Bündnis revolutionärer Gruppen 2.0?!
Zum Vorschlag der NAO Berlin, die NAO aufzulösen

von systemcrash und TaP

03/2016

trend
onlinezeitung

Vor rund fünf Jahren, im März 2011 begann der NaO-Prozeß mit der Veröffentlichung des Papiers „Neue antikapitalistische Organisation? Na endlich“ der – wie sie damals hieß: – Sozialistischen Initiative Berlin-Schöneberg (SIBS). Die Veröffentlichung mündete bald in einen Diskussionsprozeß, der fortan NaO-Prozeß genannt wurde (und die SIBS stricht die bezirkliche Spezifizierung aus ihrem Namen).

Zu unterschiedlichen Zeiten waren am NaO-Prozeß – teils als Voll-Beteiligte, teils als BeobachterInnen – beteiligt: Die Gruppe Arbeitermacht (GAM), die internationale sozialistische linke (isl), die Internationale Bolscheswistische Tendenz (IBT), die Internationalen KommunistInnen (InterKomm), die Berliner Gruppe [paeris], die Jugendorganisation Revo, der Revolutionär Sozialistische Bund (RSB), die Revolutionäre Initiative Ruhrgebiet (RIR), die SIB(S) und die Sozialistische Kooperation (SoKo) sowie die Online-Zeitungen scharf-links und trend bzw. der Arbeitskreis Kapitalismus aufheben (AKKA) als Herausgeber von trend. Weitere Gruppen beteiligten sich bei Diskussionsveranstaltungen und mit Papieren am NaO-Prozeß.

Im Herbst 2013 einigten sich dann vier Gruppen (SIB, GAM und deren Jugendorganisation Revo sowie die isl) auf ein Programmatisches Manifest und gründeten auf dieser Grundlage Anfang 2014 die Neue Antikapitalistische Organisation (NAO) Berlin.(1)

Die NAO konnte sich allerdings zu keinem Zeitpunkt über Berlin hinaus relevant geographisch ausweiten: „Daher entwickelten sich die Berliner NaO und deren Koordinierung praktisch bundesweit zur maßgeblichen Gruppierung. Andere Ortsgruppen folgten entweder deren politischen Initiativen oder verhielten sich mehr oder minder passiv.“ (http://arbeitermacht.de/ni/ni201/nao.htm)

Am 2. März wurde nun ein – anscheinend schon vor Mitte Februar (von der Mehrheit der GAM und Revo-Mitglieder der NAO-Berlin) beschlossener(2) – „Brief der NaO-Berlin an die Gruppen im NaO-Prozess“ auf NAO-Homepage veröffentlicht. Skurril ist freilich schon die Überschrift des Textes („an die Gruppen im NaO-Prozess“), denn der NaO-Prozeß war mit der Überzeugung einiger Gruppen, die Zeit für eine NAO-Gründung für reif zu halten, zu Ende. Der bereits zitierte Text von Ende Sept. 2013 trug die Unter-Überschrift: „Erklärung zum 9. und abschließenden bundesweiten Treffen von VertreterInnen von am NaO-Prozeß beteiligten Gruppen am 28. Sept. 2013“ (unsere Hv.).

Die NAO Berlin schreibt in ihrem Brief: „Stattdessen ist die Aktivität insgesamt seit Sommer 2015 nochmals runtergegangen, wie auch die Debatte innerhalb der NaO. […]. Unserer Meinung nach lässt sich dieser Prozess nicht wieder beleben,“ und hält es daher „für vernünftiger und für zukünftige Umgruppierungsprozesse zweckdienlicher, den Prozess einvernehmlich zu beenden“.
 

Als Gründe für den „Niedergang der NaO“ benennt die NAO Berlin drei Faktoren. Dazu möchten wir im folgenden kurz Stellung nehmen, da wir selbst längere Zeit am NaO-Prozeß beteiligt waren, solange es ihn noch gab:
 

  • Für den Niedergang der NaO sind unserer Meinung nach drei Faktoren ausschlaggebend:

a) Die relative Stabilität des deutschen Kapitalismus in den letzten Jahren“

Die Stabilität der kapitalistische Produktionsweise im allgemeinen wie auch des deutschen Kapitalismus im besonderen war ja nun aber im Manifest gerade unterschätzt worden (dieser Punkt war eine der zentralen inhaltlichen Differenzen in Bezug auf das Manifest(3)); also wäre in Bezug auf diese Frage eine Selbstkritik der Manifest-SchreiberInnen (einschl. GAM) angemessen, wenn denn auf einmal die „relative Stabilität des deutschen Kapitalismus“ entdeckt und zur Ursache des NAO-„Niedergangs“ erklärt wird.

  • Die deutsche ‚radikale’ Linke selbst befindet sich in dieser Lage in Desorientierung, Rückzug und verweigert mehrheitlich eine politische Auseinandersetzung."

  • Auch diese Ursachen-Diagnose ist etwas befremdlich: Erst den NaO-Prozeß beenden und durch die NAO(-Gründung) ersetzen und sich dann über eine vermeintliche Verweigerung der politischen Auseinandersetzung durch den Rest der radikalen Linken beschweren...
     

  • Der zweite, zentrale Grund für die Stagnation der NaO ist in den politischen Differenzen zu sehen.“

Nein, nicht wegen der Differenzen als solche scheiterte die NAO, sondern weil eine Form (gemeinsame Organisation mit individuellen Mitgliedern) gewählt wurde, die der Tiefe der inhaltlichen Differenzen nicht angemessen war – und zwar vorher absehbar nicht angemessen.

  • Sie sind der Grund nicht nur für die numerische Stagnation“

Und warum ist dann die GAM in den letzten 2 1/2 Jahren keine Massenorganisation geworden, wo sie doch – anders als die NAO – programmatisch vereinheitlicht war?!

  • Während die einen eine Mitgliederorganisation wollten, wollten andere nur ein Netzwerk von Gruppen.“

++ Ja, an diesem Punkt muß insbesondere der RSB kritisiert werden: Er hatte sich – wenn auch mit Bedenken und folglich halbherzig – wider besseres Wissen (trotz Einsicht in die Falschheit der Mitgliederorganisations-Gründung) an der NaO beteiligt.

++ Auch muß die SIB-Mehrheit kritisiert werden, die damals mit ganzem Herzen für die NAO-Gründung war und das „Netzwerk“-Konzept anscheinend erst wieder entdeckte, als sie in der NAO in die Minderheit geriet.

++ Nicht nur fraglich, sondern sehr unwahrscheinlich ist allerdings, daß die NAO erfolgreicher gewesen wäre, wenn sich der RSB nicht halbherzig, sondern gar nicht beteiligt hätte.

Statt den Nicht-GAM/Revo-Gruppen die Verantwortung für das Scheitern der NAO in die Schuhe zu schieben, sollte die Entscheidung zur vorschnellen Organisationsgründung selbstkritisch analysiert werden. Die vorschnelle Organisationsgründung war der Fehler beider Linien in der NAO.

  • Wir denken, dass es trotz seines Scheiterns richtig war, das NaO-Projekt in Angriff zu nehmen.“

Den NaO-Prozeß begonnen zu haben, war richtig; ihn zugunsten der NAO-Gründung abgebrochen zu haben, war falsch.

  • In seiner Geschichte konnte es sowohl inhaltlich einige richtige Positionen entwickeln (Manifest), positionierte sich auf einer internationalistischen Basis zur Ukraine, zur Solidarität mit dem kurdischen Volk, zum Klassenkampf in Griechenland. Aber die dabei auftauchenden politischen Differenzen paralysierten den NaO-Prozess zunehmend und untergruben auch seine Anziehungskraft nach außen.“

Nein, es verhält sich genau umgekehrt:

++ Das Manifest überschätzte die Tiefe der kapitalistischen Krise, und es überschätzte die Radikalität linker und populistische Parteien, Bewegungsansätze und Proteste.

++ Die Beschlüsse zur Ukraine und Palästina ersetzten Klassenorientierung in der internationalen Politik durch Volks- und Bewegungstümelei.

++ Trotz der späten Kritik an SYRIZA fehlt eine Aufarbeitung der früheren eigenen Illusionen in SYRIZA.

  • die dabei auftauchenden politischen Differenzen [...] untergruben auch seine [des NaO-Prozesses; gemeint vielmehr: der NAO] Anziehungskraft nach außen.“

Nein, nicht die Differenzen, sondern vielmehr die Sympathie der Berliner NAO-Mehrheit für den ost-ukrainischen / russischen Nationalismus und den islamistischen, palästinensischen Nationalismus machten die NAO noch unattraktiver als ohnehin.

  • Wir schlagen vor, weiter gemeinsam politisch zu arbeiten bei:

a) bundesweiten, internationalen wie lokalen Mobilisierungen (Anti-Rassismus, Gewerkschaftsopposition, internationale Solidarität, Erster Mai),

b) Organisierung von Diskussionsforen zu grundlegenden Fragen der ArbeiterInnenbewegung und der Linken,

c) Fortführung der ‚Internationalismustage’ als eines strömungsübergreifenden, internationalistischen Diskussionswochenendes.“

Wir würden es sehr begrüßen, wenn nun auch die an der NAO-Gründung beteiligten Gruppen einsehen, daß ein Bündnis revolutionärer Gruppen dem gegenwärtigen (und mittelfristig realistischen) Stand der inhaltlichen Annäherung und Differenzen deutlich angemessener ist als eine gemeinsame Mitgliederorganisation. Für gemeinsame Praxis geeignet sein dürften allerdings allenfalls folgende Punkt aus der Aufzählung der NAO Berlin:

-- Gewerkschaftsarbeit (nicht „Gewerkschaftsopposition“, was nach RGO (linkssektiererischer Revolutionärer Gewerkschafts-Opposition) klingt.

-- „Organisierung von Diskussionsforen zu grundlegenden Fragen [...] der Linken“ und der sozialen Bewegungen (nicht nur der ArbeiterInnenbewegung!).

Hinsichtlich der weiteren aufgezählten Punkte sind wir allerdings skeptisch:

-- „Anti-Rassismus“: Dafür bedürfte es zunächst einer gemeinsamen Rassismusanalyse und Gesellschaftstheorie (Rassismus als Neben- oder als einer von mehreren Grundwidersprüchen?)

-- „internationale Solidarität“: Ja, gerne aber nur mit Klassen- und Geschlechterorientierung.

-- „Erster Mai“: Ja, gerne; aber ohne Befriedungspolitik und ohne sich damit zum „Ordnungswächter“ aufzuspielen.

Wir würden es begrüßen, wenn das Konzept „Bündnis revolutionärer Gruppen“ – nach dem zweijährigen Umweg der voreiligen NAO-Gründung – nunmehr strömungsübergreifend von der revolutionären Linken in der BRD in Angriff genommen würde – siehe dazu unser Papier:

Was wäre dann besser…

wenn es einen ‚Block revolutionärer Gruppen’ gäbe?

Anmerkungen

1) Ebenfalls vier Gruppen (IBT, InterKomms, [paeris] und RSB) hatten „– im unterschiedlichen Ausmaß – inhaltliche Einwände gegen den Text des Manifestes und halten zunächst eine Fortsetzung der programmatischen Diskussion für erforderlich. Sie halten eine (Berliner) NaO-Gründung für voreilig und wenig erfolgsträchtig; sie werden sich daher nicht daran beteiligen. Die RIR war an dem Treffen am 28. Sept. nicht beteiligt: die SOKO war anwesend und hat sich der Stimme enthalten.“ (http://nao-prozess.de/nao-prozess-geht-kuenftig-getrennte-wege/) Der RSB faßte später einen Beschluß, der es seinen Mitgliedern freistellte, sich an der NAO zu beteiligen oder es sein zu lassen: „Der Beschluss hält somit seinen Mitgliedern sowohl die Teilnahme als auch die Nichtteilnahme am NAO-Prozess offen.“ (http://www.rsb4.de/content/view/5214/88/)

2) Diese Vermutung wird von folgendem Satz in dem Brief nahegelegt: „Wir schlagen vor, uns nach den Internationalismustagen am 14. Februar in Berlin zu treffen. Dort sollte das Ende des NaO-Prozesses erklärt werden, am besten mit einer gemeinsamen Erklärung.“ – Wir wissen unsererseits nicht, ob ein solches Treffen stattfand; jedenfalls wurde jetzt der zitierte Brief, aber keine „gemeinsame Erklärung“ veröffentlicht.

Per Email am 3.3. durch die Autor*innen.