Offener Brief an den Vorstand von „Individuelle Hilfen zur Erziehung e. V.“ in Koblenz, an Frau Julia Van Peeterssen, Frau Christine Lang, Frau Anita Rippel und Herrn Matthias Schubach

von
 Dr. Antonín Dick

03-2014

trend
onlinezeitung

Am 6. März 2014 erhielten wir von Herrn Schubach aus Koblenz folgende Email:
 
Sehr geehrte Damen und Herren,

wäre es möglich den folgenden Beitrag: "Schmeißt die Verfolgten des Naziregimes auf den freien Pflegemarkt, wenn sie nicht spuren!" zu entfernen oder den Vornamen des hier auf niedere Art denunzierten zu entfernen?!

Ich heiße auch Matthias Schubach! Und es ist nicht ok, dass mich meine Jugendlichen (ich bin staatlich anerkannter Erzieher in Rheinland-Pfalz) beim googlen nun das 2x darauf ansprachen, ob ich dieser Herr Schubach sei!

Ich bitte dies aus benannten Gründen zu ändern.

Gruß und Dank
Matthias Schubach
Pädagogische Leitung / Vorstandsmitglied
Individuelle Hilfen zur Erziehung e.V.
Neustadt 1956068 Koblenz

Wir haben den Autor des Beitrags, Herrn Dr. Antonín Dick, informiert und ihn gefragt, wie mit seinem Artikel verfahren werden soll. Er hat uns seinerseits gebeten, seinen "offenen Brief" zu veröffentlichen und den Artikel so zu belassen, wie er ihn geschrieben hat.

Karl-Heinz Schubert
(für die TREND-Redaktion)

Berlin, den 7. März 2014

Sehr geehrte Frau Van Peeterssen, sehr geehrte Frau Lang, sehr geehrte Frau Rippel und sehr geehrter Herr Schubach,

der von Ihrem Mitarbeiter erhobene Forderung nach Widerruf meines Beitrags „Schmeißt die Verfolgten des Naziregimes auf den freien Pflegemarkt, wenn sie nicht spuren!“, veröffentlicht in der Internetzeitung TREND Onlinezeitung vom April 2011, wird hiermit von mir zurückgewiesen. Desgleichen die Charakterisierung dieses Beitrages als angeblich eines „auf niedere Art denunzierten“ Pflegedienstleiters, die ich als Beleidigung und üble Nachrede einstufe. Ich erwarte von Ihrem Mitarbeiter eine ordentliche Entschuldigung.

Meine liebe Mutter sel. A. Frau Dora Dick war eine politisch und rassisch verfolgte Bürgerin im Sinne des Gesetzes über die Anerkennung und Versorgung der politisch, rassisch oder religiös Verfolgten des Nationalsozialismus (PrVG). Auf der Grundlage dieses Gesetzes und auf Grundlage von Artikel 139 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sowie gemäß Pflegeversicherungsgesetz, Sozialgesetzbuch V und Krankenpflegegesetz war ich als leiblicher Sohn und Vorsorgebevollmächtigter meiner schwerstpflegebedürftigen Mutter über zwölf Jahre verpflichtet, mich um die strikte Einhaltung der Standards der Betreuung und Pflege von pflege- und hilfsbedürftigen Menschen zu kümmern, wozu nicht zuletzt auch meine eigene aktive Hilfe und Unterstützung gehörten. Dazu habe ich mit den Geschäftsführungen, Pflegedienstleitern und Altenpflegern von ambulanten Pflegediensten eng zusammengearbeitet, wo dies möglich gewesen war.

Im vorliegenden Fall kam es seitens des Pflegedienstes zu schwerwiegenden fachlichen Fehlern im Zusammenhang mit der Flüssigkeitsversorgung für meine Mutter. Die Folge für meine Mutter war eine lebensgefährliche Exsikkose. Sie musste ins Krankenhaus eingewiesen werden. Seitens des Pflegedienstleiters wurde versucht, die schwerwiegenden fachlichen Behandlungsfehler und Vernachlässigungen zu vertuschen. Ich ersuchte um dringende Aufklärung, um Leben und Zukunft meiner Mutter zu sichern. Ich suchte das Gespräch. Diese Bitten wurden seitens der Leitung des ambulanten Pflegedienstes abgeschmettert. Und gegen den Willen der Belegschaft der Pflegekräfte, die in der Mehrheit verantwortungsbewusst arbeiteten, wurde schließlich ohne Angabe von Gründen der Pflegevertrag meiner Mutter gekündigt. Einer hundertjährigen Überlebenden des Holocaust wurde gegen Gesetz und Recht die Fürsorge verweigert! Übrigens auch gegen völkerrechtlich bindende Regelungen und Konventionen im Zusammenhang mit der Fürsorge für Überlebende des Holocaust, die die Bundesrepublik Deutschland und viele andere Staaten feierlich ratifiziert haben, so zum Beispiel die Theresienstädter Erklärung (Terezin Declaration) vom 30. Juni 2009. Eine Überlebende des Holocaust erleidet durch Schuld anderer eine lebensgefährliche Körperverletzung, eine Exsikkose, und wird obendrein, weil sie sich darüber beschwert, mit einer Kündigung bestraft! Das ist der vorliegende Skandal, den wir uns erlaubten öffentlich darzustellen!

Seitens der zuständigen Pflegekasse und seitens des zuständigen Sozialamtes mussten im Nachgang dieser Ungeheuerlichkeit dem Pflegedienst sowohl schweres Versagen in der fachgerechten Behandlung eines schwerstpflegebedürftigen Menschen als auch Unregelmäßigkeiten in der Abrechnung der Pflegeleistungen nachgewiesen werden. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass im Auftrag des Senators für Gesundheit von Berlin gegenwärtig acht staatliche Spezialkräfte die Geschäftsräume von Berliner ambulanten Pflegediensten aufsuchen und sich die Geschäftsbücher, Pflegeakten und Arbeitsverträge anschauen. Keine Mediziner oder Pflegefachkräfte, keine Referatsleiter von Bezirksämtern oder Fachorgane der Pflegekassen, nein, acht eigens für diese Aufgaben geschulte Kriminalkommissare der Berliner Polizei! Das ist die Widerspiegelung des heruntergekommenen Zustandes etlicher Pflegeeinrichtungen in dieser Stadt! Der den Steuerzahler Millionen kostet! Menschen zugrunderichtet! Die Qualität des Lebens in dieser Stadt erheblich beschädigt, um nicht zu sagen irreversibel!

Die Redaktion von TREND Onlinezeitung und ich haben folglich nicht, wie Sie, sehr geehrter Herr Schubach, unterstellen, denunziert, sondern die Bürger berechtigt informiert! Und notwendige behördliche Entscheidungen zum Schutz von Menschenleben initiiert! Und die bereits an den herrschenden Pflegezuständen Verzweifelnden aktiviert! Und wir waren und sind nicht die einzigen in dieser Stadt, die nur eines wollten und wollen – Rettung. Und erst auf Grund einer Vielzahl solcher und ähnlicher Aktivitäten der Bürgerschaft geschieht Rettung, geschieht gesellschaftliche Veränderung zur Rettung von Menschenleben, zur Rettung eines menschenwürdigen Zusammenlebens, zur Rettung der Zukunft!

Sehr geehrter Herr Schubach, Ihre Vorwürfe gegen die Verteidiger des Rechts einer Überlebenden des Holocaust auf Leben sind, wie ausführlich ausgeführt, völlig haltlos und zurückzuweisen, und sie sind nur durch eine Entschuldigung Ihrerseits aus der Welt zu schaffen!

Gestatten Sie mir bitte, sehr geehrte Frau Van Peeterssen, sehr geehrte Frau Lang, sehr geehrte Frau Rippel und sehr geehrter Herr Schubach, im Zusammenhang mit diesem Vorkommnis Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten, der über dieses Vorkommnis hinausgeht und direkt bei Ihrer so wertvollen Tätigkeit für heranwachsende Menschen in Koblenz ansetzt.

Der Koblenzer Tatbestand einer Verwechslung, die da angeblich möglich sein soll, nur weil Ihr Name, sehr geehrter Herr Schubach, zufällig identisch ist mit dem Namen eines verantwortungslosen Pflegedienstleiters in Berlin, ist für mich rechtlich völlig irrelevant und hat mit der vorliegenden Beleidigung nichts zu tun. Das Interessante für mich ist das Nachhaken Ihrer Jugendlichen. Wenn sich Ihre Jugendlichen für das Schicksal einer Naziverfolgten im Zusammenhang mit dem Versagen eines gesellschaftlichen Verantwortungsträgers interessieren – was ist daran Verwerfliches? Warum beziehen Sie dieses Nachhaken so stark auf sich? Nicht auf Ihre Jugendlichen? Eine angebliche Personenverwechslung, vor allem weil sie so unwahrscheinlich ist wie im vorlegenden Fall, ist doch im Handumdrehen aufzuklären! Warum nehmen Sie als aufmerksamer und wachsamer Erzieher, wovon ich ausgehen darf, dieses Nachhaken Ihrer Schutzbefohlenen nicht zum kreativen Anlass, dem Schicksal von Naziverfolgten in Ihrer Stadt behutsam nachzuspüren? Also zum Anlass, etwas für die Jugendlichen zu tun? Auf diesem so wichtigen Feld der Bildung und Erziehung zu sensibilisieren? Aufzuklären? Geistig voranzubringen? Sie haben doch in dem vielgestaltigen Arbeitsprogramm Ihres Fördervereins diese Orientierung auch fest verankert? Dort heißt es klar und unmissverständlich: „Durchführung und Beteiligung von Projekten der Kinder- und Jugendförderung, Familienförderung, Veranstaltungen, Ausstellungen, Maßnahmen zur Qualifizierung von Personen im Bereich der Kinder- Jugend- und Familienarbeit und Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Körperschaften“.

Wie wir herausgefunden haben, existiert in Ihrer so wachsamen und engagierten Stadt Koblenz ein von Fachleuten ausgearbeiteter Unterrichtsgang zur Geschichte der Stadt Koblenz im Nationalsozialismus. Dauer des Unterrichtsganges: 45 Minuten. Dieser Unterrichtsgang ist nach pädagogischen Gesichtspunkten aufgebaut und vermittelt sehr anschaulich und bewegend einen Ausschnitt zur Koblenzer Geschichte im Dritten Reich in mehreren markanten Stationen, wozu u. a. die Stolpersteine der jüdischen Familie Salomon Am Friedrich-Ebert-Ring 8 gehören, die am 22. März 1942 deportiert und im Vernichtungslager Sobibor ermordet wurde. Zu diesen Stationen des Unterrichtsganges gehört auch die Gestapo-Zentrale an der Ecke Im Vogelgesang / Regierungsstraße, untergebracht im Gebäude der Reichsbank, in welchem die Tresore als Zellen für Verhaftete und Gefolterte benutzt wurden. Zu diesem Unterrichtsgang gehört auch die ehemalige Synagoge Bürresheimer Hof, wo sich heute ein Gedenkraum für die Opfer der NS-Herrschaft befindet. Außerdem wird der Bürresheimer Hof u. a. als Kinder- und Jugendbibliothek genutzt. Und es ist auf dieser Route auch ein Gedenkstein zum Gedenken an die Sinti und Roma zu besichtigen, die in Konzentrationslager deportiert und dort ermordet wurden.

Mein Vorschlag: Setzen Sie sich mit den beiden Mitarbeitern der Koblenzer Stadtverwaltung Frau Mareike Zimmer und Herrn Daniel Eisenmenger, die den historischen Unterrichtspfad entwickelt haben, zusammen und bereiten Sie gemeinsam mit ihnen einen solchen Unterrichtsgang mit ihren Jugendlichen, eventuell mit anschließendem Gespräch, vor. Ich kann mir vorstellen, dass ein solches Ereignis, wenn es einfühlsam und intelligent geplant und durchgeführt wird, für die Ihnen anvertrauten heranwachsenden Menschen ein Erlebnis werden kann, das von bleibendem Wert ist.
In einer Thora-Rolle, die Sie als Symbol von Bildung und Erziehung auf Ihrer Homepage verwenden, erblicke ich, Sohn einer verfolgten Jüdin, ein gutes, verheißungsvolles Zeichen für die Richtigkeit dieses Offenen Briefes an Ihre weltoffene und engagierte Initiative.

In freundlicher Erwartung Ihrer Antwort –
Shalom

Dr. Antonín Dick