Eine
Reihe von Verschiebungen und
Frontbegradigungen fanden in vergangenen
Wochen im Sahelstaat Mali statt, dessen
Norden und Zentrum von extremer Gewalt
geprägt sind.
Jihadistische
Aktivitäten vermischen sich hierzunehmend
mit Bandengewalt, Phänomenen der Erpressung
ortsansässige Bevölkerungsteilen sowie
ethnisierter Gewalt etwa zwischen
Angehörigen der – meist als Viehzüchter
lebenden – Peul einerseits und Ackerbau
betreibenden Bevölkerungsgruppen, wie den
Dogon im Raum Mopti in Zentralmali,
andererseits. Im Raum Mopti spitzten sich
die Konflikte im vergangenen Jahr erheblich
zu. Diese nehmen die Form von Angriffen auf
Dörfer, die meist durch mehrere Dutzend auf
Motorrädern anrückende Jihadisten
durchgeführt werden, aber auch von
zunehmenden Gegenattacken durch
„Selbstverteidigungsgruppen“ auf Angehörige
der Peul-Bevölkerung an. 450 Tote waren
deswegen allein im Raum Mopti im Jahr 2019
zu verzeichnen. Insgesamt zählten die
Vereinten Nationen im westlichen Sahel,
insbesondere in Mali, Burkina Faso und
Niger, 4.000 Tote bei bewaffneten
Konflikten. Besonders schwer getroffen ist
dabei neben Landesteilen Malis der
Nachbarstaat Burkina Faso, wo
Hunderttausende Bewohner ländlicher Zonen
flohen und derzeit 600.000 Menschen auf
Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind.
Am 02. Februar 20 gab
zunächst die französische „Ministerin der
Armeen“, Florence Parly, eine Aufstockung
der französischen Streitmacht für die
Sahelzone, der force Barkhane,
die den Namen eines Wüstenwinds trägt, von
derzeit 4.500 auf 5.100 Soldaten bekannt.
Anlässlich eines „Sahelgipfels“, der am 13.
Januar d.J. im südfranzösischen Pau – unter
den Spitzenpolitikern - den französischen
Staatspräsidenten Emmanuel Macron und fünf
Staatsoberhäupter der westlichen und
zentralen Sahelzone sowie Minister,
Mitarbeiter und Berater versammelte, war
zunächst eine Erhöhung der Anzahl der
stationierten französischen Soldaten um 220
angekündigt worden. Ihre Zahl wurde nun
nachträglich noch erhöht. Nach Ablauf von
sechs Monaten soll eine Bilanz aus der
Truppenaufstockung bezüglich ihrer
„Effizienz“ gezogen werden. Generalstabschef
François Lecointre kündigte an, er erwarte,
Erfolge, jedoch keinen Sieg über die oft
hochmobilen Jihadistenverbände bis zum
Jahresende 2020.
Weitere Länder
sollen zu den militärischen Anstrengungen
beitragen. Die Tschechische Republik
kündigte die Entsendung von sechzig Militärs
in diesem Rahmen an, das Regime des
Sahelstaats Tschad soll seinerseits ein
zusätzliches Bataillon stellen. Die
Regierung in Paris möchte überdies eine
Ausdehnung des Mandats der
EU-Ausbildermission EUTM, an welcher auch
die Bundesrepublik teilnimmt und in deren
Rahmen im malischen Koulikoro Soldaten der
Armee des Landes ausgebildet werden: Die
europäischen Truppen sollen dabei direkt -
und nicht nur über die zentrale
Einsatzleitung vermittelt - mit
Truppenteilen der Staaten der „G5
Sahel-Gruppe“, die aus Mauretanien, Mali,
Burkina Faso, Niger und Tschad besteht,
zusammenarbeiten.
Unsicherheiten
bestehen hingegen über den Verbleib der
US-Amerikaner in der Region. Bislang spielen
diese vor allem eine Rolle bei der Lieferung
nachrichtendienstlicher Informationen sowie
bei der Zurverfügungstellung von
Aufklärungs- und Kampfdrohnen. Die
amtierende US-Administration erwägt jedoch
einen Abzug ihrer militärischen Mittel aus
dem Sahel. Anfang Februar verlautbarte
Stephen Townsend, der Oberkommandierende des
US-amerikanischen Afrikakommandos AFRICOM,
eine definitive Entscheidung sei noch nicht
getroffen worden.
In Frankreich
kritisierten vor allem die Französische KP
und die Wahlplattform unter Jean-Luc
Mélenchon, LFI („Das unbeugsame
Frankreich“), die Entscheidung zur
Truppenaufstockung. Seit 2013 sei die
militärische Präsenz ständig erhöht worden,
ohne dass man der Lösung einer der
Konfliktursachen irgendwie näher gerückt
sei, erklärte KP-Sekretär Fabien Roussel
dazu. Die LFI-Fraktion schrieb in einer
Stellungnahme, Frankreich setze sich
verstärkt dem Vorwurf des Neokolonialismus
aus und schüre dadurch den Konflikt eher
zusätzlich, indem man dem Diskurs der
Jihadisten Nahrung gebe. Hingegen
unterstützte die rechtsextreme Politikerin
Marine Le Pen die Truppenentsendung und
kritisierte eine „zu schwach ausfallende
europäische Antwort“. Im Gegensatz zu
anderen militärischen Interventionen
Frankreichs oder generell westlicher Staaten
– wie in Libyen 2011 oder im Irak 1991 und
2003, oder potenziell in Syrien -, die ihre
Partei Rassemblement National (RN, ehemals
Front National) allesamt mit einem
isolationistischen Diskurs ablehnte,
unterstützt dieselbe Partei in Mali seit
2013 erstmals eine Intervention, da diese
sich direkt gegen den Islamismus richte.
Die
entscheidenden Änderungen resultieren jedoch
nicht aus dieser französischen Entscheidung,
sondern aus Weichenstellungen vor Ort. Am
10. Februar gab Malis Staatspräsident
Ibrahim Boubacar Keïta den beiden
französischen Sendern mit internationaler
Ausstrahlung, France24 sowie Radio France
International (RFI), ein Interview aus Addis
Abeba, am Sitz der Afrikanischen Union (AU).
Darin tätigte er zweierlei wichtige
Ankündigungen.
Zum Einen
rücke die malische Armee erstmals seit der
Implosion des Zentralstaats 2012, als
Tuareg-Rebellen sowie Jihadisten zusammen –
bevor ihre Allianz innerhalb kurzer Zeit
zerbrach – vorübergehend die Kontrolle über
den Norden des Landes übernahmen, sowie seit
dem Beginn der französischen Intervention
2013 wieder in die nordöstliche Stadt Kidal
ein. Diese blieb bis zuletzt unter der
Kontrolle von Tuareg-Wardlords, deren Agenda
sich nicht mit jener der Jihadisten decken,
obwohl an der Basis ihrer Rebellenverbände
die Übergänge zu jihadistischen
Gruppierungen fließend sein können, da
Kombattanten bisweilen die Reihen zwischen
ihnen wechseln. Die malische Seite gab
bislang an, Frankreichs Armee habe die
Streitkräfte des Landes bei der
Rückeroberung des Landes 2013 an der
Wiedereinnahme Kidals gehindert. Paris wurde
bis zuletzt durch weite Teile der
politischen KrÄfte sowie der Bevölkerung
verdächtigt, nicht die Jihadisten, wohl aber
die Tuareg-Separatisten als Verbündete zu
schützen und eine parallele Diplomatie
zwischen dem Zentralstaat einerseits und den
sezessionistischen Tuareg-Verbänden – heute
in der „Coordination“ (oder CMA)
zusammengeschlossen – andererseits zu
betreiben.
Infolge einer
Sitzung des „Komitees zur Befolgung des
Abkommens von Algier“, in welchem sich 2015
die Tuareg-Separatisten sowie der
Zentralstaat auf eine Konfliktlösung
einigten, wurde jedoch die Rückkehr der
Armee nach Kidal beschlossen. 200 Soldaten
der malischen Armee, in die jedoch weitere
200 Mann aus den bewaffneten Verbänden der
Coordination sowie 200 Soldaten
loyalistischer Tuareg-Gruppen eingegliedert
wurden, fuhren daraufhin am 10. Februar aus
Gao ab und trafen am Nachmittag des 13.
Februar in Kidal ein, wo sie ihre 2012
verlassene Kaserne bezogen.
Diese Rückkehr nach Kidal
ist mutmaßlich vorwiegend als
Autoritätsbeweis zu werten, welcher die
andere zentrale Ankündigung politisch
legitimieren soll. Im selben Interview
kündigte Keïta auch an, nunmehr einen
indirekten Dialog mit den jihadistischen
Chefs Amadou Koufa und Iyad Ag Ghali zu
eröffnen.
Diese sind respektive Chef der „Gruppe sur
Unterstützung für den Islam und die Muslime“
(GiSM), die dem internationalen Netzwerk
Al-Qaida angegliedert ist, und im Falle
Koufas der regionalen Unterorganisation
„Befreiungsfront der Macina“ in Zentralmali.
Zum ersten Mal überhaupt verkündet
Praesident Keita explizit, dass
Verhandlungen mit ihrer Umgebung
stattfinden, geführt durch Ex-Präsident
Diocounda Traoré, der 2012 die französischen
Truppen rief.
Koufa hatte im November 2019 in die
Wiedereröffnung der staatlichen Schulen in
die von ihm kontrollierten Zonen
eingewilligt. Diese wurde jedoch durch die
Ankunft von Kadern des „Islamischen Staates“
(IS), die aus Syrien oder dem Iraq flohen,
vereitelt. Dessen Regionalorganisation
„Islamischer Staat der großen
Sahara“ wurde auf dem Gipfel in Pau faktisch
zum Hauptfeind erklärt. Angeführt wird sie
durch einen Sahraoui und früheren
Polisario-Kämpfer, Adnane Abou Walid
Al-Sahraoui.
Aus der Schusslinie geraten dabei zunehmend
die anderen Gruppen unter Koufa und Ag
Ghali. RFI berichtet am 14. Februar d.J.,
die französische Regierung kritisiere es
nicht, falls Bamako mit Ihnen zu verhandeln
versuche.
Unklar ist, worüber dabei gesprochen Ford.
Die Präsidentenpartei RPM und Mousa Mara,
Ex-Premierminister - er verhandelte 2015 das
Abkommen von Algier und Chef der Partei
Yelemane [Veränderung], erklärten, es gebe
„rote Linien“ bei Gesprächen wie die die
Einheit des malischen Staates und dessen
laizistischen Charakter. Dagegen begrüßt
der frühere französische Botschafter in
Mali, Nicolas Normand, bel RFI die Aussicht
auf Verhandlungen. Es sei vorstellbar,
ähnlich wie im Norden Nigerias eine
Scharia-Gesetzgebung nur für einzelne
Regionen einzuführen. Und: „Es kommt ganz
darauf an, was die unter Scharia verstehen.“
Wodurch er andeutet, dass auch eine
Scharia-Lösung als akzeptabel betrachtet
werden könne.
Editorische Hinweise
Wir
erhielten den Artikel vom Autor für
diese Ausgabe. Es handelt sich um eine
redaktionell überarbeitete Fassung der
Erstveröffentlichung am am 27. Febuar 20
in Wochenzeitung ‚Jungle World‘.
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