Syriza und die EU - Sozialdemokratische Meuterei auf Knien
Ausgewählte Kommentare

OXI ! NEIN zum Ausverkauf der Syriza-Regierung
Stellungnahme von NaO Berlin

03-2015

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Gerade einen Monat nach ihrem Erdrutschsieg in Griechenland hat die Tsipras-Regierung nicht nur ihre eigenen Wahlversprechen gebrochen, sondern es wird auch deutlich, wie groß der Einfluss der vermeintlich unbedeutenden reaktionären, rassistischen und antisemitischen Anel-Partei in der Regierung ist. So fragten die Journalisten von Charlie Hebdo den griechischen Finanzminister Varoufakis zur Besteuerung der Reeder und der Kirche. Varoufakis erklärte: Das Problem sei, dass der „enorme Reichtum“ der Kirche keinen allzu hohen Ertrag bringe, der versteuert werden könne, und die Reeder seien „sehr mobil“, und es sei daher „wahrscheinlich, dass ihre Gewinne das Land verlassen würden, wenn sie versteuert werden müssten“ (Spiegel online). Erklärtermaßen vertritt die Anel genau die Interessen der Reeder und der Kirche. Sie ist der reaktionäre Schutzpatron besonders dieser Gruppen in der Regierung. Darüber hinaus wurde der ehemalige Innenminister und das ND-Mitglied Prokopis Pavlopoulos am 18. Februar auf Vorschlag von Anel und mit Unterstützung der konservativen Nea Dimokratia zum Staatspräsidenten gewählt.

Und dann folgte der erzwungene Kniefall gegenüber der EU und dem deutschen Imperialismus. Außer kosmetischen Zugeständnissen, der „Umbenennung“ der Troika in „Institutionen“ und einer begrenzten Wahl, welche Versprechen die griechische Regierung mehr, welche sie weniger zu brechen habe, blieb vom Syriza-Programm kaum etwas übrig. Hatte die neue Regierung kurz nach ihrer Wahl noch die rasche Umsetzung wichtiger Reformen versprochen und die Troika medienwirksam vor die Tür gesetzt, so überarbeitet sie jetzt täglich die „Kompromissvorschläge“, sprich die Kürzungsdiktate aus Brüssel und Berlin, um eine erste Kredittranche zu erhalten.

Kein Wort mehr (geschweige denn Zahlen) seitens Varoufakis im Brief an die EU (24.02.) zum viel diskutierten „Schuldenschnitt“. Selbst dieser Versuch der Vergangenheit wird nun fallen gelassen; stattdessen stellt sich die Syriza/Anel-Regierung nun ganz offiziell vor die griechischen Banken und beschwört die Zusammenarbeit mit deren Management. Für die milliardenschwere Schuldentilgung allein dieses Jahr soll also weiterhin die Bevölkerung aufkommen. Die bisherigen Privatisierungen werden jetzt respektiert, die neu anstehenden „nach Gesetz“ (im Verein mit der Troika eben) „neu eingeschätzt“.

U.a. wird die Mehrwertsteuer erhöht (auch in Griechenland eine Massensteuer), die gesetzlich geschützten griechischen Reeder aber offenbar nicht angegangen, während die (vagen) Steuererhöhungen für die Kapitalistenklasse und Maßnahmen gegen die Korruption gerade mit dem bürgerlichen Verwaltungsapparat in Gang gesetzt werden sollen, der schon immer mit den Reichen ein frommes Einvernehmen zeigte. Keine (sofortige) Erhöhung des Mindestlohnes (ein anderer Bruch der Wahlversprechen, diese wird jetzt an die Wirtschaftsentwicklung gekoppelt); längere Arbeitszeiten für angehende RentnerInnen; die angekündigte Unterstützung der 50- bis 60-Jährigen bleibt ohne konkrete Zahlenangaben. Aber klar ist Tsipras und Varoufakis schon jetzt: „Die Löhne des Öffentlichen Sektors werden nicht steigen“ (ebenda). Die angekündigte Verteilung von Essenmarken an „Bedürftige“ zum Schluss des Briefes wirkt dann nur noch schäbig.

Wir wissen, dass die Tsipras-Regierung in einem sehr schwierigem Umfeld agiert. Es ist deswegen nötig, diese Regierung im Falle eines Konflikts mit dem EU-Imperialismus oder dem griechischen Kapital zu verteidigen und natürlich kann man dabei eine Niederlage erleiden. Aber dass diese Niederlage von der griechischen Regierung – ohne wirklichen Kampf – auch noch als „Sieg“, als „Erfolg“ verkauft wird, zeugt entweder von Zynismus oder von Realitätsverlust. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die eigenen AnhängerInnen, Parteimitglieder, WählerInnen und UnterstützerInnen in Griechenland und ganz Europa diesen Betrug realisieren werden. Diejenigen, die Samaras und seine Bande zum Teufel jagen wollten und daher Syriza zu einem historischen Wahlsieg verhalfen, haben ein Recht auf Wahrheit, haben ein Recht zu wissen, was ist.

Aber Tsipras und die Syriza-Führung haben gute Gründe, die Massen zu vertrösten, wollen sie doch selbst weiter im Amt bleiben. Dummerweise hilft diese Täuschung, solange sie erfolgreich ist, nicht nur der Syriza-Führung und der Regierung, sondern vor allem jenen, die sie zu bekämpfen vorgibt: dem europäischen Großkapital (und auch den griechischen Kapitalisten), der EU und dem deutschen Imperialismus. Ganz zurecht spekuliert die FAZ in einem Kommentar, dass Tsipras entweder als Ministerpräsident bald von links oder rechts gestürzt werden oder als „echter Reformer und Modernisierer“, als zuverlässigerer Sachwalter des deutschen Imperialismus und der EU, als es die korrupten Seilschaften von ND und PASOK je waren, in die Geschichte eingehen wird. In jedem Fall zeigt sich die groß-bürgerliche Presse hier weitsichtiger und realistischer als jene „Linken“, die Tsipras und seine Verhandler auch jetzt noch entschuldigen, schönreden usw.

Klar, natürlich wurden sie erpresst von der EU und den europäischen Regierungen. Klar, natürlich sind weder Frankreich noch ein südeuropäisches „Krisenland“ für sie in die Bresche gesprungen. Doch wer wundert sich darüber? Warum sollten Schäuble und Co. ihre Interessen nicht durchzusetzen versuchen? Warum etwa sollte der Erz-Reaktionär Rajoy Tsipras Zugeständnisse machen, die er von der EU nicht erhielt? Warum sollte der russische Imperialismus Milliarden zur ungewissen Rettung der griechischen Staatsfinanzen verballern, wo er selbst vor einer Wirtschaftskrise steht und einen Ausgleich mit der EU, allen voran Deutschland, sucht? Die ganze Strategie, die verschiedenen kapitalistischen Regierungen gegeneinander auszuspielen, ist gescheitert. Die grundlegenden Klasseninteressen der europäischen Bourgeoisien lassen sich eben nicht ausgleichen. Überhaupt ist mit der Politik von Syriza nicht nur die Illusion in die EU und Euro-Zone vorgeführt worden, sondern auch die Vorstellung, die grundlegenden Klasseninteressen der europäischen Bourgeoisien am Verhandlungstisch zu neutralisieren.

Mit der Aufgabe wesentlicher Positionen – und das ist wohl die wichtigste Lehre der letzten Wochen – ist auch die Unvermeidlichkeit des Scheiterns der „Reformpolitik“, der sozialdemokratischen Strategie der europäischen Linksparteien offen zu Tage getreten. Varoufakis und die ganze Syriza-Führung treten offen dafür ein, den europäischen Kapitalismus durch die Erhöhung der Kaufkraft der Massen und staatliche Investitionsprogramme zu stabilisieren. So soll die Wirtschaft angekurbelt werden, so sollen Länder wie Griechenland wieder in die Lage versetzt werden, in eine Periode des Wachstums zu treten, die sowohl die Profite der Kapitalisten wie die Löhne der ArbeiterInnen sichert. Aber es geht im Kapitalismus nie um das Wohl aller Klassen. Es geht um den Profit und – gerade auch in historischen Krisenperioden – darum, sich durch Erhöhung der Ausbeutung gegenüber der imperialistischen Konkurrenz durchzusetzen. Selbst bescheidene Maßnahmen, das Massenelend zu lindern, stoßen heute sofort auf den unerbittlichen Klassenkampf „von oben“. Diese Klassengegensätze lassen sich nicht „harmonisch“ ausgleichen – auch nicht durch den besten sozialdemokratischen Arzt am Krankenbett des Kapitalismus. Er kann nur durch den Sieg einer der beiden grundlegenden Klassen der bürgerlichen Gesellschaft gelöst werden.

In Griechenland hat nicht nur Tsipras kapituliert, sondern auch die Untauglichkeit des sozialdemokratischen Krisenmanagements der europäischen Linkspartei wurde offenkundig. Die Syriza-Anel-Regierung ist ein Bündnis einer reformistischen, bürgerlichen Arbeiterpartei mit einer erz-reaktionären offen bürgerlichen Partei. Doch selbst ohne Anel steht Tsipras mit der jetzt eingeschlagenen Politik letztlich dem griechischen Kapitalismus und dem Europa der Imperialisten näher als der griechischen ArbeiterInnenklasse und Bauernschaft. Natürlich ist es möglich, dass diese Regierung trotz der Politik von Tsipras in neue Konflikte mit dem Imperialismus gerät oder von den Massen oder ihrer eigenen Anhängerschaft gedrängt wird, entschiedener vorzugehen, als sie es selbst will. Im Fall eines Konflikts mit dem Kapital oder dem Imperialismus würden wir eine solche Regierung natürlich gegen die Reaktion weiter verteidigen.

Aktuell geht es aber darum, die Umsetzung der Vereinbarungen mit der EU, die Opferung der Verbesserungen für die Massen zu bekämpfen. Wir unterstützen alle Versuche der griechischen Bevölkerung, die Regierung zum Bruch mit den EU-Vereinbarungen zu zwingen und vor allem alle Aktionen zu unterstützen, die versprochenen Verbesserungen (z.B. Mindestlohn, Stopp der Privatisierungen) auch gegen die Troika durchzusetzen. Dafür gilt es, diese Vereinbarung auf der Straße, in den Betrieben, in den Wohnvierteln, in Stadt und Land zu Fall zu bringen, durch Demonstrationen, politische Streiks, Betriebsbesetzungen – und durch den Aufbau von Kampforganen wie Aktionskomitees gegen die Krise.

Verschiedene Kräfte in Syriza fordern die Einberufung eines Parteitages, mobilisieren gegen das Abkommen und rufen die Syriza-Abgeordneten auf, im Parlament mit „Nein“ zu stimmen. Wir unterstützen diese Kräfte. Die Linke sollte Tsipras die Gefolgschaft verweigern und stattdessen mit der KKE, Antarsya und den Gewerkschaften eine gemeinsame Front gegen die EU-Vorgaben anstreben. So könnte dem demoralisierenden Effekt der Kapitulation von Syriza entgegengewirkt – und zugleich eine gesellschaftliche Kraft aufgebaut werden, die einen Ausweg weist.

Das beinhaltet aber auch, dass die revolutionäre und antikapitalistische Linke dem reformistischen Konzept der Syriza-Führung eine alternative Perspektive und Strategie entgegensetzen muss. Es gibt nämlich eine Alternative zur Politik von Syriza. Doch diese erfordert entschiedene Maßnahmen, die auch vor dem kapitalistischen Privateigentum nicht haltmachen wie die sofortige Streichung aller Schulden und Diktate der EU, die entschädigungslose Enteignung der Banken und Großunternehmen wie der orthodoxen Kirche unter ArbeiterInnenkontrolle, effektive Kapitalverkehrskontrollen … Es wäre natürlich naiv, solche Maßnahmen dem korrupten griechischen Staatsapparat anzuvertrauen – dazu müssten vielmehr Kontrollorgane der Gewerkschaften und Beschäftigten gebildet werden. All das würde zu einer revolutionären Zuspitzung der Lage führen – und damit die Notwendigkeit einer ArbeiterInnenregierung auf die Tagesordnung setzen, die das Großkapital enteignet, die Wirtschaft auf Basis eines demokratischen Plans reorganisiert, den bürgerlichen Staatsapparat zerschlägt und durch Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte ersetzt.

Als revolutionäre und anti-kapitalistische Linke hier in Deutschland gilt unsere Solidarität der griechischen Bevölkerung, die nun die Diktate der EU und die Kapitulation der griechischen Regierung ausbaden soll; sie gilt allen, die gegen den Ausverkauf ihrer Lebensinteressen Widerstand leisten; sie gilt vor allem jenen antikapitalistischen Kräften in Griechenland, die nicht jede Kröte „ihrer“ Regierung schlucken, sondern einen gemeinsamen Kampf auf der Straße, in den Betrieben, an Schulen und Unis organisieren. Die Linke, Gewerkschaften – auch und gerade hier muss die ArbeiterInnenbewegung das Diktat der EU und des deutschen Imperialismus ohne Wenn und Aber bekämpfen. Dazu schlagen wir als NaO vor, breite Bündnisse um drei konkrete Forderungen aufzubauen:

  • Sofortige, ersatzlose Streichung der Schulden Griechenlands!
  • Nein zu allen Spardiktaten! Nein zur Erpressung der griechischen Regierung!
  • Die Banken und Konzern müssen für die Krise zahlen!

Berlin, den 27.02.2015

Quelle: http://nao-prozess.de/