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 Claire Rodier: Xenophobie Business. Wer profitiert vom Grenzregime?


Buchbesprechung von Alison Dorsch

03/2016

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Wer den Preis für die zunehmende Abschottung der (europäischen) Grenzen zu zahlen hat, machen allein die zahlreichen Berichte von ertrunkenen Migrant_innen deutlich. Sucht man jedoch nach denjenigen, die das Leiden und Sterben der Flüchtenden für den eigenen Nutzen in Kauf nehmen, oder gar verursachen, verliert man schnell den Überblick.

Die Zunahme der Einwanderungskontrollen ist laut Claire Rodier eine „paradoxe Begleiterscheinung der globalen Vergesellschaftung“ (S. 8). Auf der einen Seite schreiten der Austausch und die damit verbundene Verknüpfung von Gesellschaft und Wirtschaft zu einer globalen „Weltgemeinschaft“ beharrlich voran. Wissen, Waren und Kapital zirkulieren immer schneller und ungehemmter über Landesgrenzen hinweg. Auf der anderen Seite jedoch nehmen Kontrolle, Überwachung und Beschränkung der Bewegungsfreiheit von Personen über Grenzen hinweg zu. So wurden die wesentlichen Einwanderungsrouten von Nordafrika nach Europa zwischen 2005 und 2009 nacheinander durch verschärfte Kontrollen geschlossen. Das Schließen dieser Routen hatte jedoch keineswegs ein Versiegen der Migration zur Folge. Stattdessen führen die neuen Hürden auf den Wegen der Migrant_innen zum einen dazu, dass neue Routen entstehen, entlang derer die Überwachung und Kontrolle noch weniger stark ausgeprägt sind. Zum anderen machen die immer strengeren Anforderungen einer legalen Einwanderung illegale Grenzübertritte zunehmend notwendig. Verschärfte Grenzkontrollen erfüllen damit in Rodiers Augen keineswegs den Zweck, den sie vorgeben zu erfüllen: illegale Migration zu unterbinden. Aber wenn sie nicht dem Kampf gegen illegale Migration dienen, wozu und wem dienen sie dann?

Ökonomische Profite

Zunächst profitieren die so genannten Schleuser von der durch die zunehmenden Kontrollen wachsende Abhängigkeit der Migrant_innen von ihren Diensten. Mit dem Fokus auf die „Schlepperbanden“ verliert man jedoch leicht die anderen, laut Rodier wichtigen, Profiteure aus den Augen. Denn die Politik des Kampfes gegen irreguläre Einwanderung lässt lukrative Märkte entstehen: Grenzzäune werden gebaut und überwacht, Überwachungstechnologie wird entwickelt, produziert und modernisiert, Asylhaftanstalten gebaut und unterhalten, Abschiebungen organisiert und durchgeführt.

Der Bedarf dieser Märkte wird zunehmend gedeckt von privaten Sicherheits-, Logistik-, und Waffenunternehmen, deren Rolle mit der Senkung von Verteidigungsetat und Truppenstärke des Militärs beständig zunimmt. Nicht nur die Umsätze dieser Firmen steigen mit ihrem Einbinden in das Migrationsmanagement, auch werden ihnen mehr und mehr zivile Gelder in Form von Forschungsbudgets zur Verfügung gestellt, um Überwachungs- und Kriegstechnologie zu entwickeln. Das Auslagern der Grenzkontrolle an private Unternehmen hat auch dazu geführt, dass sich im Bereich Migration ein enges Netzwerk von wirtschaftlichen und politischen Akteuren gebildet hat, durch das die „politischen Erklärungen über die Notwendigkeit der Grenzsicherung in der EU und die Interessen der größten Firmen des Sektors in Einklang“ (S. 27) gebracht werden. Das veranlasst Rodier in den „marktwirtschaftlichen Akteure[n] eine treibende Kraft, wenn nicht sogar die zentrale Triebfeder für diese [Migrations-] Politik“ (S. 13) zu sehen.

Ideologische Instrumentalisierung

Rodier übersieht jedoch keineswegs, dass neben wirtschaftlichen Akteuren auch Regierungen ein Interesse an der Migrationsthematik haben. Sie verknüpfen in ihrer Rhetorik irreguläre Migration mit Terrorismus und Kriminalität und schüren damit die Angst vor dem „Fremden“. Sie prägen ein Feindbild vom schmarotzenden, kriminellen Ausländer, der am Ende auch noch Mitglied einer terroristischen Vereinigung ist. Aus Migrant_innen wird eine Bedrohung für die freiheitlichen und rechtstaatlichen Demokratien des Westens.

Rodier geht in diesem Zusammenhang auf den diskriminierenden Umgang vieler europäischer Länder mit den Roma ein, der weniger tatsächlich dazu diene deren „Mobilität zu unterbinden, als vielmehr dazu einen Feind zu benennen“ (S. 56). Aber nicht nur Nationalstaaten, auch internationale Organisation wie EU und UN treiben, zum Beispiel mit ihren jeweiligen Reaktionen auf die Anschläge des 11. Septembers 2001, die Stigmatisierung (hier vor allem muslimischer) Migrant_innen zum bedrohlichen Feind voran. So deckt sich die Liste der aufgrund von Terrorismusgefahr in der EU visumspflichtigen Länder inzwischen nahezu mit denen, deren Bevölkerung mehrheitlich muslimisch ist. Und die UN-Resolution 1373 ruft dazu auf, Terrorismus durch Grenzkontrollen zu bekämpfen. Dabei ist, so Rodier, die Annahme, der Terrorismus komme allein mit der irregulären Migration ins Land, lächerlich. Es gehe den Regierenden nicht um das tatsächliche Erhöhen von Sicherheit, sondern vielmehr um die „Logik des Sündenbocks“ (S. 13): Zunächst wird ein Feind ausfindig gemacht, dessen medienwirksame Bekämpfung durch die Regierung deren Legitimität und Akzeptanz im Volk wieder herstellen und festigen soll. Das führe dazu, dass allein schon den öffentlichkeitswirksamen Planungen eines Ausbaus von Grenzkontrollen eine symbolische Bedeutung zukommt, eine Bedeutung, die ebenso wichtig ist, wie die tatsächlichen vermeintlich sicherheitsbringenden Effekte der Kontrollen. Denn beim Kampf gegen irreguläre Migration gehe es den Staaten vorrangig darum, „durch Unterstreichen ihrer Grenzen ihren eigentlich voranschreitenden Souveränitätsverlust zu kompensieren“ (S. 55).

Geopolitische Instrumentalisierung

Die EU überträgt die Aufgabe der Ausführung des Grenzschutzes zunehmend auf ihre Nachbarstaaten. Dazu bedient sie sich bilateraler Verträge, deren wesentliche Bestandteile Rückführungsabkommen, Entwicklungshilfen und Visapolitik sind. Rückführungsabkommen übernehmen eine Schlüsselfunktion, da sie die Vertragspartner der EU verpflichten, nicht nur Migrant_innen zurückzunehmen, sondern auch für die Kosten dieser Rückführung aufzukommen. Dadurch wächst das Interesse der Länder, Migration über ihr Territorium zu unterbinden.

Ein weiterer Anreiz, den die EU ihren Nachbarn bietet, die Grenzkontrolle ihren Standards anzupassen, ist die Aussicht auf einen EU-Beitritt und den damit verbundenen politischen und ökonomischen Vorteilen. Beim Erarbeiten dieser Verträge komme der europäischen Grenzschutzagentur Frontex eine entscheidende Rolle zu, da ihr ein Vertragsschließen an den Bestimmungen der EU für bilaterale Verträge, also an der Kontrolle anderer EU Institutionen vorbei, möglich ist. Rodier spricht in diesem Zusammenhang von einer durch Frontex betriebenen „Geheimdiplomatie“ (S. 113). Aber schon allein „indem sie ihre politische und finanzielle Hilfe vom Wettbewerb dieser [Auswanderungs- und Transit-]Länder um die Sicherung ihres Territoriums abhängig macht, gewinnt die EU sie für die Ideologie, auf der die westliche Wahrnehmung der Einwanderungsfrage beruht. Für viele von ihnen […] wurden die Migrant_innen erst zum Problem, als die EU begann, Druck auszuüben“ (S. 79f.). Die EU nutzt ihre privilegierte Stellung im globalen Herrschaftssystem und die sich daraus ergebende Abhängigkeit vieler ihrer Nachbarn von ihrer diplomatischen sowie finanziellen Zuwendung und dem Erhalt der wirtschaftlichen Beziehungen, um die „Gesetzlosigkeit“ (S. 129) und „Drecksarbeit“ (S. 107) der Migrationspolitik an politisch und ökonomisch abhängige Staaten auszulagern. Damit entzieht sie sich für die Öffentlichkeit der Verantwortung für (missglückte) Abschiebungen und willkürlichen, rassistischen Umgang mit Migrant_innen. So finanziert die EU ein von lokalen Organisationen betriebenes Asylgefängnis in Mauretanien. Es ist ein typisches Beispiel, wie die EU ihre Verantwortung externalisiert.

Eine lesenswerte Einführung

Rodier benennt die wesentlichen Interessen und Akteure, die hinter dem Umgang mit Migrant_innen stehen: das Profitstreben der Sicherheitsfirmen, das Erzeugen von Legitimität durch Bekämpfen des erschaffenen Feindbildes in Form des irregulären Migranten durch die Nationalstaaten sowie das Auslagern der unpopulären Aspekte der verschärften Grenzkontrollen an die Nachbarstaaten durch die EU. Auf einige Aspekte der Thematik geht sie jedoch kaum ein. Da wäre beispielsweise das Ringen der EU-Institutionen und der Mitgliedstaaten auf internationaler Bühne um Kompetenzen und Zuständigkeiten, das auch für die Bemühungen, eine geeinte europäische Migrationspolitik zu finden, relevant ist.

Andere Aspekte erwähnt sie zwar, aber ohne sie genau zu benennen. So ist Migration durchaus auch als Phänomen zu betrachten, dass durch die wechselnde Nachfrage nach (billiger) Arbeitskraft auf dem globalen Arbeitsmarkt bedingt ist. An diesem ökonomischen Zwang ändern auch verschärfte Grenzkontrollen letztendlich wenig, was wiederum erklärt, warum auch verschärfte Grenzkontrollen Migration nicht stoppen. Auch wie Staaten von den sich schon in ihrem Territorium befindlichen irregulären und damit rechtlosen Migrant_innen profitieren, indem sie deren Arbeitskraft als Lohndrücker einsetzt, lässt Rodier außen vor. Zu dieser oftmals nur flüchtigen Erwähnung von vermuteten Zusammenhängen, kommt eine zuweilen schwammige Sprache und wenig präzise Argumentationsführung. Ein paar Seiten mehr für die an einigen Stellen fehlende argumentative Untermauerung von Behauptungen hätten dem Buch gut getan.

Um einen ersten Überblick über die Vielzahl an relevanten Akteuren und ihren Interessen im Zusammenhang mit Migration zu gewinnen, eignet sich dieses Buch dennoch, nicht zuletzt da es trotz der Dichte an Information entspannt zu lesen ist.

 

Claire Rodier
Xenophobie Business
Wer profitiert vom Grenzregime
?

Aus dem Französischen von Julia Schaefermeyer
ISBN 978-3-89771-578-3
Erscheinungsdatum: März 2015
Seiten: 144
Ausstattung: softcover

UNRAST VERLAG

13.00 Euro

Editorische Hinweise

Erstveröffentlichung der Rezension
http://www.kritisch-lesen.de/rezension/ein-gutes-geschaft
und http://www.kritisch-lesen.de/autor_in/alison-dorsch