Betrieb & Gewerkschaft
Brandenburg
Verdi-Tarifabschluss zementiert Niedriglöhne für Verkehrsarbeiter

Von Andy Niklaus / 23. Februar 2019

03/2019

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Am Dienstag stimmte die Tarifkommission der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) dem in der Woche zuvor ausgehandelten Tarifvertrag für die Beschäftigten des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in Brandenburg zu. Der Abschluss zementiert nicht nur die niedrigen Löhne für die rund 3200 Bus- und Straßenbahnfahrer der 15 öffentlichen Verkehrsunternehmen. Er soll – mit Ausnahme der beiden Landkreise Oberhavel und Elbe-Elster – auch für die 21.000 Beschäftigten in den 24 privaten Unternehmen gelten.

Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 18 Monaten bis Ende Juni 2020. Wie immer rechnet Verdi den Abschluss schön und summiert alle Vereinbarungen über die gesamte Laufzeit. Die Gewerkschaft kommt so auf eine Lohnerhöhung von „rund 10 Prozent“ bis Juli 2020.

In Wirklichkeit sind Einmalzahlungen von 200 Euro im April (für Januar bis März 2019) sowie im Januar 2020 weitere 100 Euro vorgesehen. Eine erste prozentuale Erhöhung von 5 Prozent erfolgt erst im April dieses Jahres und eine zweite in Höhe von 3,5 Prozent im März 2020. Der monatliche Grundlohn von derzeit 1983 Euro steigt damit in zwei Stufen auf letztlich 2163 Euro brutto, der Stundenlohn von 11,70 Euro auf 13,39 Euro.

Verdi bleibt damit erneut deutlich hinter ihren Forderungen zurück. Aufgrund des starken Personalmangels und der von Verdi selbst zu verantwortenden geringen Bezahlung von knapp 2000 Euro brutto für 39 Stunden pro Woche Schichtarbeit forderte die Gewerkschaft 15 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von 12 Monaten.

Verdi habe sich in Brandenburg jahrelang zurückgehalten, gibt die Gewerkschaft selbst zu. Bei den letzten Tarifverhandlungen im ÖPNV hatte die Gewerkschaft eine Lohnerhöhung um 2,4 Prozent im Jahr 2017 und eine weitere Erhöhung um 1,9 Prozent 2018 vereinbart. Und erst im letzten Jahr waren die Löhne von Alt- und Neubeschäftigten, die vorher einen unterschiedlichen Grundlohn hatten, zum Nachteil der Altbeschäftigten auf eine gleiche Gehaltstufe gebracht worden. Das Ergebnis ist, dass die Einkommen im Brandenburger ÖPNV bundesweit die niedrigsten sind. Die schlechte Bezahlung führte in den letzten Jahren auch zu immer stärkerem Personalmangel. Die Kollegen haben Tausende von Überstunden angesammelt.

Die niedrigen Gehälter und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen sind das Ergebnis von jahrzehntelangen Kürzungen im öffentlichen Dienst. Seit dem Ende der DDR hatte die Vorgängerorganisation von Verdi, die Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), in enger Zusammenarbeit mit den SPD-Landesregierungen in Brandenburg und anderen ostdeutschen Ländern die Löhne im öffentlichen Dienst um bis zu 30 Prozent gesenkt und Tausende Arbeitsplätze zerstört. Die niedrigen Löhne im Osten sind dann benutzt worden, um die Löhne im Westen zu drücken.

In Brandenburg stieg die ÖTV 2001 aus dem Bundestarifvertrag aus und setzte mit dem Tarifvertrag Nahverkehr TV-N Brandenburg den bundesweit ersten Niedriglohnsektor im Nahverkehrsbereich durch.

Da unter der SPD auch die Industrie in Ostdeutschland systematisch zerschlagen wurde, führte die Umverteilung des öffentlichen Eigentums zu einer gewaltigen sozialen Ungleichheit – und einem Wegzug der Bevölkerung. In der Stadt Brandenburg allein haben in den letzten zwei Jahrzehnten mehr Menschen die Stadt verlassen als im zweiten Weltkrieg umkamen. Von einst rund 95.000 Menschen leben heute nur noch etwa mehr als 70.000 dort. Ähnliche Zahlen findet man in Cottbus, Frankfurt/Oder, Schwedt und anderen Städten in Ostdeutschland.

Seit 2009 wird das Land Brandenburg von einer „rot-roten“ Koalition aus SPD und Linkspartei regiert. Die Federführung bei den Sparmaßnahmen im öffentlichen Dienst hat seitdem die Linkspartei übernommen, die bis 2014 mit Helmuth Markov und seitdem mit Christian Görke den Finanzminister stellt.

SPD und Linkspartei haben auch die direkten Zahlungen des Landes an die Nahverkehrsgesellschaften reduziert, so dass die Landkreise und Städte allein für deren Finanzierung zuständig sind. Die Verkehrsgesellschaften nutzen diesen Umstand, um die mehr als berechtigten Forderungen der Beschäftigten zurückzuweisen.

Umso zynischer war es, dass sich zum letzten Warnstreik Vertreter der beiden Regierungsparteien zu Wort meldeten. 13 Euro pro Stunde seien das Mindeste, das die Mitarbeiter verdient hätten, erklärte die stellvertretende Landtags-Fraktionschefin der Linken Kathrin Dannenberg. „Nur so können wir überhaupt verhindern, dass diejenigen, die jeden Tag die Kinder zur Schule fahren oder uns zur Arbeit, im Alter in Armut leben.“

Auch der Linke-Spitzenkandidat für die Landtagswahl, Sebastian Walter, heuchelte Solidarität: „Busfahrer in Brandenburg fahren im Moment zu Billiglöhnen durchs Land.“ Die Forderungen seien mehr als berechtigt.

In Wirklichkeit sind diese Lippenbekenntnisse Teil eines abgekarteten Spiels. Den beiden Regierungsparteien, die den größten Teil der Vertreter im Kommunalen Arbeitgeberverband stellen, sitzt der Verdi-Gewerkschaftssekretär Jens Gröger gegenüber. Gröger ist nicht nur langjähriges SPD-Mitglied, sondern auch für Verdi im Aufsichtsrat der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG).

Die SPD- und Linken-Mitglieder unter den Verdi-Funktionären kennen ihre Parteikollegen in den Führungsetagen der öffentlichen Unternehmen und Verbände aus ihrer Arbeit in den Aufsichtsratsgremien und den Tarifverhandlungen bestens. Deren öffentliche Auseinandersetzungen im Rahmen von Tarifverhandlungen sind daher reine Show.

Klaus-Dieter Klapproth, Geschäftsführer des KAV Brandenburg (und des Dachverbands der kommunalen Arbeitgeber, VKA) hatte die Forderungen der Gewerkschaft zu Beginn als „überzogen“ bezeichnet. Die Arbeitgeberseite habe aber bereits in den ersten Verhandlungen 8,22 Prozent angeboten, dazu die Anhebung verschiedener Zuschläge, wie zum Beispiel für geteilte Dienste (fünf Euro statt bisher zwei Euro) sowie für Wochenend- und Feiertagsschichten, darunter auch Heiligabend und Silvester. In der Summe würden diese Steigerungen 10,5 Prozent ausmachen. Das sei ein „großzügiges Angebot“, behauptete Klapproth noch vor den ersten Warnstreiks. Es sei daher „sehr ungewöhnlich“, dass Verdi vor diesem Hintergrund in den Streik gehe.

Ungewöhnlich war daran gar nichts. Vielmehr ist es wohlbekannt, dass Verdi zersplitterte, jeweils kurze Warnstreiks organisiert, um ein Ventil für die Wut zu schaffen, die sich bei den Beschäftigten über niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen angestaut hat.

Verdi hatte daher Anfang Februar in der Schulferienwoche nacheinander die Verkehrsarbeiter in Frankfurt/Oder, in Cottbus und zuletzt in Brandenburg/Havel zu getrennten, jeweils fünfstündigen Warnstreiks aufgerufen. In Brandenburg besuchten WSWS-Reporter den Streikposten am Betriebsbahnhof Hohenrücken. Viele Arbeiter der Frühschicht zeigten sich dort kampfbereit, auch für „einen längeren Kampf“, wie viele betonten.

Doch „einen längeren Kampf“ will Verdi um jeden Preis verhindern. Daher trennt Verdi die verschiedenen Tarifkämpfe strikt voneinander. Neben dem ÖPNV in Brandenburg führt Verdi derzeit auch Tarifverhandlungen für die Berliner Verkehrsbetriebe und bundesweit für den öffentlichen Dienst der Länder – trennt aber die verschiedenen Auseinandersetzungen strikt voneinander.

Die Forderungen der Brandenburger Fahrer nach einem gemeinsamen Lohnkampf mit den Berliner Kollegen der BVG lehnte Jens Gröger ab. „Wir haben hier zwei unterschiedliche Tarifverträge. Das ist ja das Problem, was wir vor 15 Jahren mal mit geschaffen haben.“

Die Verkehrsarbeiter in Brandenburg müssen den Abschluss von Verdi zurückweisen. Er festigt die Niedriglohnstruktur für alle Verkehrsarbeiter in der Region. Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) ruft die Verkehrsarbeiter auf, den Arbeitskampf selbst in die Hand zu nehmen und die Kontrolle von Verdi zu durchbrechen. Es darf nicht länger zugelassen werden, dass sämtliche Verhandlungen unter der ausschließlichen Kontrolle von Verdi stattfinden. Arbeiter müssen Aktionskomitees aufbauen, die vollkommen unabhängig von Verdi agieren und ihren Kampf mit den Lohnkämpfen anderer Arbeiter verbinden, die in der gleichen Lage sind.

Angesichts eines weltweiten Auflebens des Klassenkampfes versuchen die Gewerkschaften auch hier in Deutschland mit allen Mitteln, unabhängige Kämpfe gegen die wachsende Verarmung zu unterbinden.

Quelle: https://www.wsws.org/de/articles/2019/02/23/vdbb-f23.html