Er sei „Opfer eines
Komplotts, einer Verschwörung“,
erklärte der 64jährige in einem Interview, das
am vorigen Donnerstag, den 01. Februar 19 durch
die französische Nachrichtenagentur AFP und die
Wirtschaftszeitung Les Echos
publiziert wurde. So beginnen normalerweise oft
paranoide Selbstdarstellungen. In diesem Falle
allerdings darf davon ausgegangen, dass – wenn
auch abgegriffene Begriffe wie „Verschwörung“
wenig Erklärungen bieten – zumindest reale
Intrigen den Anlass dazu gaben, dass der Mann
mit den drei Staatsangehörigkeiten ins Visier
der Justiz eines vierten Landes geriet.
Gesponnen wurden diese Intrigen rund um ein
Interessengeflecht, bei dem die Belange eines
Weltkonzerns, weiterer multinationaler
Unternehmen sowie der dazu gehörigen respektive
hinter ihnen stehenden Staaten
aufeinandertreffen.
Konkret beschwerte sich Carlos Ghosn, der 1954
in Brasilien geborene Topmanager mit zusätzlich
libanesischer und französischer
Staatsbürgerschaft, über seinen Verbleib in
japanischer Untersuchungshaft nach bereits
abgesessenen 73 Tagen. Er bezeichnete es als
„in einer westlichen Demokratie einmalig“, dass
ihm eine Freilassung auf Kaution bis zu seinem
erwarteten Prozess verweigert werde. Geld, um
eine eventuelle hohe Kaution zu bezahlen, hätte
er auf jeden Fall genug. Zugang zu Computer und
Telefon würden ihm in der U-Haft verweigert.
Allerdings kann Ghosn seit vergangener Woche
Interviews geben. Allerdings nur auf Englisch,
damit das Wachpersonal auch versteht, was er da
kommuniziert, wenn er fünfzehn Minuten hindurch
hinter einer Trennscheibe mit Journalisten
kommunizieren darf.
Es ref internationales
Aufsehen hervor, als Ghosn,
der
Vorsitzende des Alliance Board der
Konzernallianz Renault-Nissan-Mitsubishi, der
zugleich hohe Posten in den drei verbündeten
Konzernen innehatte,
am 19. November in Tokyo direkt bei seinem
Eintreffen am Flughafen festgenommen wurde.
Japanische Steuerbehörden warfen ihm
finanzielle Unregelmäßigkeiten
vor, er habe seine Einnahmen vor Versteuerung
im Zeitraum 2010 bis 2018 zu geringfügig
angegeben. Inzwischen hat sich die Liste der
Vorwürfe erheblich verlängert und umfasst einen
Tatbestand, den man in Europa als
Unterschlagung von Firmenvermögen bezeichnen
würde: Der von Renault kommende Vorstandschef
Carlos Ghosn habe bei Nissan, also im
japanischen Teil der gemeinsamen
Konzernallianz, Gesellschaftsvermögen für
unternehmensfremde Zwecke verwendet. Dabei geht
es teilweise um Mäzenatentum, etwa das
Sponsoring für libanesische Universitäten, aber
auch den Vorwurf, eine gut bezahlte
Scheinbeschäftigung für seine Schwester
geschaffen zu haben.
Ghosn verbrachte zunächst mehrere Wochen in
Polizeigewahrsam, was in Japan zulässig ist –
dort kann er bis zu 22 Tage dauern, in
Frankreich hingegen 48 Stunden – und wurde dann
in Untersuchungshaft überstellt. Die
Ermittlungsbehörden bereiten eine
Anklageschrift vor. Das Problem für Carlos
Ghosn ist, dass in Japan fast immer, wenn eine
Anklageerhebung erfolgt, diese auch eine
gerichtliche Verurteilung nach sich zieht –
Freisprüche sind selten, entweder erfolgt eine
Verfahrenseinstellung oder es kommt zu einem
Prozess mit hoher Wahrscheinlichkeit einer
Verurteilung. Ghosn drohen bis zu fünfzehn
Jahre Haft.
Ghosn selbst bestreitet alle Vorwürfe. Auch im
französischen Teil der Allianz, also bei dem
bislang innerhalb der Konzernallianz
dominierenden Automobilhersteller Renault, nahm
und nimmt man ihn tendenziell in Schutz: Noch
knappe vier Wochen nach seiner Festnahme in
Tokyo, am 13. Dezember 18, bestätigte Renault
seinerseits Ghosn als Unternehmenschef und
erklärte, seine in Frankreich bezogenen
Einkünfte seien alle korrekt versteuert worden.
Auch Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, als
Inhaber der Oberaufsicht über die
Steuerbehörden, pflichtete dem bei. Dies
spielte insofern eine Rolle, als der Staat noch
immer einen Aktienanteil von 15 Prozent bei
Renault besitzt. Dessen Privatisierung erfolgte
1993, nachdem die Automobilwerke von Renault
nach der Befreiung 1944 verstaatlicht worden
waren, vor dem Hintergrund erwiesener
Kollaboration ihrer bisherigen Eigentümer mit
der Besatzungsmacht, dem
nationalsozialistischen Deutschland.
Einige Tage später begann Le Maire, mit
fortschreitender Dauer der Inhaftierung Ghosns,
dann allerdings doch noch vorsichtig auf eine
Ablösung an der Spitze des multinationalen
französischen Übernehmens zu drängen, da dieses
nicht auf Dauer kopflos bleiben könne. Am 24.
Januar, also relativ spät, wurde dann die
Ersetzung Carlos Ghosns an der
Unternehmensspitze durch das Duo von Thierry
Bolloré – dem bisherigen Vizechef – und
Jean-Dominique Senard bekannt gegeben; Senard
leitete bis dahin das konkurrierende
Automobilunternehmen Michelin. In der Nacht
zuvor hatte Ghosn von Tokyo aus seine
Rücktrittserklärung vom Vorstandsvorsitz, nach
vierzehn Jahren auf diesem Posten, zugeschickt
respektive über die ihn beaufsichtigten
Justizbehörden übermittelt.
Die Reaktion bei Renault
fiel damit erheblich anders aus als im
japanischen Teil der Allianz, also bei Nissan,
wo man – im Gegenteil – die Vorwürfe gegen
Ghosn eher tunlichst zu untermauern versuchte.
Und dies, obwohl die Ermittlungen zumindest
formal gegen Ghosn und gegen Nissan als
Co-Angeklagte gleichermaßen
geführt werden. Nissan führt sich jedoch
keineswegs als solcher auf, sondern belastet
Ghosn eher. Überdies beeilte man sich, Ghosn
von seinem Vorsitzendenposten abzulösen und
noch im November durch seinen bisherigen
Generaldirektor Hiroto Saikawa zu ersetzen.
Auch Mitsubishi, das dritte Unternehmen, das –
vor dem Hintergrund eigener wirtschaftlicher
Schwierigkeiten – durch das Gespann
Renault-Nissan hinzugekauft und übernommen
worden war, löste Ghosn frühzeitig nach seiner
Festnahme von seinem Vorsitzendenposten ab.
Alsbald machte das Wort vom
„Putsch“ die Runde; in einer nächtlichen
Pressekonferenz am Abend des 19. November 18
musste Saikawa auf eine Journalistenfrage
antworten, die diesen Begriff enthielt. Am
Vormittag des 20. November 2018 übertitelte das
französische Magazin L’Obs (ehemals
Le Nouvel Observateur) seinerseits einen
Artikel zum Thema mit der Überschrift:
„Ein interner Putsch, durch Nissan
vorbereitet?“, wenn auch mit
Fragezeichen versehen. In den Spalten des
Pariser Wochenmagazins bestätigte zugleich der
japanische Wirtschaftsprofessor Nobutaka Kazama
dessen These: „Er (Anm.: ein
Putsch) kann vorbereitet worden zu sein,
um eine stärkere Integration zwischen Renault
und Nissan - auf Initiative von Renault hin –
zu verhindern.“
Ghosn selbst spricht mittlerweile unverblümt
von „Verrat“. Er zielt dabei vor allem auf
Hiroto Saikawa, den er selbst in den letzten
Jahren für seine Nachfolge an der Spitze der
Allianz Renault-Nissan vorbereitet hatte.
Tatsächlich stand Saikawa ihm lange Zeit
ziemlich nahe. Nun scheint er allerdings einem
wachsenden Druck aus den Strukturen von Nissan
heraus nachgegeben zu haben.
Dieser war 1999, in
finanziell ausgeblutetem Zustand, durch den
französischen multinationalen Konzern
aufgekauft und dadurch zunächst gerettet
worden. Ghosn, der die Kommandofunktionen
innehatte, träumte von einer immer stärkeren
Integration und einem Aufstieg zur weltweiten
„Nummer Eins“. In jüngeren Interviews
bezeichnete er, fälschlich, Renault-Nissan
bereits als angeblich international größten
Automobilhersteller.
Vor allem jedoch planten Ghosn, und hinter ihm
wohl die Entscheidungsträger bei Renault, eine
stärkere Integration innerhalb der Allianz
unter Auflösung der spezifischen Strukturen von
Renault, Nissan und perspektivisch auch dem
aufgekauften Mitsubishi. Diesen bewahrten
bislang weitgehend ihre Eigenheit, dabei hielt
Renault 43 Prozent der Anteile an Nissan und
dieses umgekehrt fünfzehn Prozent der Anteile
an Renault. Dabei trug Nissan jedoch rund
doppelt so viel wie Renault zum
erwirtschafteten Gewinn bei.
Um diesem Verlust einer juristischen und
ökonomischen Autonomie gegenüber dem
Verbündeten zu entgehen, wuchs der Druck aus
Nissan heraus, der sich gegen Carlos Ghosn
richtete. Eine wachsende Kritik an dessen
„exorbitanten Einkünften“ war dabei überwiegend
Mittel zum Zweck.
Auch im Zeitalter kapitalistischer
Globalisierung sind, zumindest teilweise auf
Nationalstaaten gestützte, spezifische
Unternehmensinteressen offenkundig nicht
verschwunden.
Editorische
Hinweise
Den Beitrag
erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
Eine leicht überarbeitete & gekürzte Fassung
erschien am 07. Februar 19 in der
Wochenzeitung 'Jungle World'.
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