Kommentare zum Zeitgeschehen

Martin Schulz: der neue „Arbeiterkaiser“?


von "systemcrash
"

03/2017

trend
onlinezeitung

ich war noch nie ein freund von parteien-bashing, denn ich verstehe sehr gut, dass die bindung an eine partei auch ein stück „identität“ darstellt, die man nicht so ohnes weiteres aufbrechen kann. dies ist auch nicht nur eine frage der inhaltlichen ebene der kritik, sondern hat eben auch etwas mit der „kultur sozialer milieus“ zu tun. viele „linke“, die sich einer art „rationalistischen fortschrittsglaubens“ hingeben, übersehen gern diesen „kuturellen faktor“ und wundern sich, warum sie trotz „guter“ programmatischer statements nicht aus dem schmoren im saft ihrer eigenen (marginalen) gesinnungsgemeinschaft hinauskommen. es ist aber eben ein unterschied, ob man die „arbeiterklasse“ nur als ein „objekt“ politischer theorie betrachtet oder ob man sich selbst als bestandteil der arbeiterklasse betrachtet und daran sein „herzblut“ hängt. und es keineswegs nur rein abwertend, wenn man sich als angehöriger der „unterschicht“ sieht, sondern man kann (und muss sogar!) daraus auch eine art „positive indentifizierung“ (vlt sogar eine art „stolz“, auch wenn mir das wort gar nicht behagt) ableiten, wenn man psychisch in dieser gesellschaft zurechtkommen und überleben will – und das wollen ja schliesslich ALLE.
das zunehmende ökonomische desaster der neoliberalen globaliserung hat zu einem aufstieg rechtspopulistischer parteien und bewegungen geführt, die sich diesen „kulturkampf“ zu nutze machen. dabei profitieren sie gleich doppelt: zum einen von der kritik an den sozial-ökonomischen verwerfungen im „kapitalismus“ auf der erscheinungsebene und zum anderen vom versagen der „linken“, eine glaubhafte „systemalternative“ darstellen zu können; so dass die rechtspopulisten sich sogar als die einzige „fundamentalopposition“ gerieren können. politisch stellt bislang der „trumpismus“ den höhepunkt dieser entwicklung dar, aber auch in frankreich, deutschland und österreich könnte es zu ähnlichen prozessen kommen. dabei fällt auf, dass der rechtspopulismus eher ein phänomen der „reichen metropolen“ als der „armen peripherien“ ist, was darauf hindeutet, dass das hauptmotiv des rechtspopulismus die besitzstandswahrung ist. hingegen konnte es in einem land wie Spanien, das ja eher zur peripherie gehört, zu einer demonstration mit 160 000 leuten kommen, die FÜR die aufnahme von flüchtlingen auf die strasse gingen!

ein artikel in der ZEIT online (20.02.17) über den neuen Arbeiterkaiser ist ein beispiel dafür, wie man mit „kulturkämpferischer“ „theorie“ Martin Schulz hypen will. das wesentliche kennzeichen dieses „kulturkampfes“ ist das ausspielen der „sozialen frage“ (damit ist das anliegen der „arbeiterklasse“ für „soziale gerechtigkeit“ gemeint) gegen den „(kultur)liberalen globalismus“ und die (postmoderne) „identitätspolitik“ (die beide [unkritisch und demagogisch] unter dem begriff „elite“ zusammengefasst werden). Dass damit ein teil der „sozialdemokratischen seele“ (zumindest für wahlkampfzwecke) gestreichelt wird (das gilt auch für teile der Linkspartei) will ich gern glauben. aber man agiert damit methodisch auf der gleichen ebene, die leute benutzen, wenn sie in Trump (auch) etwas „gutes“ sehen wollen. – im übrigen hoffe ich darauf, dass das gedächtnis der wähler nicht so kurzzeitmässig ist, dass man bis zur wahl alle schweinereien, die auf das konto der SPD gehen, ganz vergessen hat.

Quelle: https://systemcrash.wordpress.com

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