Mali
Hin zu einer „Verhandlungslösung“ unter Einbindung von Jihadisten-Verbände

von Bernard Schmid

03/2020

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Eine Reihe von Verschiebungen und Frontbegradigungen fanden in vergangenen Wochen im Sahelstaat Mali statt, dessen Norden und Zentrum von extremer Gewalt geprägt sind.

Jihadistische Aktivitäten vermischen sich hierzunehmend mit Bandengewalt, Phänomenen der Erpressung ortsansässige Bevölkerungsteilen sowie ethnisierter Gewalt etwa zwischen Angehörigen der – meist als Viehzüchter lebenden – Peul einerseits und Ackerbau betreibenden Bevölkerungsgruppen, wie den Dogon im Raum Mopti in Zentralmali, andererseits. Im Raum Mopti spitzten sich die Konflikte im vergangenen Jahr erheblich zu. Diese nehmen die Form von Angriffen auf Dörfer, die meist durch mehrere Dutzend auf Motorrädern anrückende Jihadisten durchgeführt werden, aber auch von zunehmenden Gegenattacken durch „Selbstverteidigungsgruppen“ auf Angehörige der Peul-Bevölkerung an. 450 Tote waren deswegen allein im Raum Mopti im Jahr 2019 zu verzeichnen. Insgesamt zählten die Vereinten Nationen im westlichen Sahel, insbesondere in Mali, Burkina Faso und Niger, 4.000 Tote bei bewaffneten Konflikten. Besonders schwer getroffen ist dabei neben Landesteilen Malis der Nachbarstaat Burkina Faso, wo Hunderttausende Bewohner ländlicher Zonen flohen und derzeit 600.000 Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind.

Am 02. Februar 20 gab zunächst die französische „Ministerin der Armeen“, Florence Parly, eine Aufstockung der französischen Streitmacht für die Sahelzone, der force Barkhane, die den Namen eines Wüstenwinds trägt, von derzeit 4.500 auf 5.100 Soldaten bekannt. Anlässlich eines „Sahelgipfels“, der am 13. Januar d.J. im südfranzösischen Pau – unter den Spitzenpolitikern - den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron und fünf Staatsoberhäupter der westlichen und zentralen Sahelzone sowie Minister, Mitarbeiter und Berater versammelte, war zunächst eine Erhöhung der Anzahl der stationierten französischen Soldaten um 220 angekündigt worden. Ihre Zahl wurde nun nachträglich noch erhöht. Nach Ablauf von sechs Monaten soll eine Bilanz aus der Truppenaufstockung bezüglich ihrer „Effizienz“ gezogen werden. Generalstabschef François Lecointre kündigte an, er erwarte, Erfolge, jedoch keinen Sieg über die oft hochmobilen Jihadistenverbände bis zum Jahresende 2020.

Weitere Länder sollen zu den militärischen Anstrengungen beitragen. Die Tschechische Republik kündigte die Entsendung von sechzig Militärs in diesem Rahmen an, das Regime des Sahelstaats Tschad soll seinerseits ein zusätzliches Bataillon stellen. Die Regierung in Paris möchte überdies eine Ausdehnung des Mandats der EU-Ausbildermission EUTM, an welcher auch die Bundesrepublik teilnimmt und in deren Rahmen im malischen Koulikoro Soldaten der Armee des Landes ausgebildet werden: Die europäischen Truppen sollen dabei direkt - und nicht nur über die zentrale Einsatzleitung vermittelt - mit Truppenteilen der Staaten der „G5 Sahel-Gruppe“, die aus Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad besteht, zusammenarbeiten.

Unsicherheiten bestehen hingegen über den Verbleib der US-Amerikaner in der Region. Bislang spielen diese vor allem eine Rolle bei der Lieferung nachrichtendienstlicher Informationen sowie bei der Zurverfügungstellung von Aufklärungs- und Kampfdrohnen. Die amtierende US-Administration erwägt jedoch einen Abzug ihrer militärischen Mittel aus dem Sahel. Anfang Februar verlautbarte Stephen Townsend, der Oberkommandierende des US-amerikanischen Afrikakommandos AFRICOM, eine definitive Entscheidung sei noch nicht getroffen worden.

In Frankreich kritisierten vor allem die Französische KP und die Wahlplattform unter Jean-Luc Mélenchon, LFI („Das unbeugsame Frankreich“), die Entscheidung zur Truppenaufstockung. Seit 2013 sei die militärische Präsenz ständig erhöht worden, ohne dass man der Lösung einer der Konfliktursachen irgendwie näher gerückt sei, erklärte KP-Sekretär Fabien Roussel dazu. Die LFI-Fraktion schrieb in einer Stellungnahme, Frankreich setze sich verstärkt dem Vorwurf des Neokolonialismus aus und schüre dadurch den Konflikt eher zusätzlich, indem man dem Diskurs der Jihadisten Nahrung gebe. Hingegen unterstützte die rechtsextreme Politikerin Marine Le Pen die Truppenentsendung und kritisierte eine „zu schwach ausfallende europäische Antwort“. Im Gegensatz zu anderen militärischen Interventionen Frankreichs oder generell westlicher Staaten – wie in Libyen 2011 oder im Irak 1991 und 2003, oder potenziell in Syrien -, die ihre Partei Rassemblement National (RN, ehemals Front National) allesamt mit einem isolationistischen Diskurs ablehnte, unterstützt dieselbe Partei in Mali seit 2013 erstmals eine Intervention, da diese sich direkt gegen den Islamismus richte.

Die entscheidenden Änderungen resultieren jedoch nicht aus dieser französischen Entscheidung, sondern aus Weichenstellungen vor Ort. Am 10. Februar gab Malis Staatspräsident Ibrahim Boubacar Keïta den beiden französischen Sendern mit internationaler Ausstrahlung, France24 sowie Radio France International (RFI), ein Interview aus Addis Abeba, am Sitz der Afrikanischen Union (AU). Darin tätigte er zweierlei wichtige Ankündigungen.

Zum Einen rücke die malische Armee erstmals seit der Implosion des Zentralstaats 2012, als Tuareg-Rebellen sowie Jihadisten zusammen – bevor ihre Allianz innerhalb kurzer Zeit zerbrach – vorübergehend die Kontrolle über den Norden des Landes übernahmen, sowie seit dem Beginn der französischen Intervention 2013 wieder in die nordöstliche Stadt Kidal ein. Diese blieb bis zuletzt unter der Kontrolle von Tuareg-Wardlords, deren Agenda sich nicht mit jener der Jihadisten decken, obwohl an der Basis ihrer Rebellenverbände die Übergänge zu jihadistischen Gruppierungen fließend sein können, da Kombattanten bisweilen die Reihen zwischen ihnen wechseln. Die malische Seite gab bislang an, Frankreichs Armee habe die Streitkräfte des Landes bei der Rückeroberung des Landes 2013 an der Wiedereinnahme Kidals gehindert. Paris wurde bis zuletzt durch weite Teile der politischen KrÄfte sowie der Bevölkerung verdächtigt, nicht die Jihadisten, wohl aber die Tuareg-Separatisten als Verbündete zu schützen und eine parallele Diplomatie zwischen dem Zentralstaat einerseits und den sezessionistischen Tuareg-Verbänden – heute in der „Coordination“ (oder CMA) zusammengeschlossen – andererseits zu betreiben.

Infolge einer Sitzung des „Komitees zur Befolgung des Abkommens von Algier“, in welchem sich 2015 die Tuareg-Separatisten sowie der Zentralstaat auf eine Konfliktlösung einigten, wurde jedoch die Rückkehr der Armee nach Kidal beschlossen. 200 Soldaten der malischen Armee, in die jedoch weitere 200 Mann aus den bewaffneten Verbänden der Coordination sowie 200 Soldaten loyalistischer Tuareg-Gruppen eingegliedert wurden, fuhren daraufhin am 10. Februar aus Gao ab und trafen am Nachmittag des 13. Februar in Kidal ein, wo sie ihre 2012 verlassene Kaserne bezogen.

Diese Rückkehr nach Kidal ist mutmaßlich vorwiegend als Autoritätsbeweis zu werten, welcher die andere zentrale Ankündigung politisch legitimieren soll. Im selben Interview kündigte Keïta auch an, nunmehr einen indirekten Dialog mit den jihadistischen Chefs Amadou Koufa und Iyad Ag Ghali zu eröffnen. Diese sind respektive Chef der „Gruppe sur Unterstützung für den Islam und die Muslime“ (GiSM), die dem internationalen Netzwerk Al-Qaida angegliedert ist, und im Falle Koufas der regionalen Unterorganisation „Befreiungsfront der Macina“ in Zentralmali. Zum ersten Mal überhaupt verkündet Praesident Keita explizit, dass Verhandlungen mit ihrer Umgebung stattfinden, geführt durch Ex-Präsident Diocounda Traoré, der 2012 die französischen Truppen rief.

Koufa hatte im November 2019 in die Wiedereröffnung der staatlichen Schulen in die von ihm kontrollierten Zonen eingewilligt. Diese wurde jedoch durch die Ankunft von Kadern des „Islamischen Staates“ (IS), die aus Syrien oder dem Iraq flohen, vereitelt. Dessen Regionalorganisation „Islamischer Staat der groß
en Sahara“ wurde auf dem Gipfel in Pau faktisch zum Hauptfeind erklärt. Angeführt wird sie durch einen Sahraoui und früheren Polisario-Kämpfer, Adnane Abou Walid Al-Sahraoui.

Aus der Schusslinie geraten dabei zunehmend die anderen Gruppen unter Koufa und Ag Ghali. RFI berichtet am 14. Februar d.J., die französische Regierung kritisiere es nicht, falls Bamako mit Ihnen zu verhandeln versuche.

Unklar ist, worüber dabei gesprochen Ford. Die Präsidentenpartei RPM und Mousa Mara, Ex-Premierminister - er verhandelte 2015 das Abkommen von Algier und Chef der Partei Yelemane [Veränderung], erklärten, es gebe „rote Linien“ bei Gesprächen wie die die Einheit des malischen Staates und dessen laizistischen Charakter. Dagegen begrüßt der frühere französische Botschafter in Mali, Nicolas Normand, bel RFI die Aussicht auf Verhandlungen. Es sei vorstellbar, ähnlich wie im Norden Nigerias eine Scharia-Gesetzgebung nur für einzelne Regionen einzuführen. Und: „Es kommt ganz darauf an, was die unter Scharia verstehen.“ Wodurch er andeutet, dass auch eine Scharia-Lösung als akzeptabel betrachtet werden könne.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Es handelt sich um eine redaktionell überarbeitete Fassung der Erstveröffentlichung am am 27. Febuar 20 in Wochenzeitung ‚Jungle World‘.