Yacine Zaid,
geboren
1971, Gewerkschafter und Blogger in Laghouat in
Algerien. Als Beschäftigter bei einer
Cateringfirma, die im Servicebetrieb für
Beschäftigte im Erdölsektor tätig ist, versuchte er
im letzten Jahrzehnt eine Gewerkschaft mit
Unterstützung des offiziellen Dachverbands UGTA zu
gründen. Daraufhin wurde er zum Opfer von
Repressalien, und der staatsnahe Dachverband UGTA
schützte ihn in keiner Weise: Der private
Wirtschaftssektor soll gewerkschaftsfrei bleiben,
geht es nach den Machthabern. Er verlor seinen Job.
Unterstützung fand er bei der unabhängigen
Gewerkschaft SNAPAP, die bislang nur im öffentlichen
Dienst existiert, aber sich um unabhängige
Gewerkschaften auch im Privatsektor sowie um die
Organisierung von Arbeitslosen bemüht. Laghout war
neben Ouargla seit Mitte Februar d.J. eine Hochburg
von starken Arbeitslosenprotesten
Frage: Am Sonntag wurden junge
Leute aus einer sozialen Bewegung, die auf einem
zentralen Platz in Algier – an der „Grande Poste“ –
protestierten, durch Polizisten in der Öffentlichkeit
mit Schlägen und Fußtritten misshandelt. Die Presse
berichtet breit darüber. Was ist genau vorgefallen?
Antw.: Es handelt sich um junge, zum
Teil hochqualifizierte Leute, die etwa als Lehrer oder
Ingenieur ausgebildet worden sind, aber keinen Job
haben. Das algerische Regime steckt sie in eine Art
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen,
die als
pré-emploi
(„Vor-Beschäftigungsverhältnis“)
bezeichnet werden. Theoretisch sollen diese prekären
Verträge nicht länger als sechs Monate, höchstens ein
Jahr dauern, bis die Betreffenden dann einen
Arbeitsplatz haben. In Wirklichkeit stecken Leute zum
Teil seit acht Jahren in solchen Verträgen, die mit
einem Hungerlohn von 6.000 Dinar oder umgerechnet rund
60 Euro im Monat bezahlt werden…
Frage: Um sich die Relation zu
vor Augen zu halten, wie viel bräuchte man, um halbwegs
über die Runden zu kommen?
Antw.: Wenn Sie eine Wohnungsmiete
von ihrem Lohn bezahlen müssen, rund 40.000 Dinar im
Monat, um in Würde zu leben. Die Regierung spricht von
ihren tollen Erfolgen bei der Schaffung von
Arbeitsplätzen und verweist darauf, dass man 500.000,
eine Million und mehr solcher Verträgen. Das bedeutet
aber nur, Sand in die Augen der Leute zu streuen. Seit
einiger Zeit nehmen die Proteste der Betreffenden zu,
aber auch die polizeilichen Schikanen.
Aufgrund des
Ölpreises und durch die Bildung von Rücklagen hat die
Regierung heute sehr viel Geld. Sie versuchte eine Zeit
lang, den sozialen Frieden zu kaufen, also die Leute
ruhigzustellen. Das funktionierte aber nicht.
Gleichzeitig versucht er auch die Unterstützung für ihre
Politik m Westen zu kaufen: Man gibt Amerikaner, Briten
und anderen hier einen Vertrag und da einen Vertrag.
Damit glaubt man, den Rücken frei zu haben, um zu Hause
repressiv vorzugehen.
Frage: Algerische Arbeitslose
protestierten in den letzten Wochen auch sehr massiv im
großen Süden des Landes, also im Sahara-Gebiet…
Antw.: Das große
Problem für die Regierung ist die CNDDC (Nationales
Komitee für die Verteidigung der Rechte der
Arbeitslosen). Seit einiger Zeit sind ihre Wortführer
es, die uns Beispiele an Mut, an Zivilcourage und
Kampfgeist gegeben haben. Ihre Aktivisten sind vor allem
im Süden stark verankert.
Seit einiger Zeit finden regelmäßig
Protestversammlungen vor Ministerien in Algier statt.
Aber in den letzten Wochen kam es zu massiven Protesten
im Süden. In Laghouat begann es mit einer Versammlung am
20. Februar vor der Arbeitsagentur, dem Sitz der
Agence nationale de l’emploi
( ANEM). Etwa 50 Teilnehmer wurden festgenommen, gegen
23 wurden Verfahren eingeleitet. Darum gab es drei Tage
später wiederum heftige Proteste gegen die
Strafverfolgungen und die Festnahmen, sieben
„Rädelsführer“ saßen
im Gefängnis. Vergangene Woche dann kam es zu einer großen
Demonstration von über 10.000 Arbeitslosen in Ouargla,
auch im Süden.
Die Regierung versuchte, dem
gegenzusteuern, indem sie die Protestbewegung zu spalten
versucht. Von allen Arbeitslosenkollektiven schuf sie
„Klone“ unter gleichklingendem Namen, die sie dann zu
„Dialogpartnern“ erhob. Diese sollten dann erklären, die
Proteste seien abgeblasen. Aber die Mobilisierung, zu
der Leute aus vielen Landesteilen kamen, konnte es doch
nicht verhindern. Davor hat die Regierung Angst: Vor der
zunehmenden Strukturierung der Bewegung, rund um präzise
Forderungen nach einer Aufhebung der Prekarität, nach
transparenten Einstellungspraktiken etwa im Erdölsektor
und andere. Es bildet sich ein immer stärkeres
Bewusstsein, ein Bürgerrechts- und
Solidaritätsbewusstsein. Die Arbeitslosen kommen auch zu
Protestversammlungen anderer Gruppen, wenn etwa die
Beschäftigten im Gesundheitswesen für ihre Interessen
protestieren, und unterstützen diese. So etwas
beunruhigt die Regierung sehr.
Frage: Manche Sprecher der
Regierungsparteien, aber auch vermeintliche
Oppositionspolitiker sehen eine „Hand des Auslands“
hinter den Protesten stecken…
Antw.: Wen hat man nicht Alles
angeblich hinter den Protesten stecken sehen: Mal war es
die CIA. Mal war es Bernard-Henri Lévy, der eine
Destabilisierung Algeriens beabsichtige, um ein Szenario
ähnlich wie in Libyen (2011) einzuleiten. Mal war es
Katar. Und es gab eine regelrechte Regierungskampagne
etwa gegen Tahar Belabès, einen der wichtigsten
Wortführer der Arbeitslosenbewegung. Ihm wurde etwa
öffentlich vorgeworfen, zwei Wochen vor den Protesten
eine Demonstration gegen die algerischen Behörden in
Genf organisiert zu haben, um ihn also als eine Art
Verräter darzustellen. Das war ihm nur einfach
unmöglich: Er hat gar keinen Pass und kann deswegen
nicht reisen. Sogar zur Beerdigung seines Vaters, der in
Ägypten starb, konnte er nicht gehen. Er veröffentlichte
dann eine Kopie jenes Urteils, mit dem ein Gericht ihm
die Ausstellung eines Passes verweigerte, weil Verfahren
gegen ihn am Laufen seien…
Frage:
Angeblich fließt
da Geld aus dem Ausland zur Unterstützung von
Wühltätigkeit?
Antw.: Ein Journalist der algerischen
Tageszeitung El-Watan fuhr vor Ort und konnte mit
eigenen Augen konstatieren, wie die Leute ihr weniges
Geld zusammenlegen und Kleingeld sammeln, um Sandwichs
als Verpflegung für die Protestmarschierer zu kaufen, um
sich Transparente leisten zu können. Sie haben ihm eine
Lehre in Sachen Liebe zu ihrem Land gegeben! Meines
Erachtens ist es die algerische Regierung, die eher für
ausländische Interessen arbeitet, als diese jungen
Leute.
Frage: Und die Polizei? Hat die
eingegriffen?
Antw.: Nein, in dem Falle zog sie es
vor, diskret zu bleiben und die Sache zu beobachten. Es
waren dermaßen
viele Journalisten vor Ort, algerische und ausländische!
Da konnten sie sich ein hartes Durchgreifen nicht
erlauben…
Frage: Was werden die nächsten
Schritte der Arbeitslosenbewegung sein?
Antw.: Ich möchte mich nicht hier zu
ihrem Sprecher aufschwingen. Wir sind wie ihre Schüler!
Im Augenblick wird sie sich sicherlich gegen die
Repression richten müssen, es sitzen noch einige
Vertreter in Haft.
Hier in Laghouat wurden sieben der so
genannten „Rädelsführer“ der Arbeitslosenproteste ins
Gefängnis geworfen. Ihnen wurden attroupement
(Landfriedensbruch), Störung der öffentlichen
Ordnung und angebliche Sachbeschädigung vorgeworfen. Der
Staatsanwalt forderte fünf Jahre Haft gegen sie!
Letztlich wurden sie in einem Eilprozess zu einem Monat
Haft ohne Bewährung verurteilt. Ein härteres Urlaub
konnte sich die staatliche Justiz dann doch nicht
erlauben: Es gab ein erhebliches Aufsehen in den Medien,
und Anwälte aus ganz Algerien eilten herbei. Das
„Netzwerk der Anwälte für die Verteidigung
Menschenrechte“ (RADDH) mobilisierte dazu. In einigen
Tagen werden die Leute frei kommen. Aber gegen einen von
ihnen, Mohamed Rag, wurden bereits weitere Prozesse
eingeleitet, wegen „Aufforderung zu Straftaten“ etwa.
Nun traf auch noch eine neue Strafanzeige gegen ihn ein:
Angeblich soll er drei Monate zuvor einen Polizisten mit
einer Stichwaffe tätlich angegriffen habe. Eine seltsame
Situation wird da konstruiert: Er soll einen mit einer
Kalaschnikow ausgestatteten Polizisten mit einem Messer
attackiert haben… Und seltsamerweise brachte dieser es
erst jetzt, drei Monate später, zur Anzeige…
Frage: Am 20. Februar,
gleichzeitig zum Beginn der Proteste, wurde auch ein
Delegiertenkongress von Arbeitslosenvertretern aus
Tunesien, Algerien, Marokko und Mauretanien zur
Vorbereitung des Weltsozialforums durch die Polizei
aufgelöst…
Antw.: Ja, im Gewerkschaftshaus in
Algier! Dort hatte die unabhängige Gewerkschaft SNAPAP
die Delegierten aufgenommen. Es handelte sich um
diplômés chômeurs, Arbeitslose mit
Hochschulabschluss, aus den verschiedenen Ländern des
Maghreb. Die Teilnehmer wurden festgenommen, jene aus
den Nachbarländern abgeschoben. Das Regime glaubt, freie
Hand für repressives Durchgreifen zu haben. Aber es geht
dadurch politische Risiken ein.
Editorische Hinweise
Das Interview erhielten wir
vom Autor für diese Ausgabe.