Italien
erlebt derzeit eine Stärkung linker und
kommunistischer Bewegungen, Organisationen und
Kräfte wie schon lange nicht mehr. Es begann
besonders im vergangenen Oktober, als die
Basisgewerkschaften, unter ihnen in erster
Linie USB (Unione Sindacale di Base)
und zwei unter „Cobas“ (comitati di
base, Basisausschüsse) firmierende
Basisgewerkschaften namens AdL Cobas (Associazione
Diritti Lavoratori (1)) und SI Cobas (Sindacato
Intercategoriale – Lavoratori Autorganizzati
(2)) am 22. Oktober 2017 mit eigenen Kräften und
unabhängig von den offiziellen
Richtungsgewerkschaften einen Generalstreik auf
die Beine stellten, an dem eine Million
dreihundertausend Menschen teilnahmen.
Kapillar und von unten
Es gab
Blockaden, Besetzungen, Protestmärsche von einer
europaweit exemplarischen Kampfkraft und
Kampf-Weite. Ziel war es, Forderungen des
Arbeitsplatzes und der Branche und der gesamten
Arbeiterschaft mit allgemeinpolitischen
Forderungen, so gegen Militarismus und Krieg, zu
verbinden. In monatelanger mühevoller Arbeit war es
den basisgewerkschaftlichen Aktivisten gelungen,
die Belegschaften davon zu überzeugen, daß sie
gegen die Politik Renzis Stellung nehmen müßten,
über ihre eigenen Arbeitsbelange hinaus.
Und das
gelang. Renzi und seine Partei hatten die Absicht
gehabt, die Verfassung an sensiblen Punkten zu
reduzieren, ja man kann sagen: zu demolieren, die
Arbeitsrechte weiter und definitiv auszuhebeln und
die parlamentarischen Entscheidungsmechanismen zu
schwächen. Der Senat sollte reduziert und zum Teil
entmachtet werden, die stimmenstärkste Partei
ähnlich wie in Griechenland mit zusätzlichen
Stimmen ausgestattet werden, und das Ganze wurde in
ein Referendum gegossen, mit dem Renzi und die
Mehrheit seiner Partei selbstherrlich vermeinten,
die „Bürger“ überzeugen zu können.
Sie
werden ihm schon folgen, glaubte er. Ein
Referendum von oben, wie das des Orbán
kurze Zeit vorher. Auch in der primitiven
Plakativität mancher seiner Losungen ähnelte es dem
Orbán´schen „Referendum“.
Bereits
der Generalstreik, gerade der Generalstreik war zu
einer politischen Botschaft gegen Renzi und seine
Politik geworden, dann folgten Mobilisierungen
anderer politischer Plattformen. Der Generalstreik
fand in zahlreichen Städten Italiens statt, an der
Demonstration in Rom nahmen 30. 000 Menschen teil.
Bei dieser römischen Zentraldemonstration wurde,
etwas weicher im Vergleich zur Politik der im
Veneto, in der Emilia Romagna und
zum Teil in der Toskana operierenden ADL
Cobas und zu der der streng kollektiv
strukturierten SI Cobas (die beide, ebenso
wie die USB, aus den Erfahrungen der
kommunistischen Kämpfe der „Neuen Linken“ der
Siebzigerjahre schöpfen), ein spezielles Konzept
umgesetzt, ein bis dato noch nicht erprobtes
gemeinsames Vorgehen unterschiedlichster
basisgewerkschaftlicher Strömungen. Das war die
softere römische Version. Diese zentrale
Großdemonstration wurde gemeinsam bestritten von
Unicobas (einer studentischen
Basisgewerkschaft, Partnerin der schwedischen
SAC (3) und der spanischen CGT
(4)), der genannten USB und der
libertär-anarchistischen USI (Unione Sindacale
Italiana). ADL und SI Cobas nahmen daran nicht
teil.
Das
No Sociale – die breite gesellschaftliche Front
Am Tag
darauf fand ein landesweiter Protesttag gegen
Renzi, der sogenannte „No Renzi Day“, statt, wobei
die OrganisatorInnen sich darüber im klaren waren,
daß mit diesem Titel keine Personalisierung ,
sondern nur die Kennzeichnung einer durch eine
Person vertretenen Politik gemeint sein kann.
Veranstalterin war die Plattform Coordinamento
per il No Sociale: an der großen Kundgebung,
die, wie zumeist, durch halb Rom führte, nahmen
40.000 Leute teil. Hier zeigte sich, daß ein
Großteil der Mobilisierung in Rom von der USB
getragen wurde, also von einer
Arbeiterorganisation. Die proletarische
Organisation USB war hegemonial im Kampf
gegen eine reaktionäre Regierung!
Es
handelt sich bei der USB um einen vor mehr als 6
Jahren entstandenen Zusammenschluß dreier bereits
bestehender Basisgewerkschaften, der in letzter
Zeit immer mehr an Einfluß gewinnt und, zusammen
mit den genannten beiden anderen
Basisgewerkschaften ADL Cobas und SI Cobas, trotz
divergierender Auffassungen über das strategische
Vorgehen, als kämpferisches, lebendiges
basisgewerkschaftliches Kraftfeld den
kapitalabhängigen Kompromißgewerkschaften CGIL-CISL
und UIL, dem gelben Dreierbündnis, den historischen
Kampf angesagt hat.
Stinkender Leichnam
Eine
solche Tendenz zur Entkoppelung von den Gelben wird
sich in ganz Europa langfristig entpuppen und
entfalten müssen, sie ist bis dato erst, wenn auch
in unterschiedlichen Formen, in Spanien, in
Griechenland und auch in Frankreich auszumachen.
Es ist
das logische Gesetz der Abtrennung von der
Sozialdemokratie und der Vernichtung der
Sozialdemokratie. Für einen jeden Kommunisten müßte
das eigentlich selbstverständlich sein.
Es ist
sehr schwer für Menschen, die nichts als den DGB
und Ähnliches vor Augen haben, diese Tendenz, in
der sich ein solches Gesetz verbirgt, diese
Notwendigkeit, rational und/oder emotional zu
fassen.
Weder vom
Gefühl noch vom Verstand sind die Leute auf dem
Dampfer. Die Tendenz, der unerbittliche Prozeß,
wird ihnen fremd bleiben, bis eines Tages ähnliche
Prozesse in ihrem eigenen Land ebenfalls greifen
werden. Man muß sich darüber klar werden, daß das
allgemeinpolitische Prinzip, das den deutschen
Gewerkschaften ja per Gesetz versagt ist, bei den
Basisgewerkschaften an zentraler Stelle steht, und
daß das bestimmende Organisationskonzept das von
unten ist.
Damit
weisen die italienischen Basisgewerkschaften über
das in Deutschland, Österreich und dergleichen
politisch zugemauerten Ländern gewerkschaftlich
routinemäßig Geübte weit hinaus und sind insofern
ein Wegweiser, eine Richtschnur für eine
unausweichliche nationenübergreifende Entwicklung,
eine Richtschnur auch für die teilweise
verfaulte Metropolenlinke.
Nochmals Nein!
Am 27.
11., einen Monat nach den beiden exemplarischen
Mobilisierungen, fand eine weitere Kundgebung
„gegen Renzi“ statt, bei der in Rom 50.000 auf der
Straße waren.
Diesmal
war sie organisiert von einer breiten Plattform
namens „C´è chi dice di no“ („Es gibt Leute
die Nein sagen!“), die sowohl von Künstlern und
Musikern als auch von einer großen Zahl von
Massenorganisationen getragen oder unterstützt
wurde.
Die
sozialdemokratische Partei der Unterdrückung des
Proletariats und des Prekariats wird also von
mehreren Seiten her in die Zange genommen.
Ein
neuer Feminismus
Das
zahlenmäßig, aber auch vom politischen impact
her überragendste Ereignis aller Kundgebungen
dieser Periode war eine Demonstration in Rom, an
der 200.000 Frauen teilnahmen!
Italien
war in den Siebzigerjahren das Land mit der
stärksten und radikalsten Frauenbewegung Europas.
Aber wie überall, so war auch in Italien ein
Schwund der Aktivitäten und Organisationen zu
beobachten (auch bereits in den Achtzigerjahren, wo
die PCI (die Kommunistsiche Partei), die
Vorgängerorganisation von DS (Linksdemokraten) und
PD (Demokratische Partei), zusammen mit den
Christdemokraten, ebenso wie in den
Siebzigerjahren die Repression gegen die
außerparlamentarische Linke und die Bewegungen
anführte. Vor diesem Hintergrund und angesichts
einer gewissen Lethargie der letzten Jahre war es
doch eine Überraschung: Jetzt findet mit einemmal
die im europaweiten Vergleich größte
Frauendemonstration der letzten Jahre statt!
Es war
keine „spontane“ Demonstration: drei landesweite
Organisationen und zusätzlich die römischen
Feministinnen hatten vorgearbeitet, das rein
numerische Resultat war aber doch überraschend,
viele Frauen hatten Tränen in den Augen, weil sie
solches seit Jahren nicht mehr erlebt hatten.
Damit
zeigt sich wieder, daß sich die „Frauenfrage“, die
ja wohl auch eine Männerfrage ist, sich
gleichberechtigt an die Seite der unabhängigen
Bewegung der Arbeiter und Arbeiterinnen stellt,
einen Kern des gesamtgesellschaftlichen Kampfes
darstellt.
Generalstreik des Proletariats und des Prekariats,
Generalstreik der Frauen
Am 8.
März fand, aufbauend auf diese Erfahrung, auf die
der Folgemeetings (in Bologna hatte ein weiteres
Treffen mit 2000 Frauen stattgefunden) und auch auf
die des basisgewerkschaftlichen Generalstreiks ein
Generalstreik der Frauen statt, bei dem das
Recht zu streiken auch für Einzelpersonen und
nicht gewerkschaftlich Organisierte svom Gesetz
garantiert war. Dank des harten
gewerkschaftlichen Einsatzes und der noch nicht
vollends liquidierten Arbeitsgesetzgebung!
Der
lange Marsch in den Abgrund
Die
Sozialdemokratie steht heute allen Bewegungen im
Weg. Man sucht neue politische Formeln und
Organisationsformen und muß dabei gegen die
Sozialdemokratie (den neuen Sozialdemokratismus)
zielen, der, besonders in Italien, zum treuesten
Pudel des Neoliberalismus geworden ist. Nur in
Ungarn kann oder konnte man eine ähnliche brutale
Härte ultraliberalistischer Ausrichtung von
Sozialdemokraten beobachten: in der Ungarischen
Sozialistischen Partei (MSZP).
Die
Demokratische Partei Italiens ist, ebenso wie die
MSZP, die immer mehr nach rechts driftende SPÖ und
die PASOK, Mitglied der Sozialdemokratischen
Partei Europas. Die PD ist/war die stärkste der
sozialdemokratische Parteien, ihre Vorgängerpartei
war die PDS und deren Vorgängerpartei die PCI –
letztere die größte aller kommunistischen Parteien
Westeuropas - und es hatte sich in den
Folgeparteien jeweils noch eine Restsubstanz von
linkem Sozialismus und ein Quentchen Kommunismus
erhalten, die aber durch die sukzessive, über
verschiedene Stufen, ja Brüche erfolgende Umwidmung
der Ursprungspartei in Richtung
Sozialdemokratisierung, also in Richtung eines
großen antiproletarischen und antikommunistischen
Konzepts, immer weiter abgebaut wurde, bis unter
Renzi die offene Reaktion in dieser Partei die
Macht ergriff, der immer noch viele, aus Gewohnheit
oder Vertrautheit, anhangen.
Wenn also
diese PD gegen das Proletariat und das Prekariat,
gegen die Basislinke und die Bewegungen vorgeht,
wird sie dafür zahlen müssen.
Emanzipierungsversuche
Sie zahlt
erstens dadurch, daß sich eine neue breite
Linkspartei gegründet hat, die Sinistra Italiana
(SI). Gründungsversammlung war in Rimini vom
17. bis zum 19. Februar. Versuche, im bisherigen
politischen Vakuum eine neue Linkspartei zu
schaffen, waren dem vorausgegangen, als wichtigste
Projekte wären Alba und die Partei des
Bene Comune (der commons, des
Öffentlichen Gutes) zu nennen. Die Sinistra
Italiana ist eine Linkspartei, die voraussichtlich
Bestand haben und sich mit etlichen scharfen
Reformen ins Zeug legen wird. Durch diesen Gegenpol
wird die (italienische) Sozialdemokratie
geschwächt, umsomehr als etliche Mitglieder der PD
zur SI überwechselten.
Vor
kurzem, am 25. Februar, spaltete sich außerdem von
der PD ein Teil ab, der nun den definitiven Namen
Articolo 1 - Movimento Democratici e
Progressisti (frei: Fortschritt und
Demokratie“) erhalten hat. Die offizielle Abkürzung
ist MDP.
Exkurs: Zum politischen Stellenwert der Verfassung
Ein Teil
der Gruppierung bestand zuerst auf die
ausschließliche Benennung “Articolo 1“, dann
brachte man diese Formel als Zusatzbezeichnung
durch. Dabei handelt es sich um einen politisch
zentralen Artikel der italienischen Verfassung, der
heute auch von denjenigen Bewegungen als Losung
verwendet wird, die sich gegen den Abbau der
sozialen und politischen Rechte wenden – wenn sich
auch die proklamative Verfassungsbezogenheit ein
wenig zu einem bekundenden Ritual entwertet hat.
Immerhin ist dieser „Articolo 1“ der Introitus der
Verfassung, und der Grundcharakter der neuen,
nunmehr radikal gegen Faschismus und
Königsherrschaft gerichteten Verfassungssubstanz
soll gleich am Anfang anklingen: „Italien ist eine
demokratische Republik, die auf der Arbeit
gründet“.
Wieso so
viel Aufsehen um „Arbeit“? Die Arbeiter- und
kommunistische Bewegung nach dem Krieg hat,
basierend auf den Erfahrungen des linken,
kommunistisch geprägten Teiles der
Partisanenbewegung, mit „Arbeit“ die zentrale
Bedeutung der Arbeiterklasse in der Verfassung
verankert (nicht allerdings ohne ausgleichende, in
Richtung Sozialpartnerschaft weisende Formeln), und
da dieses Kennwort „Arbeit“ in Italien so sehr der
Reflex der lebendigen und harten demokratischen und
linken Kämpfe der Nachkriegszeit ist, die noch für
alle gegenwärtigen Bewegungen Vorbild sind, hat es,
als Element eines Verfassungstextes eine Bedeutung,
die über den eines simplen Paragraphen weit
hinausgeht. Es wurde zu einem – ein wenig
sprachrituellen -Bezugspunkt des heutigen
Widerstands; aber auch derer, die radikale
Demokratie simulieren. Mit der passionierten
Bezugnahme auf „Arbeit“ ist gemeint: Wir wollen uns
den Inhalt, den diese Paragraphen repräsentieren,
nicht wegnehmen lassen!
Manchem
mag die Formulierung doch etwas steif und abstrakt
vorkommen. Das kommt daher, daß es sich um einen
Kompromiß handelt. Die ursprüngliche, von
Togliatti vorgeschlagene Formel, war „Italien
ist eine demokratische Arbeiterrepublik“ (repubblica
democratica di lavoratori), Das war einigen
dich wohl zu klassenbezogen, dem
christdemokratischen Langzeitpolitiker Fanfani
gelang es daraufhin, die Kompromißformel
durchzubringen, die heute noch gilt.
Die
„demokratische Republik, die auf der Arbeit
gründet“ und die kategorische Verwerfung von Krieg
als Mittel zur Lösung internationaler Konflikte,
das sind zwei – die Bewegungen kodifizierend
stützende – politische Kernpunkte der Verfassung.
Daher ist von Bewegungen in Ländern, in denen keine
derartige politische Bedeutung der Verfassung
vorwaltet, Verständnis für diese - genuine bis
rituelle – Verfassungstreue zu verlangen. Dies zur
Erklärung des etwas bombastischen Titels der
Neuformierung.
Mitte-links entsteht neu.
Was ist
nun diese Abspaltung? In ihr haben sich diejenigen
Kräfte zusammengetan, die bereits in der Partei
für ein Nein zum Renzi´schen Referendum optiert
hatten, also de facto zu einer parteiinternen
Opposition geworden waren. Diese Leute waren bei
einer Showveranstaltung Renzis in Florenz von
seiner fanatischen Kerntruppe auf die widerlichste
Weise mit „fuori!“ (raus) niedergebrüllt
worden! Der Stil des Führungskerns.
Aber so
brüllten seinerzeit PC-Ordner auf Unità-Festen
die Mitglieder der außerparlamentarischen Linken,
etwa von Lotta Continua, nieder, wenn diese
es wagten, sich unter das Unità-Volk zu mischen
oder gar zu versuchen, mit den Parteitreuen zu
diskutieren.
Es ist zu
erwarten, daß von dieser Gruppierung, die rechts
von der Sinistra Italiana steht, der Kampf in
etlichen zentralen Punkten gegen wesentliche
Konterreformen, also politische Abbaumaßnahmen in
den Bereichen Bildung, Arbeitsrecht, Prekariat,
mitgetragen wird. Insofern ist die Gruppierung
nicht nur nützlich, sondern mitnotwendig.
Würde sich die Gruppierung darauf nicht einlassen,
könnte sie nicht überleben.
Sinistra.
Wir haben
hier vor uns einen zum Teil weit nach links
driftenden Mitte-Links-Bereich, der zur Zeit aus
zwei Lagern besteht: aus dem sich selbst als
reformerische Mitte-Links-Formation verstehenden
MDP und aus dem linkeren der Sinistra Italiana. Die
SI kann, gewissermaßen als Erbe der Partei SEL („Sinistra
Ecologia Libertà“ (5)), die sich von der
Rifondazione abgelöst hatte, als viel linker
eingestuft werden; die SEL hat sich vor kurzem
aufgelöst und ist in die SI integriert worden -
deren stärkster Bestandteil sie ist/war.
Wenn wir
hier noch nicht die radikalen Massenbewegungen und
noch weiter links stehende Parteien und
Kräfte beschrieben haben, so haben wir zumindest an
dieser sehr nützlichen und wichtigen Breitenpolitik
ablesen können, wie erfolgreich es sein kann, der
Sozialdemokratie das Wasser abzugraben. Damit wird
ein gefährlicher Gegner in die Ecke getrieben.
Allein deswegen wäre es völlig falsch, diese
reformerischen Neubildungen aus einem
selbstzufriedenen radikalen Winkel heraus
großspurig zu verwerfen.
In
Italien ist es gelungen, die PD wurde durch die
neue Linkspartei geschwächt und sie wurde durch die
MDP geschwächt.
Ein
weiteres Gebilde lockt und wirbt ab.
Zusätzlich ist noch eine Formation am Entstehen,
die in der Nähe der PD, aber in scharfer Opposition
zu Renzi, ausgebrütet wurde und offiziell am 11.
März in Rom an die Öffentlichkeit getreten ist.
Eine
Organisation aus der Retorte? Sie nennt sich, nicht
sehr originell, campo progressista („Das Lager
des Fortschritts“), eine Initiative rund um den
ehemaligen Bürgermeister von Mailand Pisapia.
Das Projekt versteht sich ebenso wie das MDP als
neue Mitte-Links-Bewegung und sieht sich in der
Tradition des Ulivo, und es ist diesen
Pragmatikern gelungen, die Parlamentspräsidentin
Laura Boldrini, die noch in Rimini auf der
Gründungsversammlung der Sinistra Italiana
aufgetreten war, auf ihre Seite zu ziehen. Von der
SEL war sie noch ins Parlament und dann auf einen
der höchsten Posten befördert worden, auf den der
Präsidentin der Abgeordnetenkammer. Das ist der
Dank.
Auf der
von Pisapia lancierten politischen Veranstaltung
Futuro Prossimo (sehr frei: „Unsere Zukunft“),
die Mitte Februar in Mailand stattfand und auf der
er sein Projekt Campo Progressista
vorstellte, gab Boldrini Folgendes zum
besten: „Ich möchte eine Linke der Arbeit, eine
feministische Linke, eine Umweltlinke und eine
proeuropäische Linke.“
Wie
versteht sie Letzteres? „Wir müssen uns auf das
Europa der Gründerväter besinnen, auf die
Vereinigten Staaten von Europa. Aber dieses Europa
muß wieder ein menschliches Gesicht erhalten, es
muß wieder näher an den Menschen sein.“ Ein
europäischer Einheitsstaat – der sich den Menschen
zuwendet.
Also auch
dies gelang: nicht nur die Schwächung der PD durch
linkere Formationen, sondern auch die Schwächung
neuer linker Formationen durch Wiederaufgüsse von
PD-Politik.
In diesem
Bereich der drei reformerischen
Mitte-Links-Neugründungen findet - fast schon
gesetzmäßig - ein ununterbrochenes Fluktuieren
statt: rechte Senatoren haben sich von der SI
getrennt und sind zum MDP übergelaufen, Leute von
der PD gingen zur SI. Boldrini ist nur die Spitze
eines Eisbergs, der aus geschäftigen Überläufern,
Informanten, Zuträgern besteht. Das MDP stellt ein
politisches Sammelsurium dar. Zusammen mit linkeren
und demokratischer Eingestellten finden sich im MDP
auch „Konservative“, ja PD-Rechte, es sind
vergangene Machthaber und ehemalige oberste
Funktionsträger von PC, DS und PD in das MDP
miteingewandert. Dazu gehören Bersani,
ehemaliger Parteisekretär der PD, und D´Alema,
ehemaliger Bürgermeister von Rom, der nicht zu den
Linken zu zählen ist und der, wie auch der derzeit
mehr im Hintergrund stehende Veltroni, schon in der
PC seine Karriere begonnen hat. Sodaß das MDP aus
„Autoritären“, aus PD-Reformern und aus SI-Rechten
zusammengesetzt ist. Ob sie sich alle zusammen
läutern werden?
La
gauche de la gauche.
Nun gibt
es auch ein Parteienspektrum links von SI und MDP.
Im Zentrum steht da zunächst die vor zwei Jahren
neugegründete Kommunistische Partei Italiens (PCI).
Die Partei bezieht sich auf Togliatti, der,
bei all seinen Verdiensten, doch durch die
Liquidierung des Konzepts der Herrschaft des
Proletariats den Weg der italienischen Kommunisten
in die Bourgeoisie sehr früh eingeleitet hat, und
sie bezieht sich auf Berlinguer, der der
erbittertste Feind der neuen sozialen Bewegungen
der Siebzigerjahre war, sie bezieht sich aber auch
auf Gramsci. In praxi ist sie aber äußerst
wertvoll: eine ihrer Hauptaktivitäten ist der Kampf
gegen die NATO, daneben auch ihre Zusammenarbeit
mit dem italienischen Anti-EU-Lager. Dann die
trotzkistische Kommunistische Arbeiterpartei (Partito
Comunista dei Lavoratori), die sehr langsam
wächst. Darüber werden wir in der Folge berichten.
Das Wesentliche in einer Periode eines Umbruchs
aber ist die Radikalisierung und Stärkung linker
und kommunistischer Kräfte, radikaler Kräfte!
Durch
große gesellschaftliche Veränderungen werden aber
auch die matteren reformerischen Organisationen
erfaßt und verändert. Und dafür müssen sie büßen!
Vendetta.
Die Rache
der Sozialdemokratischen Partei Europas
ließ nicht auf sich warten. Die Bewegung Demokratie
und Fortschritt (MDP) wurde zum Feind erklärt und,
so berichtete am 3. März allen voran die Renzi-nahe
Parteizeitung Unità, aus diesem europäischen
Dachverband ausgeschlossen.
Endnoten
1)
Associazione Diritti Lavoratori
: für die (zur Verteidung der) Rechte der Arbeiter
2) Lavoratori Autorganizzati:
autonom organisierte Arbeiter
3) SAC,
Sveriges Arbetares Centralorganisation,
starke libertäre Gewerkschaft
4) CGT, Confederación
General del Trabajo, anarchosyndikalistisch.
Sehr präsent bei den gewerkschaftlichen wie
allgemeinpolitischen Mobilisierungen, die
moderatere “Stiefschwester” der CNT. Nicht zu
verwechseln mit der französischen CGT.
5) SEL, Sinistra Ecologia
Libertà: Linke, Umwelt, Freiheit
Editorischer Hinweise
Den
Artikel erhielten wir vom Autor für diese
Ausgabe. Den 2. Teil erwarten wir im April.
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