100 JAHRE NOVEMBERREVOLUTION

Chronik zur Geschichte der Novemberrevolution

03/2019

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März 2019

2.—6. März
Gründungskongreß der Kommunistischen Internationale (KI; III. Internationale) in Moskau. 51 Delegierte aus rd. 30 Ländern, davon 33 mit beschließender Stimme. Es sind anwesend Vertreter der kommunistischen Parteien Deutschlands, Finnlands, Österreichs, Po­lens, Sowjetrußlands und Ungarns; der Revolutionären Balkanfödera­tion (bulgarische Engherzige u. a.) sowie linker Gruppen aus China, England, Frankreich, Korea, den Niederlanden, Persien, der Schweiz, der Tschechoslowakei, der Türkei und den USA. Vertreter der KPD ist M. Albert (H. Eberlein). Tagesordnung: Richtlinien des Internationalen Kommunistischen Kongresses (M. Albert, N. I. Bucharin); bürgerliche Demokratie und proletarische Diktatur (W. I. Lenin); die Berner Kon­ferenz und die Stellung zu den sozialistischen Strömungen (F. Platten, G. J. Sinowjew) u. a.

Initiatoren des Kongresses sind Lenin und die Partei der Bolschewiki. Die Delegierten berichten über die Situation in ihren Ländern, den Kampf gegen den Imperialismus und über die Lage in der Arbeiter­bewegung. Die Vertreter aus den kapitalistischen Ländern konstatieren einen revolutionären Aufschwung und eine Linksentwicklung in der Arbeiterklasse, weisen aber auch auf den starken Einfluß der rechten sozialdemokratischen und der zentristischen Führer auf breite Schichten der Arbeiterklasse hin. Diese Lage erfordert die sofortige Bildung einer kommunistischen Internationale. Im Mittelpunkt der Beratung stehen das Referat und die Thesen Lenins über die bürgerliche Demokratie und die Diktatur des Proletariats, in denen er die Theorien von der „reinen Demokratie" entlarvt, indem er nachweist, daß deren Klassen­inhalt die Diktatur der Bourgeoisie ist. Der bürgerlichen Demokratie stellt Lenin die Diktatur des Proletariats als die wirkliche Demokratie für die Volksmassen gegenüber. In den „Richtlinien der KI" werden die Aufgaben der Arbeiterklasse bei der Eroberung und Festigung der Macht dargelegt. Das „Manifest an das Proletariat der ganzen Welt" weist die schädliche Rolle des Opportunismus und Zentrismus nach und begründet die Notwendigkeit der Gründung einer neuen, kommu­nistischen Internationale. Der Kongreß nimmt entschieden gegen den weißen Terror Stellung und fordert die Arbeiter aller Länder zur Unterstützung Sowjetrußlands, besonders im Kampf gegen die im­perialistischen Interventen, auf.

Der Antrag auf sofortige Gründung der KI wird von allen Delegierten, bei Stimmenthaltung des deutschen Vertreters, angenommen. Die Füh­rung der KPD befürwortet grundsätzlich die Bildung der KI, hat aber ihrem Delegierten — entsprechend der Auffassung vor allem L. Jogi-ches' und Rosa Luxemburgs, der Zeitpunkt für die Gründung sei zu früh gewählt — die Weisung gegeben, sich gegen die sofortige Kon­stituierung der KI auszusprechen. Nach dem Kongreß arbeitet die KPD aktiv in der KI mit und wird bald zu einer ihrer stärksten Sektionen. Es wird beschlossen, als Leitung ein Exekutivkomitee der KI (EKKI) zu bilden, in das die kommunistischen Parteien Deutschlands, Öster­reichs, der Schweiz, Skandinaviens, Sowjetrußlands und Ungarns so­wie die Revolutionäre Balkanföderation je einen Vertreter entsenden sollen.

Die Bedeutung des Kongresses besteht in der internationalen Zusam­menfassung der kommunistischen Kräfte, der Verkündung ihrer Prin­zipien und der Schaffung eines leitenden Zentrums. Die Gründung der KI ist der erste, entscheidende Schritt zur Herausbildung eines inter­nationalen Führungsorgans der kommunistischen Weltbewegung. Da­mit ist die Voraussetzung geschaffen, um dem Weltimperialismus die einheitliche Front der internationalen revolutionären Arbeiterbewegung unter dem Banner von Marx, Engels und Lenin entgegenzustellen.

2.—6. März
Außerordentlicher Parteitag der USPD im ehem. preu­ßischen Herrenhaus in Berlin. 211 Anwesende, davon 176 Delegierte und drei ausländische Gäste. Mitgliederstand: rd. 300 000 Mitgl. Tages­ordnung: Geschäftsbericht der Zentralleitung (Luise Zietz); Bericht der Kontrollkommission (W. Bock); die Aufgaben der Partei (H. Haase, E. Däumig); die internationale Konferenz in Bern (K. Kautsky); die Orga­nisation der Partei (W. Dittmann); die Stellung der USPD zu den Ge­werkschaften (R. Dißmann).

Der Parteitag widerspiegelt die weitere Linksentwicklung in der deut­schen Arbeiterklasse, die Verschärfung des Gegensatzes zwischen den zentristischen Führern und den linken Kräften in der USPD und das Erstarken des linken Flügels. Zahlreiche Anträge an den Parteitag wenden sich gegen die Politik der zentristischen Führer. Eine von lin­ken Delegierten eingebrachte Entschließung fordert, daß sich die USPD auf den Boden des Rätesystems stellt. Die von Haase vorgelegte Reso­lution verlangt statt dessen die Verankerung des Rätesystems in der bürgerlichen Verfassung. Die vom Parteitag angenommene „Program­matische Kundgebung" stellt einen Kompromiß zwischen beiden Ent­würfen dar. Das Bekenntnis zum Rätesystem und zur Diktatur des Proletariats wird durch die zentristische Forderung entwertet, das Räte­system in die Verfassung des bürgerlich-kapitalistischen Staates einzu­ordnen. Der Parteitag spricht sich für die aktive revolutionäre Arbeit in den Gewerkschaften aus, verlangt die Wiederaufnahme der Bezie­hungen Deutschlands zu Sowjetrußland und protestiert gegen die reak­tionären Methoden im Ermittlungsverfahren gegen die Mörder K. Lieb­knechts und Rosa Luxemburgs. Die opportunistische Politik der zentristischen Führer zeigt sich besonders in verleumderischen Aus­fällen gegen die KPD, deren Rolle auch von den Führern des linken Flügels noch nicht erkannt wird. Clara Zetkin kritisiert in einer Dis­kussionsrede die Politik der zentristischen Führer vor, während und nach der Revolution und legt die marxistischen Auffassungen zur Sozialisierung, zum Rätesystem, zum Parlamentarismus und «zur II. In­ternationale dar. Sie erklärt ihren Austritt aus der USPD und ihren Ubertritt zur KPD. (Bis dahin war Clara Zetkin auf Anraten L. Jogiches' und Rosa Luxemburgs in der USPD verblieben, um für die Trennung von den zentristischen Führern und den Zusammenschluß des linken Flügels mit der KPD zu wirken.)

In die Zentralleitung werden gewählt: A. Crispien und H. Haase (Vors.); W. Dittmann und Luise Zietz (Sekretäre); G. Laukant, J. Moses und Anna Nemitz (Beisitzer).

3. —12. März
Generalstreik und bewaffnete Kämpfe in Berlin. Seit Ende Febr. haben Arbeiter aus Berliner Großbetrieben den General-streik zur Unterstützung der streikenden mitteldeutschen Arbeiter gefordert. Während rechtssozialdemokratische und zentristische Führer den Generalstreikbeschluß hintertreiben wollen, ruft die KPD am 3. März zum Generalstreik auf, wobei sie davor warnt, sich von Lockspitzeln zu bewaffneten Kämpfen provozieren zu lassen. Die große Mehrheit der Vollversammlung der Großberliner ASR beschließt in Anlehnung an die Forderungen der KPD mit den Stimmen vieler Sozialdemokraten am gleichen Tage den Generalstreik für die Anerkennung der ASR; sofortige Durchführung der Hamburger Punkte (16. bis 21. Dez. 1918); Freilassung aller politischen Gefangenen; Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit; sofortige Bildung einer Arbeiterwehr; Auflösung der Freiwilligenverbände; sofortige Aufnahme diplomatischer und wirtschaftlicher Beziehungen zu Sowjetrußland. Die preußische Regierung verhängt am 3. März über Berlin den Belagerungszustand und überträgt Reichswehrminister Noske die vollziehende Gewalt. Durch eine Provokation schafft sich General v. Lüttwitz den Vorwand für den Einmarsch seiner Truppen in Berlin, die am 6. März mit Artillerie gegen die Republikanische Soldatenwehr vorgehen. Die rechten Führer der SPD spalten die einheitliche Streikfront. Dadurch sehen sich die Berliner Arbeiter gezwungen, am 8. März den Generalstreik abzubrechen. Einige hundert Mitgl. der Republikanischen Soldatenwehr und Arbeiter setzen den bewaffneten Widerstand gegen die Freikorps fort. Die bürgerliche Presse und der „Vorwärts" verbreiten auf Anweisung des Stabes der Noske-Truppen Falschmeldungen über angeblich von Arbeitern verübte Greueltaten und liefern Noske damit den Vorwand zur Verhängung des Standrechts am 9. März. Uber 1000 Arbeiter, Matrosen, Soldaten werden von der Soldateska umgebracht, Tausende mißhandelt und in die Gefängnisse geschleppt. Am 10. März wird L. Jogiches, Mitgl. der Zentrale der KPD, ermordet. Am 11. März werden 29 Matrosen der Volksmarinediv. in der Französischen Str. 32 erschossen. Die Kämpfe enden am 12. März mit der Besetzung Berlin-
Lichtenbergs.

4. März
Verbot der „Roten Fahne", die infolge der später verhängten Papiersperre erst am 11. Apr. wieder erscheinen kann.

5. —13. März
Bergarbeiterstreik in Oberschlesien. Die Streikbewegung, an der sich deutsche und polnische Arbeiter beteiligen, erreicht zwischen 10. und 12. März ihren Höhepunkt (35 Gruben). Die Streikenden fordern: Wald von Betriebsräten; Aulhebung des Belagerungs­zustandes; Entwaffnung des Militärs; volles Vereins- und Versamm­lungsrecht; Übertragung der Polizeigewalt auf die Arbeiter; Bildung einer Roten Garde; Befreiung aller politischen Gefangenen; Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Sowjetrußland u. a. Die kommunisti­schen Parteien Deutschlands und Polens unterstützen die Streikenden, während die rechten Führer der SPD, der USPD und der Gewerkschaf­ten gegen den Streik auftreten. Gegen die oberschlesischen Arbeiter werden Grenzschutz und Reichswehr eingesetzt. Vielerorts kommt es zu bewaffneten Abwehraktionen der Arbeiter. Am 11. März faßt eine Ver­sammlung von Vertrauensleuten der streikenden Gruben unter dem Eindruck der Versprechungen rechter sozialdemokratischer Führer den Beschluß, den Streik am 14. März abzubrechen. Dieser Beschluß wird von den Arbeitern der meisten Gruben befolgt. Die übrigen Belegschaf­ten nehmen in den folgenden Tagen die Arbeit wieder auf.

13. März
Die Nationalversammlung nimmt gegen die Stimmen der Rechtsparteien das Sozialisierungsgesetz an, demzufolge „geeignete" Betriebe gegen Entschädigung in „Gemeinwirtschaft", d. h. in die Hände des Reichs, der Länder oder Gemeinden, überführt werden kön­nen. Dieses von den rechtssozialistischen Führern als „Grundstein zum Aufbau des sozialistischen Staates" gepriesene Gesetz soll bei den werk­tätigen Massen Illusionen wecken und sie vom revolutionären Kampf für die Entmachtung des Monopolkapitals abhalten. Die zu seiner Durchführung erlassenen Gesetze dienen in der Praxis der Beschleuni­gung des Konzentrations- und Zentralisationsprozesses des Kapitals und der Neuorganisation des staatsmonopolistischen Kapitalismus.

18. März
Durch Regierungsverordnung werden der achtstündige Ar­beitstag und die Arbeitsruhe an Sonntagen auch für Angestellte ein­geführt.

1.8.-23. März
VIII. Parteitag der KPR(B) in Moskau. Er nimmt das von W. I. Lenin ausgearbeitete neue Parteiprogramm an, das die Aufgaben der Partei für die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus festlegt, beschließt Maßnahmen zur Festigung des Bünd­nisses mit der Mittelbauernschaft und die Neuregistrierung der Partei-mitgl., was einer Parteireinigung gleichkommt. Außerdem stimmt der Parteitag einer Resolution zur Militärfrage zu. Er weist die Angriffe N. I. Bucharins gegen die Leninsche Revolutionstheorie und Nationali­tätenpolitik zurück.

21. März
Bildung der Ungarischen Räterepublik. Unter der Leitung hervorragender Kommunisten wie B. Kun, T. Szamuely und linker Sozialisten wie B. Szänto und J. Landler errichten die Arbeiter, Solda­ten und werktätigen Bauern Ungarns im ganzen Land die Herrschaft der Räte. Gestützt auf diese Räte nimmt die Räteregierung umfassende revolutionäre Maßnahmen in Angriff. Eine rote Armee wird gebildet. Sie führt einen heldenhaften Kampf gegen die ausländischen Interven­ten und die innere Konterrevolution. Am 1. Aug. erliegt die Räterepu­blik, die von den Arbeitern der europäischen Länder solidarisch unter­stützt worden ist, der militärisch überlegenen Intervention.

29. März
Reichskonferenz der KPD in Frankfurt (Main). Anwesend sind: Mitgl. der Zentrale und Vertreter der größeren Ortsgruppen — insgesamt 60 Teilnehmer. Wichtigste Tagesordnungspunkte: Bericht über die Tätigkeit der Zentrale und über die Stellung zum General­streik; Syndikalismus, Anarchismus und Kommunismus; die wirt­schaftlichen Aufgaben der Betriebsräte.

Die Konferenz lehnt die Losung „Heraus aus den Gewerkschaften!" ab und fordert ständige Aufklärungsarbeit in den Gewerkschaften, Besei­tigung der alten Gewerkschaftsbürokratie und Propaganda für das Rätesystem. Sie weist die syndikalistische Agitation zurück und warnt vor jeglichem Putschismus. Die Konferenz hält fälschlicherweise die Durchführung von Teilstreiks für nicht zweckmäßig, da die Entwick­lung zum Generalstreik in ganz Deutschland dränge. Es wird verlangt, den Streiks politischen Charakter zu geben, jedoch nicht die unmittel­bare Eroberung der politischen Macht zu fordern. Die Entscheidung, den bevorstehenden 2. Reichsrätekongreß zu boykottieren, entspricht nicht der realen Situation. Die Konferenz fordert zur Solidarität mit den Opfern der Januar- und Märzkämpfe in Berlin auf. Clara Zetkin wird in die Zentrale gewählt und mit der Herausgabe der Frauen­zeitung „Die Kommunistin" beauftragt. Angesichts des konterrevolu­tionären Terrors in Berlin beschließt die Konferenz die Verlegung der Zentrale und der Redaktion der „Roten Fahne" nach Leipzig.

31. März—8. Apr.
Generalstreik in Württemberg. Ein „Aktions­komitee des geeinigten Proletariats", bestehend aus Vertretern der SPD, USPD und Kommunisten, proklamiert den Generalstreik. Die KPD fordert: Freilassung der politischen Gefangenen; Wiedereinstellung der im Jan. Gemaßregelten; Wiederherstellung des unbeschränkten Ver-sammlungsreclits; Neuwahl der ASR. Die Bourgeoisie muß einen am 1. Apr. begonnenen Gegenstreik nach wenigen Std. abbrechen. Die württembergische Landesregierung Bios (SPD) verhängt den verschärf­ten Belagerungszustand und setzt Truppen zur Niederschlagung des Streiks ein, die in Stuttgart Demonstrationszüge der Streikenden über­fallen und Arbeiter ermorden und verwunden. Der Generalstreik dehnt sich von Stuttgart rasch auf fast alle wichtigen Industrieorte Württem­bergs aus, muß aber wegen des konterrevolutionären Terrors abgebro­chen werden.

Quelle: Institut für Marxismus-Leninismus (HRG), Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung - Chronik, Band II, 1917-1945, Berlin 1966, S.57 -61