Kapitalistischer Stadtumbau & Stadtteilkämpfe

Grundrente, Mehrwert und Bodenpreis
Thesen im Anschluss an H.-G. Bensch „Grundrente und Mehrwert“ (1)

von Karl-Heinz Schubert

03-2013

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onlinezeitung

Die Gunst der Naturbedingungen liefert immer nur die Möglichkeit,
niemals die Wirklichkeit der Mehrarbeit, also des Mehrwerts oder des Mehrprodukts.“
(MEW 23 / 537)

Vorbemerkung: Seit einigen Monaten beschäftigt sich der Abeitskreis Kapitalismus aufheben (AKKA) mit der kapitalistischen Immobilienwirtschaft, um Eckpunkte eines antikapitalistischen Wohnungsprogramms zu formulieren. Dazu war es auch nötig, sich mit grundlegenden Fragen der kapitalistischen Verwertung von urbanen Grundstücken im Zusammenhang mit ihrer Bebauung, Veräußerung, Verpachtung und Vermietung zu befassen. Die nachfolgenden Thesen sind im Anschluss an die Überlegungen von Hans-Georg Bensch entstanden, nehmen sie zum Ausgangspunkt und gehen über sie hinaus.

1)
Marx analysiert ausgehend vom Doppelcharakter der Ware die kapitalistische Produktionweise unter dem Gesichtspunkt des Äquivalententausches. Nachdem er den Zusammenhang zwischen Wert, Mehrwert und Profit als Triebkraft der kapitalistischen Produktionsweise dargestellt hatte, musste er alle Gesetzmäßigkeiten aufspüren, die mit der Zirkulation und der Realisation des Kapitals zusammenhängen. Dabei stieß Marx unter dem Gesichtspunkt des Äquivalententausches auch auf das Problem, dass eine Naturkraft bzw. ihr Besitz, nämlich der Besitz eines Grundstücks, zu einer Rente führt bzw. an der Verwertung des Werts teilhat, obgleich die Naturkraft selber nicht wertbestimmt ist, weil in ihr keine menschliche Arbeitskraft enthalten.
Hinweis in eigener Sache

Der AKKA trifft sich einmal pro Woche zweistündig, um seine Untersuchungs- und Arbeitsergebnisse zu besprechen. Ziel ist es eine Broschüre herauszugeben, die eine Handreichung zum besseren Verständnis der Profitmacherei mit Immobilien sein will. Dieses Wissen bildet u.E. erst die Voraussetzung für die Formulierung von Eckpunkten eines antikapitalistischen wohnungspolitischen Programms.

An diesem Thema Interessierte, die sich in der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie auskennen und aus Berlin sind, werden gebeten, in unserer "Broschüren-AG" mitzuarbeiten.

Kontakt: akka@infopartisan.net


2)
Für mich hat Bensch schlüssig aufgezeigt, dass die Differentialrente vor der absoluten Rente entwickelt und dargestellt werde musste, weil sie ökonomisch anders an der Mehrwertmasse teilhat als die absolute Rente. Außerdem ist die absolute Rente quasi die denklogische Voraussetzung der Differentialrente. Ihre Existenz kann erst unter der Voraussetzung des tatsächlichen Vorhandenseins von unterschiedlichen Renten, als Ausdruck unterschiedlicher Ertragsfähigkeit, abgeleitet werden.

3)
Die Differentialrente ist der in der Konkurrenz realisierte Surplusprofit (MEW 25, 654-661). Denn der Wert, der mit dem Boden verbundenen Produkte (Immobilie) oder durch Nutzung erzeugten Produkte (Weizen) steht unter dem Preis, der in der Konkurrenz realisiert wird. Bei der Realisierung der Wertmasse in der Konkurrenz erhält der Verkäufer/Vermieter also mehr an Wert zurück als an toter und lebendiger Arbeit im Produkt enthalten ist.

Dieser Surplusprofit fließt dem Grundbesitzer als Rente zu, wenn der Boden verpachtet oder vermietet ist. Dieses Mehr – weil in der Konkurrenz erzielt - ist ein Abzug aus der gesamtgesellschaftlichen Mehrwertmasse und nicht vom Mehrwert des mit diesem Grundstück/Boden zusammenhängenden Produkts.

Die Bedingung, solch einen Surplusprofit in der Konkurrenz zu erzielen, hängt unmittelbar mit den naturbedingten Eigenschaften (Lage, Ertragsfähigkeit) des Grundstücks zusammen.

Wird allerdings nur ein Preis erzeilt, der mit dem Wert gleich ist oder darunter steht, so muss unter der Voraussetzung der Trennung von Grundbesitzer und kapitalistischen Pächter dem Grundbesitzer dennoch Rente abgeführt werden. In diesem Fall ist die Zahlung der nun absolut und nicht in Differenz bestimmten Rente ein Abzug vom (eigenen) „agricolen Mehrwert“ (MEW 25, 772).

4)
Diesen Zusammenhang von Grundrente und Aneignung von Teilen der Mehrwertmasse analysiert
Marx  historisch bedingt anhand von Material aus der Phase des Übergangs der formellen zur reellen Subsumtion einer Naturkraft unter das Kapitalverhältnis (2).

Formelle Subsumtion heißt hier, dass die Zahlung der agricolen Nutzung des Bodens durch die Produzenten als Geldrente und nicht mehr als Produkt- oder Arbeitsrente erfolgt. Für die feudalabhängigen Bauern ist die Zahlung Abzug vom Erlös ihrer Produkte, die sie nun gezwungen sind gegen Geld zu tauschen.

Das Entstehen des Kapitalverhältnisses – d.h. die Phase der ursprünglichen Akkumulation - beginnt mit der Vertreibung der bäuerlichen Produzenten und der Nutzungsübertragung des Bodens auf den kapitalistische Pächter. Ab jetzt ist das Grundstück Teil eines kapitalistisch organisierten Produktionsprozesses und die dem Grundbesitzer zu zahlende Geldrente ist ihrem Inhalt nach eine Differentialrente, weil sie ihrerseits als Surplusprofit in der kapitalistischen Konkurrenz realisiert wird.

Die reelle Subsumtion ist abgeschlossen, wenn die Rente auf Seiten des Grundbesitzers nicht aufgezehrt wird, sondern in Kapitalform wieder einem kapitalistischen Verwertungskreislauf jenseits des Grundbesitzes zugeführt wird. D.h. der Grundbesitzer wird Kapitalist oder der kapitalistische Pächter wird Grundstücksbesitzer bzw. der Eigentümer der Naturkraft und der die Naturkraft nutzende Kapitalist verschmelzen zu einer ökonomischen d.h. kapitalistischen Figur. Von nun an findet „Kapitalanlage auf Grund- und Boden ohne Zahlung von Rente“ statt. (MEW 25, 759) Die Rente scheint verschwunden.

5)
„Der Bodenpreis ist nichts als die kapitalisierte und daher antizipierte Rente.“ (MEW 25 / 816) Im kapitalistischen Verwertungzusammenhang wird die bereits geldförmig vorhandene Grundrente kapitalisiert, indem für die Pacht oder den Kauf eines Bodens ein Preis entrichtet werden muss. Obgleich sich die Substanz(3) des Bodenpreises aus einer in Rente abgebildeten Naturbedingung ableitet, erscheint diese Form nun als zinsbestimmtes „Kapital an sich“.

„In der Tat ist das für den Ankauf des Bodens, ganz wie das im Ankauf von Staatspapieren verausgabte Geld nur an sich Kapital, wie jede Wertsumme auf Basis der kapitalistischen Produktionsweise an sich Kapital, potentielles Kapital ist. Was für den Boden gezahlt worden ist, wie für die Staatsfonds, wie für andre gekaufte Waren, ist eine Geldsumme. Diese ist an sich Kapital, weil sie in Kapital verwandelt werden kann. Es hängt ab von dem Gebrauch, den der Verkäufer davon macht, ob das von ihm erhaltne Geld sich wirklich in Kapital verwandelt oder nicht. Für den Käufer kann es nie mehr als solches fungieren, sowenig wie jedes andre Geld, das er definitiv verausgabt hat. In seiner Berechnung figuriert es für ihn als zinstragendes Kapital, weil er die Einnahme, die er als Rente vom Boden oder als Schuldzins vom Staat erhält, als Zins des Geldes berechnet, das ihm der Ankauf des Titels auf diese Revenue gekostet hat. Als Kapital kann er es nur realisieren durch den Wiederverkauf. Dann tritt aber ein andrer, der neue Käufer, in dasselbe Verhältnis, worin jener war, und durch keinen Wechsel der Hände kann das so verausgabte Geld sich für den Verausgaber in wirkliches Kapital verwandeln." (MEW 25 / 817f)

6)
Die Untersuchung der Wohnungsfrage in den kapitalistischen Metropolen kann werttheoretisch angemessen nur mit den Kategorien der entfalteten kapitalistischen Produktionsweise erfolgen. Grundlage der Analyse städtischer Grundstückspreise bildet daher der Bodenpreis, wie er sich aus der Marxschen Grundrententheorie herleitet.

Weil die Grundrente die naturbedingte Substanz des Bodenpreises ist, die nur in der Konkurrenz, d.h. anhand des Preises sichtbar wird („gute“ Lage hat ihren Preis), ist die Klärung der Frage, ab wann die Differentialrente zur Monopolpreis abwerfenden Rente wird oder wieder aufhört eine solche zu sein, nur im Sinne einer Realabstraktion(4) zu beantworten.

Für die Profitanalyse des städtischen Immobilienkapitals muss es von daher ausreichen, die Kosten des Bodenpreises aus seinem Marktpreis und aus seiner Verzinsung herzuleiten.

Schließlich kommt bei der Bildung des Marktpreises eines städtischen Grundstücks noch hinzu, dass er nicht allein aus dem grundrentenbestimmten Bodenpreis gebildet wird, sondern ebenso bestimmt wird durch den Wert toter und lebendiger Arbeit, die dort implementiert werden muss, damit das Grundstück für urbane Verwertungszwecke überhaupt benutzt werden kann.

Sind diese Werte verbraucht, stofflich betrachtet (z.B. Kanalisation, Medien, etc.) vernutzt, dann fällt erstmal wieder (Lohn-)Arbeit an, um die „Naturbedingung“ innerstädtisches Grundstück in einen verwertbaren Zustand zu versetzen. Oder anders: Je mehr Arbeit der Naturbedingung einverleibt ist, um sich ihrer bedienen zu können, desto geringer ist die Marge des naturbedingten Surplusprofits.

7 )
Vorschläge für mietpreislenkende Eingriffe in die Grundrente bestimmten in den 1970er Jahren die reformpolitische Wohnungsdebatte (5). Doch nur das „richtige“ Wissen über diese Zusammenhänge bildet eine zentrale Voraussetzung für die Erstellung eines antikapitalistischen Aktionsprogramms in Sachen Wohnungspolitik, das über eine reine Reformpolitik hinausgehen will.

In diesem Sinne würde antikapitalistisch heißen, zu versuchen bereits unter kapitalistischen Verwertungsbedingungen die Wohnungsmiete und die Verteilung von Wohnraum durch außerökonomische Maßnahmen (Gesetze, Verordnungen, Kontrollstrukturen) nach den ökonomischen Möglichkeiten (Revenue) und im historischen Interesse (Aufhebung des Kapitalismus) des Proletariats zu limitieren. Dazu Beispiele, die diesem Anspruch nicht genügen:

  • Aus dem bisher Entwickelten ließe sich an den konkreten Verhältnissen zeigen, dass eine staatliche Regulierung der Bodenpreise z.B. durch besondere Besteuerung die Miete nicht senken würde, sondern nur vorübergehend den Unternehmergewinn. Der Steuergewinn könnte zwar im Wege einer staatlichen  Wohnungsbauförderung mit Mietpreisbindung zurückfließen,damit wäre aber das kapitalistische Gewinnprinzip nicht untergraben, sondern nur systemtauglich reguliert und konjunkturell gesichert.
     
  • Denkbar wäre auch im Mietrecht zu verankern, dass die Verzinsung des Grundstückspreises nicht auf die Miete umgelegt werden darf. D.h. eine Außerwertsetzung des Grundstücks, was auch durch Verstaatlichung des Bodens erreicht werden könnte. Nun würden die Mietpreise für alle(!) bis zu dem Punkt sinken, wo die Realisierung von Wert/Mehrwert der Immobilie beginnt. Auch dies griffe nicht die kapitalistische Verwertungslogik an (6).
     

Die Aufzählung solcher wohnungspolitischen Überlegungen könnte noch fortgesetzt werden. Sie wird aber abgebrochen, weil hier nur exemplarisch gezeigt werden sollte, dass die Grundrentenfrage - besser die Bodenpreisfrage - plus weitere „Immo-Fragen“ „richtig“ beantwortet werden müssen, bevor man daran geht, Eckpunkte eines Aktionsprogramms zu formulieren. Dazu gehört es auch, die richtigen Schlüsse aus der Tatsache zu ziehen, dass im Durchschnitt der Verkehrswert einer städtischen Immobilie – und damit der Preis der Miete -  nur maximal zu 10% vom Bodenpreis gebildet wird.(7)

Anmerkungen

1) Hans-Georg Bensch, Grundrente und Mehrwert. In: Das Automatische Subjekt bei Marx. Lüneburg, 1998, S. 33-57.

2) Die Anwendung der Begriffe formell und reell erfolgt hier in Analogie zu der bei Karl Marx (Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses) aufgezeigten, sich historisch verändernden Stellung der Lohnarbeiter zum Kapital bis zu deren völliger Unterordnung unter das Kapitalverhältnis.

3) Siehe zum Begriff Substanz bei Karl Marx, MEW 23, 169: „Wenn in der einfachen Zirkulation der Wert der Waren ihrem Gebrauchswert gegenüber höchstens die selbständige Form des Geldes erhält, so stellt er sich hier plötzlich dar als eine prozessierende, sich selbst bewegende Substanz, für welche Ware und Geld beide bloße Formen.“

4) Zum Begriff der Realabstraktion siehe: Axel Schürmann, Der Wertbegriff als Realabstraktion, http://www.trend.infopartisan.net/trd0400/t160400.html 


5) siehe dazu: Barbara Dietrich, Grundrente und Wohnungsfrage, in: Kritische Justiz 1974 | Heft 3, 251-273, http://www.kj.nomos.de/fileadmin/kj/doc/1974/19743Dietrich_S_251.pdf

6) Siehe dazu Karl Marx, MEW 26.2, S. 38

7) Wer an empirischen Belegen für diese Feststellung interessiert ist, sollte sich die Wertgutachten für Zwangsversteigerungen städtischer Immobilien bei http://www.zvg-online.net/  anschauen.
 

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.