"Bilder aufnehmen ist hier verboten!"
Eine Überlegung zum Zensurverhalten der Behörden bei den europäisch-griechischen Flüchtlingslagern von "Xenios Zeus"

von Birgit von Criegern

03-2013

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Seit dem August 2012 werden Geflüchtete in Griechenland, die in Europa Schutz suchen, bei dem Aufnahmeprogramm "Xenios Zeus" in Polizeistationen und neu errichteten Lagern festgehalten; eine Praxis vom Europa der Abschottung, das taubblind bleiben will gegen die schlichte Möglichkeit, das Dublin II –System abzuschaffen und Asylbegehrenden Zugang zu allen EU-Staaten zu ermöglichen anstatt sie im Erstland festzuhalten, und vom Europa der Abschottung, das Ressentiments gegen die Menschen produziert, die aus Afghanistan, Iran, dem bürgerkriegserschütterten Syrien, aus Nahost, Somalia, Sudan oder dem jetzt wieder von Krieg betroffenen Westafrika geflüchtet sind.

Bei der dominierenden EU-Politik von Rechtskonservativ bis Sozialdemokratisch bleibt Ignoranz an der Tagesordnung, jedoch muss diese Ignoranz immer rigidere Formen annehmen und mit Zensur oder der Produktion von Halbwissen erhalten werden.

Das fiel mir auf, als ich Ende Januar einen Hinweis zum Youtube-Video über "Xenios Zeus" erhielt, das von MenschenrechtsbeobachterInnen gedreht wurde, die das größte Lager in Korinth besuchten: Von einer Delegation vom zivilgesellschaftlichen Komitee aus Korinth und aus Syriza sowie Delegierten der Rosa Luxemburg Stiftung. Ihr Film dokumentiert ihre Besichtigung des Flüchtlingslagers mit einer Tonaufnahme, und Interviews mit den griechischen Komitee-Mitgliedern, die von ihrer Unterstützungsarbeit vor Ort und von ihrer Beobachtung des politischen Abschottungs-Kurses berichten, und Einzelheiten über das Lager. Bilder, die das Lager betreffen, gibt es jedoch nur von der Einfahrt und den Wachtposten. Denn es war verboten, Bilder vom Lagergeschehen aufzunehmen, berichteten die Delegierten.

Über die Zustände im Lager berichten sie mit einer Tonspur und begleitenden Textpassagen: Seit dem Bestehen von "Xenios Zeus" seien insgesamt 40 000 Menschen interniert worden. Das Projekt mit der Internierung von Flüchtlingen, selbst wenn sie zur großen Mehrheit Papiere haben, in den Elendlagern wurde ausgerechnet nach Zeus, dem Gott der Gastfreundschaft benannt.

Im besuchten Lager sei "ein Großteil der 800 Internierten bei Besichtigung in alarmierendem körperlichen und seelischen Zustand. Niemandem war das Tragen von Schuhen erlaubt. Es gab keine Heizung und nicht genügend Wasser und Nahrung. Die Internierten berichteten von Schlägen und von der generellen Ablehnung von Asyl."

Die Zensur bei diesem neuen europäischen Großprojekt zur Verhaftung und Abschiebung von Flüchtlingen überführt einmal mehr die EU-patriotischen, ständig hochgejubelten Werte von "Freiheit" und eben auch „Pressefreiheit“ oder „Informationsfreiheit", wahlweise „Bildung“. Wenn es um die elenden und menschenunwürdigen Verhältnisse in Lagern geht, die Europa für Geflüchtete am Mittelmeer bereithält, sollen jene schönen Werte ausgehebelt sein.

Der allgemein übermittelte Freiheitswert der EU, nur mit marktliberaler Freiheit passgenau übereinstimmend, entlarvt sich immer häufiger als Dogma. So auch der Umgang mit dem Bild in dieser Gesellschaft der Zahlkräftigen, der einer Kultfunktion in der europäischen Kultur- und Kommerzwelt entspricht, während jedoch für Bildberichte von den Schrecken von „Xenios Zeus“ ein Riegel vorgeschoben und Diskretion verlangt wird. Das Signal in Korinth: Hier ist Ausnahmezustand, öffentliches Interesse unerwünscht! Zumindest soll solchem Interesse nicht zu einfach mit der üblichen Methode der Bilderaufnahme nachgekommen werden. Jedoch die Bilderflut im Innern Europas ist längst eine Konsumbegleitung, die besonders maßgeblich die Zurschaustellung der Waren exerziert folgend der kapitalistischen Neigung zur „Obszönität“, wie sie Herbert Marcuse einmal feststellte. Diese Bilderverbreitung scheint ein Motto zu kennen: je ideologischer desto präsenter und desto plumper aufs Auge gedrückt. Denn steckt nicht auch Ideologie in den Werbe-Darstellungen, die an den Straßenrändern großdimensional aufgestellt werden, oder die in den deutschen Bushaltestellen hinter geputztem Plexiglas und künstlich angestrahlt aufragen? Diese Bilder übermitteln uns regelmäßig, was noch mit den letzten Reserven in der Lohnkonkurrenz zu erheischen und zu erträumen zu sein habe: Das Eigenheim, das Auto, der Snack oder das Aufputschmittel für zwischendurch. Und als menschliche Darstellungen klotzt der Kommerz mit Vorbildern aus der Designer-Retorte, mit dem durchtrainierten Siegertypus und dem käuflichen Sexobjekt. Nachgeschmissen werden uns auch lachende Konsumentengesichter auf Monitoren in Bahnen und Warteräumen. Real ist an allen diesen Darstellungen nur der Pixelwert und die Foto-Shop-Kunst der HerstellerInnen. Geschönt, retouchiert und collagiert begleitet das Bild uns im Alltag des Laufens und Kaufens.

Hingegen wird in Korinth untersagt, die Realität von menschenverachtenden Zuständen bei der europäischen Flüchtlingsverwaltung auch im Bild zu transportieren. Bei dieser Bilder-Zensur von "Xenios Zeus" scheint deutlich zu werden, "dass sich Macht immer an Wissen und Wissen immer an Macht anschließt", wie Michel Foucault feststellte ("Räderwerk des Überwachens und Strafens", in: "Mikrophysik der Macht", Merve-Verlag 1976). Das ist nicht als Wirkung totaler Macht, die nur in den Händen einiger weniger bleibe, zu überschätzen, aber diese Zensur kann als ein Instrument der Akteure von EU-Abschottung wahrgenommen werden, mit dem zwar nicht die Übermittlung von Wissen verhindert werden kann, aber zumindest der schnellere und allgemein gewohnte Wissenstransport durch Bildbegleitung -der z. B. auch geeignet wäre, den Menschen ein Gesicht und eine Stimme zu geben, die andauernd von ressentimentgeladenen Abschottungs-Politikern als „Illegale“ gesichtslos und bedrohlich gezeichnet werden. Durch seine Verbote entlarvt sich das Abschottungs-System, durch seine Starre steht es auf der Kippe. Jeden Tag zeigt sich die Möglichkeit für EU-EInwohnerInnen, mit dieser labilen Ordnung zu verfahren.

Das Verbot, das Signal, wegzusehen, kann verarbeitet und verstanden werden: Hier hin ist zu blicken, wenn der europäische homo consumens noch blicken kann. Der Umgang mit Zensur steht den Regierten immer noch frei. Resigniert muss nicht werden, und die UnterstützerInnen der Flüchtlinge haben das mit ihrem Handeln deutlichgemachtm indem sie die Isolation durchbrachen und eine Filmreportage übermittelten, mit Augenzeugen-Berichten in die Kamera und mit Interviews mit MitarbeiterInnen vom Griechischen Flüchtlingsrat Athen – und mit der Information von der Bilderzensur im Innern des Lagers.

Editorische Hinweise

Wir erhielten diesen Text von der Autorin. Er ist auch auf deren Blog veröffentlicht und kann dort kommentiert werden.