Nürnberg / Gostenhof
600 Menschen demonstrieren gegen Abschiebungen und martialischen Polizeieinsatz

Pressemitteilung der Gruppe "organisierte autonomie"

03/2019

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onlinezeitung

Hände weg von unseren NachbarInnen
Abschiebungen stoppen hier und überall – Gostenhof ist solidarisch

Am Mittag des 19.03.2019 versuchte die Zentrale Ausländerbehörde mithilfe einer Polizeistreife in der Austraße einen Mann aus Afghanistan zur Abschiebung abzuholen. Der Afghane widersetzte sich der Verhaftung und flüchtete vor der Polizei in einen Hinterhof. Daraufhin riefen die Polizisten die Sondereinheiten USK (Unterstützungskommando) und SEK (Sondereinsatzkommando) zu Hilfe, welche den gesamten Häuserblock abriegelten. Über zwei stunden konnten sich die BewohnerInnen des Viertels sich nicht frei in ihren Straßen bewegen. Sondereinheiten des SEK standen in militärischen Uniformen und mit Sturmgewehren auf den Straßen. Doch bereits der Einsatz am Mittag wurde trotz des paramilitärischen Auftretens der Polizei von Protest begleitet. BewohnerInnen des Viertels und UnterstützerInnen des Manns solidarisierten sich lautstark und forderten die sofortige Beendigung des Einsatzes. Daraufhin wurden eine Gruppe von Demonstrantinnen vom USK gekesselt und festgehalten.

Kurz darauf nahmen Spezialkräfte des SEK den Mann fest, wobei sie mindestens zwei Blendschockgranaten einsetzten. Er wurde mitgenommen und nach Leipzig gefahren, wo am Abend ein Sammelabschiebeflug nach Afghanistan startete. In der Folge machten solidarische UnterstützerInnen mobil um am Abend gegen die Abschiebepraxis und den Polizeieinsatz im Viertel zu demonstrieren und den martialischen Einsatz mit entschlossener Solidarität und Wut über die herrschenden Verhältnisse zu beantworten. Innerhalb von kürzester Zeit wurden Flugblätter gedruckt und in Gostenhof verteilt. Am Abend fanden sich um 19 Uhr über 600 Menschen am Jamnitzerplatz ein, um unter dem Motto „Hände weg von unseren NachbarInnen – Abschiebungen stoppen hier und überall – Gostenhof ist solidarisch“ zu demonstrieren. Zahlreiche Nachbarinnen und Nachbarn schlossen sich im Verlauf der Demonstration an und solidarisierten sich so.

Die Demonstration zog lautstark über die Austraße vor das Haus aus dem der Mann abgeschoben wurde. Vor dem Haus wurde sich über die Lautsprecheranlage solidarisch mit Jan Ali H. und seiner in Nürnberg verbliebenen Familie erklärt. Im weiteren Verlauf der Demonstration wurde schließlich bekannt, dass Jan Ali nicht in den Abschiebeflieger gesetzt wurde und sich auf dem Weg in ärtztliche Behandlung befindet. Für eine bislang unbekannte Anzahl afghanischer Menschen gilt das nicht – der Flieger startete planmäßig am Abend und brachte die Betroffenen in eine Zukunft voller Angst, Todesgefahr und Unsicherheit.

Die Demo zog über die Feuerleinstraße zum Gerichtsgebäude in der Fürtherstraße. In der Fürther Straße wurde der Demozug erst von der Polizei behindert und dann von behelmten USK Einheiten unter Einsatz massiver Gewalt gestoppt. Dabei erlitten mindestens zwei TeilnehmerInnen Kopfverletzungen, weitere wurden durch Knüppelschläge mindestens leicht verletzt. Dennoch zog der Zug einige hundert Meter auf der Fürther Straße weiter, bevor er final angehalten wurde. Nach Verhandlungen konnte die Demonstration schließlich weiter durch Gostenhof laufen. Immer wieder wurde die Parole „Hände weg von unseren Nachbarn gerufen“. Auf dem Jamnitzerplatz wurde die Demonstration schließlich beendet.

Wie bereits beim Widerstand gegen die Abschiebung eines jungen Afghanen am 31.Mai 2017 in Nürnberg wurde heute ein weiteres mal deutlich, dass der bayrische Staat nicht vor dem Einsatz massiver Gewalt zurückschreckt, wenn es darum geht die rassistische Abschiebepraxis durchzusetzen. Dennoch hatte der heutige Einsatz in Gostenhof eine neue Qualität. Auf dem Rücken Geflüchteter wird der Einsatz paramilitärischer Spezialkräfte im Alltag zunehmend normalisiert und die reaktionäre Offensive weiter ausgebaut. Zu was das brutale Agieren von SEK und Konsorten führt hat nicht zuletzt der tödliche Einsatz in Gostenhof letztes Jahr gezeigt.  So wird die Faschisierung nicht nur auf Gesetzesebene vorangetrieben, sondern manifestiert sich auch durch das unverhohlene Zeigen des bedingungslosen Gewaltmonopols des bürgerlichen Staates auf der Straße. Ausdruck davon sind PolizistInnen in militärischen Uniformen, Schnellfeuergewehre und Blendschockgranaten, die gegen unbewaffnete und wehrlose Menschen eingesetzt werden. Ein ganzer Wohnblock wurde abgeriegelt um Solidarität zu verhindern und das Bild einer vermeintlich drohenden Gefahr sowohl durch Geflüchtete als auch durch die Solidarität von AktivistInnen so in der Öffentlichkeit zu festigen. Gleichzeitig werden Einsätze von SEK und schweren Waffen mitten im Alltag normalisiert.

Doch nicht nur SEK Einsätze werden normalisiert, auch das USK wird immer weiter technisch wie taktisch aufgerüstet und militarisiert. Doch auch die gesamte bayerische Polizei bekommt durch das neue Polizeiaufgabengesetz umfassendere Rechte. Umso wichtiger war es, dass heute ein breites Spektrum an solidarischen Menschen in so kurzer Zeit mobilisiert werden konnte und entschlossen auf die Straße gegangen ist. Die Demonstration hat gezeigt das viele Menschen es nicht hinnehmen, dass ein immer autoritärerer Staat die Menschlichkeit mit Füßen tritt, seine BewohnerInnen mit Schnellfeuerwaffen bedroht und unsere NachbarInnen und Freunde in Kriegsgebiete deportiert. Die breite Solidarität, die heute auf so vielen Ebenen gezeigt wurde führte heute zumindest für einen Betroffenen zum Erfolg. Trotz der tragischen Situation in der sich Jan Ali H. zur Zeit befindet, wurde er heute nicht abgeschoben. Er hat versucht vor der Abschiebung zu fliehen, Anwälte haben rechtlichen Druck ausgeübt, ein breites Netzwerk aus Beratungsstellen, KirchenvertreterInnen und solidarischen Initiativen, AbschiebegegnerInnen waren mittags auf der Straße und am Abend zeigten Hunderte ihre Solidarität. Auch wenn der Staat unangreifbar scheint mit seinen Waffen und Gesetzten – gemeinsamer Widerstand ist möglich und erfolgreich!

organisierte autonomie
Pressemitteilung - Zusendung per Email am 20.3.2019