Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Französische Abgeordnete bei Al-Assad

Ein Teil des Staatsapparats versucht, den Abbruch diplomatischer Beziehungen zur syrischen Diktatur zu unterlaufen

03-2015

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In manchen Ländern werden politische Mandatsträger von Verstorbenen mit gewählt, weil deren Stimmen bequem verbucht werden können, ohne dass mit Widerspruch seitens der Stimmberechtigten zu rechnen ist. Der frühere Pariser Bürgermeister Jean Tiberi war ein Spezialist in solchen Angelegenheiten – es genügte, die auf kommunalen Friedhöfen begrabenen Toten nicht bei den Ämtern abzumelden -, und wurde am Dienstag, den 03. März 15 dafür nun nach jahrelanger Prozedur in letzter Instanz rechtskräftig verurteilt. Doch einer seiner Parteifreunde, der konservative Abgeordnete Jacques Myard vom Rechtsaußenflügel der französischen UMP, vermag noch mehr.

Ich kann Tote aufwecken!“ erklärte der seit 1993 amtierende Parlamentsabgeordnete, der bislang eher durch homophobe und sexistische Ausfälle auf sich aufmerksam zu machen pflegte, vorige Woche gegenüber der Wochenendausgabe von Libération. Es handelte sich allerdings um eine ironische Reaktion auf eine „Dummheit“, die ihm zuvor laut seinen eigenen Worten unterlaufen war. Myard hatte in französischen Öffentlichkeit behauptet, in Damaskus den christlichen Würdenträger Ignaz IV. Hazim von Antiocha getroffen zu haben. Dieser griechisch-orthodoxe Patriarch habe ihm, ebenso wie der Patriarch der syrisch-katholischen Kirche Gregorius III. und der muslimische Mufti Ahmad Hassoun, seine Unterstützung für die „legitime Regierung“ Syriens versichert. Also für das Regime von Baschar Al-Assad, das sich auch nach 210.000 Bürgerkriegstoten in den letzten vier Jahren an der Macht festklammert. Doch Ignaz IV. ist im Jahr 2012 verstorben. In Wirklichkeit hatte Myard seinen Nachfolger gesehen, Johannes X. von Antiochia.

Aber nicht nur ihn traf Jacques Myard, sondern auch den Chef der Diktatur, Baschar Al-Assad persönlich. Drei französische Abgeordnete waren es, die am 25. Februar bei ihm eine Stunde lang zur Audienz empfangen wurden. Ein viertes Mitglied der Nationalversammlung, der südwestfranzösische sozialdemokratische Abgeordnete Gérard Bapt, war ebenfalls mit ihnen auf Reisen. Er zog es jedoch vor, der Spezialaudienz bei dem syrischen Diktator fernzubleiben. Aufnahmen zeigen ihn zwar lächelnd auf den Stufen zum Präsidentenpalast, er ist jedoch auf den nachfolgenden Fotos vom Zusammentreffen der Parlamentarier mit dem Diktator tatsächlich nicht zu sehen. Er dürfte jedoch bei den anderen Treffen mit hochrangigen Funktionären des syrischen Baath-Regimes mit dabei gewesen sein. Syrische Regierungsquellen gaben an, die französische Parlamentariergruppe habe am 24. Februar den Vize-Außenminister Faysal Moqdad getroffen, und am folgenden Tag seinen Vorgesetzten Walid Mouallem. Auch ein Abendessen mit Hassoun, dessen Posten als „Mufti der Republik“ direkt vom Präsidenten besetzt wird, stand auf dem Programm.

Die vier Parlamentarier sind nicht irgendwelche Hinterbänkler aus der Provinz ohne Bezug zu Syrien, und dies verleiht der Angelegenheit zusätzliche Brisanz. Gérard Bapt, der einzige Sozialdemokrat in der vierköpfigen Politikerriege, war bzw. ist der Vorsitzende der parlamentarischen „Freundschaftsgesellschaft Frankreich-Syrien“ in der Nationalversammlung. Der Rechtskonservative Myard ist ihr Vizevorsitzender. Der Parlamentarier Jean-Pierre Vial von der UMP, ebenfalls mit auf Reisen, sitzt wiederum der entsprechenden Freundschaftsgesellschaft im Senat vor, also im französischen „Oberhaus“. Ein weiterer Senator, François Zocchetto, Fraktionschef der liberal-konservativen zweitstärksten Rechtspartei UDI im Oberhaus, gehört ebenfalls dieser Gesellschaft an. Es gibt in den beiden Kammern des französischen Parlaments insgesamt rund 250 solcher „Freundschaftsgesellschaften“ mit diversen Ländern, die es Abgeordneten beider Häuser erlauben sollen, internationale Kontakte ohne Umweg über das Außenministerium – also ohne direkte Abhängigkeit von der Exekutive – zu unterhalten. Das ist normalerweise im Sinne der Gewaltenteilung durchaus sinnvoll. In diesem Falle dient es jedoch dazu, eine Nebenaußenpolitik einzufädeln, die in der Sache verhängnisvoll erscheint.

Frankreich unterhält seit 2012 keine diplomatischen Beziehungen mehr zum syrischen Regime. Im März jenes Jahres schloss der damalige Präsident Nicolas Sarkozy die Botschaft in Damaskus. Und Ende Mai wurde daraufhin die syrische Botschafterin, im Rahmen einer gemeinsamen diplomatischen Aktion mit der britischen, deutschen, italienischen und spanischen Regierung, in Paris für unerwünscht erklärt. Die Dame trat allerdings nicht die Heimreise an, da sie noch ein Amt als Botschafterin ihres Regimes bei der in Paris ansässigen UNESCO innehat.

Präsident, Premier- und Außenminister verurteilten den jüngst unternommenen Versuch, den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu unterlaufen. Regierungschef Manuel Valls sprach etwa von einer „moralischen Verfehlung“ und einem Empfang bei „einem Schlächter“. Staatspräsident Hollande sprach von einer eigenmächtigen Initiative von Parlamentariern“ zu einem „Treffen mit einem Diktator, der im Ursprung eines der schlimmsten Bürgerkriege stehe. „Niemand“ habe den vier französischen Abgeordneten, die über die libanesische Hauptstadt Beirut in das Bürgerkriegsland eingereist waren und ihre Unkosten dafür in Höhe von rund 1.600 Euro aus eigener Tasche bezahlten, „ein Mandat dazu erteilt“. Ähnlich äußerte sich das Außenministerium am Pariser Quai d’Orsay. Dessen Sprecher Alexandre Giorgini erklärte, die Parlamentarier hätten „in keinerlei offiziellem Auftrag“ gehandelt.


Darauf erwiderte Bapt, der wesentlich defensiver auf die heftige Kritik bei seiner Rückkehr reagierte als seine drei konservativen Mitreisenden, er habe aber offizielle Stellen vorab über seine Pläne informiert. Bei angeblichen Kontakten mit „Beratern“ von Elyséepalast, Au
ßen- und Innenministerium vor Reiseantritt seien ihm zwei rote Linien gezogen worden: kein persönlicher Kontakt mit Präsident Al-Assad, und keine negativen Äußerungen über die französische Politik in Damaskus vom Stapel zu lassen. Daran habe er sich gehalten. Diese Diskussionen im Voraus wurden auch nicht wirklich dementiert. Denn so viel lässt sich rekonstruieren: Bereits anderthalb Wochen vor Reiseantritt hatte Bapt seine Absichten in der französischen Sonntagszeitung JDD bekundet. Am selben Tag bekundete Außenminister Laurent Fabius öffentlich, er halte dies für keine gute Idee. Die Dinge lagen also tatsächlich vor dem Beginn der Damaskus-Tour grundsätzlich auf dem Tisch.

Hinter dem Besuch steckt mehr als die Privatauffassungen einiger verwirrter Politiker. Eine wachsende Fraktion im französischen Staatsapparat, vor allem in seinen Sicherheitsapparaturen, plädiert heute für eine Wiederannäherung an die syrische Diktatur. Erst Präsident Sarkozy, verstärkt dann sein Amtsnachfolger Hollande hatten sich ab 2012 zumindest verbal an die Spitze der internationalen Unterstützung für die Aufständischen zu setzen versucht – im Glauben, die Opposition könne in dem innenpolitischen Konflikt die Oberhand gewinnen. Doch heute befindet Al-Assad, gestützt auf Russland und vor allem auf das iranische Regime, sich eher auf dem Vormarsch. Und die nicht-jihadistische Opposition scheint zwischen seinem Apparat und den diversen Fraktionen von Jihadisten eingekeilt. Auch wenn die Diktatur in Wirklichkeit unter der Hand lange Zeit diese Pseudo-Polarisierung gefördert hat, weil sie sich ihre Feinde gern aussucht. Erst am vorigen Wochenende warf die EU dem syrischen Regime vor, nach wie vor Ölkäufe in den vom „Islamischen Staat“ (IS) besetzten Gebieten zu tätigen.

Unter Berufung auf die Bedrohung durch den IS und andere Jihadisten versucht nunmehr ein Teil der französischen Polizei- und Geheimdienstfunktionäre, das Ruder herumzuwerfen. Ihrer Auffassung nach lässt sich „effiziente Terrorismusbekämpfung“ nur dann betreiben, wenn man auch auf die Erfahrungen der ausgedehnten syrischen Apparate zurückgreife. Diese Position gab es im französischen Staatsapparat die ganzen vier Jahre seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs hindurch, aber derzeit wird sie offensiver vorgetragen denn je.


Rückendeckung erhalten sie vor allem bei den derzeit oppositionellen Konservativen. Hatte doch unter Präsident Sarkozy dessen Amtskollege Al-Assad noch 2008 eine Einladung zur Pariser Parade am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, erhalten. Sarkozys damaliger Berater Henri Guaino steht heute noch auf dem Standpunkt, man hätte bei einer solchen Linie bleiben müssen. Myard, der seine Reise offensiv verteidigte – er erklärte bei RTL: „Ich gestehe Ihnen zu, dass Assad Blut an den Händen haben mag, aber er wird notwendig Teil einer politischen Lösung sein“ -, erhielt bei seinem ersten Auftritt vor der Parlamentsfraktion der UMP Anfang März warmen Applaus. Und Fraktionschef Christian Jacob erklärte daraufhin, Myard habe „einstimmige Unterstützung“ erhalten. Das stimmte zwar nicht ganz. So hatte Sarkozy sich spöttisch über die vier „Burschen“ geäu
ßert, sich aber auch gegen Sanktionen ausgesprochen. Noch kritischer verhielt sich sein früherer Außenminister Alain Juppé, wie Sarkozy selbst möglicher Präsidentschaftskandidat für 2017. Der dritte wahrscheinliche Anwärter auf die konservative Kandidatur, Ex-Premier François Fillon, erklärte sich dagegen offen enthusiastisch: Hätte er die Gelegenheit zu einer solchen Reise gehabt, wäre er „auch nach Syrien gefahren“.

Ebenso wie Myard ist auch Fillon gleichzeitig ein offener Verfechter einer Annäherung an Wladimir Putin, was zu den Positionen bezüglich Syrien inhaltlich passt. Zählt doch Putin zu den stärksten Unterstützern des syrischen Präsidenten, neben dem iranischen Regime, an das Fillon sich ebenfalls annähern möchte. Letzteres nutzte die Gelegenheit, um Frankreich zu einer „realistischeren Position“ zu Syrien aufzufordern, wie es sein Botschafter in Paris – Ali Ahani – am letzten Donnerstag formulierte. Er stützte sich dabei darauf, die offizielle französische Position werde doch auch im Land „durch verschiedene Persönlichkeiten“ kritisiert.

Diese Standpunkte widerspiegeln sich auch in der Wählerschaft. Laut einer Umfrage kritisieren 61 Prozent der befragten Franzosen die Reise der vier Abgeordneten, aber in der Wählerschaft der UMP fällt die Kritik mit 52 Prozent am geringsten aus. Und die Anhängerschaft von UMP und UDI ist, mit 58 respektive 70 Prozent, am stärksten für eine Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zum Al Assad-Regime. Jene der Sozialdemokratie ist mehrheitlich dagegen. Und beim Front National zeichnet sich eine Spaltung zwischen Parteiapparat und Wählerbasis ab: Letztere ist, mit 71 Prozent, neben der kommunistischen Wählerschaft am stärksten gegen eine Annäherung an das syrische Regime. Dagegen sind die rechtsextremen Parteiführer besonders lautstark dafür, wie etwa Vizevorsitzender Florian Philippot, der die Reise als „gesunden und vernünftigen Akt“ bezeichnete.

Bei der Sozialdemokratie, wo Partei und Basis eher skeptisch sind, wurden Gérard Bapt zunächst Disziplinarstrafen angekündigt. Mittlerweile scheint er ihnen jedoch zu entgehen, nachdem er im Gegenzug versprach, die Existenz der „Freundschaftsgesellschaft“ im Parlament auf Eis zu legen (suspendre), bis sich eine „friedliche Lösung“ in Syrien abzeichne. Auf eine solche wird man jedoch vielleicht lange warten müssen.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.

Eine vom Verfasser gekürzte Fassung erschien am 12. März 15 in der Berliner Wochenzeitung ,Jungle World’