Quelle: Linksruck Nr. 86, 19. April 2000

England: Blair unter Druck

von Florian Kirner

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Tony Blair ist das Vorbild der SPD-Modernisierer um Gerhard Schröder. In England selbst ist der Lack drei Jahre nach der Wahl abgeblättert: Die von Entlassung bedrohten Rover-Arbeiter werfen Blair vor, sie im Stich zu lassen. In London droht die Wahl zum Bürgermeister zu einem Debakel für die Parteiführung zu werden.

Nach dem Ausstieg von BMW demonstrierten in Birmingham 100.000 Menschen für den Erhalt der Rover-Werke. Eine ganze Region stand auf: "Ich arbeite in einer kleinen Firma, die Sandwiches für die Rover-Arbeiter macht. Wenn die Fabrik dichtgemacht wird, ist mein Job auch weg – und Tausenden geht es ähnlich." sagt Margaret Hamilton, die ihre Sandwiches deshalb in der Vorwoche mit Demoaufrufen bestückt hat.

Tatsächlich könnten die Folgen einer Werkschließung dramatisch sein. Bereits jetzt ist der Umsatz des Einzelhandels rund um die Rover-Werke um die Hälfte eingebrochen, viele Zulieferer sind von Rover-Aufträgen abhängig.

Verstaatlichen

Ihre Untätigkeit im Kampf um die Rover-Jobs hat die Enttäuschung mit der Blair-Regierung auf neue Höhen geschraubt. Gefordert wird quer durch die britische Arbeiterbewegung die Wiederverstaatlichung von Rover. Genau das aber steht der neoliberalen Orientierung von "New Labour" entgegen. Blair setzt auf Privatisierung und Marktöffnung.

"Die Labour-Party ist angeblich auf unserer Seite. Aber sie machen da weiter, wo die Konservativen aufgehört haben. Zum Teil wird es sogar schlimmer." meint Feuerwehrmann Mick Grant.

Laut Regierung soll der Privatisierungskurs ein Jobwunder auslösen. Das aber entpuppt sich nicht erst seit der Rover-Krise als Propagandaente. Mick: "Es ist schön, daß Blair sagt, daß mehr Jobs entstehen. Aber was bringt es mir, für 100 Pfund die Woche in einem Schnellrestaurant zu schaffen? Damit kann ich meine Familie nicht ernähren und das Haus nicht mehr halten."

Livingstone

Auch im Streit um die Kandidatur für das Amt des Londoner Bürgermeisters, der die Londoner Labour-Party seit Monaten in Atem hält, spielt das Thema Privatisierung eine zentrale Rolle.

Mit allen Mitteln versuchte Blair zu verhindern, daß die Londoner Labour-Mitglieder Ken Livingstone nominieren, der in den 80er Jahren eine prominente Rolle auf der Parteilinken spielte.

Großes Streitthema ist das Londoner U-Bahnsystem, das seit Jahrzehnten unterfinanziert vor sich hin rostet. Blair kämpft vehement für dessen Privatisierung. Genau das stößt aber nach einer Serie von schlimmen Unfällen bei der unter Thatcher privatisierten Fernbahn auf breite Ablehnung in der Bevölkerung.

Livingstone setzte in den 80ern als Vorsitzender des Stadtrats die Fahrpreise radikal herunter und steht auch heute für den Ausbau und eine bessere, staatliche Finanzierung der öffentlichen Transportsysteme.

Obwohl die Mitglieder bei einer Urwahl mit einem Verhältnis von 8:1 für den "Roten Ken" votierten, setzte sich Blairs Kandidat Dobson durch – dank abenteuerlicher Tricks im Wahlprozedere.

Als Reaktion auf den offensichtlichen Wahlbetrug kündigte Livingstone eine unabhängige Kandidatur an, woraufhin ihn die Labour-Führung aus der Partei warf.

Es scheint, als hätte Blair den Bogen überspannt. Ein regelrechter Streik der Parteibasis legt den Wahlkampf für Frank Dobson lahm, während Livingstone in allen Umfragen weit in Führung liegt.

Livingstone wurde zu einem Symbol linker Unzufriedenheit mit Blair. Kürzlich äußerte er, die internationale Finanzspekulation töte jedes Jahr mehr Menschen als Hitler. Letzterer sei aber wenigstens verrückt gewesen.

Leider fährt Livingstone seinen linken Kurs keineswegs so konsequent, wie die hysterische Angstpropaganda der Labour-Führung glauben macht. Er unterstützte beispielsweise den Kosovo-Krieg und scheint darauf zu spekulieren, sich – erst einmal im Amt des Bürgermeisters – mit Blair arrangieren zu können.

Dennoch wäre ein Wahlsieg Livingstones eine schallende Ohrfeige für Blairs Yuppietruppe, die das Selbstbewußtsein der Linken spürbar steigern könnte.

LSA

Zumal sich für die gleichzeitig stattfindende Wahl zum Londoner Stadtrat eine breite Koalition sozialistischer Gruppierungen und Parteien zusammengefunden hat.

Die "London Socialist Alliance" unterstützt die Wahl Ken Livingstones zum Bürgermeister, tritt aber mit eigenen Kandidaten zur Stadtratswahl an. Ihre Kandidaten sind anders gestrickt, als die smarte New Labour Riege, in einem Wahlkreis kandidiert sogar eine Betriebsrätin auf der LSA-Liste gegen ihre eigene Chefin, die für Labour antritt.

Eine Million Flugblätter will die LSA unters Volk bringen, mehr als 100 Gewerkschaftsgliederungen haben ihre Unterstützung erklärt. Intern schließt die Labour-Party nicht aus, daß der LSA der Einzug in den Stadtrat gelingen könnte.

Wie auch immer die Londoner Wahl am 4. Mai ausgehen wird: Die Ereignisse in London und die "Job-Revolte" rund um Rover haben die Kritik an Tony Blairs Kurs ins Zentrum der öffentlichen Debatte gerückt. Die kommenden Wahlkampfwochen könnten die Räume für eine linke Alternative zu New Labour öffnen.

Kämpfen statt kungeln

Die Gewerkschaftsführung hat die Forderung nach einer Verstaatlichung Rovers zwar aufgenommen. Sie wehrt sich aber mit Händen und Füßen gegen Bestrebungen in der Belegschaft, eine solche Rettungsaktion der Regierung durch Streik und Besetzung durchzusetzen.

Die Führung hofft vielmehr, hinter den Kulissen einen Deal mit einem neuen Investor einfädeln zu können. Genau diese Strategie führte bei der letzten großen Rover-Krise zum Verlust Tausender Arbeitsplätze – und zur soeben gescheiterten Übernahme durch BMW.