Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Nach den Pariser Mordanschlägen
Zu einigen Unzulänglichkeiten des staatlichen Antiterrorismus

03/2016

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Neben der notwendigen politischen Kritik an staatlichen Maßnahmen wie der Verhängung des Notstands  wird, im Zusammenhang mit den Pariser Attentaten von vor drei Monaten, nun auch sehr konkrete Kritik an den französischen Behörden und ihren Versäumnissen laut.

Hätte man die Pariser Attentate verhindern, oder jedenfalls besser vorhersehen können? Wurde alles getan, um solche Taten zu vermeiden, oder gab es doch Mankos und Verfehlungen? Diese Fragen werden in den letzten Tagen mit neuer Intensität aufgeworfen, nachdem neue Erkenntnisse über Hintergründe der Mordanschläge vom 13. November 15 auftauchten.

Eine derzeit viel diskutierte Spur betrifft etwa eine Verbindung nach Ägypten. Dort wurde im Februar 2009 eine französische Oberschülerin, Cécile Vannier, bei einem Attentat in Kairo getötet. Als ein der Tatbeteiligung Verdächtiger wurde anderthalb Monate später der Belgier Farouk ben Abbès durch dieägyptischen Behörden festgenommen. Er hatte sich bereits 2007 in Kairo mit den französischen Jihadisten Fabien Clain – der Konvertit hält sich derzeit in Syrien auf und ist der Sprecher im ersten französischsprachigen Bekennervideo zu den Pariser Attentaten – und Farid Benladghem getroffen. Zwischendurch weilte er ein Jahr bei einer jihadistischen Splittergruppe, der „Armee des Islam“ mit Kontakt zu Al-Qaida, im Gazastreifen. Seine Festnahme erfolgte bei seiner Rückeinreise nach Ägypten.

In dieser Akte ist bereits 2009 erstmals konkret die Rede von Anschlägsplänen unter anderem gegen den Konzertsaal Le Bataclan in Paris. Rockkonzerte, aus ihrer Sicht satanistische Orgien, beflügelten immer wieder Anschlagsfantasien und –planungen jihadistischer Gruppen. Ben Abbès wurde auch in einem entschlüsselten Telefonat zwischen Anführern der „Armee des Islam“ und algerischen Islamisten von Al-Qaida im Land des islamischen Maghreb (AQMI) erwähnt, wo die Rede war von Aktionen auf französischem Boden. Ben Abbès wurde später nach Frankreich ausgeliefert, doch das Ermittlungsverfahren betreffend das Bataclan wurde 2012 eingestellt, „mangels konkreter Elemente“. Vielleicht hätte es sich doch angeboten, an dem Ort zumindest erhöhte Sicherheitsvorkehrungen (defensiver Art) zu treffen.

Andere internationale Verbindungen sind bislang unklar. So wurde in der dritten Februarwoche 2016 bekannt, dass der letzte noch flüchtige, mögliche Tatbeteiligte bei den Pariser Attentaten - Salah Abdeslam - Ende Juli 2015 im französisch-deutsch-schweizerischen Dreiländereck bei Saint-Louis (in der Nähe von Basel) kontrolliert wurde. Am 04. August 15 segelte er auf einem Boot, zusammen mit dem derzeit in der Türkei inhaftierten Ahmed Dahmani, von der italienischen Küste nach Patras in Griechenland und drei Tage später in umgekehrter Richtung. Die genauen Hintergründe sind ungeklärt. Wahrscheinlich ging es darum, wie französische oder belgische Jihadisten sich unter Syrienflüchtlinge mischen könnten – auch, um die Fliehenden zu diskreditieren.

Nicht alles, was in jüngerer Zeit über Anschlagsplanungen bekannt wurde, hat sich auch bestätigt. So wurde im November 15 der junge Halim A. unter Hausarrest gestellt. Ihm wurde vorgeworfen, einige Zeit zuvor sein Handy in der Nähe des Wohnsitzes eines Redakteurs von Charlie Hebdo benutzt zu haben, um den Eingang zu photographieren. Doch er konnte dank seiner Kommunikationsdaten nachweisen, dass er zum fraglichen Zeitpunkt in einem längeren Gespräch mit seiner Ehefrau war und das Handy zum Telefonieren, nicht zum Aufnehmen von Bildern benutzte. Ende Januar 16 wurde sein Hausarretst nach neun Wochen – in denen eine regelmäig endlich aufgehoben. Nun will er um Schadensersatz prozessieren.

Aber wenn die jüngst publik gewordenen Nachrichten zutreffen, wonach den Pariser Attentäter nahe stehende Individuen einen Nuklearingenieur aus dem belgischen Atomforschungszentrum (CEN) von Mol ausspähten, dann deutet dies auf wahrscheinlich brisante Planungen hin. Er wurde an seinem Wohnsitz gefilmt, und Videomaterial mit einer Dauer von rund zehn Stunden dazu wurde am 30. November 15 bei dem 26jährigen Mohamed Bakkali – er hatte Verbindungen zu Salah Abdeslam – aufgefunden. Möglicherweise war eine Entführung des Nuklearingenieurs geplant, zu einer näheren Ausführung kam es jedoch nicht. Die belgische Staatsanwaltschaft bestätigte am 18. Februar 16, dass sie ermittele.

Eine fundamentalere politische Kritik am staatlichen „Antiterror“-Gehabe wurde ebenfalls laut. Überlebende Opfer und Angehörige von Ermordeten bei den Pariser Attentaten wurden am 15. Februar 15 in den Räumen der Nationalversammlung angehört. Einige von ihnen sparten nicht mit Kritik an den Behörden und auch der Regierung. Aufgrund der Unterschätzung konkreter Risiken in der Vergangenheit, aber auch wegen der derzeitigen, ideologisch unterfütterten Schaupolitik der Regierung. „Warum höre ich ständig von Ausbürgerungsplänen reden, wenn ich das Radio einschalte?“ fragte Grégory Reibenberg, der Chef eines der Restaurants, die am 13. November 15 beschossen wurden. Ihm und anderen zufolge ist dies wenig hilfreich, konkrete statt ideologischer Maßnahmen und bessere psychologische Hilfe für die Opfer wären ihnen lieber. Georges Salines, dessen Tochter zu den Opfern zählt, empörte sich wiederum über einen Ausspruch von Premierminister Manuel Valls. Der „Macher“-Politiker hatte über – ihm zufolge - „soziologische Erklärungen“ der Hintergründe beteiligter Terroristen Hohn & Spott ausgeschüttet und hinzugefügt: „Erklären bedeutet Entschuldigen“. Dem steht die Sichtweise mehrerer Opfer(familien) entgegen: „Ich bin der Letzte, der denjenigen entschuldigen würde, der meine Tochter tötete“, erwiderte Salines. Aber die Ursachen dafür, warum apokalyptisch orientierte Jihad-Sekten überhaupt rekrutieren können, seien durchaus von Interesse. „Kinder der Republik haben andere Kinder der Republik ermordet. Ich möchte verstehen, wann wir sie verloren haben“ erklärte die Bataclan-Überlebende Aurélia Gilbert. Auch wenn dies etwas pathetisch formuliert und mit viel Glauben an die Republik unterfüttert ist – in der Sache hat sie absolut Recht, wo Manuel Valls, der Idiot auf dem Stuhl des Premierminister, absolut Unrecht behält.

Editorischer Hinweis

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.