Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

SUD Rail-Gewerkschaftsaktivist in den Tod getrieben.
Voraus gingen mehrere Maßregelungen, die letzte wegen eines "bedrohlichen Blicks" (sic)...

03/2017

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Es war keine Schweigeminute, die eingelegt wurde, sondern „eine Lärmminute, weil Edouard dies gemocht hätte“, als am Mittwoch voriger Woche (15. März) mehrere Hundert Menschen des 42jährigen Gewerkschafters Edouard L. gedachten. (Aus Rücksichten auf seine Familie, insbesondere seine beiden Kinder, wird der Familienname in den öffentlichen Stellungnahmen und den Presseartikeln dazu nicht bekannt gegeben.)
Am Wochenende des 18./19. März 17 entfernte die Direktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders ,France Inter’ eine Chronik der Radiojournalistin Audrey Vernon von ihrer Webseite. Dieser Beitrag vom vorigen Freitag, den 17. März hatte den Suizid von Edouard L. zum Thema.
Bei SUD Rail kann er jedoch noch angehört werden:
https://sudrail.fr/Le-billet-d-Audrey-Vernon-du-17-mars-2017  

Gegen 11 Uhr ertönen Rasseln, Klingeln, Lokomotivhupen und brandet Applaus vor dem Pariser Bahnhof Saint-Lazare auf. Eine Stunde später wird die auf rund eintausend Menschen angewachsene Menge auf dem Gleis 1 des Bahnhofs weiße, gelbe und rote Blumen niederlegen. Dort, wo der Schalterbeamte sich am Freitag, den 10. März in den Tod stürzte.

Edouard L. hat Suizid begangen. Er hielt es nicht mehr, jahrelangen Maßregelungen und intensivem psychischem Druck ausgesetzt zu sein. Kurz zuvor hatte der Gewerkschafter von SUD Rail (der linken Basisgewerkschaft bei der französischen Bahngesellschaft SNCF, Mitglied im Zusammenschluss Union syndicale Solidaires) eine weitere Disziplinarstrafe in einer langen Kette von Maßregelungen erhalten. Zwölf Tage Arbeitssperre und Lohnentzug – französisch mise à pied genannt - wurden ihm aufgebrummt; der Vorwurf dazu lautete, er solle einem Führungsmitglied der SNCF bei einer Aussprache mit den Personalvertreter/inne/n einen „bedrohlichen Blick“ zugeworfen haben. (Sic!) Ferner drohte ihm eine Versetzung vom Pariser Bahnhof Saint-Lazare nach Brétigny-sur-Orge in der südlichen Pariser Banlieue, rund zwanzig Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Eine Verbannung an einen symbolträchtigen „dunklen Ort“, denn Brétigny wurde frankreichweit dort bekannt, dass im Juli 2013 an einem Freitag Abend dort ein Schnellzug von Paris in Richtung Westfrankreich entgleiste – das Unglück, das mehrere Todesopfer forderte, ging auf abgenutzte Weichen un damit mittelbar oder unmittelbar auf völlig unzureichende Investitionen in die Instandhaltung der Infrastruktur zurück.

Da diese Disziplinarstrafe zu einer Reihe früherer Sanktionen hinzu kam, drohte Eric L. zudem bei jeder weiteren Maßregelung in Zukunft die Kündigung, und damit der Arbeitsplatzverlust.

Rechtlich hätte eine solche Sanktion gegen ihn gar nicht ausgesprochen werden dürfen, da Eric L. ein Status als „Arbeitnehmer mit Behinderung“ zuerkannt war, so dass das CHSCT – das „Komitee für Arbeitsbedingungen und Gesundheit“, das sich in Unternehmen ab 50 Beschäftigten um den Schutz der körperlichen und psychischen Gesundheit der Lohnabhängigen am Arbeitsplatz kümmert – hätte eingeschaltet werden müsse.

Das Bild, das mehrere seiner Arbeits- und Gewerkschaftskollegen sowie Eric Beynel, Sprecher der Union syndicale Solidaires, von Eric L. auf der Kundgebung malen, ist das von einem, der den Mund nicht zumacht. Der 42jährig war Aktivist bei der Basisgewerkschaft seit rund sieben Jahren und délégué du personnel (eine Art gewählter Vertrauensmann der Belegschaft im Unternehmen respektive Betrieb ab elf Beschäftigten). Aber noch bevor er gewerkschaftlich aktiv wurde, erinnert einer seiner Kollegen in seiner Ansprache, hatte Eric Beynel Handlungen widerstand, die er als ungerecht empfand. Noch als gewerkschaftlich unorganisierter Mitarbeiter hatte er die Strafversetzung eine Vorgesetzten bewirkt, die rassistische Sprüche gegenüber ihren Untergebenen klopfte, indem er beharrliche Unterschriften unter eine Petition sammelte. Bei Führungspersonal war er gefürchtet, weil er nicht einfach klein beigab, sondern stetig argumentierte. Dabei wurde er manchmal ein wenig laut. Ein Krawattenheini aus der Führungsetage warf ihm anlässlich einer Versammlung mit den Personalvertreter/inne/n vor, Eric L. habe ihn angeblich mit seinem Finger „körperlich bedroht“, was unwahrscheinlich war, da er zehn Meter von ihm entfernt stand.

Seit vier Jahren war Eric L. ohne festen Arbeitsplatz bei der SNCF angestellt, die ihm jeden eigenen Aufgabenbereich (außerhalb seiner gewerkschaftlichen Betätigung) entzog – eine Situation, die rechtlich den Tatbestand des Mobbing oder harcèlement moral erfüllen dürfte.

Eric L. wurde auch zum Opfer einer Politik des „Lean management“ bei der französischen Bahn, die im Namen des „Projekts petits colletifs (kleine Arbeitskollektive)“ zahlreiche Stellen auf der mittleren Angestelltenebene abbaute, um weitere Aufgaben den „unteren“ Beschäftigtengruppen aufzubürden – im Namen der Idee eines angeblicheren „selbständigeren Arbeitens“. Diese Politik erhöhte massiv den Druck auf das Personal, und dadurch Spannungen in der Belegschaft.

Neben SUD Rail nahmen auch Delegationen anderer Solidaires/SUD-Gewerkschaften sowie kleinere Abordnungen von FO (Force Ouvrière) und der CGT-Eisenbahner an der Kundgebung und an der Blumenniederlegung teil.

Eric Beynel erinnerte daran, dass Eric L.s Selbstmord leider kein Einzelfall ist. Erst am Morgen des 07. März, dem Tag des letzten Streiks im öffentlichen Gesundheitswesens mit einer Demonstration am Nachmittag in Paris, wurde eine Krankenschwester im Pariser Krankenhaus Cochin an ihrem Arbeitsplatz erhängt aufgefunden.

Und hier ferner noch die Links zu drei Presseartikeln zum Thema:


Und aus einer Publikation der radikalen Linken:

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe.