Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Antisemitische Taten in Frankreich
Hintergründe & politische Reaktionen auf die jüngste Welle von Attacken

03/2019

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Das Fass zum Überlaufen brachte eine Schmiererei, die am 11. Februar dieses Jahres entdeckt wurde. Der Graffitikünstler Christian Guemy alias „C215“ hatte vor einigen Monaten zwei kunstvoll gemalte kleine Portraits der 2017 verstorbenen Ministerin und Auschwitz-Überlebenden Simone Veil auf zwei Briefkästen an der Außenwand des Bezirksrathauses im 13. Pariser Arrondissement angebracht. Den Anlass dazu bot die Überführung des Sargs von Simone Veil ins Pariser Panthéon, wo die Geistesgrößen der Republik ein Denkmal erhalten, am 1. Juli 2018. Nun waren, wohl nächtens, zwei Hakenkreuze über die Portraits gepinselt worden. Die Striche waren sorgfältig gezogen, es sah mitnichten nach einer reinen Sufftat aus.

Daraufhin setzte in der politischen Klasse eine Debatte über eine Mobilisierung gegen Manifestationen von Antisemitismus ein, die sozialdemokratischeParti – der PS – rief alle staatstragenden Parteien zu einer Kundgebung am darauffolgenden Dienstag (den 19. Februar 19) auf. Genau in der Zwischenzeit spielte sich ein weiteres Ereignis ab, das die Debatte aufheizte. Am Rande einer Demonstration der Protestbewegung der „Gelben Westen“ wurde am Samstag, den 16. Februar 19, also drei Tage vor der geplanten Kundgebung, der Philosoph und Schriftsteller Alain Finkielkraut angefeindet und angepöbelt. Finkielkraut wird, je nach Standpunkt der Betrachter, eher als konservativ oder vorwiegend als jüdisch wahrgenommen. Dass ihm Feindseligkeit entgegenschlug, hat natürlich auch mit der Ablehnung seiner inhaltlichen Positionen zu tun. Einige Anwesenden pöbelten jedoch unabhängig von Finkielkrauts Stellungnahmen etwa zu Elitebildung oder zu Migration darauf los, er wurde unter anderem als „schmutziger Zionist“ beschimpft. Einer der Anwesenden kündigte an: „Gott wird Dich strafen“, und „Frankreich gehört uns“.

Diese Vorfälle haben einen unterschiedlichen Hintergrund. Die Attacke auf das Andenken an Simone Veil, die im Alter von 17 Jahren das Vernichtungslager überlebte, dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit aus einem der rechtsextremen Milieus kommen. In diesen Kreisen gilt Veil als Todfeindin, seitdem die jüdischstämmige liberale Politikerin 1975 als Gesundheitsministerin den Gesetzentwurf zur Legalisierung der Abtreibung – damals in den ersten zehn Schwangerschaftswochen – vorlegte und durch das Parlament brachte. Bezeichnungen als „Planerin eines Völkermords an den Franzosen“ wurden damals auf der extremen Rechten erfunden.

Der Angriff auf ihr Bild steht in einer Reihe mit einer Serie von Hakenkreuzschmierereien und antisemitischen Graffitis, die seit Anfang dieses Jahres erheblich an Intensität zunimmt. Betroffen waren neben tatsächlich oder vermeintlich jüdischen Zielpersonen auch andere Einrichtungen, Hakenkreuze wurden beispielsweise bei einer Geschäftsstelle der französischen KP in Vienne – in der Nähe von Grenoble - am 12. Februar 19 und auf einer Moscheebaustelle im westfranzösischen Amboise am 08. Januar 19 entdeckt. Die südfranzösische sozialdemokratische Regionalpräsidentin Carole Delga erhielt am 15. Februar d.J. einen Drohbrief mit Hakenkreuzen; ebenso kurz darauf der südfranzösische sozialdemokratische Régionalpolitiker Kléber Mesquida . Zuletzt wurde am Sonntag, den 17. Februar 19 bekannt, an der Haustür eines betagten Ehepaars im nordfranzösischen Lille sei eine Hakenkreuzinschrift entdeckt worden. Das; den Ermittlern zufolge nichtjüdische, Paar erstattete Anzeige.

In diesen Fällen dürfte klar sein, dass die Urheber in einer außerparlamentarischen, stiefelfaschistischen oder neonazistischen Rechten zu suchen sind. Letztere befindet sich auf diese Weise in den vergangenen Wochen in einer Offensive. Zuvor hatte sie sich, vor allem im Spätherbst 2018, in weiten Teilen an Auseinandersetzungen auf den Straßen im Zusammenhang mit der Protestbewegung der „Gelben Westen“ beteiligt, deren Legitimität in den Augen zunächst breiter Teile der Gesellschaft sie in Anspruch nahm, um sich selbst als eine Art „Speerspitze des Volkswiderstands“ zu inszenieren.

In jüngerer Zeit hat die Teilnahme der gewaltbereiten Rechten an den „Gelbwesten“-Demonstrationen jedoch eher wieder abgenommen. Zum Einen, weil die Konflikte mit Linken zunahmen, vor allem, seit diese ab Anfang Februar d.J. fraktionsübergreifend auf die rechtsextreme Attacke gegen einen Demoblock der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA), welche sich am 26. Januar 19 in Paris ereignete, reagierten. Andererseits fürchten die rechtsextremen Strukturen, zusammen mit Teilen der Protestbewegung stärker ins Visier staatlicher Verfolgungsbehörden zu geraten. Nach dem halben Dutzend von Organisationsverboten gegen die gewaltbereite extreme Rechte von Juni und Juli 2013, infolge des Todes von Clément Méric, eines 18jährigen Antifaschisten, schienen neue zu drohen. Am Abend des 20. Februar 19 kündigte Staatspräsident Emmanuel Macron tatsächlich Verbotsanträge gegen drei gewaltbereite rechtsextreme Gruppen an, unter ihnen der zeitweilig in den „Gelbwesten“-Demonstrationen ziemlich aktive Bastion Social.

Bei dem Mann um die Mitte dreißig, welcher sich bei den Pöbeleien gegen Alain Finkielkraut am stärksten hervortat – er wurde identifiziert, befand sich am vorigen Mittwoch (20.02.19) in Polizeigewahrsam und wurde vernommen -, handelt es sich um einen zum Islam konvertierten Salafisten, Benjamin Weller. Seine Barttracht, mit rötlich gefärbtem Vollbart aber abrasiertem Schnurrbart, bestätigt eine Zugehörigkeit zum salafistischen Milieu. Personen mit solcher Ideologie bilden keine eigene Strömung in der Protestbewegung, da sich zumindest einige von ihnen subjektiv als „Rebellen“ gegen eine als ungerecht wahrgenommene Ordnung betrachten, laufen sie mitunter bei den heterogen zusammengesetzten Protestzügen mit.

Französische KP, Grüne, Macron-Anhänger und Konservative schlossen sich am vorigen Dienstag, den 19. Februar 19 der Kundgebung des staatstragenden Spektrums auf der Pariser place de la République an. Zu ihr kamen laut Veranstalter/innen/zahlen 20.000 Menschen. Jean-Luc Mélenchons linkspopulistische Partei LFI („Das unbeugsame Frankreich“) gab an, der PS habe es sozusagen „versäumt“, sie zu den Vorbereitungstreffen und zur Unterzeichnung des Aufrufs einzuladen, sie schloss sich jedoch der Kundgebung an. Teile der radikalen Linken organisierten unterdessen eine parallele Kundgebung in rund einem Kilometer Entfernung, in der Nähe der Métro-Station Ménilmontant. Die Veranstalter/innen positionierten sich „gegen Antisemitismus und jeglichen Rassismus“, aber auch „gegen die Instrumentalisierung durch die Regierung“. Tatsächlich haben die Macron-Anhänger eine Gelegenheit entdeckt, die Protestbewegung insgesamt zu diskretieren. Bereits Anfang Februar rückte Regierungssprecher Benjamin Griveaux Schmierereien – die Aufschrift „Juden“ (in deutscher Sprache), die am jüdischen Restaurant Bagelstein entdeckt worden waren – in einem Tweet in eine Reihe mit Attacken auf Polizisten durch Protestierende. Es war der Eigentümer des Bagelstein, der öffentlich klarstellte, für ihn gebe es keinerlei nachgewiesenen Zusammenhang zu den „Gelbwesten“. - Zu der parallelen Kundgebung bei der Métrostation Ménilmontant kamen jedoch nur rund 500 Personen.

Seit der Kundgebung auf der place de la République, so schreibt jedenfalls die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde in ihrer Sonntagsausgabe (erschienen in Paris am Abend des Samstag, 23. Februar 19), hätten antisemitische Schmierereien innerhalb der folgendeN Tage noch erheblich zugenommen. Die Zeitung benennt jüngste Beispiele dafür aus dem 4. und dem 14. Pariser Bezirk sowie dem Raum Bordeaux, und zitiert Sammy Ghozlan vm „Nationalen Büro der Wachsamkeit gegen Antisemitismus“ - einer Einrichtung der jüdischen Gemeinden – mit den Worten: „Je mehr der Staat sich um die Juden zu kümmern scheint, desto mehr verärgert das, und manche versuchen ihnen dies heimzuzahlen.“ Anhänger/innen der Protestbewegung sprechen in diesem Zusammenhang davon, die politische Benutzung der Antisemitismusdebatte durch das Regierungslager gefährde die Juden, die als „Geiseln“ der Politik dienten.

Wiederum eine andere Erklärung liefert, ebenfalls in Le Monde, der Politikwissenschaftler Jean-Yves Camus. Er spricht von einem Nachahmungseffekt aufgrund des starken Medienechos der jüngsten Ausdrucksformen von Antisemitismus.

Editorische Hinweise

Den Beitrag erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe. Er ist eine ausführliche Fassung eines Artikels, welcher gekürzt und redaktionell überarbeitet am 27. Februar 19 in der Wochenzeitung 'Jungle World' erschien.