Interessant
an den Wahlen zum Madjlis, dem iranischen Parlament, vom 02.
März 2012 war vor allem die Wahlbeteiligung. Denn inhaltlich
gab es für die Wählerinnen und Wähler schlichtweg nichts zu
entscheiden: Unterschiedliche Fraktionen der Rechten
innerhalb des Establishments der „Islamischen Republik“
machten das Rennen von vornherein unter sich aus. Ein
vorgeschalteter Filter in Gestalt der erforderlichen
Bestätigung aller Kandidaturen durch den „Wächterrat“ – ein
nicht gewähltes Gremium von so genannten Schriftgelehrten,
das über den gewählten Instanzen der „Islamischen Republik“
thront – schaltet das Risiko, Systemgegner/innen könnten
kandidieren, ohnehin weitestgehend aus. Doch dieses Mal
blieb es nicht bei dieser obligatorischen Vorauswahl, die
dazu dienen soll, außerhalb des Systems der Ideologie- und
Tugenddiktatur stehende Personen und Kräfte von der Wahl
auszuschließen.
Auch bestimmte
Gruppierungen innerhalb des Establishments der Diktatur konnten
nicht zur diesjährigen Wahl antreten. Bei der letzten
Präsidentschaftswahl vom 12. Juni 2009 hatten sich noch zwei
Fraktionen innerhalb der „Islamischen Republik“ gegenüber
gestanden, die von Amtsinhaber Mahmud Ahmedinejdad und jene
seines gewichtigsten Gegenkandidaten Pir Hussein Mussawi
(Premierminister von 1981 und 89 und damit während einiger der
schlimmsten Jahre des Regimes). Eine Massenbewegung, die „von
unten“ aus der iranischen Gesellschaft heraus entstanden war,
hatte sich in die Bresche gestürzt, welche sich durch den Kampf
zweier widerstreitender Fraktionen innerhalb der Diktatur
geöffnet hatte.
Doch der
Massenprotest wurde nach einigen Wochen niedergeschlagen: Neben
der brachialen Repression trug dazu auch die Tatsache bei, dass
die Protestbewegung über keinerlei taugliche politische Führung
verfügte, da die in Opposition zum Ahmedinejdad-Flügel stehende
Fraktion des Regimes eben den Rahmen der Diktatur nicht sprengen
wollte. Ihr zögerndes Taktieren bei der Verfolgung ihrer
politischen Interessen, und ihre Ablehnung jeglicher Zuspitzung
der Massenproteste, wehrten schlussendlich größere Gefährdungen
vom System ab.
Um jedoch das
Risiko solcher Fraktionskämpfe und Rivalitäten, und damit
offener Flanken für Proteste aus der Gesellschaft heraus, von
vornherein gering zu halten, schalteten die „Wächter“ dieses
Jahr auch gleich die „moderaten“ Flügel des Establishments
selbst von der Parlamentswahl aus. Also die Anhänger von
Ex-Präsidentschaftskandidat Mussawi sowie jene seines
Mitbewerbers von 2009, Mehdi Karoubi. Stattdessen traten vor
allem Bewerber zur Wahl an, die aus diversen Untergruppierungen
der – mit einem verharmlosenden Begriff – als „konservativ“
bezeichneten Fraktion der Tugendterrordiktatur stammten.
Letztere Fraktion hat sich inzwischen ebenfalls aufgesplittert.
Die Hauptspaltungslinie verläuft dabei zwischen den Anhängern
von Noch-Präsident Ahmedinejdad, dessen Amtszeit 2013 ausläuft,
einerseits und denen des nicht gewählten „geistigen Oberhaupts
und Revolutionsführers“ Ali Khamenei anderseits. Beide Männer
und ihre jeweilige Umgebung haben sich in jüngster Zeit heftig
zerstritten. Khamenei, der aufgrund seiner persönlichen
Machtfülle - an der Spitze des Systems - am längeren Hebel
sitzt, begann Ahmedinejdad für diverse Schwierigkeiten des
Systems verantwortlich zu machen, schob ihm die Schuld an
wirtschaftlichen Schwierigkeiten ebenso wie an der
außenpolitischen Isolation des Regimes in die Schuhe. Zeitweilig
liebäugelte Khamenei offen mit der Abschaffung des
Präsidentenpostens, oder jedenfalls mit der Abschaffung der Wahl
des Inhabers dieses Amtes durch die Bevölkerung.
Das nunmehr in naher
Zukunft eintretende Ende des Mandats Ahmedinejdads lässt
Khamenei ohnehin als Sieger in diesem Streit dastehen. Seine
„Linie“ wurde aber auch bereits durch die Ergebnisse der
Parlamentswahl bestätigt, da vor allem die Anhänger der
unmittelbar Khamenei unterstellten Fraktionen dabei siegreich
abschnitten. Von den 225 bislang vergebenen Sitzen (65 werden im
kommenden Monat in einem zweiten Wahlgang besetzt werden) gingen
90 an angeblich „unabhängige“ Kandidaten aus dem Establishment
der Diktatur, 43 an die Seilschaft von Parlamentspräsident Ali
Larijani unter dem Namen „Vereinigte Front der
Prinzipienfesten“, und nur noch 10 an die Kandidaten der „Front
der Beharrlichkeit der Islamischen Revolution“ – also die
Anhänger Ahmedinejdads. Dass Letzterer als Verlierer gelten
muss, steht zweifellos fest.
Die Wahlbeteiligung
wird vom Regime offiziell mit 64 Prozent angegeben. Doch
zumindest diese Zahl wird aus Oppositionskreisen sehr stark
bestritten, während an der Aufteilung der Stimmen zwischen den
Fraktionen des Regimes kaum gezweifelt wird – manipuliert wird
in der „Islamischen Republik“ vor allem die Wahlbeteiligung als
Gradmesser der Loyalität der Bevölkerung zum System als solchem,
nicht so sehr das Kräftemessen von Gruppierungen innerhalb des
Rahmens der Diktatur. Trotz erheblichen Drucks auf die
Bevölkerung, wählen zu gehen (im Iran kann man als Einwohner/in
bei Behördengängen jeglicher Art Schwierigkeiten bekommen, falls
man keinen Stempel im Ausweis hat, der die Wahlteilnahme
bestätigt), scheint diese ihrer „Pflicht“ weitgehend entzogen zu
haben.
Das iranische
Staatsfernsehen strahlte am Wahltag selbst keine Bilder aus der
Hauptstadt Teheran aus, sondern nur Aufnahmen aus der Provinz
und mutmaßliche Archivbilder – offenkundig, weil aus der
15-Millionen-Metropole Teheran vor allem Nachrichten über
gähnend leere Wahllokale eintrafen. Am Abend wurde in Teheran
die Öffnung der Wahllokale um fünf Stunden verlängert, „um allen
Wählern die Teilnahme zu ermöglichen“, was aber offenkundig
hauptsächlich das Ausbleiben der Stimmberechtigten überdecken
sollte. Anlässlich der Wahl im Juni 2009, bei der tatsächlich
ein nur schwer zu bewältigender Massenandrang zu verzeichnen
war, war die Öffnungszeit der Wahllokale nur um zwei Stunden
ausgedehnt worden. - In den Wochen vor der Wahl hatte es zudem
Flugblattaktionen gegeben, die dem Aufruf zum Stimmboykott
gewidmet waren; Videoaufnahmen dazu existieren nicht nur aus
Teheran, sondern auch aus mittleren Städten wie Yazd. Das
iranische Regime reagierte zunächst beinahe panisch, blockierte
im Laufe des Februar dieses Jahres mehrfach das Internet, und am
14. Februar 2012 (lt. iranischem Kalender: 25. Bahman) kam es
vor diesem Hintergrund zu einer Verhaftungswelle. Am 22. Februar
d.J. wurden erneut Festnahmen von Anhängern eines Wahlboykotts
aus mehreren Städten, wie Sanandaj (Kurdistan) und Maschad im
Nordosten des Iran, vermeldet.
Das Risiko
eines militärischen Angriffs auf den Iran, von den USA und/oder
dem Staat Israel ausgehend, wurde in der letzten Phase aus
Kreisen der Diktatur in den „Wahlkampf“ eingebracht. In den
letzten Februartagen wurden etwa durch die iranischen Anbieter
von Mobiltelefonen massiv SMS-Botschaften versandt, in denen zu
lesen stand, die USA könnten „nur dann an einen Angriff
auf den Iran denken, wenn die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent
liegt“.
Laut den
offiziellen Angaben jedenfalls liegt sie nun ja – angeblich –
darüber, doch das Risiko einer militärischen Zuspitzung ist
dadurch natürlich noch keineswegs ausgeschlossen. Die
US-Administration Obama schien in den letzten Wochen noch einen
zögerlichen Zick-Zack-Kurs zu fahren, und während US-Präsident
Barack Obama einerseits versicherte, „alle Optionen“
lägen gegenüber dem Iran „auf dem Tisch“, bremste
er andererseits den kriegerischen Elan des rechten israelischen
Premierministers Benjamin Netanyahu. Im Staat Israel ist die
regierende Rechte froh darüber, die Polarisierung mit dem Iran
(statt mit der arabischen Welt) als außenpolitisches
Topthema pushen zu können, um ihr Land dabei als Opfer zu
profilieren und nicht zuerst als Besatzungsmacht in den
palästinensischen Gebiet wahrgenommen zu werden. Die Sprüche
Ahmedinejdads in der Vergangenheit über den Staat Israel, vor
allem in den Jahren 2005 und 06, helfen ihr dabei sehr, während
sie keinen Millimeter zur Verbesserung der Lage der
PalästinenserInnen beitragen – ganz im Gegenteil. Zudem neigen
einige sunnitische Mächte wie Saudi-Arabien aufgrund ihrer
Rivalität zu den iranischen Regionalmachtbestrebungen dabei
dazu, einem militärischen Vorgehen Israelis in diesem einen
Falle mindestens neutral (bis wohlwollend) gegenüber zu stehen.
Ungeahnte Konstellationen aus Sicht der israelischen Politik. Im
Etablishment der USA dagegen wetteifern noch immer zwei
Fraktionen miteinander, was sich auch in den Stellungnahmen der
Nachrichtendienste – seit dem NIE-Report vom
Dezember 2007, der damals Angriffspläne der USA für den Iran in
der Schlussphase der Bush-Ära scharf ausbremste – sowie
führender Militärs widerspiegelt. Viele dieser Protagonisten
halten einen Angriff auf den 75 Millionen Einwohner/innen
zählenden Iran nach wie vor für gefährliches Abenteurertum. Und
sind de facto dagegen, auch falls das Regime Optionen zeigen
sollte, über Atomwaffen zu verfügen – die die Machthaber Teheran
ohnehin nicht real einsetzen könnten, ohne einen schnellen
Selbstmord zu riskieren. Doch die Anhänger einer aggressiveren
Option haben inzwischen an Boden gewonnen.
Aber auch die im Iran herrschende Diktatur könnte einen
begrenzten kriegerischen Konflikt eventuell gut gebrauchen.
Sofern - was höchstwahrscheinlich ist - es sich um einen mit
Flugzeugen (und Raketen) Bombenkrieg handeln würde, um eine
Kampagne von Luftangriffen wie im Irak im Januar/Februar 1991
und in Serbien von Ende März bis im Juni 1999, wäre nicht nur
die Macht des Regimes als solche ungefährdet. Auch wenn mit
hoher Wahrscheinlichkeit Zehntausende, möglicherweise - wie im
Iraq (Irak) bei der Operation
Desert Storm
mit mutmaßlich
150.000 Toten - auch Hunderttausende Menschen ihr Leben lassen
müssten, so würde doch die Macht der Diktatur dadurch nicht
angetastet. Und selbst das iranische Nuklear- und das behauptete
Atomwaffenprogramm würden dadurch keineswegs notwendig gestoppt.
Denn die meisten seiner Anlagen sind unterirdisch eingebunkert.
Einmal erworbene Technologien können reproduziert, zerstörte
Maschinen wiederhergestellt werden, sofern sich die politischen
Verhältnisse nicht ändern. Dass eventuelle Angreiferstaaten
hingegen eine militärische Besetzung des iranischen
Staatsgebiets zu Lande - vergleichbar jener des Nachbarlands
Iraq von 2003 bis zu ihrem stufenweisen Abschluss im Dezember
2011 - planen würden, darf als nahezu ausgeschlossen werden. Es
wäre im übrigen auch purer Wahnsinn; und im Fall der Fälle
würden die im Vielvölkerstaat Iran mit 75 Millionen Menschen auf
eventuelle Besatzertruppen (welche auch dort durch die
Bevölkerung nicht einfach mit Willkommensgrüßen
empfangen würden) wartenden Probleme jene im Iraq oder in
Afghanistan im Nachhinein als Kinkerlitzchen erscheinen lassen.
- Auf die Dauer würde das Regime dadurch also politisch eher
gestärkt, oder zumindest in seiner Paranoia und seiner
Mentalität einer „belagerten Wagenburg“ vermeintlich bestätigt.
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