Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Der Front National studiert ausländische Modelle
Eher David Cameron oder eher Donald Trump?

03/2016

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Lang, lang ist es her, seitdem der französische Front National (FN) seinen damaligen Chef Jean-Marie Le Pen als „den französischen Ronald Reagan“ dem Wahlpublikum anbot. Das war im Präsidentschaftswahlkampf 1988. Jean-Marie Le Pen warb damals unter anderem mit einem Foto von sich, das ihn beim Händedruck mit dem seinerzeitigen US-Präsidenten Ronald Reagan zeigte; bei einem Konvent der US-amerikanischen Republikanischen Partei im Jahr 1987 hatte der Chef des französischen FN ihm kurz die Hand schütteln dürfen. Dies verdankte er der Fürsprache des damaligen Rechtsaußen-Senators Jessy Helms (1921-2008), eines Südstaaten-Rassisten und Anti-Kuba-Fanatikers, welcher den ehemaligen Sklavenhalterstaat North Carolina fünf Legislaturperioden hindurch im US-Senat repräsentierte. Doch nach dem Fall der Berliner Mauer und der späteren Implosion der UdSSR (1989/1991) betrachtete der FN es als überholt, sich als „Speerspitze des Antikommunismus“ im Namen der „freien Welt“ darzustellen: Nach dem Ende des Kalten Krieges schien damit keine Schärfung des ideologischen Profils mehr möglich. Stattdessen packte der FN nun, ab der Kuwait-Krise 1990 und dem Luftkrieg gegen den Iraq (Irak) im Januar/Februar 1991, eine tüchtige Dosis Antiamerikanismus in seinen Nationalismus.

Aber nun hat der französische FN wieder einen nordamerikanischen Freund respektive ein US-amerikanisches Vorbild gefunden. Es handelt sich, man ahnt es bereits, um Donald Trump, den – zu allem Unglück ziemlich aussichtsreichen – Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur der US-Republikaner für die Wahl im Novembr 2016. Die Ankündigungen des politischen Trump-, ähm, Trampeltiers, 11 Millionen „illegaler Einwanderer“ aus den USA abzuschieben, eine verstärkte Mauer an der Grenze zu Mexiko zu errichten – auf mexikanische Kosten, bitte schön – und Menschen muslimischer Religionszugehörigkeit die Einreise in die USA zu verweigern, sind grundsätzlich nach dem Geschmack des FN. Von dem an dritter und letzter Stelle genannten Vorschlag (Einreiseverbot für Muslime) distanzierte sich allerdings sogar die amtierende Parteichefin Marine Le Pen verbal ein Stück weit, mit dem Hinweis, es gebe auch „muslimische Franzosen“, also Staatsbürger; nur die Ausländer unter den Muslimen wolle man draußen halten.

Prinzipiell gibt es jedoch eine weitgehende Übereinstimmung in der Parteiführung des FN, dass die „Tabubrüche“ eines Donald Trump auch die eigene Sache voranbringen(1). Ein paar Differenzen tauchen dabei noch auf. Der stets um soziale Demagogie und um ein Auftreten „jenseits von Links und Rechts“ bedachte Vizevorsitzende der Partei, Florian Philippot, erklärte, beide als Außenseiter gestarteten und mehr oder minder erfolgreichen Kandidaten bei den US-Vorwahlen (der Republikanischen und der Demokratischen Partei), also Donald Trump und Bernie Sanders, hätten dem FN etwas zu bieten. Bei dem Ersteren fasziniere ihn die Ausländerpolitik (lt. Philippot das Eintreten gegen „die massive Immigration“), beim Zweiteren – dem als relativ links geltenden, in Wirklichkeit eher sozialdemokratischen Sanders – das Engagement „gegen die sozialen Ungleichheiten“. Der eher für eine Annäherung an die konservativ-reaktionären rechten Ränder im Bürgerblock (statt für „Nichts links und nicht rechts“) eintretende Bürgermeister von Béziers, Robert Ménard, bezieht sich dagegen positiv ausschließlich auf Trump – er stehe „der patriotischen Rechten“ in Frankreich mit „seinen Feststellungen und seinem Themengespür sehr nahe“ -, nicht jedoch auch auf Sanders. Louis Aliot, neben Philippot ebenfalls Vizevorsitzender des FN und im Vergleich zum Letztgenannten eher wirtschaftsliberal, zeigt sich wiederum von den Vorschlägen Trumps in der Außenpolitik angenannt. Dessen bisweilen eher nationalistisch-isolationistische Tendenzen, laut Aliot ein Anzeichen für eine „Mäßigung“ in der Weltpolitik der USA, sowie Trumps offene Faszination für Russlands Machthaber Wladimir Putin gefallen ihm.

Marine Le Pen als Chefin hält sich da bislang eher fein heraus und weigert sich bislang, den u.a. in der US-amerikanischen Presse des Öfteren angestellten Vergleich zwischen ihr selbst und Donald Trump herauszustreichen. Vorsichtig und bedächtig will sie politische Fortschritte erzielen: Nachdem Marine Le Pen ihre Präsidentschaftskandidatur für 2017 bereits am 08. Februar 16 offiziell ankündigte2 (als erste Kandidatin von Gewicht, drei Tage vor dem Linkssozialdemokraten Jean-Luc Mélenchon), wurde auch ihr voraussichtlicher Wahlkampfslogan publik. Er lautet La France apaisée, also ungefähr „das zum (inneren) Frieden gekommene Frankreich“. Das soll beruhigend wirken und das der Partei nach wie vor anhaftende, „extreme“ Image des FN abzustoßen helfen. Ihr Vorgänger und Vater Jean-Marie Le Pen hingegen, seit dem 20. August 15 aus der Partei ausgeschlossen, hält sich da weniger zurück. Wäre er US-Amerikaner, „dann würde ich Donald Trump wählen“, posaunte er am 27. Februar 16 per Twitter in die Welt hinaus(3). Donald Trump junior, seines Zeichens Sohn des gleichnamigen prominenten Vaters, drückte daraufhin auf die „Like“-Taste, um anzuzeigen, dass er die Ankündigung des früheren langjähriges FN-Chefs schätze. Ungefähr gleichzeitig kündigte in den USA der frühere Ku Klux Klan-Chef und in den frühen 1990r Jahren im Staat Louisiana erfolgreiche Politiker David Duke an, er werde für Trump (senior) stimmen.

Bereits im Dezember 2015 hatte Sarah Palin, die berüchtigte Schreckschraube der US-Politik aus Alaska, die 2008 für die Vizepräsidentschaft der USA kandidierte und jetzt als Unterstützerin Donald Trumps in Erscheinung tritt, ihre politische Liebe für eine FN-Politikerin entdeckt. Es handelte sich um Marion Maréchal-Le Pen, damals gerade Kandidatin für die Regionalpräsidentschaft in Südostfrankreich, in PACA (Provences-Alpes-Côte d’Azur); mit 45,2 % der Prozent für ihre Liste in der Stichwahl scheiterte Marion Maréchal-Le Pen dann am 13. Dezember vergangenen Jahres. Am selben Tag wurde bekannt(4), dass Sarah Palin einen Narren an der 25jährigen rechtsextremen Jungpolitikerin in Frankreich gefressen hatte. Besonders ihre Anti-Abtreibungs-Positionen, ihr tatsächliches oder vermeintliches „Eintreten für christliche Werte“ sowie ihre „Anti-System“-Positionierung hatten es Palin angetan(5). Nun, Pack und Pack gesellt sich eben gern...

Als Vorbild wurde in den letzten Wochen beim französischen FN aber des Öfteren auch der britische Premierminister David Cameron angeführt. Dieser drohte verbal bis vor kurzem mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs, nicht – wie bislang vom FN für Frankreich angestrebt - aus dem Euro (dem es nie angehörte), aber aus der Europäischen Union, letztendlich jedoch vor allem, um größere Spielräume für sein Land inenrhalb der EU herauszuholen. Seit einer vorläufigen Einigung am 19. Februar 2016 in Brüssel ruft Cameron nun inzwischen seinerseits zum Verbleib in der EU auf; und am 23. Juni dieses Jahres wird dazu in Großbritannien eine Volksabstimmung stattfinden.

Strategie-Seminar“

Bislang diskutiert der FN jedoch auch, sogar kontrovers. Wirtschaftspolitik, Bündnisstrategie, Haltung zur EU und zum Euro: Alles muss auf den Prüfstand. Ungefähr so hatte die Parteiführung des Front National (FN) sich das vorgestellt, als sie vom 05. bis zum 07. Februar 2016 um die einhundert Spitzenvertreter/innen des eigenens Landes zu einem ebensolchen „Strategieseminar“ rief. Es war in ein Hotel in Etiolles, um südlichen Pariser Umland, einbestellt worden. Allerdings: Konsens konnte bislang, in der Folge der Veranstaltung, noch keiner hergestellt werden. Vielmehr machen verschiedene Seilschaften auch zwei Wochen danach ungefähr genauso weiter, wie es vor dem Seminar der Fall war, obwohl es doch eigentlich notwendige Klärungen hätte herbeiführen sollen(6). Manche Beobachter sprachen folglich von einem „flauen (/schlappen) Kompromiss“ innerparteilicher Art(7). Andere stellten fest: „Der FN nimmt keine Änderung vor, aber spricht laut über selbige.“(8)

Den Auslöser dafür, dass Louis Aliot – Vizevorsitzender der neofaschistischen Partei, und Lebensgefährte ihrer Chefin Marine Le Pen – Anfang Januar d.J. die Initiative dazu ergriff, im Vorstand die Einberufung einer solchen Tagung zu fordern, lieferten die Wahlergebnisse der extremen Rechten im Dezember 2015. Bei den Regionalparlamentswahlen konnte der Front National damals zwar mit 28 Prozent der abgegebenen Stimmen ein Rekordergebnis erzielen. Doch konnte er zugleich keine einzige Regionalregierung übernehmen, unter anderem weil alle anderen politischen Kräfte sich gegen ihn verbündeten. Auf sich allein gestellt, hätte er in den Stichwahlen über fünfzig Prozent der Stimmen holen müssen. Trotz einiger gegenläufiger Prognosen im Vorfeld konnte er diese Hürde nicht nehmen.

Eine Fraktion innerhalb der Partei - und ihrer Führung - folgert daraus nun, dass die bisherige Strategie falsch gewesen sei. Diese grenzt sich von der bürgerlichen Rechten ebenso scharf ab wie von der Sozialdemokratie und den Linken. Von beiden, so lautet die Argumentation der extremen Rechten, unterscheide man sich durch die Forderungen nach radikalen Brüchen: mit der bisherigen Immigrationspolitik, aber auch mit der Europäischen Union und dem Euro sowie mit der bisherigen Form der Einbindung in die wirtschaftliche „Globalisierung“.

Das Ganze wird begleitet von einem Sozial- und Wirtschaftsdiskurs, der stark auf soziale Demagogie aufgebaut sowie von einer tendenziell etatistischen Vision gekennzeichnet ist. Kapitalistische Eigentumsverhältnisse werden zwar mitnichten infrage gestellt, doch steht eine Vision von einem „starken Staat“ respektive „strategischen Staat“ als Wirtschaftsplaner und Beschützer des nationalen, inländischen Kapitals im Mittelpunkt. Dies charakterisiert die Programmatik und den Diskurs des FN seit den 1990er Jahren, während er in den 1980er Jahren noch radikal neoliberal und agressiv marktwirtschaftlich ausgerichet war. Die Wende brachten damals der Einsturz der Berliner Mauer und, im Anschluss, die Implosion des sowjetischen Blocks. Vor dem Hintergrund einer zentralen These, die da lautete: „Der Marxismus ist tot!“, betrachteten führende Intellektuelle und Strategen der extremen Rechten sich selbst als die verbliebene „einzige Alternative“ zum Bestehenden. Entsprechend glaubten sie, durch eine (verbal)radikale Ausrichtung im Diskurs und die Aufnahme „sozialer“ Elemente in die Programmatik nun auch eine Wählerschaft von der Linken übernehmen zu können, nachdem die Wählerinnen und Wähler des FN in den achtziger Jahren noch überwiegend von der konservativen Rechten gekommen waren. Teilweise, vor allem im früheren Bergbaurevier in Nordostfrankreich, ging diese Strategie auch auf. Allerdings nicht in dem Ausmaß, wie ihre Erfinder sich dies ausgemalt hatten.

Nun gerät diese Strategie, erstmals seit 25 Jahren, erheblich unter innerparteilichen (wie auch äußeren) Druck. Und zwar deswegen, weil eine wachsende Fraktion bemängelt, eine Fortsetzung dieser Linie verkenne, dass sowohl Überschneidungen bei einer zwischen zwei Parteien zögernden Wählerschaft als auch Bündnismöglichkeiten sich heute viel eher auf der konservativen Rechten als im Bereich der Linken befänden. Dort seien, so wird argumentiert, die Möglichkeiten zum Aussschöpfen von bislang unerschlossenen Wählerpotenzialen „bereits erschöpft“, da diesbezüglich alle Register gezogen worden seien. Doch im so genannten Mittelstand verstehe man, wird kritisiert, die „oft sozialistisch klingenden“ wirtschafts- und sozialpolitischen Töne der Partei nicht. Man dürfe nicht den Eindruck erwecken, monieren etwa mehrere südfranzösische Bürgermeister der extremen Rechten – am lautesten wohl Robert Ménard, Rathauschef in Béziers -, aber auch die südostfranzösische Spitzenkandidatin und Parlamentsabgeordnete Marion Maréchal-Le Pen (eine Nichte von Marine Le Pen), dass man auf einer „linken Fahrbahn“ herum irrlichtere. - Auch die früheren Kader der gewaltaffinen Studierendengruppe GUD (Groupe Union-Défense), die bis in jüngerer Vergangenheit etwa an manchen Pariser Jurafakultäten aktiv war und aus deren Reihen viele jetzige Wirtschaftsexperten und Dienstleister des FN hervorgingen, plädierten aus Anlass des „Strategieseminars“ für ein stärker bourgeoises und wirtschaftsliberales, kapitalfreundliches Auftreten(9).

Das Seminar endete ohne klares Ergebnis. Die Forderung nach Euro-Austritt, die ebenfalls für heftige Polemiken sorgt, weil sie ebenso als Schreckgespenst für „mittelständische“ und wohlhabende Wähler wie als ernsthaftes Hindernis bei Gesprächen mit Konservativen gilt, wurde nicht aufgegeben. Darauf insistiert jedenfalls der Vizevorsitzende des FN, Florian Philippot, der als Hauptverfechter dieser Thematik gilt. Allerdings werden leisere Töne zum Thema als bisher angeschlagen.

Das britische Modell (vgl. oben; Kampf um „nationale Interessen“ innerhalb der EU plus Forderung nach einem Referendum) wird nunmehr von Teilen des FN herausgestrichen, um auch zu konservativen Kräften eine Brücke zu bauen. Hinter der Vorstellung, man müsse das französische Volk darüber abstimmen lassen, packen Teile der Partei dann ihren Wunsch danach, sich für einen Austritt aus dem Euro und/oder der EU stark zu machen. Dies wird aber möglicherweise nicht von Allen geteilt, zumal die Eröffnung von „Verhandlungen über eine andere Ausgestaltung Europas“ nunmehr von manchen Protagonisten des FN zur Hauptforderung erhoben wird(10).

Ansonsten bleiben die Vorstellungen von einem „strategischen Staat“ bestehen. Aber sie werden nunmehr stärker ergänzt durch eine Betonung von wirtschaftspolitischen Forderungen, die stärker auf die in Frankreich so bezeichnete micro-économie (betriebswirtschaftliche Ebene, im Gegensatz zur macro-économie oder Volkswirtschaftsebene) zugeschnitten sind. Also auf die Belange einzelner Unternehmen. Dazu zählen Forderungen nach Steuersenkungen, vor allem für mittelständische Betriebe, „Entbürokratisierung“ oder weniger Sozialabgaben. Am 19. Februar 2016 wurde ein neues Kollektiv am Rande der Partei unter dem Namen Croissance bleu Marine („Marineblaues Wachstum“) gegründet, das für mittelständische Unternehmer bestimmt sein soll.

Auch darum gibt es noch innerparteilichen Streit, da Florian Philippot derzeit die Oberhand über die insgesamt acht parteinahen „Kollektive“ – darunter jene für Lehrer/innen, für Studierende, für Kulturschaffende... – innehat. Andere Leitungsmitglieder wollen ihn gerne stärker an den Rand drängen. Dass man sich aber wieder verstärkt um solche Schichten bemühen müsse, um die der FN sich potenziell mit den Konservativen und Wirtschaftsliberalen streitet, scheint innerparteilich unstrittig. Nicht gelöst ist damit aber bisher die Bündnisfrage, die auf Dauer gestellt bleibt.

Endnoten

10) Vgl. zum Thema: http://actu.orange.fr

 

Editorischer Hinweis

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.