Perspektivlos: Frauen auf der Flucht

von Henry Schmidt, Gruppe Revolution

03/2016

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In den hiesigen Medien wird der Flüchtlingsproblematik ein fast ausschließlich männliches Gesicht gegeben. Obwohl der überwiegende Teil von Menschen, die die gefährliche Flucht nach Europa wagen, Männer sind,  sind weltweit mindestens 30% der Geflüchteten Frauen; immerhin 18  Millionen. Sie sind oft Binnenflüchtlinge oder leben in gigantischen Lagern am Rande der Nachbarländer. Der Grund dafür ist, dass sie weniger Unterstützung aus Familie und Gesellschaft für eine Flucht nach Europa bekommen, weil in sie weniger Hoffnungen auf einen Erfolg gesetzt werden oder sie Kinder zu versorgen haben. Problematisch ist das besonders, wenn man bedenkt, dass es eine ganze Reihe frauenspezifischer Fluchtgründe gibt. Auf der Flucht und auch in den Zielländern, sei es in Kenia, der Türkei oder in Europa, haben Frauen dann ganz besonders mit den Problemen einer sexistischen Gesellschaft wie sexueller Gewalt oder reaktionären Rollenbildern zu kämpfen.

Frauenspezifische Fluchtgründe

Wenig Beachtung findet die Tatsache, dass es noch eine ganze Reihe von  Gründen gibt, die in einer patriarchalen Gesellschaft nur Mädchen und Frauen betreffen. Einer davon ist die Genitalverstümmelung, die vor allem in ganz Afrika und dem südasiatischen Raum Anwendung findet. Sie ist ein barbarischer Gewaltakt, der oft irreparable körperliche und psychische Schäden verursacht und nicht ein Integrationsritus, wie von deutschen Beamten oft relativierend behauptet wird. Deshalb wird sie meist nicht als legitimer Fluchtgrund anerkannt. Ein wichtiger Punkt ist zudem die Zwangsehe. Sie betrifft vor allem  Frauen und Mädchen sehr jungen Alters und liefert sie an einen oft viel älteren Mann aus, dem die Frau fortan gehört. Auch hier wird zumeist kein Asyl gewährt. Die Begründung: diese Praktiken träfen nicht alle  Frauen einer bestimmten Religion, Ethnie usw.

Die Tötung im Namen der Ehre ist eine Praxis, die selbst in Europa, wie  z.B. im Kosovo, der September 2015 als sicheres Herkunftsland eingestuft wurde, zumeist aber in der arabischen Weltweite Anwendung findet. Betroffen sind weltweit jedes Jahr ca. 5000 Frauen. Homosexualität,  außerehelicher Sex, sei es auch eine Vergewaltigung, oder Ehebruch, können Auslöser für eine „Ehrverletzung“ sein. Abgelehnt werden Asylanträge mit der Begründung, dass die jeweiligen Staaten für den  Schutz der betroffenen Personen zuständig sind. Dies führt schon zum nächsten frauenspezifischen Fluchtgrund: der  Sanktion nach einem Ehebruch. In einigen Ländern sind EhebrecherInnen mit sehr harten staatlichen Strafen sowie mit der schon oben genannten Selbstjustiz konfrontiert. Einige Fälle wurden in Deutschland nur als  „asylrelevant“ eingestuft, weil Frauen für das gleiche Vergehen sehr viel härter bestraft werden als Männer.

Sexuelle Gewalt ist natürlich auch ein sehr wichtiger Fluchtgrund, der  nur Frauen betrifft. Dabei ist hauptsächlich die sexuelle Gewalt von bewaffneten Gruppen gemeint. Sie wird von staatlichen und
nicht-staatlichen Akteuren ausgeführt. Begangen werden die Taten bei  Razzien, in der Haft oder bei Überfällen auf Dörfer und Städte. Massenvergewaltigung als Kriegswaffe wird flächendeckend in Ländern wie dem Kongo oder dem Südsudan angewandt, doch auch in Syrien spielt sexualisierte Gewalt eine große Rolle. Die Ablehnung von Asylanträgen wird damit begründet, dass der Herkunftsstaat für den Schutz der Frauen sorgen muss oder es sich um private Verbrechen handelt, die nicht  asylrelevant sind.

Allgemein lässt sich sagen, dass zwar seit 2005 frauenspezifische  Fluchtgründe, auch wenn nicht-staatliche Akteure dafür verantwortlich sind, anerkannt werden, es aber faktisch kaum eine Verbesserung gab. Grund dafür ist, dass nur ein asylrelevanter Fall vorliegt, wenn alle Frauen einer bestimmten Gruppe betroffen sind, sonst wird ein Antrag als Privatsache abgetan. Außerdem müssen Frauen Beweise für ihre Erlebnisse  vorlegen, was natürlich völlig unmöglich ist.

Die Lage von geflüchteten Frauen

Ein Problem bei der Asylgenehmigung ist auch, dass Frauen oft von den  Asylanträgen ihres Mannes abhängig sind. Dies nimmt ihnen die Möglichkeit, sich von dem Partner zu trennen, wenn er sie mit Gewalt konfrontiert.

Ist ohnehin bereits ein Drittel der weiblichen Weltbevölkerung über 16  Jahre (ein Viertel in Deutschland) bereits von Gewalt betroffen gewesen, so ist der Zustand in den überfüllten und männlich dominierten  Unterkünften weitaus schlimmer. Es gibt kaum weibliches Personal,  Schutzräume oder eine gesonderte Unterbringung schon gar nicht. Ist eine Frau betroffen, kann sie ihrem Peiniger wegen der Residenzpflicht nicht einmal aus dem Weg gehen. Ausnahmen greifen zu spät: wenn überhaupt,  muss das Opfer das Heim wechseln. Zwar gibt es Frauenhäuser, in denen in Deutschland Frauen theoretisch Schutz bekommen könnten. Frauen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus müssen diese Unterbringung jedoch selbst  zahlen, wofür sie natürlich kein Geld haben. Obwohl dies alles bekannt ist, gibt es auch in Deutschland keine
Präventions- oder Interventionskonzepte wie die Überprüfung der Einrichtung sowie ausreichende Beratung und psychische Betreuung. Und das, obwohl zwischen 60% und 80% der von Gewalt betroffenen Frauen an
Folgebeschwerden wie Schlafstörungen, Depressionen und erhöhten Ängsten  zu leiden haben.

Daneben mangelt es auch an medizinischer Versorgung, was unter anderem  zur Folge hat, dass sich Geschlechtskrankheiten schnell ausbreiten. Gerade in den für eine schnelle Abschiebung sehr günstigen Sammelunterkünften gibt es kaum Privatsphäre. Toiletten sind nicht  abschließbar und Duschräume nicht nach Geschlechtern getrennt. Fehlendes Licht in den Bädern in ärmeren Ländern wie Jordanien öffnet Übergriffen Tür und Tor. Ein Vorschlag, nach dem in Unterkünften in Deutschland abschließbare Toiletten und getrennte Duschen als Mindeststandards gelten sollten, wurde im Asylpaket II von Anfang 2016 gestrichen.

Gerade nach den Ereignissen in der Silvesternacht zeigt dies, wie  heuchlerisch der „Feminismus“ der Regierung ausfällt und wie wenig ihr am Schutz von Frauen wirklich gelegen ist.

Prostitution geflüchteter Frauen gibt es auch in der Bundesrepublik in „massivem Ausmaße“, so der bayrische Integrationsbeauftragte. Die Frauen müssen sich verkaufen, da sie z.B. Schlepperschulden zurückzahlen müssen. In den Lagern fallen Frauen wieder die rollenspezifischen Aufgaben wie  Kochen, Putzen und Kindererziehung zu. Dies verhindert zusätzlich eine Integration in den Arbeitsmarkt. Da das Taschengeld gestrichen wird und nur noch Sachleistungen gegeben werden, haben Frauen nicht mal mehr die  Freiheit, ihnen bekannte Gerichte zu kochen.

Familiennachzug

In der Regel sind Familiennachzüge erlaubt. Dies wurde nun aber  teilweise ausgehebelt. Die Große Koalition einigte sich darauf, den subsidiär geschützten Flüchtlingen, die nicht abgeschoben werden können, weil eine Verfolgung im Heimatland droht, den Familiennachzug um zwei Jahre zu verwehren. Zum anderen will man perspektivisch „sichere Zonen“ in Afghanistan schaffen, um „Alternativen“ zur Flucht „anzubieten“.
Damit würde der Familiennachzug verweigert werden. Frauen und Kinder  werden dadurch dazu gezwungen, die gefährliche Flucht selbst anzutreten, und sind dann von psychischen und physischen Strapazen,  Schlepperpreisen, Auffangknästen und (sexueller) Gewalt bedroht.

Keine Frauenbefreiung ohne Sozialismus

Frauen sind weltweit von einer massiven Diskriminierung betroffen. Das  und die Unterdrückung durch das kapitalistische System zwingt sie zur Flucht. Doch an ihrem Ziel sind sie mit ähnlichen Problemen
konfrontiert. Auch in Europa erwarten sie Armut, Rassismus und sexuelle  Gewalt, der notwendige Schutz wird ihnen verwehrt. Dies rührt daher, dass es überall auf der Welt in unterschiedlichem Maße  Frauenunterdrückung gibt, deren Wurzel im Kapitalismus liegt.

Wir fordern daher:

  • Anerkennung frauenspezifischer Fluchtgründe!
  • Kinderbetreuung in den Heimen!
  • Schutzräume in den Unterkünften und eine gesonderte Unterbringung,

falls gewünscht!

  • Ausreichende medizinische und psychiatrische Behandlung!
  • Nieder mit dem Patriarchat, nieder mit dem Kapitalismus!

Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Artikel von ARBEITERMACHT-INFOMAIL, Nummer 869 vom 8.3.2016,  www.arbeitermacht.de