"Staatsstreichs zur Zerschlagung des Sozialstaats"
Gerhard Schröder plaudert bei  "Beckmann" über Hartz IV

Eine Abschrift der letzten fünf Interview-Minuten plus Kommentar

03-2014

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 Redaktionelle Vorbemerkungen: Am 13.2.1014 war Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder im ARD bei "Beckmann" zu einem "Gespräch eingeladen(1). Unser Leser "Aufrechtgehen" machte sich die Mühe und fertigte eine Abschrift der letzten fünf Minuten des Gesprächs. Für ihn sind Schröders Einlassungen sehr aufhellend hinsichtlich des "Staatsstreichs zur Zerschlagung des Sozialstaats" durch Hartz IV. In seinem Begleitschreiben verweist er, dass es zu dieser Erkenntnis gehört, Schröders Einlassungen im Kontext folgender Untersuchungen zu Hartz IV zu bewerten:

"Aufrechtgehen" fügte als Erläuterung seiner Staatsstreich-Sicht noch einen Kommentar zum Beckmann-Gespräch bei, den wir der Vollständigkeit halber hier im Anschluss an das Interview dokumentieren.

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1) Unter http://www.ardmediathek.de/das-erste/beckmann/gerhard-schroeder-im-gespraech?documentId=19687192 ist das Gespräch z.Z. noch in voller Länge 1:49:39 zu sehen.

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 Abschrift der letzten fünf Minuten des Beckmann-Interviews
beginnend mit der offensichtlich vorangegangenen Frage
an den Parteigenossen Hans-Jochen Vogel nach Schwächen Schröders

Vogel: „Er hat den Kommunikationsbedarf der eigenen Partei nicht immer ausreichend befriedigt. Gerade die Agenda-Entscheidung hat die Partei eigentlich erst erreicht, als er die entsprechende Regierungserklärung im Parlament abgab.“

Beckmann: Aha, sehr interessant, ausgerechnet der Medienkanzler hatte Schwächen in der Kommunikation.

Schröder: Er hat übrigens recht. Absolut. Nur, was ist in dieser Beziehung Kommunikation? Kommunikation über solche Fragen findet ja statt -nicht direkt, sondern indirekt. Das heißt, der Kanzler kann sich schlecht ans Volk wenden und sagen, das und das sind die Gründe. Sondern politische Kommunikation geschieht über Medien. Und das Problem dabei ist, dass diejenigen, die die Medien machen, ...

Beckmann: Ach, jetzt sind wir wieder schuld.

Schröder: Nein, nein überhaupt nicht. Das ist jetzt gar keine Kritik. ...auch ihre eigenen Vorstellungen vom Sinn und Unsinn einfließen lassen und einfließen lassen müssen, was da vorgeschlagen wird. Und das zweite Problem der Kommunikation der Agenda war natürlich, wenn aus den Gewerkschaften und partiell aus der eigenen Partei, das was sie vorschlagen kritisiert wird, dann haben natürlich erst recht Gegner die Möglichkeit, auf die Worte dort hinzuweisen. Und dann wird Kommunikation schlicht erschwert.

Aber, ich räume gerne ein, dass die Frage, ob -wir hätten längere Zeit gebraucht, das der Partei zu vermitteln- eine berechtigte ist. Es gibt nur einen Einwand dagegen. Bei all diesen Vorstellungen müssen sie sich fragen, können sie das top down oder bottom up durchsetzen.

Wenn sie die Agenda machen wollen und sie mache große Kongresse, dann werden sie die Erfahrung machen müssen, dass vieles von dem zerredet wird. Und dann kommt am Ende etwas bei raus, das nicht mehr dem entspricht, was objektiv notwendig ist. Das war jedenfalls meine Angst.

Vielleicht ist es ein historisches Versäumnis. Da würde ich Jochen Vogel gar nicht so sehr widersprechen. Das man nicht mehr noch den Versuch gemacht hat. Aber bitte schön, wir haben einen Haufen Regionalkonferenzen zur Erklärung gemacht. Aber es gab auch eine ganze Menge Leute, die nicht wollten, was da vorgeschlagen worden war. ......

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KOMMENTAR

Man lernt hier Schröders Geisteshaltung als authentische Quelle kennen, die den legitimatorischen Rahmen für den Staatsstreich setzt.

Der Artikel von Helga Spindler belegt die willentliche vorsätzliche Abschottung vor demokratischer Auseinandersetzung und Kontrolle in einer für unsere Gesellschaft exorbitant wichtigen Angelegenheit, der Zerschlagung des damaligen vor der Agenda 2010 bzw. Hartz IV bestehenden Sozialsystems der Bundesrepublik Deutschland.

Wo die Protagonisten des Staatsstreichs sich anmaßen, öffentliche Diskurse dazu als ein Risiko -explizit als ein parteipolitisches Risiko zu betrachten und daher sich handverlesener Personen bzw. Institutionen und struktureller Nichtöffentlichkeit bedienen.

Ganz im Sinne von verfassungswidrigen klandestinen Verschwörungsgebahren zur Ausschaltung von staatlicher Gewaltenteilung und Kontrolle und gesamtgesellschaftlicher Partizipation in einer Angelegenheit, die die meisten Menschen direkt oder langfristig indirekt betrifft.

Schröder nennt, das was er ausgeschaltet wissen wollte, im Interview dann verharmlosend Kritik. 

Ob pathologische Empathielosigkeit oder Dreistigkeit, Schröder lässt sich dahingehend ein, Angst vor demokratischen Spielregeln gehabt zu haben, weil er seine Weisheit über das „objektiv Notwendige“ in seiner autoritären Haltung gefährdet sah. Anders formuliert, er hatte Angst davor, strukturelle Angst nicht umsetzen zu können. Die Angst der Menschen hisichtlich ihres ökonomischen und beruflichen Status. Zynismus pur.

Hinterher Regionalkonferenzen zu veranstalten, dienen dann nur noch einem scheinlegitimatorischen Zweck.

Das Aushebeln demokratischer Spielregeln will er uns als „historisches Versäumnis“ verkaufen. 

Wer ein System etabliert, dem ein entscheidender Parameter fehlt, wie die Etablierung des Mindestlohns, und es trotzdem umsetzt, sollte sich später nicht hinter einer Blockade-Mehrheit im Bundesrat verstecken. Oder es wie im Interview als Fehlentwicklung verkaufen. Ein Schelm, der sich Böses dabei denkt? 

Wie gut, dass der letzte Satz des Interview-Auszugs klar stellt, warum die demokratische Kontrolle und Partizipation seinerzeit staatsstreichartig ausgeschaltet worden ist: Weil es, so Schröder, eine ganze Menge Leute gab, die nicht wollten, was da vorgeschlagen worden war!

Seine Äußerungen decken sich mit der Darstellung des Staatsstreichs von Helga Spindler.

Sich autoritär anzumaßen, öffentliche Diskurse zu einem wichtigen Thema, das alle betrifft, antidemokratisch als Risiko zu betrachten, dessen Ausschaltung vorzunehmen und nunmehr im Interview sprachschönend als Kommunikationsproblem uns verkaufen zu wollen.

In der arroganten Haltung solcher Protagonisten entschließen diese sich dann zum Staatsstreich.

Über dessen Erfolg sogar noch ein politisches Urgestein wie Kurt Biedenkopf, der schon lange im Sozialabbau unterwegs war, noch in Erstaunen zu bringen war. Denn er hatte seine Erfahrungen innerhalb der demokratischen Spielregeln machen müssen.

Bei einem Staatsstreich sind die Akteure an der Macht beteiligt und kontrollieren mehr oder weniger große Teile des Staates.

So ist die seinerzeitige Zusammenlegung von Wirtschafts- und Arbeitsministerium zum sog. Superministerium unter Wolfgang Clement von dem Alt-Sozi Erhard Eppler, der offensichtlich nicht eingweiht war, als eine große Fehlentscheidung bewertet worden. Er wies auf die seit 1945 bewährte Tradition bzw. Routine der gegenseitgen Kontrolle hin, z.B. dass Gesetztesvorlagen/-entwürfe des Wirtschaftsministeriums im Arbeitsministerium dem Sozialstaatsprinzip dienlich entschärft worden sind.

Es wäre interessant zu eruieren, warum die Machteliten in anderen europäischen Staaten mit gewachsenem Sozialsystemen nicht die Traute zur Nachahmung solch eines Staatsstreichs gehabt haben? Hat man etwa schon sehr viel eher erkannt, was erst heutzutage vermehrt bestritten wird; ein evidenter Kausalzusammenhang zwischen dem wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands und der Agendapolitik. Oder ist die sozialpolitische Mentalität der gesellschaftlichen Kräfte eine progressiv andere als in Deutschland?

Bis heute sind wir bedauerlicherweise weit davon entfernt, diesen Staatsstreich etwa wie der Attentatsversuch auf Hitler in Permanenz im historischen Gedächtnis unserer Gesellschaft verankert zu haben. Aber was noch nicht ist, kann ja hoffentlich noch werden!

Ganz zu schweigen von dem Umstand, dass die Protagonisten des Staatsstreichs ohne persönliche Konsequenzen davon gekommen sind. Ein Frank Walter Steinmeier ist statt gerechtfertigterweise als Verfassungsfeind betrachtet zu werden sogar wieder Außenminister geworden.

Angesichts der strukturellen Folgen dieses Staatsstreichs, sowohl innerhalb Deutschlands als auch in Europa, sollte die Etablierung eines historischen Gedächtnisses -jenseits von Resignation anlässlich der Infoflut zu dem Thema und reiner Info-Akkumulation- als dringend notwendig erachtet werden.

Wenigstens ein gesamtgesellschaftlich wahrnehmbarer permanenter Stachel in der von den Siegern veröffentlichten dominierenden Geschichtsschreibung! Auch um die Wiederauferstehung von rot/grün als „soziales Gewissen der Nation“ -insbesondere in Wahlkampfzeiten- aufklärerisch begleiten zu können und hierbei an die erbärmliche Rolle des gewerkschaftlichen Komplexes und der Wohlfahrtsindustrie/-verbände zu erinnern.

In der Anti-AKW-Bewegung gab es solche Bemühungen, die erfolgreich umgesetzt worden sind. Auf Erinnerungstafeln und -steine in Vorgärten wurde den Protagonisten der Atomkraft ein Denkmal gesetzt. Interessanterweise ging das denen nicht am Arsch vorbei! Sie schafften es nicht diese Form des historischen Gedächtnis entfernen zu lassen.

Schaffen wir einen Gedenktag an diesen Staatsstreich zur Zerschlagung des vor der Agenda 2010 bzw. Hartz IV bestehenden Sozialstaatsystems !

Schaffen wir Gedenktafeln, -steine etc. und sei es erstmal virtueller Art. Oder einen Award, eine „Staatsstreich-Auszeichnung“ an dessen Teilnehmer.

Als da primär zu benennen wäre: Frank Walter Steinmeier (Bundeskanzleramt) , Wolfgang Clement (BMA), Gerd Andres (BMA), Bernd Buchheit (BMA), Wilhelm Adamy (DGB), Heinrich Alt (BA), Martin Kannegießer (Gesamtmetall und Gründer des Instituts für Neue Soziale Marktwirtschaft zum nachträglichen propagandistischen Verkauf des Staatsstreichs), Bertelsmann Stiftung, Managerkreis der Friedrich Ebert Stiftung, Wirtschaftsrat der SPD usw.

Der Militärpsychologe Frank Weise (BA) und Privatisierer Peer Steinbrück nicht zu vergessen.

Ein Feld, dessen Netzwerk es sich lohnt in Gänze geoutet zu werden.

In Gedenken an das tagtägliche Leid bis hin zum Selbstmord von Mitmenschen in Deutschland und durch die deutsche (Agenda)politik auch in Europa. An die infolge NS-Traumata im Ausland noch lebenden Deutsche, denen mit der „Florida-Rolf-Hetze“ der Blödzeitung der Sozialhilfeanspruch vernichtet worden ist u.v.m.

Aufrechtgehen

Editorische Hinweise

Abschrift und Kommentar erhielten wir von "Aufrechtgehen" zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.