundheit bewegt. Gänzlich kriminell wird es, wenn Hellseher Krankheiten oder sonstiges Unheil – gelegentlich selbst das Todesdatum – vorhersagen, was im Sinne sich selbst bewahrheitender Prophezeiung zu verhängnisvollen Konsequenzen führen kann: die Angst vor dramatischen Widerfahrnissen kann diese tatsächlich herbeiführen.

BZ: Bis ins Bildungsbürgertum hinein sind ja vor allem die verschiedensten, wie Sie sie nennen, esoterischen Psychotechniken salonfähig geworden: die Bach-Blüten-Therapie, Bioresonanztherapie, Hoffmann-Quadrinity-Process, Feng-Shui, holotrope Therapie, wilde Männer und Hexen, T’ai Chi, katathymes Bilderleben, Märchentherapie, Reinkarnationstherapie – um nur einige aufzuzählen. Sind alle gleich schädlich?

Goldner: Die esoterischen Praktiken lassen sich in zwei Kategorien unterscheiden: in eher harmlosen und in gefährlichen Blödsinn. Und selbst vergleichsweise harmlose Praktiken (z.B. Aura Soma) können hochgefährlich werden, wenn der Hilfesuchende im Vertrauen auf ihre Wirksamkeit eine sinnvolle Behandlung vernachlässigt oder versäumt. Einige Praktiken (z.B. Rebirthing) sind an sich hochriskant und können fatale Folgen zeitigen. Vor allem in der Hand klinisch unzureichend qualifizierter Praktiker – Die wenigsten Therapeuten der Szene verfügen über eine seriöse Ausbildung. Sündhaft teuer sind die einzelnen Verfahren allemal.

BZ: Zählt Yoga wirklich auch dazu?

Goldner: Yoga ist eine aus dem Brahmanismus sich herleitende spirituelle Praxis, in der es wesentlich um Rückbindung zu einem „göttlichen Urgrund“ geht (was ja auch der Begriff Yoga: sanskr. = Joch bedeutet). Es handelt sich bei Yoga um eine zutiefst körperfeindliche, lebens- und frauenverachtende Disziplin der Selbstkontrolle und Selbstunterdrückung. Was im Westen an Volkshochschulen gelehrt wird, hat mit Yoga indes nur noch wenig zu tun: Das hier angebotene Hatha-Yoga ist bestenfalls folkloristische Gymnastik. Als solche kann ihm ein gewisser „sportiver“ Wert zugesprochen werden, mehr aber nicht. Die yogischen Atemkontrollübungen des Pranayama, die auch im Rahmen westlicher Kurse gelehrt werden, bergen allerdings hohes gesundheitliches Risiko.

BZ: Sie verlangen zu Recht eine Wirksamkeitskontrolle der angebotenen Therapien. Sie wissen aber auch, daß das so eine Sache ist: Was als wissenschaftlicher Nachweis gilt, bezieht sich in seinen Annahmen fast ausschließlich auf die Praxis naturwissenschaftlichen Arbeitens, nicht mal auf die Theorie. Andere Wissenschaftsdisziplinen und ihre Ergebnisse werden außen vor gelassen. Der Therapieforscher Grawe zum Beispiel hat aus diesem (schulmedizinischen) Grund schon seine Schwierigkeiten mit der seriösen Psychoanalyse. Vor Ihren Augen findet wiederum die Homöopathie keine Gnade, obwohl immer mehr Schulmediziner sie als alternative Heilmethode akzeptieren...

Goldner: Ich verlange nicht nur eine Wirksamkeitskontrolle der eingesetzten Verfahren, sondern auch einen Befähigungsnachweis der „Lebenshelfer“ und „Therapeuten“. Das Heilpraktikergesetz von 1939 reicht hier nicht aus. Selbsternannte Heiler ohne die geringste therapeutische Kompetenz dürfen nach wie vor mit völlig unbrauchbaren Methoden an teils schwersten Problemen und Störungen herumpfuschen. Jeder Automechaniker muß eine dreijährige Lehre absolvieren, um ein Auto reparieren zu dürfen, im Bereiche des Gesundheitswesens aber reicht ein Wochenendlehrgang oder ein Fernkursus aus, sie zum „Therapeuten“ zu qualifizieren.

Zu den Verfahren selbst: Es gibt heute hervorragende Methoden zur Effizienzüberprüfung bzw. zur Abwägung von Risiko und Nutzen einzelner Therapien; die Mehrzahl der auf dem Psychomarkt angebotenen Verfahren hat sich solch wissenschaftlicher Überprüfung nie unterzogen; einschließlich der klassischen Psychoanalyse, für deren behauptete Wirksamkeit bis heute nur eine einzige Studie vorliegt; Homöopathie hat außerhalb des eigenen Binnenkontexts keinen einzigen Wirksamkeitsbeleg aufzuweisen. Ich halte Homöopathie, ebenso wie Anthroposophische Heilkunde, für groben Unfug, der mit Naturheilkunde nicht das geringste zu tun hat.

BZ: Ich weiß nicht, ob ich Ihnen damit widerspreche, nur: Sie sagen zum Beispiel von der Feldenkrais-Therapie, „qualifizierte Anleitung vorausgesetzt, kann die Methode zweifellos dazu beitragen, die körperliche Beweglichkeit entscheidend zu bessern“. Ihre Bedenken, „ob dies notwendigerweise mit der Entwicklung eines ,starken Selbst‘ mit ,reifem Gefühls- und Sinnenleben‘ einhergeht“, treffen damit aber nicht die Patientenerwartung, die sich von der Behandlung ausschließlich genau diese entschieden bessere Beweglichkeit erhofft. Das ist doch O.K.?

Goldner: Wenn ein Verfahren wie Feldenkrais als bewegungstherapeutischer Ansatz auftritt, habe ich nichts dagegen einzuwenden. Ich kritisiere den metaphysischen oder religoid-ideologischen Überbau, mit dem Feldenkrais, wie auch andere Verfahren, sich zu Allheilmitteln oder gar Heilslehren stilisieren.

BZ: Freiburg ist der Vatikan der Esoterik, haben Sie gesagt. Was prädestiniert diese Stadt im Belchendreieck (großer Belchen, kleiner Belchen und Grand Ballon), wie sie in esoterischen Schriften gerne genannt wird, dazu?

Goldner: Freiburg ist Sitz der Hermann Bauer KG, des bedeutendsten Esoterikkonzerns des deutschsprachigen Raumes, der neben einer Vielzahl einschlägiger Buchpublikationen mit der Zeitschrift esotera das Zentralorgan der Szene herausgibt.

esotera ist das Nachfolgeorgan der von dem Neugeist-Bündler Karl-Otto Schmidt (1903–1977) seit 1924 verlegten Positivdenker-Zeitschrift „Die weiße Fahne“.

Ein weiterer Grund liegt sicher darin, daß Freiburg das Wirkungsfeld Hans Benders (1907–1991) war, der den ersten und bislang einzigen Lehrstuhl für Parapsychologie an der Universität Freiburg besetzt hatte; Bender soll von 1941–1943 in einem SS-Forschungsprojekt an der Reichsuniversität Straßburg paranormale Phänomene auf Kriegsverwendungstauglichkeit hin getestet haben. Zu den heutigen Wortführern der Szene zählt Bender-Schüler Elmar Gruber.

Im geistigen Klima, das Bauer und Bender in Freiburg geschaffen haben, gediehen zahllose Esoterikgruppierungen, von der Osho-Rajneesh-Sekte über den Deutschen Astrologenverband bis zum Hoffman-Quadrinity-Institut. Auch die Freiburger „Parapsychologische Beratungsstelle“ gehört ins Bild, an der Geisterforscher und PSI-Experte Walter von Lucadou (auf Kosten des Steuerzahlers) seine Experimente durchführt.

BZ: Das hat alles eine lange Geschichte...

Goldner: Die heute anzutreffende Irrationalität ist geschichtlich besehen nichts Neues. Die Wurzeln der Irrationalität liegen im wesentlichen in der Theosophie, einer Mixtur mystischer und okkulter Traditionen, zu finden schon bei den Neuplatonikern des zweiten Jhdts. u. Z. und in der von diesen mitgeprägten Gnosis.

Theosophisches Gedankengut zieht sich quer durch Mittelalter und Neuzeit und taucht besonders in den Ende des 18. Jahrhunderts aufkommenden gegenaufklärerischen Traktaten der Spiritisten auf, denen es in erster Linie um Kontaktaufnahme mit den Seelen Verstorbener geht. Als Gegenbewegung zu den umwälzenden gesellschaftlichen Veränderungen in Europa erreichte der Spiritismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts seine Höchstblüte: Allerorts traten selbsternannte Medien auf, die Botschaften aus dem Jenseits übermittelten.

Zu den berühmtesten Geisterklopfern ihrer Zeit zählte die gebürtige Russin Helena Blavatzky (1831–1891), derzufolge ein Rat galaktischer Wesen beschlossen habe, die in der Evolution am weitesten fortgeschrittene Rasse, die der Arier, in ein „Goldenes Zeitalter“ zu führen. Das „Verlöschen“ der niederen Rassen, „Rothäute, Eskimos, Papuas, Australier, Polynesier usw.“ sei insofern „karmische Notwendigkeit“: Die 1875 von Blavatsky in New York gegründete „Theosophische Gesellschaft“ lieferte so mit derlei Ideologemen eine willkommene Rechtfertigung für den in der Dritten und Vierten Welt wütenden Imperialismus. Auch in Deutschland gab es eine ganze Reihe spiritistischer Gruppierungen, die dem bevorstehenden Ende der bisherigen „heiligen Ordnung“ durch Rückzug ins Irrationale zu entgehen suchten.In München formierte sich vor der Jahrhundertwende das Esoterik-Quartett „Die Kosmiker“. Evolutionistische und aristokratische Abstammungslehren verspannen die vier mit Germanentum und deutschem Romantizismus zu einem wilden Konglomerat aus mystischer Vergangenheitssehnsucht und reaktionärem Eliteanspruch. Alles, was an „Archaischem“ zu finden war, an „dämonischen Kräften der Erde, der Nacht und des Totenreiches“, zog ihr Interesse auf sich. Die „Kosmiker“ wurden zur Attraktion schlechthin der Münchner Kulturszene, alles, was Rang und Namen hatte, traf sich dort: die Philosophen Oswald Spengler und Rudolf Pannwitz, die Schriftstellerinnen Ricarda Huch und Franziska zu Reventlow, die Maler Paul Klee, Franz Marc und Alfred Kubin; auch Friedrich Gundolf, bei dem später Joseph Goebbels studierte.

Während Lenin ab 1901 in Schwabing an seiner Schrift „Was tun?“ arbeitete, faselten ein paar Ecken weiter die „Kosmiker“ von vorantiken Mysterien und der „Wiedereinkörperung schwelender Seelen“. Schuler hatte in einem Schmöker über prähistorisches Mutterrecht ein altindoeuropäisches Zeichen entdeckt: das Hakenkreuz, dem er als „strahlendem Symbol heidnischer Wiedergeburt“ herausragende Bedeutung zusprach bei der „Befreiung der Menschheit von der Last judäo-christlicher Kultur“.

Im Winter 1903/04 zerbrach das Quartett der „Kosmiker“. Ihre kruden Phantasien aber waren längst nach Wien geschwappt. Dort gab ab 1905 der frühere Zisterziensermönch Adolf Lanz, der als „Baron Jörg Lancz de Liebenfels“ einen „Orden des Neuen Tempels“ gegründet hatte, ein ario-germanisches Esoterik-Blatt namens „Ostara“ heraus. Leser dieses Blattes war ein gewisser Adolf Hitler. Lanz’ Ordensmänner mußten blond und blauäugig sein und sich zur „Reinzucht“ verpflichten. Seine Idee war die Rückzüchtung einer germanischen Heldenrasse, die über alle andersrassigen „Äfflinge“ und „Schrättlinge“ siegen werde. 1908 zog Lanz auf seiner Ordensburg Werfenstein an der Donau eine Fahne mit dem Hakenkreuz auf.Auch die ideologischen Wegbereiter des Nationalsozialismus, Guido von List und Georg Lanz, wurden wesentlich durch theosophisches Gedankengut – vor allem dessen latenten Antisemitismus – inspiriert. Lanz gab 1905 in Wien ein ario-germanisches Esoterik-Blatt namens „Ostara“ heraus, zu dessen Lesern der Postkartenmaler Adolf Hitler zählte. 1918 schloß Hitler sich in München dem Dunstkreis der sogenannten „Thule-Gesellschaft“ an, die, orientiert an den Tiraden Lists und Lanz’, ein klares Ziel verfolgte: Spirituell-politische Weltherrschaft der arischen Rasse. 1919 gründete sich aus der Thule heraus die Deutsche Arbeiterpartei (DAP), die kurz darauf in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) umbenannt wurde. Unbestreitbar wurde der Nationalsozialismus aus solch esoterisch-okkulten Quellen mitgespeist.

Die heutigen Vertreter des „neuen Bewußtseins“ führen die Ideologie der Theosophen ungebrochen fort. Sie sagen es nur nicht mehr laut, daß die Slums und Elendsviertel, die Kriegsschauplätze dieser Welt Tummelplätze für niedrigere Seelen sind, denen nur Recht widerfährt. Nur ab und zu erfährt man, was sich tatsächlich hinter der biederen Fassade von Meditationszirkeln und Lichtkreisen verbirgt: Wenn etwa New-Age-Führer wie David Spangler oder Sir George Trevelyan, Träger des „Alternativen Nobelpreises“ und „spiritueller Berater“ von Prinz Charles, über „Euthanasie minderwertigen Lebens“ schwadronieren. Oder wenn der Berliner Szeneautor Tom Hockemeyer, bekannt als Trutz Hardo, den millionenfachen Mord an den Juden verklärt als „karmischen Ausgleich“ für irgendwelche Verfehlungen, deren diese sich in früheren Leben schuldig gemacht hätten: der Holocaust insofern sei das „Bestmögliche“ gewesen, was den Juden habe zustoßen können.

BZ: Die Anthroposophie rangiert für Sie auf der Liste der esoterischen Angebote ganz oben. Wieso?

Goldner: Rudolf Steiner, der seine esoterische Karriere als Generalsekretär der Theosophischen Gesellschaft in Deutschland begann, ist Wegbereiter des heutigen New Age. 1913 gründete er die „Anthroposophische Gesellschaft“, die die Lehre der Theosophen mit ein paar sozialen und humanen Untertönen versah. An der rassistischen Ideologie germanisch-nordischer Vorrangstellung hielt Steiner jedoch unbeirrbar fest.

Die Anthroposophen stellen heute die mit Abstand einflußreichste esoterische Gruppierung des deutschsprachigen Raumes dar. Allein in Deutschland besuchen über 60000 Kinder eine von 163 Waldorfschulen (die, obgleich reine Sektenschulen, zu größten Teilen vom Steuerzahler finanziert werden). Es ist ein Skandal, daß eine autoritär strukturierte Sekte, die an Reinkarnation und Karma, an „Äther“-, „Astral“- und andere Leiber glaubt, öffentlich anerkannte Schulen betreiben darf.

BZ: Ich wundere mich, daß in ihrem Buch den großen Sekten wie Scientology oder dem Verein für psychologische Menschenkenntnis (VPM) keine eigenen Kapitel gewidmet sind...

Goldner: Scientology und VPM werden nur am Rande erwähnt, da hierzu ausgezeichnete kritische Studien vorliegen, beispielsweise von Hugo Stamm oder Frank Nordhausen/ Liane v. Billerbeck.

BZ: Viele der von Ihnen beschriebenen Psychosekten haben unmittelbare Verbindungen zu Rechtsextremen und Nationalsozialisten alter und neuer Prägung, andere basieren auf einer rechten Weltanschauung. Geht es da subjektiv wenigstens noch um den Versuch, Leid in irgendeiner Form zu heilen, oder soll hier für politische Ziele rekrutiert werden?

Goldner: Hier geht es ausschließlich um politische Indoktrination, um die Modernisierung rechtsextremen Denkens unter dem Deckmantel esoterischer Sinnfindung.

BZ: Was haben wir aus dieser Ecke, deren Gefährlichkeit ich im übrigen in der Öffentlichkeit für absolut unterschätzt halte, in den nächsten Jahrzehnten zu erwarten?

Goldner: Die New-Age-Bewegung ist noch nicht faschistisch. Aber rechtsextreme und neofaschistische Organisationen können in den nächsten Jahren eine wachsende Attraktivität für entpolitisierte, autoritär strukturierte und systematisch verdummte New-Ager bekommen.

BZ: Ihrem Buch liegt eine außerordentlich gründliche und faktenreiche Recherche zugrunde. Wie kommen Sie an all diese Informationen?

Goldner: Ich befasse mich seit fast 20 Jahren mit der Szene und verfüge daher über ein umfängliches Archiv. Viele Insider-Informationen stammen auch von KlientInnen, die sich ratsuchend an das Forum Kritische Psychologie gewandt haben. Im übrigen gibt es kaum eine Gruppierung, in der ich nicht selbst undercover recherchiert hätte.

BZ: Erzählen Sie mir einen Fall?

Goldner: Das Kritische Forum Psychologie betreut Therapiegeschädigte und ihre Angehörigen. Viele haben sich bei sogenannten „esoterischen Therapien“ für eine Menge Geld im besten Fall nutzloses Geschwätz, im schlimmsten Fall schwere psychische Schädigungen eingehandelt. Wie eine bekannte Opernsängerin. Sie litt unter der Angst, auf der Bühne könnte ihr plötzlich die Stimme versagen. In einer Reinkarnationstherapie „erinnerte“ sie sich – d.h. sie folgte den Suggestionen des „Therapeuten“ –, sie sei im 15. Jahrhundert Scharfrichter in Rothenburg o. d. Tauber gewesen, als welcher sie Hunderte von Delinquenten an den Galgen geknüpft habe. Viele der Verurteilten seien unschuldig gewesen, sie habe folglich furchtbares Karma auf sich geladen. Diese Schuld äußere sich in ihrem jetzigen Leben – naheliegenderweise – in Problemen an ihrem Halse. Sie steigerte sich in die Vorstellung hinein, sie könne dieses Karma nur abtragen, wenn sie sich selbst antue, was sie ihren unschuldigen Opfern angetan habe. Sie sah keine andere Möglichkeit mehr, als sich selbst zu richten und auf dem Dachboden aufzuhängen. Aufgrund akuter Selbstmordgefährdung kam sie in stationäre psychiatrische Behandlung, in der sie mehr als ein halbes Jahr verbleiben mußte. Unsere Beratungsstelle übernahm die Nachbetreuung.

BZ: Wagen Sie für uns einen Ausblick in die Psycho-Zukunft und ihre Folgen?

Goldner: Das liegt auf der Hand: Die einzige Möglichkeit, die Menschen haben, sich gegen ausbeuterische und inhumane gesellschaftliche Verhältnisse zur Wehr zu setzen – Verstand und Vernunft –, werden gezielt zerstört. Übrig bleibt ein Volk von Karma-, Schicksalsund Vorsehungsgläubigen.