Das Fass zum
Überlaufen brachte eine Schmiererei, die am 11.
Februar dieses Jahres entdeckt wurde. Der
Graffitikünstler Christian Guemy alias „C215“
hatte vor einigen Monaten zwei kunstvoll
gemalte kleine Portraits der 2017 verstorbenen
Ministerin und Auschwitz-Überlebenden Simone
Veil auf zwei Briefkästen an der Außenwand des
Bezirksrathauses im 13. Pariser Arrondissement
angebracht. Den Anlass dazu bot die Überführung
des Sargs von Simone Veil ins Pariser Panthéon,
wo die Geistesgrößen der Republik ein Denkmal
erhalten, am 1. Juli 2018. Nun waren, wohl
nächtens, zwei Hakenkreuze über die Portraits
gepinselt worden. Die Striche waren sorgfältig
gezogen, es sah mitnichten nach einer reinen
Sufftat aus.
Daraufhin setzte
in der politischen Klasse eine Debatte über
eine Mobilisierung gegen Manifestationen von
Antisemitismus ein, die
sozialdemokratischeParti – der PS – rief alle
staatstragenden Parteien zu einer Kundgebung am
darauffolgenden Dienstag (den 19. Februar 19)
auf. Genau in der Zwischenzeit spielte sich ein
weiteres Ereignis ab, das die Debatte
aufheizte. Am Rande einer Demonstration der
Protestbewegung der „Gelben Westen“ wurde am
Samstag, den 16. Februar 19, also drei Tage vor
der geplanten Kundgebung, der Philosoph und
Schriftsteller Alain Finkielkraut angefeindet
und angepöbelt. Finkielkraut wird, je nach
Standpunkt der Betrachter, eher als konservativ
oder vorwiegend als jüdisch wahrgenommen. Dass
ihm Feindseligkeit entgegenschlug, hat
natürlich auch mit der Ablehnung seiner
inhaltlichen Positionen zu tun. Einige
Anwesenden pöbelten jedoch unabhängig von
Finkielkrauts Stellungnahmen etwa zu
Elitebildung oder zu Migration darauf los, er
wurde unter anderem als „schmutziger Zionist“
beschimpft. Einer der Anwesenden kündigte an:
„Gott wird Dich strafen“, und „Frankreich
gehört uns“.
Diese Vorfälle
haben einen unterschiedlichen Hintergrund. Die
Attacke auf das Andenken an Simone Veil, die im
Alter von 17 Jahren das Vernichtungslager
überlebte, dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit
aus einem der rechtsextremen Milieus kommen. In
diesen Kreisen gilt Veil als Todfeindin,
seitdem die jüdischstämmige liberale
Politikerin 1975 als Gesundheitsministerin den
Gesetzentwurf zur Legalisierung der Abtreibung
– damals in den ersten zehn
Schwangerschaftswochen – vorlegte und durch das
Parlament brachte. Bezeichnungen als „Planerin
eines Völkermords an den Franzosen“ wurden
damals auf der extremen Rechten erfunden.
Der Angriff auf
ihr Bild steht in einer Reihe mit einer Serie
von Hakenkreuzschmierereien und antisemitischen
Graffitis, die seit Anfang dieses Jahres
erheblich an Intensität zunimmt. Betroffen
waren neben tatsächlich oder vermeintlich
jüdischen Zielpersonen auch andere
Einrichtungen, Hakenkreuze wurden
beispielsweise bei einer Geschäftsstelle der
französischen KP in Vienne – in der Nähe von
Grenoble - am 12. Februar 19 und auf einer
Moscheebaustelle im westfranzösischen Amboise
am 08. Januar 19 entdeckt. Die südfranzösische
sozialdemokratische Regionalpräsidentin Carole
Delga erhielt am 15. Februar d.J. einen
Drohbrief mit Hakenkreuzen; ebenso kurz darauf
der südfranzösische sozialdemokratische
Régionalpolitiker Kléber Mesquida . Zuletzt
wurde am Sonntag, den 17. Februar 19 bekannt,
an der Haustür eines betagten Ehepaars im
nordfranzösischen Lille sei eine
Hakenkreuzinschrift entdeckt worden. Das; den
Ermittlern zufolge nichtjüdische, Paar
erstattete Anzeige.
In diesen Fällen
dürfte klar sein, dass die Urheber in einer
außerparlamentarischen, stiefelfaschistischen
oder neonazistischen Rechten zu suchen sind.
Letztere befindet sich auf diese Weise in den
vergangenen Wochen in einer Offensive. Zuvor
hatte sie sich, vor allem im Spätherbst 2018,
in weiten Teilen an Auseinandersetzungen auf
den Straßen im Zusammenhang mit der
Protestbewegung der „Gelben Westen“ beteiligt,
deren Legitimität in den Augen zunächst breiter
Teile der Gesellschaft sie in Anspruch nahm, um
sich selbst als eine Art „Speerspitze des
Volkswiderstands“ zu inszenieren.
In jüngerer Zeit
hat die Teilnahme der gewaltbereiten Rechten an
den „Gelbwesten“-Demonstrationen jedoch eher
wieder abgenommen. Zum Einen, weil die
Konflikte mit Linken zunahmen, vor allem, seit
diese ab Anfang Februar d.J.
fraktionsübergreifend auf die rechtsextreme
Attacke gegen einen Demoblock der Neuen
Antikapitalistischen Partei (NPA), welche sich
am 26. Januar 19 in Paris ereignete,
reagierten. Andererseits fürchten die
rechtsextremen Strukturen, zusammen mit Teilen
der Protestbewegung stärker ins Visier
staatlicher Verfolgungsbehörden zu geraten.
Nach dem halben Dutzend von
Organisationsverboten gegen die gewaltbereite
extreme Rechte von Juni und Juli 2013, infolge
des Todes von Clément Méric, eines 18jährigen
Antifaschisten, schienen neue zu drohen. Am
Abend des 20. Februar 19 kündigte
Staatspräsident Emmanuel Macron tatsächlich
Verbotsanträge gegen drei gewaltbereite
rechtsextreme Gruppen an, unter ihnen der
zeitweilig in den „Gelbwesten“-Demonstrationen
ziemlich aktive Bastion Social.
Bei dem Mann um
die Mitte dreißig, welcher sich bei den
Pöbeleien gegen Alain Finkielkraut am stärksten
hervortat – er wurde identifiziert, befand sich
am vorigen Mittwoch (20.02.19) in
Polizeigewahrsam und wurde vernommen -, handelt
es sich um einen zum Islam konvertierten
Salafisten, Benjamin Weller. Seine Barttracht,
mit rötlich gefärbtem Vollbart aber abrasiertem
Schnurrbart, bestätigt eine Zugehörigkeit zum
salafistischen Milieu. Personen mit solcher
Ideologie bilden keine eigene Strömung in der
Protestbewegung, da sich zumindest einige von
ihnen subjektiv als „Rebellen“ gegen eine als
ungerecht wahrgenommene Ordnung betrachten,
laufen sie mitunter bei den heterogen
zusammengesetzten Protestzügen mit.
Französische KP,
Grüne, Macron-Anhänger und Konservative
schlossen sich am vorigen Dienstag, den 19.
Februar 19 der Kundgebung des staatstragenden
Spektrums auf der Pariser place de la
République an. Zu ihr kamen laut
Veranstalter/innen/zahlen 20.000 Menschen.
Jean-Luc Mélenchons linkspopulistische Partei
LFI („Das unbeugsame Frankreich“) gab an, der
PS habe es sozusagen „versäumt“, sie zu den
Vorbereitungstreffen und zur Unterzeichnung des
Aufrufs einzuladen, sie schloss sich jedoch der
Kundgebung an. Teile der radikalen Linken
organisierten unterdessen eine parallele
Kundgebung in rund einem Kilometer Entfernung,
in der Nähe der Métro-Station Ménilmontant. Die
Veranstalter/innen positionierten sich „gegen
Antisemitismus und jeglichen Rassismus“, aber
auch „gegen die Instrumentalisierung durch die
Regierung“. Tatsächlich haben die
Macron-Anhänger eine Gelegenheit entdeckt, die
Protestbewegung insgesamt zu diskretieren.
Bereits Anfang Februar rückte
Regierungssprecher Benjamin Griveaux
Schmierereien – die Aufschrift „Juden“ (in
deutscher Sprache), die am jüdischen Restaurant
Bagelstein entdeckt worden waren – in einem
Tweet in eine Reihe mit Attacken auf Polizisten
durch Protestierende. Es war der Eigentümer des
Bagelstein, der öffentlich klarstellte, für ihn
gebe es keinerlei nachgewiesenen Zusammenhang
zu den „Gelbwesten“. - Zu der parallelen
Kundgebung bei der Métrostation Ménilmontant
kamen jedoch nur rund 500 Personen.
Seit der
Kundgebung auf der place de la République,
so schreibt jedenfalls die liberale Pariser
Abendzeitung Le Monde in ihrer
Sonntagsausgabe (erschienen in Paris am Abend
des Samstag, 23. Februar 19), hätten
antisemitische Schmierereien innerhalb der
folgendeN Tage noch erheblich zugenommen. Die
Zeitung benennt jüngste Beispiele dafür aus dem
4. und dem 14. Pariser Bezirk sowie dem Raum
Bordeaux, und zitiert Sammy Ghozlan vm
„Nationalen Büro der Wachsamkeit gegen
Antisemitismus“ - einer Einrichtung der
jüdischen Gemeinden – mit den Worten: „Je
mehr der Staat sich um die Juden zu kümmern
scheint, desto mehr verärgert das, und manche
versuchen ihnen dies heimzuzahlen.“
Anhänger/innen der Protestbewegung sprechen in
diesem Zusammenhang davon, die politische
Benutzung der Antisemitismusdebatte durch das
Regierungslager gefährde die Juden, die als
„Geiseln“ der Politik dienten.
Wiederum eine
andere Erklärung liefert, ebenfalls in Le
Monde, der Politikwissenschaftler
Jean-Yves Camus. Er spricht von einem
Nachahmungseffekt aufgrund des starken
Medienechos der jüngsten Ausdrucksformen von
Antisemitismus.
Editorische
Hinweise
Den Beitrag
erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe. Er
ist eine ausführliche Fassung eines Artikels,
welcher gekürzt und redaktionell überarbeitet
am 27. Februar 19 in der Wochenzeitung
'Jungle World' erschien.
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