Quelle: http://www.copyriot.com/unefarce/ 

Die Stadt als Beute
eine Rezension 

von Franziska Roller

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Rund um den Potsdamer Platz in Berlin entsteht ein neues Stadtzentrum, das mit den herkömmlichen Vorstellungen von Innenstadt wenig zu tun hat: Dort wird eine Privat City aus dem Boden gestampft, samt Straßen und Städten im Besitz von Konzernen wie Daimler-Crysler und Sony. Die Berliner Innenstadt ist nur einer von vielen Orten, an denen die grundlegende Umstrukturierung der Städte sichtbar wird, die derzeit vor sich geht. Die Tendenz, daß anstelle des Staates immer mehr private Investoren die Innenstädte in Besitz nehmen, läßt sich in zahlreichen Großstädten beobachten.

Klaus Ronneberger, Stephan Lanz und Walther Jahn untersuchten, wie die Stadt zur Beute werden konnte. Sie beschreiben die derzeitigen Entwicklungen anhand einer ganzen Reihe von Städten; neben Berlin unterziehen sie auch Hamburg, Frankfurt, Stuttgart, Oberhausen, Leipzig und noch einige mehr einer Inspektion und zeigen, wie unauflöslich das Bild der Städte mit globalen ökonomischen Entwicklungen verknüpft ist. Dabei wirkt eine ganze Reihe von Faktoren zusammen. Zum ersten führte die Umverteilung staatlicher Gelder zu einer kontinuierlichen Verringerung der finanziellen Mittel, die den Kommunen zur Verfügung stehen. In der Folge findet ein Ausverkauf städtischen Eigentums statt – und das heißt vor allem ein Ausverkauf von Grundstücken. Doch wer glaubt, daß die Städte hier wenigstens finanziell herausholen, was zu holen ist, irrt. Der Geldmangel trägt gleichzeitig dazu bei, daß die Städte sich zunehmend als Unternehmer verstehen bzw. glauben, in Kategorien von Umsatz, Gewinnen und Konkurrenz denken zu müssen. Folglich versuchen sie, im Kampf um Standortvorteile andere Städte zu unterbieten. So haben private Investoren freie Bahn: Zu Dumpingpreisen und unter Umgehung demokratischer Entscheidungswege können sie die Innenstädte erobern. Das ist noch nicht alles: In der Hoffnung, die Stadt zu einem finanzkräftigen Standort zu machen, übernehmen die Kommunen häufig dazu auch noch den Großteil des Investitionsrisikos, und im Gegenzug überlassen sie den Investoren sowohl den gesamten stadtplanerischen Entscheidungsspielraum als auch den vollen Gewinn.

Den Preis für diesen Standortkampf zahlen die sozialen Randgruppen der Stadt. Sie werden auf dreifache Weise getroffen. Da die kommunalen Finanzen in Großprojekten gebunden sind, wird vor allem im Sozialbereich gespart; dies legitimiert ein politischer und medialer Diskurs, dem zufolge Armut letztlich als selbstverschuldeter, moralisch verwerflicher Zustand zu verstehen sei, fast schon als kriminelles Verhalten. Leistungsempfänger werden unter Druck gesetzt – zum Beispiel durch Arbeits-Zwangmaßnahmen - ; an die Stelle von Bedürfnisbefriedigung tritt Störungsabwehr.

Das Ende des eines Modells, das sich am ehesten als fordistischer Klassenkompromiß bezeichnen läßt, zeigt sich auch in einer Stadtpolitik, die auf Eigentum und nicht mehr auf Mietwohnungen setzt. Das hat soziale Folgen, die sich in den Städten deutlich niederschlagen. Es kommt zu einer Gentrifizierung, die einer Vertreibung der sozial Schwachen aus städtebaulich interessanten Stadtvierteln gleichkommt, und das trägt letztlich auch zu einer generellen Ausgrenzung aus den Innenstädten bei. Die städtebauliche und kommunalökonomische Entwicklung spiegelt sich auch auf dem Feld der Lebensstile wieder; mit Cappucchino und Lifestylekneipen verdrängen die neuen Urbaniten alteingesessenes Kiezpublikum.

Die Autoren zeigen weiterhin, wie diese Tendenz mit dem seit Jahren unvermindert präsenten Sicherheitsdiskurs verknüpft ist. Er wird nicht nur aus der Kriminalisierung von Armut gespeist, sondern fungiert zudem als politischer Nebenschauplatz, auf den die Unsicherheitsgefühle und Ängste in einer durch Flexibilisierung und Rationalisierung zunehmend prekärer werdenden ökonomischen Lage umgelenkt werden können. Die Folge ist eine soziale Ausgrenzung, und gleichzeitig eine konkrete Einschränkung der Bewegungsfreiheit im Stadtraum durch architektonische Mittel, Platzverweise, private Sicherheitsdienste usw.

Auch der Einzelhandel ist eifrig bestrebt, soziale Randgruppen noch weiter aus den Stadtzentren hinaus ins Abseits zu drängen. In den letzten Jahren haben die "Speckgürtel" um die Innenstädte mit Gewerbeflächen und Shopping Malls immer mehr ökonomisches Potential und Kaufkraft aus den Zentren abgezogen. In Konkurrenz mit diesen Vorstädten versuchen nun die innenstädtischen Ladenbetreiber, in den Stadtzentren eben das suburbane Klima zu schaffen, in dem sie die Attraktivität der Vorstadtmalls ausmachen.

Die abschließende Diagnose der Autoren lautet: Die Städte sind auf dem Weg zu einer neofeudalen Struktur. Die Herrschaft über den Raum der Städte ist gleichzusetzen mit einer Kontrolle der Gruppen; diese privilegierte Form der Machtausübung wird derzeit in revanchistischer Weise gegen die sozial Schwachen eingesetzt.

Die Autoren fassen die verschiedenen Stränge, aus denen sich das Gesamtbild der derzeitigen Städte gewoben wird, als "revanchistische Politik" zusammen, die vom Großteil der Bevölkerung mitgetragen wird. Im Unterschied zu den Verhältnissen in den USA besteht hierzulande eine spezielle Arbeitsteilung zwischen den institutionellen Strukturen des Wohlfahrts-und Fürsorgesystems und privaten Trägern; dadurch widersetzen sich diejenigen, die im sozialen Sektor tätig sind, einer Ausdünnung der sozialen Leistungen.

Insgesamt konstatieren sie die Wiederkehr einer Doppelfigur, die man schon aus dem 19. Jahrhundert kennt: Philantropie für die "würdigen Armen", Strafen und überwachen für die "unwürdigen." Ronneberger, Lanz und Jahn betonen dabe, daß dies "nicht die schlichte Rückkehr zum traditionellen Liberalismus" bedeute, "sondern eine grundlegende Neubestimmung der Topographie des Sozialen". Eine weiterführende Bestimmung dessen, was die heutigen Formen sozialer Ausgrenzungen zu neuen, noch nicht dagewesenen macht, steht noch aus.

Deutlich wird: Es gibt keine lineare Geschichte von Strafe und Kontrolle, keine klare Verschiebung weg von einer strafenden Obrigkeit hin zu einer internalisierten Kontrolle, sondern immer wieder historische Momente, in denen sich die Funktionsweise der Macht neu strukturiert.

Ronneberger, Lanz und Jahn haben mit "Die Stadt als Beute" einen umfassenden Überblick darüber gegeben, wie Deregulierung, neoliberale politische Konzepte und die Abkehr vom fordistischen Modell das Bild der Städte prägen und wie umgekehrt der urbane Raum als Brennglas für gesellschaftliche Entwicklungen gelten kann. Um diese Aufgabe zu bewältigen, haben sie sich dazu entschieden, nicht zu lange im Detail zu verweilen, vielmehr größere Zusammenhänge herzustellen - auf Kosten von ausführlichen statistischen Belegen auf der einen oder tiefergehenden qualitativen Analysen auf der anderen Seite. Auch im Schreibstil haben sich die Autoren im Niemandsland zwischen soziologischer Fremdwortverliebtheit und erzählerischer Darstellung niedergelassen. Ein bißchen schade ist das schon, denn der Erkenntnisgewinn, den dieses Buch bietet, geht auf Kosten einer anschaulichen Sprache.

Am Ende des Buches steht eine Kritik der Analysen und Konzepte, die von Soziologen und Stadtplanern in den letzten Jahren formuliert wurden. Die Autoren führen die kulturpessimistische Angst vor Amerikanisierung als Schimäre vor. Sie kritisieren das Verständnis des öffentlichen Raums, das die meisten "professionellen Urbanisten" an den Tag legen, als reduziert und als falsche Idealisierung der Stadt des 19. Jahrhunderts. Daran anschließend versuchen die Autoren, das Unmögliche: Den guten Schluß, den es geben muss, muss, muss. In einem Absatz nennen sie die Innenstadt-Aktionen als Möglichkeit, derUmstrukturierung der Städte etwas entgegenzusetzen. Dass diese das nicht leisten können, liegt auf der Hand, vielleicht wäre es besser gewesen, tapfer auszuhalten, dass ausser einer genauen Beschreibung der Zusammenhänge und Entwicklungen derzeit nicht viel an politischem Potential greifbar erscheint, um wirksam gegen die Verhältnisse anzugehen.

Ungeachtet dessen ist "die Stadt als Beute" ein Buch, das dringend geschrieben werden mußte. Denn gerade daß derzeit kaum konkrete Handlungsperspektiven in Sicht sind, macht eine solche Analyse um so notwendiger. Klaus Ronneberger, Stephan Lanz und Walther Jahn haben eine Menge Steinchen zu einem Mosaik zusammengetragen, welches das neue, sauber polierte Gesicht der Stadt als Fratze erkennbar macht. Die Autoren machen sichtbar, wie unterschiedliche Ebenen und scheinbar unabhängig nebeneinander herlaufende Entwicklungen der Städte zu einem dichten, von unzähligen Zwischenverbindungen getragenen Netz geknüpft sind, und zwar auf allen Ebenen von der Ökononmie bis hin zum Alltagsdiskurs. Sie zeigen, wie partikuläre Interessen in letzter Konsequenz alle in dieselbe Richtung laufen und eine neuartige Form multipler Kontrollweisen im städtischen Raum ermöglichen.

Klaus Ronneberger/Stephan Lanz/Walther Jahn: 
Die Stadt als Beute. Dietz-Verlag Bonn 1999, 240 Seiten, 24,80 Mark.