Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Protest gegen Prekarisierung der Lohnarbeit durch „Sozialpartner“schufte

03-2013

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Mobilisierung gegen das zukünftige „Gesetz zum Arbeitsmarkt“ – auf der Grundlage des Abkommens der sog. „Sozialpartner“ vom 11. Januar 13 -, das am 06. März 13 im Kabinett vorgelegt wurde und demnächst (April) im Parlament diskutiert wird. Am 05. März demonstrierten rund 200.000 Menschen in Frankreich und circa 30.000 in Paris dagegen.

Die kleinen Sünden bestraft der liebe Gott sofort, behauptet das Sprichwort. Auch ohne an dieser Stelle in eine Diskussion über die Existenz oder Nichtexistenz eines göttlichen Wesens eintreten zu wollen: Im Augenblick funktioniert das Versprechen nicht, was die aktuellen Vorhaben für soziale Rückschritte in Frankreich betrifft. Jedenfalls wurde der amtierende französische Arbeits- und Sozialminister Michel Sapin (Sozialdemokrat) bislang nicht vom Blitz getroffen, wie es doch der Fall sein müsste, würde „der liebe Gott“ sein oben zitiertes Wahlversprechen einhalten.

Am Mittwoch, den 06. März 13 wurde die „Vereinbarung zur Arbeitsmarktpolitik“, die drei von fünf französischen Gewerkschaftsdachverbänden (die sozialdemokratische und an der Spitze neoliberale CFDT, der kleinere und eher rechte christliche Gewerkschaftsbund – die CFTC – und die Gewerkschaft der höheren und leitenden Angestellten CGC) am 11. Januar 13 abschlossen, ins Kabinett eingebracht. Denn um umgesetzt zu werden, benötigt die Vereinbarung eine Gesetzesänderung. Diese wird nun auf den Weg gebracht. Nachdem das Kabinett den Text unter dem Titel „Gesetzesvorhaben zur Beschäftigungssicherung“ (Projet de loi sur la sécurisation de l’emploi) verabschiedet hatte, kommt dieser nun im April 13 ins französische Parlament.

Zum Inhalt der Vereinbarung siehe Ausführlicheres hier: http://www.labournet.de/

Der Herr Minister seift ein…

Am frühen Vormittag des 06. März behauptete Arbeits- & Sozialminister Michel Sapin im Rundfunkinterview bei Radio France Inter, das zukünftige Gesetz werde für die Lohnabhängigen keinerlei Verschlechterungen mit sich bringen. Es gehe darum, Arbeitsplätze zu retten – natürlich, klar, das ist immer die Parole, wenn es um das Durchdrücken von Verschlechterungen geht -, aber doch nun wirklich überhaupt-keinesfalls-und-bestimmt-nicht um Druck auf die Lohnabhängigen.

Zum „Beweis“ führte er an, worum es angeblich gehe, wenn von Lohnsenkungen in Betrieben „zur-Rettung-von-Arbeitsplätzen-in-diesen-Zeiten-der-Krise“ die Rede ist: Das von ihm zitierte Beispiel ist die freiwillige Senkung seiner Bezüge durch den Vorstandschef Carlos Ghosn (Renault-Nissan). So sähen, glaubt man dem Minister, die zu erbringenden „Opfer“ aus.

Und Carlos Ghosn seift mit

Zu Renault: Der Konzern schreibt derzeit (anders als sein Konkurrent PSA, welcher freilich seine roten Zahlen durch massive Abschreibungen künstlich verschlimmert hat) schwarze Zahlen und fährt Gewinne ein (vgl. http://www.lavoixeco.com), surft aber auf derselben Welle wie alle „von-der-Krise-so-schwer-gebeutelten-Unternehmen“. Er drohte in den letzten fünf Wochen Tagen wiederholt explizit damit, gleich zwei Produktionsstandorte in Frankreich vollständig dicht zu machen, falls die Direktion nicht mit dem Ansinnen durchkommt, eine Betriebsvereinbarung abschließen zu lassen, die einen Produktivitätspakt beinhaltet – wie ihn das Abkommen vom 11. Januar 13 ermöglicht: Lohnsenkungen und/oder Kurzarbeit oder Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich „als Gegenleistung für die Rettung von Arbeitsplätzen“.

Zuckerbrot und Peitsche gehen dabei miteinander einher: Nehmen die Gewerkschaften den Produktivitätspakt an, der dem Kapital einen stärkeren Anteil an jetzigen und künftigen Produktivitätsgewinnen als bisher zu Lasten der abhängigen Arbeit sichern soll, dann will Konzernchef Carlos Ghosn freiwillig vorübergehend auf einen Teil seines Gehalts verzichten. (Vgl. etwa http://actu.orange.fr/ oder http://actu.orange.fr und http://www.francetvinfo.fr ) Es geht um 30 Prozent seines variablen Entgelts. Allerdings will er den Zeitpunkt, wo er den variablen Teil seiner Vergütung einstreicht, lediglich hinausschieben und das Geld erst Ende 2016 statt gleich beziehen. Sein Jahresgehalt beträgt circa 1,6 Millionen Euro, das zusätzliche variable Entgelt lag im vergangenen Jahr bei über 1,2 Millionen.

In jedem Falle ist es grotesk, den freiwilligen und nur vorübergehenden Verzicht eines Vorstandschefs auf einen Teil seiner (variablen) Bezüge als einzige Konsequenz aus der Anwendung von „betrieblichen Produktivitätspakten“ – wie das künftige Gesetz sie ausdrücklich erlaubt – darzustellen. Natürlich geht es beim Einfädeln solcher Betriebsvereinbarungen in naher Zukunft dann eher um Einbußen zu Lasten der abhängig Beschäftigten: in Gestalt vorübergehender Lohnsenkungen etwa, oder von Kurzarbeit oder Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich. Das Abkommen vom 11. Januar 13 sieht für solcherlei betriebliche Vereinbarungen eine Laufzeit von bis zu zwei Jahren vor. Allerdings betonten der (zu Ende des Monats aus dem Amt scheidende) CGT-Generalsekretär Bernard Thibault und FO-Generalsekretär Jean-Claude Mailly am Dienstag, den 05. März – sie waren am frühen Morgen gemeinsam bei Radio France Inter als Studiogäste eingeladen -, das nichts die Unternehmen daran hindere, „bei Auslaufen eines solchen betrieblichen Abkommens gleich das nächste auf den Weg zu bringen“. Nichts im Text steht dem tatsächlich entgegen.

Demonstrationen

Am selben Dienstag, den 05. März 13 riefen die CGT (also der stärkste französische Gewerkschaftsverband), FO (Force Ouvrière, ungefähr „Arbeiterkraft“; der drittstärkste Dachverband mit populistisch-schillerndem und offiziell „unpolitischem“ Profil) sowie die linken Basisgewerkschaften von der Union syndicale Solidaires und die Bildungsgewerkschaft FSU zusammen zu Demonstrationen gegen das künftige Gesetz auf. (Natürlich zog die CFDT als zweitstärkster Gewerkschaftsdachverband – welcher das Abkommen vom 11. Januar 13 mit unterzeichnete – dagegen nicht mit. Zu diesem Thema fiel bei der gestrigen Demonstration wiederholt der alte, aber deswegen nicht unwahre Ausspruch: „Wenn die Sklaverei wiedereingeführt wird, dann wird die CFDT über die Länge der Ketten verhandeln.“)

In über 170 französischen Städten fanden Demonstrationen in diesem Zusammenhang statt. Die stärkste davon in der Hauptstadt Paris. Insgesamt gingen laut Angaben der Veranstalter/innen dabei 200.000 Menschen auf die Straße – was angesichts dessen, was auf dem Spiel steht, sicherlich völlig unzureichend ist. Dennoch ist es eine Lüge, wenn etwa die konservativ-wirtschaftsliberale Tageszeitung Le Figaro eine „Schlappe der gewerkschaftlichen Mobilisierung“ herbei schreibt (vgl. http://www.lefigaro.fr). Denn „immerhin“ waren mindestens Zehntausende von Menschen unterwegs (vgl. etwa http://www.lemonde.fr), auch wenn mit dem Aufruf zu dem gewerkschaftlichen „Aktionstag“ keinerlei überbetrieblicher Streikaufruf einherging.

In Paris waren es laut realistischen Schätzungen rund 30.000 Demonstrierende. Dies deckt sich mit eigenen Beobachtungen des Autors dieser Zeilen: An einem fixen Punkt (der Kreuzung Boulevard Saint-Germain / Boulevard Saint-Michel) dauerte das Vorbeiziehen der Demonstration genau eine Stunde und 55 Minuten, also 115 Minuten. Dabei blieb die Breite der Demonstration zwar relativ gering – im Durchschnitt gingen nur circa zehn Personen nebeneinander -, aber bei an die dreißig Reihen pro Minute betrug die Zahl der Demonstrierenden dennoch 250 bis 300 pro Minute. Den mit Abstand größten Teil der Demonstration stellten die „Truppen“ der CGT, während hingegen FO nur insgesamt 2.000 bis höchstens 3.000 Teilnehmer/innen stellte. Hinzu kamen Abordnungen der Sans papiers („illegalisierten“ Einwanderer), der linken Basisgewerkschaften SUD, kleinere Blöcke von Studierenden und Lehrkräften.

Insofern haben die veranstaltenden Gewerkschaften dieses Mal durchaus Recht, wenn sie von 30.000 Teilnehmer/inne/n in Paris sprechen, und die Polizei (ihr zufolge waren 9.000 Demonstrierende unterwegs) hat Unrecht oder sagt die Unwahrheit. Normalerweise liegt die Wahrheit in aller Regel ungefähr in der Mitte zwischen den Veranstalter- und den Polizei-Zahlen. Nicht so bei diesem Male. Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, dass sowohl das sozialdemokratisch-grüne Regierungslager als auch die stärkste Oppositionspartei auf der Rechten (UMP) gleichermaßen die Umsetzung des „sozialpartnerschaftlichen“ Abkommens vom 11. Januar 13 im Kern unterstützen.

Allerdings rumort es auf dem jeweiligen linken Flügel der Regierungsparteien dagegen; vgl. http://www.lefigaro.fr und http://www.lexpress.fr/ . Bei der Sozialdemokratie gingen einzelne Abgeordnete sogar die Pariser Demonstration begrüßen. Im „Gegenzug“ publizierten 100 Abgeordnete der regierenden Sozialdemokratie eine Erklärung, in welcher sie ihre „Unterstützung für die soziale Demokratie“ kundtun. Was in diesem Falle jedoch nichts anders bedeutet als ihre Unterstützung für die Schandtat jener „Sozialpartner“, die das Abkommen vom 11. Januar 13 unterzeichneten (dessen Umsetzung in das Gesetz sie nun fordern); vgl. http://www.lejdd.fr/ und http://www.liberation.fr . Allerdings handelt es sich bei den erklärten Unterstützer/inne/n dieses Aufrufs auch nur um circa ein Drittel des sozialdemokratisch-grünen Regierungslagers im Parlament. Nichtsdestotrotz wird sicherlich dessen Mehrheit am Ende – infolge von Druck, von Opportunismus, von politischer Feigheit, von „Alternativlosigkeit“ – schlussendlich wohl zustimmen.

Nun hat auch ATTAC Frankreich eine Kampagne gegen dieses Abkomen respektive künftige Gesetz begonnen; vgl. http://www.france.attac.org/ - Vgl. dazu auch das Rechtfertigungs-Video der regierenden Sozialdemokratie: http://www.parti-socialiste.fr/ Ausgerechnet Arbeitgeberpräsidentin Laurence Parisot trat unterdessen vor den Abgeordneten der sozialdemokratischen Regierungsfraktion auf, um vor ihnen den positiven Charakter der Vereinbarung vom 11. Januar 13 zur „Arbeitsmarktpolitik“ zu beschwören... (Vgl. http://social.blog.lemonde.fr )

Austritte bei den Unterzeichnergewerkschaften

Unterdessen berichtet die liberale (und mehrheitlich der aktuellen Regierung wohlgesonnene) Pariser Abendzeitung Le Monde darüber, dass es auch innerhalb der Gewerkschaften, welche am 11. Januar 13 unterschrieben, Unmut und auch Austritte wegen des Abkommens gibt. Die Zeitung führt dafür Beispiele aus den Reihen der CFDT und der CFTC an. Aus dem zuletzt genannten christlichen Gewerkschaftsbund gab es deswegen Übertritte, z.T. ganzer Sektionen geschlossen (in der Metallindustrie), zur CGT. Vgl. dazu http://www.lemonde.fr/

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.