Über den Tellerrand geschaut
Nahrungsmittelsicherheit im EU-USA-Freihandelsabkommen

Ein Artikel von "GRAIN" - übersetzt von Susanne Schuster

03-2014

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Zwei Giganten des Welthandels – die Vereinigten Staaten und die Europäische Union – haben Verhandlungen aufgenommen über ein bilaterales Freihandelsabkommen, bekannt unter dem Kürzel TTIP, um neue Arbeitsplätze zu schaffen und das Wirtschaftswachstum in ihren stark kriselnden Wirtschaftsräumen anzukurbeln. Der Aufschwung soll hauptsächlich durch stärker harmonisierte Vorschriften zwischen den beiden Märkten, darunter auch die Lebensmittelsicherheit, bewirkt werden. Der Entwurf enthält jedoch nichts, was den Verbrauchern oder dem öffentlichen Interesse dient.

Es geht ausschließlich darum, Hürden für die Agrarindustrie abzubauen. Dies würde nicht nicht nur Europäern wehtun, deren sichtlich höhere Standards vermindert würden, sondern es hätte auch Auswirkungen auf die Erzeuger und Verbraucher in vielen anderen Ländern, da jegliches Abkommen zwischen Brüssel und Washington einen neuen internationalen Maßstab festlegen würde. Die Notwendigkeit, die Menschen vor dem industriellen Nahrungssystem zu schützen, angefangen von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) bis hin zu Bisphenol A (BPA), statt seine ungehinderte Verbreitung zuzulassen, ist dringender denn je.

Die größten Abweichungen in der bilateralen Handelbeziehung zwischen der EU und den USA bestehen auf den Gebieten Verbraucherschutz, Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz und Subventionen. – Laine Škoba, European Parliament(1)
 

Im Februar 2013 nahmen die Vereinigten Staaten und die Europäische Union die Verhandlungen über ein bilaterales Freihandelsabkommen (TTIP) auf. Es war keine neue Idee. Die Möglichkeit eines „privaten“ Handelspaktes – außerhalb der Welthandelsorganisation – zwischen den beiden reichsten Marktwirtschaften der Welt wird von Politikern und Industrieverbänden seit vielen Jahren diskutiert. Doch nun scheint ihren Führern ein bilaterales Abkommen erstrebenswert zu sein, angesichts der Tatsache, dass die USA und die EU seit 2008 von einer Rezession und hartnäckig hohen Arbeitslosigkeit geplagt werden. Ende 2011 wurde eine Arbeitsgruppe aus hochrangigen Staatsvertretern gegründet, um das mögliche Ausmaß eines solchen Abkommens abzustecken.(2) Die eigentlichen Verhandlungen begannen im Juli 2013.(3)

Über die Bedeutung dieses Abkommens ist schon viel gesagt worden – manches davon ist eindeutig Propaganda.(4) Und manches, wie die offiziellen Zahlen über das für EU- und US-Bürger erwartete zusätzliche Einkommen, ist gewaltig überzogen und von Experten zunichte gemacht worden.
Soziale Bewegungen, die gegen TTIP sind, haben die von diesem Abkommen ausgehenden Gefahren scharf kritisiert; sie wissen genau, dass es beträchtliche strukturelle Auswirkungen auf Produktion, Konsum und Lebensweisen in diesen Ländern haben wird, wenn es zustande kommt. Die Zölle zwischen den beiden Verhandlungspartnern sind bereits ziemlich niedrig, darum geht es bei den Verhandlungen also nicht. Sie sollen die von der EU sogenannten „Handelshemmnisse“ abschaffen: unterschiedliche regulatorische Vorschriften.

Wenn die Verhandlungen erfolgreich sind und man ein Abkommen unterzeichnet, wird es ernsthafte Auswirkungen auf die restliche Welt haben. Einerseits wird es auf einigen Gebieten sicherlich die Geschäfte zwischen den beiden Wirtschaftszonen fördern, auf Kosten anderer Handelspartner. Doch von größerer Bedeutung ist, dass es neue internationale Standards schaffen wird – im Hinblick auf den Agrarhandel, das Internet, die Einflussnahme von Konzernen auf öffentliche Politik usw., – die von Washington wie auch Brüssel durch bilaterale und multilaterale Kanäle dem Rest der Welt aufgedrängt wird.

Inkompatible Systeme

Eines der umstrittensten Themen auf dem Tisch ist die Lebensmittelsicherheit. Denn die EU und die USA haben völlig unterschiedliche Politiken und Methoden, um dieses Ziel zu erreichen, und seit jeher streiten sie sich darüber wie die Hähne. Für die öffentliche Gesundheit steht eine Menge auf dem Spiel.(5) In den USA erkranken jedes Jahr 48 Millionen Menschen (also 17 Prozent der Bevölkerung) an Lebensmittelvergiftung und 3.000 Menschen sterben daran.(6) Im Jahr 2011 erkrankten in der EU 70.000 Menschen an Lebensmittelvergiftung und 93 starben daran.(7) Abgesehen von Lebensmittelvergiftungen drohen durch das in Europa und den USA vorherrschende industrielle Nahrungssystem auch unsichtbare Gefahren, wie sich in menschlichen Körpern anreichernde Pestizidrückstände, der Konsum von gentechnisch veränderten pflanzlichen und tierischen Produkten und endokrin wirksame Stoffe, die von der Kunststoffverpackung in das Nahrungsmittel übergehen. Ganz zu schweigen von aufkommenden Sorgen um die öffentliche Lebensmittelsicherheit, die aus neuen und unregulierten Techniken wie der Nanotechnologie oder der synthetischen Biologie stammen.

Offensichtlich möchten sowohl die US- als auch die EU-Behörden die aus Lebensmitteln resultierenden Gefahren für die öffentliche Gesundheit minimieren. Doch ihre Ansätze könnten nicht gegensätzlicher sein. Die Europäische Union praktiziert die Philosophie „vom Bauernhof auf den Tisch“, wo jeder Schritt des Prozesses überwacht wird und nachverfolgbar ist. Im US-System wird nur die Sicherheit des Endproduktes verifiziert. Die EU ist darüber hinaus sehr stark dem Vorsorgeprinzip verpflichtet, was Teil ihres politischen Charakters ist. Es bedeutet, dass man Vorsicht walten lassen sollte, wenn nicht völlig klar ist, ob etwas sicher ist. In den USA wird dies nicht berücksichtigt, jegliche Einschränkung oder Vorsichtsmaßnahme erfordert „wissenschaftliche Beweise“. Im Hinblick auf Chemikalien, die in verarbeiteten Lebensmitteln und Verpackungen Verwendung finden, ist die Kluft sogar noch größer. Unter EU-Gesetzen liegt die Beweislast bei Unternehmen, zu belegen, dass die von ihnen verwendeten Chemikalien sicher sind. Unter US-Gesetzen muss die Regierung beweisen, dass eine Chemikalie nicht sicher ist.

All dies bedeutet, dass sich Unternehmen an jeden Markt anders anpassen müssen und dass die Menschen in Europa es besser haben. Das Ziel des Freihandelsabkommens ist es, genau dies zu verändern.

Was will die Nahrungsmittelindustrie?

Seit Jahren führen Washington und Brüssel einen Handelskrieg um Lebensmittelsicherheit und ähnliche Punkte. Die bekanntesten Schlachten fanden statt im Hinblick auf Hormon-Rindfleisch, BSE, gentechnisch veränderte Organismen (GVO) und Chlor-Hähnchen. Bisher wurden diese Schlachten bei der Welthandelsorganisation ausgetragen, welche die globalen Regeln für Hygienestandards und ähnliche technische Hürden (z. B. die Lebensmittelkennzeichnung) bestimmt. Einige Streitigkeiten sind beigelegt worden, andere sind noch offen. Nun schafft ein bilaterales Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA erstmals eine völlig neue Gelegenheit, diese Unterschiede zu beseitigen. Dies könnte bedeuteten, durch irgend eine Art von Regelungskonvergenz (die gegenseitige Harmonisierung oder Anerkennung der Standards) gleiche Bedingungen zu schaffen. Wahrscheinlich wird es einen Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten beeinhalten (d. h. Unternehmen beiderseits des Atlantiks werden das Recht bekommen, Regierungen auf der jeweils anderen Seite zu verklagen).
 

Es ist nicht schwer, durch eine genaue Analyse der Konzerndokumente die Hauptgefechtslinien auszumachen.(8)

Tabelle 1: Die Gefechtslinie Lebensmittelsicherheit im TTIP

Was die US-Agrarindustrie von der EU will

GVO
Schnellere Zulassungsverfahren in der EU und Synchronisierung mit Zulassungen in den USA. Keine individuellen Tests für Komponenten von mehrfach gentechnisch veränderten Pflanzen (wie z. B. die Maissorte SmartStax – d.Ü.). Höhere Grenzwerte für Spurenmengen von GVO in Nahrungsmitteln, Futtermitteln und verarbeiteten Lebensmitteln. Aufhebung des Verbots für mit GVO gefüttertes Geflügel und Schweinefleisch. Ersetzung der Kennzeichnung von Gentechnik in Lebensmitteln durch Kennzeichnung von GVO-freien Lebensmitteln.

Wachstumshormone
Aufhebung des Verbots von mit Hormonen behandeltes Rindfleisch, Wachstumsförderer Aufhebung des Verbots von mit Ractopamin behandeltes Rind- und Schweinefleisch

Chlor
Aufhebung des Verbots von mit Chlor behandeltem Hähnchen- und Putenfleisch

Milchsäure
Aufhebung des Verbots von mit Milchsäure behandeltes Rindfleisch (über Schlachtkörper hinaus) und Schweinefleisch

BSE
Aufhebung des Verbots von Talg (das laut der Konzerne für die Erzeugung von Agrotreibstoffen verwendet wird, nicht Lebensmitteln)

Trichinen
Abschaffung der Prüfvorschriften für Trichinen im Schweinefleisch

Milch
Erhöhung der Grenzwerte für Körperzellen (von Kühen mit Euterentzündung) in Milch oder gänzliche Abschaffung der Erfassung

Kirschen
Abschaffung oder Erleichterung der Nachweispflicht, dass keine Braunfäule besteht

Weichtiere
Aufhebung des Verbots der Einfuhr von US-amerikanischen Weich- und Schalentieren außer Jakobsmuscheln

Endokrine Disruptoren
Unterlassung eines Verbots von Chemikalien (die in der Lebensmittelherstellung oder -verpackung eingesetzt werden), die das Hormonsystem allein durch diese Eigenschaft beeinträchtigen

Was die EU-Agrarindustrie von den USA will

BSE
Aufhebung des Einfuhrverbots für Rind- und Kalbfleisch aus der EU.

Milcherzeugnisse
Abschaffung der US-Einfuhrbestimmungen für Milcherzeugnisse und Angleichung von Standards. Anforderungen für pasteurisierte Milch des Gütegrades A sollten erleichtert werden.

Zweischalige Weichtiere
Akzeptanz des EU-Standards für das Testen des Fleisches von Austern und anderen zweischaligen Weichtieren auf Kolibakterien, statt des Wassers, in dem sie gezüchtet wurden.

Neue pflanzliche Produkte
Beschleunigung der Risikoanalyseverfahren.

Diese Streitpunkte sind bekannt und sie veranschaulichen, warum die höhren Standards der EU von diesem Freihandelsabkommen bedroht werden. Was daraus jedoch nicht ersichtlich wird, ist die Tatsache, dass Änderungen bereits eingetreten sind, noch bevor die Verhandlungen über das Abkommen begonnen haben.

Eine globale Perspektive

Eine Reihe von handelsbezogenen Fragen der Lebensmittelindustrie werden bereits außerhalb der formellen TTIP-Verhandlungen behandelt. Ein bekanntes Szenario für Koreaner und Taiwaner, zum Beispiel, die ihren Markt für Rindfleischeinfuhren aus den USA öffnen mussten, als Vorbedingung für Handels- und Investitionsgespräche. Einige dieser Veränderungen kommen aus Brüssel, andere werden auch von Washington angestoßen. Dies könnte ein Zeichen sein für die Besorgnis von Unternehmensvertretern, dass die TTIP-Verhandlungen im Hinblick auf Lebensmittelsicherheitsfragen ins Stocken geraten könnten – aufgrund des Widerstandes von öffentlichen Interessengruppen.

Mit Milchsäure behandeltes Rindfleisch: Nicht vielen Leuten ist bewusst, dass die EU im Februar 2013 Einfuhren von mit Milchsäure behandelte Rinderschlachtkörper genehmigt hat. Dieser Schritt war eine Konzession an die USA infolge des Einfuhrverbots der EU für US-Rindfleisch aufgrund von BSE in US-amerikanischen Viehherden. Zwar stammt diese Konzession aus einem vor Jahren vereinbarten Abkommen, doch bis vor kurzem hatten sich EU-Politiker und -Parlamentarier seiner Umsetzung widersetzt.

An sich ist der Einsatz von Milchsäure nicht unbedingt schädlich. Das Problem ist, dass damit akzeptiert wird, dass es zum Reinigen von Schlachtkörpern verwendet wird, die möglicherweise mit Salmonellen oder Kolibakterien aus Fäkalien oder anderen Kontaminanten verunreinigt worden sind. Europaabgeordnete und sogar die Mitgliedsstaaten sind nicht davon überzeugt, dass dies ein gutes Verfahren für die Garantie der Lebensmittelsicherheit in der EU ist.(9) Denn im Grunde genommen wird damit gesagt, dass es in Ordnung ist, bei der Tierhaltung bis zum Schlachthof niedrige Standards hinzunehmen und dann etwaige Probleme mit der „chemischen Keule“ zu beseitigen. Dieser Schritt war eine der vorgebrachten Vorbedingungen der Regierung Obama, um den TTIP-Verhandlungen mit Brüssel zuzustimmen.(10) Es ist eine Abwertung der EU-Standards.

Kennzeichnung von GVO: Seit der Erfindung der Gentechnik bekämpft die US-Biotechnologieindustrie Forderungen seitens der Verbraucher Gentechnik-Lebensmittel zu kennzeichnen. Daher widersetzt sie sich nachdrücklich den EU-Gesetzen, die eine Kennzeichnung erfordern. Tatsächlich werden Verhandlungen über bilaterale Freihandelsabkommen von Monsanto und anderen Firmen seit langem dazu benutzt, um andere Länder von Thailand bis Australien zu zwingen, von einer Kennzeichnung von Gen-Lebensmitteln abzusehen.

Doch die Strategien könnten sich ändern. Auf die Frage zu Beginn dieses Jahres, was sie sich vom TTIP versprach, deutete die US-Sojaindustrie an, sie könnte mit der GVO-Kennzeichnung leben, wenn die EU die Kennzeichnung von Lebensmitteln, die GVO enthalten, hin zu einer Kennzeichnung von Lebensmitteln, die nicht GVO enthalten, ändern würde.11 Fakt ist, dass die US-Regierung seit Januar dieses Jahres die Kennzeichnung von gentechnikfreien Lebensmitteln fördert.(12) Sie ist freiwillig und basiert auf privaten Standards, doch es ist ein neuer Schritt für die Bundesregierung. In einer Reihe von US-Bundesstaaten werde wichtige Kämpfe um die Kennzeichnung von GVO geführt und gewonnen.

Das heißt, dass die Dinge in Bewegung geraten, wenn auch sehr langsam, und die Bereitwilligkeit der US-Industrie, die Kennzeichnung von gentechnikfreien Lebensmitteln im TTIP zu akzeptieren, ist wahrscheinlich eine List, mit der ein (falscher) gemeinsamer Nenner vorgetäuscht wird, während heimlich EU-Standards ausgehebelt werden. Die Kennzeichnungspflicht für GVO ist ein hart erkämpftes politisches Zugeständnis in Europa, an dem die Verbraucher sehr hängen. Hingegen ist die Kennzeichnung von gentechnikfreien Lebensmitteln freiwillig und von Konzernen angetrieben, und wird hauptsächlich vom Einzelhandel benutzt. Die EU arbeitet nun an einer Gesetzesvorlage zur Harmonisierung von gentechnikfreien Standards in der EU, doch dies wird von Verbrauchern als eine Ergänzung zur GVO-Kennzeichnung gesehen, nicht als Ersatz.(13) Es wäre besorgniserregend, wenn Brüssel dazu bereit wäre, einen Scheinkompromiss zu fördern und diese Veränderung der Standards von einer Kennzeichnung von GVO hin zu einer Kennzeichnung von GVO-frei zu akzeptieren, vor allem als Kuhhandel für etwas anderes. Beobachter haben bereits darauf hingewiesen, dass Washington bereit wäre, Finanzdienstleistungen in die TTIP-Verhandlungen aufzunehmen und dafür ein Entgegenkommen bei Agrarfragen erwartet, wo das Thema GVO dominiert.(14)

Sie ekeln sich vor Wachstumsförderern? Die US-Gesundheitsbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) hat kürzlich den Zusammenhang zwischen dem routinemäßigen Einsatz von Antibiotika als Wachstumsförderer in der Fleischproduktion und der zunehmenden Antibiotikaresistenz bestätigt. Laut der CDC werden allein in den USA jährlich 23.000 Menschen durch antibiotikaresistente Bakterien getötet und weitere 2 Millionen erkranken dadurch.(15) Sie hat sich nun den Forderungen der US-Lebens- und Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug Administration) nach „dringenden Maßnahmen“ angeschlossen, um den Einsatz solcher Pharmazeutika in der US-Landwirtschaft zurückzuschrauben.

US-Parlamentarier versuchen seit Jahren, dem Einsatz von Antibiotika als Wachstumsförderer bei Nutzvieh entgegenzutreten, doch die US-Agrarindustrie weigert sich, diese profitable Praxis aufzugeben. Dies hat für US-Verhandlungsführer eine Situation geschaffen, in der sie verzweifelt Spielräume suchen, um neue Märkte für ihre landwirtschaftlichen Produkte zu finden. So startet die US-Regierung gerade ein neues Programm, um „ohne Betablocker“ gemästetes Fleisch für den Export in Länder wie Rußland oder China, die den Einsatz von Ractopamin oder Zilpaterol in der Viehmast verbieten, zu zertifizieren. Es wird sich zeigen, ob dieser Schritt zur Schaffung eines „Nischenmarktes“ zur Umgehung von Einfuhrverboten als Ausweichsmaßnahme bei den TTIP-Verhandlungen mit der EU dienen kann, falls Brüssel im Hinblick auf das EU-Verbot mit harten Bandagen kämpft.

Jenseits der BSE-Krise: Um Brüssel zu beschwichtigen, ergreift das US-Landwirtschaftsministerium im Vorfeld der TTIP-Verhandlungen Maßnahmen zur faktischen Aufhebung des Einfuhrverbots für EU-Rind- und Kalbfleisch.(16) Ein Schritt in diese Richtung war eine von der EU der USA gestellte Vorbedingung für die Aufnahme der allgemeinen Verhandlungen. Im Wesentlichen bedeutet dies, dass die US-Behörden den EU-Staaten die Ausfuhr von Rind- oder Kalbfleisch in die USA genehmigen, wenn sie dokumentieren, dass ihre Maßnahmen zur Verhinderung von BSE denen der USA gleichwertig sind. Im November 2013 war diese Entscheidung noch nicht veröffentlicht, doch dies steht unmittelbar bevor.

Diese Beispiele erinnern uns daran, dass man manchmal eine globale Perspektive annehmen muss, um zu verstehen in welche Richtung die TTIP-Verhandlungen gehen und dass es bei diesen Verhandlungen trotz der ganzen Versprechungen und Propaganda wirklich keine „heiligen Kühe“ gibt.

Eingebauter Boomerang-Effekt

Da die EU und die USA derart dominante politische Mächte und wichtige Märkte für Nahrungsmittelproduzenten weltweit sind, werden alle hinter verschlossenen Türen getroffenen Entscheidungen im Hinblick auf Lebensmittelsicherheitsstandards alle anderen betreffen.
Zu den wichtigen bilateralen Handelsabkommen, die sich wahrscheinlich den im TTIP beschlossenen neuen Lebensmittelsicherheitsnormen anpassen müssten, gehören die aktuellen oder anstehenden Gespräche der EU mit Indien, den südostasiatischen Mitgliedern von ASEAN und China. Im Hinblick auf die USA sind es die Mitglieder der Transatlantischen Handelspartnerschaft TTP, darunter Mexiko, Korea, Japan, Australien und Kanada, die ebenfalls ein gewisses Maß an Harmonisierung mit EU-US-Regeln akzeptieren müssten.

In internationaler Hinsicht ziehen die USA und die EU bereits die Fäden bei der Internationalen Organisation für Tiergesundheit (OIE) und bei Codex Alimentarius, die beiden Institutionen, welche die Lebensmittelsicherheitsregeln festlegen, die alle 196 Mitglieder der Welthandelsorganisation befolgen müssen. Jede wichtige Entwicklung unter TTIP würde mit Sicherheit in die Standards unter OIE und Codex aufgenommen werden.

Kein Gewinn für die einfache Bevölkerung

Wozu soll dieses Abkommen gut sein? Diese Frage ist im Hinblick auf die Lebensmittelsicherheit schwer zu beantworten. Das TTIP wird die Lebensmittelsicherheit für gewöhnliche Menschen nicht verbessern. Der Schutz wird geschwächt, was gut für die Industrie ist, aber für Verbraucher wird es brisanter. Zwar ist sowohl das EU- als auch das US-System eng an Konzerninteressen gekoppelt, doch es ist deutlich sichtbar, dass die Lebensmittelsicherheit in der EU besser ist. Außerdem gehen die meisten Änderungsforderungen für Anpassungen an Konzerninteressen von Washington aus.(17) Keine dieser Änderungen wird im Interesse der öffentlichen Gesundheit liegen. Werden sie durch TTIP angenommen, dann werden sie höchstwahrscheinlich anderen Ländern aufgezwungen durch andere bilaterale Freihandelsabkommen wie auch durch internationale Standardisierungs-Institutionen.
Jenseits der Lebensmittelsicherheit stellt TTIP eine Menge vieler anderer Bedrohungen für das öffentliche Interesse dar. Massenkampagnen für das Scheitern der Verhandlungen befinden sich bereits in Vorbereitung und müssen aktiv unterstützt werden.

Weiterführende Lektüre:

In englischer Sprache
Karen Hansen-Kuhn und Steve Suppan, "Promises and perils of the TTIP: Negotiating a transatlantic agricultural market" (pdf), Heinrich Böll Stiftung, Oktober 2013.
Trans Atlantic Consumer Dialogue, "Resolution on the approach to food and nutrition related issues in the Transatlantic Trade and Investment Partnership" (pdf), OKtober 2013.
Friends of the Earth Europe and Institute for Agriculture and Trade Policy, "EU-US trade deal: A bumper crop for 'big food'?" (pdf), Oktober 2013.
GRAIN, "Food safety for whom? Corporate wealth versus people's health", Mai 2011
Following the issues and negotiations at bilaterals.org.

In deutscher Sprache
Lori Wallach, TAFTA - die große Unterwerfung, Le Monde diplomatique, 8.11.2013
Attac, Freihandelsfalle TTIP: http://www.attac.de/kampagnen/freihandelsfalle-ttip/freihandelsfalle-ttip/
Pia Eberhardt, Geheimes Parallelrecht - wie Konzerne Politik attackieren, Corporate Europe Observatory, 6.6.2013, http://corporateeurope.org/node/1451

Anmerkungen

1) "Principal EU-US trade disputes" (pdf), Library briefing, Library of the European Parliament, 22 April 2013.

2) See the webpage of the EU-US High Level Working Group on Job and Growth.

3) The deal will be called the "Transatlantic Trade and Investment Partnership" or TTIP.

4) For instance, the EU asks "Will the EU be forced to change its laws on GMOs?" and answers "No, it will not," as if to reassure Europeans. The fact is that the EU may very well change its legislation as a result of the deal but it will not be a matter of "force".

5) For an in depth review of the issues, see GRAIN, "Food safety for whom? Corporate wealth versus people's health", 2011.

6) Centers for Disease Control and Prevention, Food safety facts.

7) European Food Safety Authority and European Centre for Disease Prevention and Control, "EU summary report on trends and sources of zoonoses, zoonotic agents and food-borne outbreaks in 2011" (pdf), January 2013.

8) Apart from our own scanning, internal research commissioned by Greenpeace was a great help for drawing up this table.

9) When the European Commission proposed the legislation to Council, it failed to get qualified majority support. See "Member States resist lactic acid cleaning for carcasses", EU Food Law, 12 October 2012.

10) EurActiv, "In move towards trade talks, EU to lift ban on some US meats", 05 February 2013.

11) Letter from the American Soybean Association to the office of the US Trade Representative (pdf), 10 May 2013.

12) Lauriel Cleveland, "USDA approves voluntary GM-free label", CNN, 25 January 2013.

13) See Greens/EFA, "GMO-free labelling of food products: a way to increase GMO-free supplies for animal feed?", conference documentation, European Parliament, Brussels, 6 March 2013.

14) Benoist Apparu, "Commerce : l’ouverture surprise des Américains sur les services financiers", Les Echos, 18 novembre 2013.

15 Carolyn Lochhead, "Report links antibiotics at farms to human deaths", San Francisco Gate, 20 September 2013. The situation in the EU is hardly better: the European CDC estimates that 25,000 people die in the EU each year due to antibiotic resistance.

16) "US lifts 'mad cow' restrictions on EU beef, but other hurdles remain" (registration required), Inside US Trade, 8 November 2013.

17) As of April 2013, the EU database on SPS trade barriers has only four entries for the US, while the US Trade Representative's report on SPS trade barriers has 10 pages of gripes(pdf).

 

Quelle:
Der Artikel wurde  in Tlaxcala veröffentlicht:
http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=11432
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Der Originaltitel lautete: Food safety in the EU-US trade agreement: going outside the box

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