Kommentare zum Zeitgeschehen
Ukraine: Pazifismus reicht nicht
Einige Anmerkungen zu  dem Scharf-Links-Artikel "Verhandeln ist besser als schießen"

von Anton Holberg

03-2014

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Unter dem Titel "Verhandeln ist besser als schießen " veröffentlichte ‘Scharf-Links‘ eine Stellungnahme des ‘Bundesausschusses Friedensratschlag‘ zur Ukraine. So positiv es ist, der aktuellen Kriegstreiberei in vielen bundesrepublikanischen Medien entgegenzutreten, so ungenügend scheint mir diese Stellungnahme zu sein. Wieder einmal erweist sich, dass der pure Pazifismus in dieser Welt ein stumpfes Schwert ist. In der Stellungnahme heißt es richtig: "muss man zum Schluss kommen, dass sich die EU-Außenpolitik längst nicht mehr von ihren eigenen hehren Prinzipien der Demokratie, Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit, sondern von purer Macht- und Interessenpolitik leiten lässt.Vor diesem Hintergrund war die russische Reaktion auf die ukrainische Entwicklung für uns keine Überraschung."

Realitätsblind sind jedoch - zumal nach dem zuvor Gesagten - die folgenden Ausführungen: "Gleichwohl war der Beschluss des russischen Parlaments, zum Schutz „unserer Landsleute und der Angehörigen der Einheiten der russischen Streitkräfte“ notfalls „bewaffnete Truppen“ auf dem Territorium der Ukraine einzusetzen, „bis die soziale und politische Situation in diesem Lande sich normalisiert hat“, eindeutig eine unzulässige und völkerrechtswidrige Überdehnung des Stationierungsabkommens. Insbesondere wären alle Maßnahmen – auch wenn sie im Einvernehmen mit der Mehrheit der Bevölkerung auf der Krim getroffen würden – rechtswidrig, die auf eine einseitige Lostrennung der Krim oder anderer Regionen aus dem ukrainischen Staatsverband hinausliefen. Nach der Charta der Vereinten Nationen ist eine Sezession unzulässig, es sei denn sie beruht auf einer einvernehmlichen Regelung der betroffenen Parteien – in diesem Fall also der Gesamt-Ukraine. Die Trennung Tschechiens und der Slowakei oder die Unabhängigkeit Südsudans waren Beispiele erlaubter „Sezessionen“. Die einseitige Unabhängigkeitserklärung der serbischen Provinz Kosovo dagegen war völkerrechtswidrig, weil sie gegen den Willen Serbiens erfolgte. " Man sollte jedoch nicht übersehen, dass das "Völkerrecht" das "Recht" der bestehenden Staaten - welcher Qualität auch immer - ist und dubiose Institutionen wie die UNO sich als nur dann in der Lage erwiesen haben, die Durchsetzung Völkerrecht zu fördern, wenn das nicht den Machtinteressen der herrschenden Staaten - oder anders gesagt: der Herrschenden in den ökonomisch und militärisch stärksten Staaten - widersprach (s. u.a. Westsahara, Palästina). Hätten die Ausführungen des "Friedensratschlages" diesbezüglich etwas mit der Realität zu tun, wäre Algerien noch immer französisch und der größte Teil der "3.Welt" weiter Kolonialgebiete. Das nationale Selbstbestimmungsrecht, das das Recht auf staatliche Trennung nicht vorschreibt aber beinhaltet, kann unter dem Gesichtpunkt der Gleichberechtigung aller Menschen ebensowenig von der Zustimmung des als "Unterdrücker" verstandenen Zentralstaaten abhängig gemacht werden wie das Recht auf Ehescheidung. So wäre also eine Trennung überwiegend nicht ukrainisch-sprachiger Regionen vom ukrainischen Staatsverband durchaus legitim. Dabei wäre die völlige kulturellen Gleichberechtigung der dortigen Minderheitsbevölkerungen (Ukrainer, Tataren, Rumänen etc. etc.) unbedingt zu verlangen. Im Übrigen glaube ich nicht, dass Russland an der Sezession russischsprachiger Gebiete von der Ukraine gelegen ist. Vielmehr ist es an einer zumindest wohlwollend neutralen Ukraine interessiert. Nur wenn der Druck, den es zur Zeit auf verschiedenen Ebenen (u.a. der militärischen) aufbaut, nicht verhindern kann, dass die Ukraine Bestandteil einer antirussischen Front (NATO, EU etc.) wird, macht die Sezession der industriellen Regionen im Osten der Ukraine Sinn. Die Krim ist gewissermaßen ein Sonderfall, weil militärstrategisch für Russland von unmittelbarer Wichtigkeit, beispielsweise auch für Russlands Rolle im Mittelmeerraum (Syrien etc.).

Der "Friedensratschlag" stellt weiter durchaus richtig fest: "Wir weisen aber ausdrücklich darauf hin, dass die russischen Maßnahmen nur vor dem Hintergrund der massiven Einmischung des Westens in die inneren Angelegenheiten der Ukraine und der Gewalteskalation in Kiew zu verstehen sind. Wenn deutsche, US-amerikanische oder polnische Politiker die Antiregime-Demonstrationen auf dem Maidan unterstützten, wenn der CIA in Kiew Oppositionspolitiker anheuerte, wenn NATO und EU von Beginn an auf einen Regimewechsel hingearbeitet haben, wenn Milliarden Dollar investiert wurden, um die Ukraine aus ihrer historischen Beziehung zu Russland heraus zu reißen, wenn schließlich die illegalen Maßnahmen des ukrainischen Parlaments (von der Absetzung des gewählten Präsidenten bis zur Annullierung des Sprachengesetzes) kommentarlos hingenommen und zu den faschistischen Umtrieben geschwiegen wird: Dann hat der Westen jede Glaubwürdigkeit verloren, die Maßnahmen Russlands unter Bezugnahme auf das Völkerrecht zu kritisieren."

Das aber widerspricht den unrealistischen Ausführungen zum Selbstbestimmungsrecht bzw. des Rechtes auf "Sezession". Als Friedensbewegte sollten wir an dem gedeihlichen Zusammenleben möglichst aller Menschen und Völker interessiert sein. Die Voraussetzung ist aber deren Gleichberechtigung und die Freiwilligkeit. Die neuen ukrainischen Machthaber des orange-braunen Blocks haben bereits Einiges getan, dem den Boden zu entziehen, und "der Westen" hat gleichzeitig - nicht erst in der Ukraine - Einiges getan, um einem gedeihlichen Zusammenleben mit Russland den Boden zu entziehen. Es bleibt zu hoffen, dass die russische Regierung, die zu schätzen man als Linker sonst wenig Grund hat, klug genug ist, ihre Machtmittel so einzusetzen, dass "der Westen" frühzeitig eine Kursänderung vornimmt. Die Aufgabe der hiesigen Linken ist es in dieser Situation nicht, neutral zu bleiben und erst recht nicht, wie Teile der russischen Linken auch hier den "Hauptfeind im eigenen Land" auszumachen (wie das etwa die mit "Marx 21" befreundete Gruppe RSD tut), sondern sich der imperialistischen Aggression (noch "nur" politisch und wirtschaftlich) gegen Russland entgegenzustellen. Die aktuelle russische Politik ist nämlich nicht die des Autokraten Putins, sondern im Kern die eines jeden Verantwortlichen in Russland, der nicht eine Marionette von NATO, USA und/oder EU ist.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Kommentar vom Autor für diese Ausgabe.