Frankreich: NPA in der Krise

von Marc Lassalle & Dave Stockton

03/12

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Es ist ein scheinbarer Widerspruch, dass inmitten der schärfsten und längsten Krise des Kapitalismus seit dem 2. Weltkrieg die französische Neue Antikapitalistische Partei (NPA) in einer tiefen Krise steckt.

Seit dem Gründungskongress der NPA 2009 gab es keinen Mangel an sozialen Kämpfen an Universitäten und Schulen, in den Slums und auf Betriebsebene. Einige von ihnen, z.B. die Bewegung gegen Präsident Nicolas Sarkozys Rentenreformgesetz von 2010, waren außerordentlich massiv und dauerhaft. Ihren Höhepunkt erreichten sie an den Aktionstagen vom 12. und 19.10., als 3,5 Millionen Menschen auf die Straße gingen und Kraftwerks- und RaffineriearbeiterInnen unbefristet streikten. Wenn sich ihnen die gesamte Bewegung zu einem Generalstreik angeschlossen hätte, wäre dies das Ende der Regierung Sarkozy gewesen.

Das Scheitern der NPA, einen Durchbruch zur großen Kampfpartei in einer so angespannten Klassenkampfsituation zu erzielen, kann nicht auf objektive Faktoren geschoben werden, auf einen Mangel an Widerstandskraft oder eine der revolutionären Politik feindlich gesinnten Arbeiterbewegung. Es liegt vielmehr in den inneren Widersprüchen der NPA und deren Unvermögen, sich auf die Höhe der gegebenen Aufgaben zu erheben. Die Mitgliedszahlen der NPA von annähernd 10.000 aus dem Gründungsjahr sind auf gut 3.000 derzeit geschrumpft.

Die Widersprüche der NPA

Die Liga für die 5. Internationale hat die Gründer der NPA, die Ligue Communiste Revolutionnaire (LCR), stets als zentristische Organisation eingeschätzt, die revolutionäre und reformistische Elemente in ihrer Politik mischt. Wie die 4. Internationale, deren größte Sektion die LCR ist, war sie lange Jahre bestrebt, Parteien und die Internationale nicht auf Grundlage ihrer eigenen Politik aufzubauen, sondern als unausgegorene Mischung aus verschiedenen Strömungen aus dem libertären Lager und aus dem Linksstalinismus (Guevarismus, Maoismus). Doch diese Projekte kamen fast nie richtig aus den Startblöcken. Die NPA ist das bei weitem erfolgreichste Modell.

Wir begrüßten 2009 die Gründung der NPA, weil die LCR Massenversammlungen in ganz Frankreich abhielt und eine Debatte über ihr Programm in Gang brachte und nicht ein verwässertes Programm aus ihrer Feder an den Anfang stellte. Das klappte zunächst vielversprechend. Tausende beteiligten sich am Diskussionsprozess um das Programm. Aber dieser gesunde Impuls hielt nicht lange vor.

Die alte LCR wechselte von der Teilnahme an Massenaktionen, die von Gewerkschaften organisiert und geführt wurden und vorwärts treibenden Bewegungen von Jugendlichen zu einem Wahlkampf auf einem linksreformistischen Programm. Dieses Vorgehen wiederholte sich in der NPA. Ein Wahlkampf mit den üblichen Versuchen, Wahlblöcke mit kleinen linken Parteien in wechselnder Zusammensetzung zu bilden, führte regelmäßig zu Enttäuschungen. Prinzipien gingen dabei reihenweise über Bord. Seit die LCR in mehrere Dauerfraktionen zerfiel, war eine störungsfreie Entwicklung der NPA unwahrscheinlich, besonders als ihre Mitgliederzahl sank und weitere Wahlerfolge ausblieben.

Rechts und Links

Wenn eine zentristische Organisation eine Wende zu einer noch breiteren und vielgestaltigeren Partei vollzieht, lässt sich denken, dass Widerstand gegen diesen Kurs von Seiten des linken Flügels kommt. Bei der LCR kam der Widerstand jedoch aus den rechten Reihen. Diese fürchteten, dass die NPA ein Stolperstein sein könnte für die alte LCR-Strategie eines engeren Bündnisses mit der KPF und der neuen linksreformistischen Formation Parti de Gauche (PdG) von Jean-Luc Mélenchon. Diese Parteien bildeten die Linksfront für die Wahlen zum EU-Parlament 2009 und erreichten dort 6,47 % und stellten 5 Abgeordnete, während die NPA knapp mit 4,98% den Einzug ins Parlament (5%) verpasste und keine Sitze errang.

Von Anfang an war der rechte LCR-Flügel ein mächtiges Hemmnis für den Aufbau der NPA. Die wesentlichen Gruppierungen für diese Richtung, Christian Piquets Gauche Unitaire und die Convergences et Alternatives lösten sich schnell von der NPA und traten der Linksfront bei. Die in der NPA verbliebenen Elemente sabotierten offen die Parteiaktivitäten, waren aber durch die lasche Parteidisziplin gedeckt. Der Großteil des NPA-Apparats von Hauptamtlichen befindet sich in der Hand dieser pro-Linksfront Richtung. Das französische Wahlgesetz schreibt vor, dass Präsidentschaftskandidaten 500 Unterschriften von Bürgermeistern oder sonstigen Amtsträgern aus der politischen Verwaltung in wenigstens 30 Bezirken Frankreichs und der Kolonien beibringen müssen. Nicht mehr als 50 Unterschriften dürfen aus einem einzigen Bezirk oder Territorium kommen. Das Verfassungsgericht muss diese vor dem ersten Wahlgang (bis 16.3.) für gültig erklären. Bis jetzt hat die NPA erst 438 Unterschriften erlangt.

Die Bürgermeisterlisten, die für Olivier Besancenot 2002 und 2007 unterschrieben hatten, sind auf unerklärliche Weise verschwunden. Hunderte AktivistInnen mussten sich der Mühe unterziehen, jeden Bürgermeister in noch so entlegenen Gegenden aufzusuchen und zur Unterschrift zu bewegen. Außerdem hat Piquets Gauche Unitaire 400.000 Euro als eigene Einlage in den Parteifonds von der LCR in dem Augenblick zurückgefordert, als die Partei in Geldschwierigkeiten steckte.

Auf der Januarversammlung des NPA-Nationalrats, dem Führungsorgan zwischen den Kongressen, hat die aktuelle Version des rechten Flügels, die sich Antikapitalistische Linke (GA) nennt, dreist den Rückzug aus der Wahlkampagne für den NPA-Kandidaten Philippe Poutou mit der Begründung gefordert,Alles in allem hat die Kampagne keine politische Funktion, deswegen kein Publikum und dies schwächt unsere Fähigkeit, unsere Ideen zu verbreiten.

Die GA-Strategie zielt auf einen Stopp der Präsidentschaftskampagne zu Gunsten einer Vorbereitung auf die Parlamentswahlen im Juni. Sie möchte sich der Kampagne der Linksfront mit dem zynischen und perspektivlosen Argument anschließen:Wenn wir randständig sein müssen, ist es besser, wenn wir dies innerhalb einer funktionierenden Partei wie der Linksfront statt in der NPA sind.“

Landesweit stellen sie eine Minderheit dar, wollen aber ihre Kandidaten auf dieser politischen Linie als NPA in den Gebieten, wo die GA eine lokale Mehrheit hat, präsentieren. Sie verlangen, dass die NPA ihnen in der finanziell schwierigen Lage 700.000 Euro für die GA-Kandidatur zur Verfügung stellt.

Dennoch ist der rechte Flügel nicht das einzige Hindernis für die NPA. Ihre historische Mittelfraktion um Führer wie Alain Krivine, Olivier Besancenot und Francois Sabado hat in den letzten beiden Jahren gezeigt, dass ihr jede Vision einer NPA- Weiterentwicklung, ja jede Strategie für die Zukunft der Partei abgeht.

Sie gründeten die NPA auf einem völlig eklektischen Programm. Revolutionäre Erklärungen über die Notwendigkeit, den bürgerlichen Staat zu zerschmettern standen neben zweideutigen Aussagen darüber, ob der Sozialismus auch über den parlamentarischen Weg zu erreichen sei. Gramsci, Guevara, Anarchismus und Trotzkismus wurden in den Gründungsdokumenten des NPA-Kongresses unter einen Hut gezwängt.

Eine Programmkommission arbeitete Papiere zu verschiedenen Aspekten mit revolutionären Positionen aus. aber es wurde kein klares Gesamtprogramm angenommen. Zunächst schien Olivier Besancenots Beliebtheit als junger und sehr profilierter Postarbeiter ihm viel Medienaufmerksamkeit und Wahlerfolg zu sichern. Eine Menge Mitglieder strömten in die Partei. Ihre Zahl schwoll bis zu 10.000 an, viele von ihnen waren neu in der Politik.

Die Partei erwies sich jedoch als ein Gebilde zwischen Reform und Revolution. Nur eine klare scharfe Programmdebatte hätte diesen Schlamassel beenden können. Aber wie üblich bei der LCR kommt das Programm nie über einen Maßnahmenkatalog und eine Wahlkampagne hinaus. Lohnerhöhungen

sowie Verteidigung des Öffentlichen Dienstes standen im Vordergrund. Es mangelt völlig an der Einsicht, dass ein Programm das Spiegelbild eines umfassenden Verständnisses von Aufgaben und Kämpfen der Partei zu sein hat, die in einer Strategie für die revolutionäre Eroberung der Macht gipfeln.

Auf diese Art kann die LCR und auch die NPA unbekümmert mit anderen linken ideologischen Richtungen leben oder sie sich gar einverleiben. Eine politisch weit gefächerte Partei unterscheidet sich allerdings stark von einer kleineren Gruppe, die einer einzigen Tradition entstammt. Entwicklungen, Konflikte und Spaltungen traten in der NPA in gesteigerter Geschwindigkeit auf. Alle Debatten über Programm und Prinzipien, die die Führung wegschob, um die Einheit der Partei nicht zu gefährden, kehrten binnen kurzem wie ein Bumerang zurück und demoralisierten und spalteten die Partei.

Dies zeigt sich am klarsten bei der Kandidatenwahl. Ilham Mussaid, die das islamische Kopftuch trug, musste erleben, dass ihr in der Partei vom rechten bis zum linken Flügel ein missverstandener Säkularismus entgegenschlug, der vom bürgerlichen Antiklerikalismus beherrscht ist. Natürlich soll der Staat keine religiösen Zeremonien oder Schaustellung von Symbolen an Schulen und öffentlichen Gebäuden erlauben. Da ist Frankreich aus republikanischer Tradition fortschrittlicher als Deutschland (z.B. Bayern). Aber der Gebrauch durch Einzelpersonen, gerade, wenn sie einer Minderheit angehören, die sich rassistischer Verfolgung ausgesetzt sieht, ist etwas anderes. Ihnen Bekeidungsvorschriften zu machen oder sie private Religionsschulen besuchen zu lassen, ist ein reaktionärer Standpunkt.

Auch feministische Argumente führen in die Sackgasse. Zwar ist das Kopftuch ein Ausdruck für Frauenunterdrückung und SozialistInnen müssen gegen das zwangsweise Tragen dieses Kleidungsstücks eintreten, aber dem bürgerlichen Staat sind deren freiwillige TrägerInnen ein Dorn im Auge. Eine revolutionäre Partei darf diese beiden unterschiedlichen Ausgangspunkte nicht verwechseln. Nach einer hitzigen internen Diskussion hat die NPA schließlich doch die Kandidatin mit dem Hidschab unterstützt.

Dann kamen die ersten Wahlkämpfe und die Konfrontation mit dem Reformismus. Es ist bezeichnend, dass die NPA bis heute keine klar durchdachte Haltung gegenüber dem Reformismus einnimmt. Ihre einzige Grundlage ist eine pragmatische Position, die zum Dogma erhoben wird:Wir unterstützen nicht die Sozialistische Partei PS oder koalieren mit Parteien, die sich nicht von einer Unterstützung der PS distanzieren“. Als Absichtserklärung, dass die NPA gegen die PS antritt und keine Koalitionen zur Verwaltung des bürgerlichen Staats eingehen will, ist dies soweit korrekt. Aber dieser Aufruf verschleiert die Lage, dass es unter Umständen notwendig sein kann, auch völlig prinzipienfest dem PS-Präsidentschaftskandidaten Francois Hollande im zweiten Wahlgang eine kritische Stimme zu geben, wenn die PS es nur noch mit einem Gegenkandidaten der bürgerlichen Rechten, Sarkozy (Sammlung für die Republik) oder LePen (Nationalfront) zu tun bekommt. Millionen französische ArbeiterInnen wählen dann Hollande. Es ist eine historische Schwäche der Linken, dass sie nie Lenins Taktik der kritischen Wahlunterstützung (Wir stützen den Kandidaten „wie der Strick den Gehenkten“) verstanden hat. Ziel dieser Taktik ist die Entlarvung der Reformisten in der Verantwortung. Sie beginnt mit proletarischen Schlüsselforderungen an die PS, die Illusionen zerplatzen lassen und den Kampf gegen Hollande an der Regierung in Schwung bringen können.

Der Ansatz der NPA ist zugleich völlig unzulänglich zur Bekämpfung der linken Spielart des Reformismus a la Mélenchon oder der alten KPF.

Die Unfähigkeit der NPA, eine klare Haltung zum linken wie rechten Reformismus einzunehmen, erklärt auch, warum die Kampagne für Philippe Poutou so flügellahm ist. Es gab einen Vorschlag, Propagandamaterial gegen Mélenchon zusammen zu stellen, aber die Führung boykottierte ihn. Poutou wird ziemlich allein gelassen bei seinen Medienauftritten. Gelegentlich greift die NPA Mélenchon als möglichen Verbündeten der PS an, dann wieder wird erklärt, dass er nicht eigentlich der Feind sei, auch wenn er auf Kosten der NPA ein gutes Ergebnis erzielt.

Die Wahlkampagne der NPA

Poutous offizielle Internetseite zeigt diesen Widerspruch in einer Reihe von Fragen und Antworten (Wie soll unser Programm umgesetzt werden).

Poutous Perspektive ist zwar nicht elektoralistisch, aber äußerst unklar in der Frage, wie Sarkozy weggejagt werden kann, denn ein Wahl Hollandes seinicht effektiv’, zumal dieser dieselbe Politik machen würde wie Sarkozy. Poutou meint, wir bräuchten eine breite soziale Bewegung, die eine Arbeiterregierung errichtet.

Nicht mit dem Stimmzettel werden die realen Probleme gelöst, das wissen wir seit langem. Eine Arbeiterregierung wird nicht das Tageslicht sehen, es sei denn, es gäbe starke Mobilisierungen, es sei denn, Arbeiter und junge Leute mobilisieren und organisieren sich selber: eine Regierung wird nur nützlich sein, wenn sie auf den Arbeitermobilisationen basiert, ohne diese wird sie nicht in der Lage sein, irgendetwas zu tun, oder schlimmer: sie würde uns verraten wie traditionelle Linke dies immer in der Vergangenheit getan haben.“

Hier wird nichts Konkretes ausgesagt, keine Rede von Generalstreik, der Notwendigkeit, Aktionsräte, Zusammenschlüsse, Versammlungen auf Betriebsebene zu formen, noch wird Bezug genommen auf die Erfahrungen der zwei, drei großen gesellschaftlichen Bewegungen der vergangenen 5-6 Jahre. V. a. wird nicht erwähnt, dass sie allesamt von den Gewerkschaftsführern ausverkauft und in die Niederlage geführt worden sind. Auch die Linke außerhalb der PS (KPF und Linkspartei) haben keine Führung in der kritischen Phase angeboten, sondern die Gewerkschaftsspitze unterstützt. Man könnte denken, das einzige Problem der französischen Arbeiterbewegung bestünde in der PS und der rechten Politik der Regierung.

Da es keine konkrete Perspektive einer revolutionären Erhebung mit arbeiterdemokratisch aufgebauten Kampforganen gibt, bleibt die Frage, was die NPA denn an der Regierung täte, ähnlich unbestimmt.

Aber wer wäre in dieser Regierung? Seid ihr bereit mit anderen zusammen zu arbeiten oder zu regieren?

Für uns aber muss das Programm und wie es umgesetzt werden soll an erster Stelle stehen. Schuldenstreichung, Entlassungsstopps, Lohnerhöhung, Reichenbesteuerung gehören natürlich zu unseren Zielen. Aber an der Regierung wäre die Verbindung mit der PS ein Verrat an den eigenen Zielen und den Bedürfnissen der Bevölkerung. Brecht mit der PS und ihren Institutionen, verlasst euch auf die Mobilisationen.“

So scheint die NPA zu glauben, wenn Hollande oder Mélenchon diese kämpferischen, aber reformistischen Maßnahmen (zumal sie weder einzeln noch im Verbund die Existenz des Kapitalismus in Frage stellen, obwohl die Kapitalisten sie kaum begrüßen dürften) durchführen würden, dann wäre Poutou bereit, einer parlamentarischen Regierung im Rahmen des kapitalistischen Staats beizutreten, und sich dabei aufMobilisierungen’ zu verlassen. Übergangsforderungen, die die Logik des Profitsystems brechen, die den Aufbau von Arbeiterräten, von Milizen in die Wege leiten und die Zerschlagung des Repressionsapparats des kapitalistischen Staates unmissverständlich betonen, spielen hier ebenso wenig eine Rolle wie die Enteignung der Banken und Großkonzerne, geschweige denn die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Revolution.

Fraktionskampf in der NPA

Bei den ersten Schwierigkeiten von inneren Auseinandersetzungen implodierte das NPA-Zentrum. Auf dem letzten Kongress tat sich das Zentrum (Position 1) mit dem rechten Flügel (Position 3) auf einer reformistisch orientierten Plattform zusammen.

Wenige Monate später spaltete sich das Zentrum und hinterließ ein Chaos auf der Führungsebene. Position 1a (ein Teil von Position 1 um Yvan Le Maitre und Alain Krivine) formierte ihrerseits einen Block mit den Linken und hievte Philippe Poutou in den Kandidatenstatus für das Präsidentenamt.

Die Linke, selbst ein zusammengewürfelter Block von über 4 verschiedenen Gruppen, akzeptierte dies willig, tat aber nichts, um ein klares Dokument als Plattform für den Poutou-Wahlkampf zu produzieren. Dies lehnt sich an die Tradition von Lutte Ouvriere an (ArbeiterstimmeVoix des Travailleurs“, die sich Ende der 1990er von LO abspaltete). Bei Wahlen treten sie auch mit wenigen Sofortforderungen an, garniert mit abstrakter Propaganda für den Sozialismus.

Seither war die NPA gelähmt, da jedes Dokument und jeder Beschluss seitens der Führung mühselig mit diversen Figuren der Position 1 ausgehandelt werden musste. Daher wurde auch keine kraftvolle Kampagne für die Streichung von Schulden geführt. Position 2 versprach, diese Kampagne vorzubereiten, machte dann wiederum ein weiteres Zugeständnis ans Zentrum und akzeptierte die Attac-Losung für eineExpertenuntersuchung und Aussetzung der Zahlung’. Wie dieser Slogan die Massen ansprechen soll, bleibt unergründlich. Er eignet sich für eine Aufklärungskampagne mit einer Expertenrunde, Ökonomieprofessoren, öffentlichen Vorträgen usw. Das ist ein kraftloser Ansatz einer politischen Strategie für eine künftige reformistische Regierung und hat nicht das Geringste mit einer kämpferischen Perspektive für eine Arbeitermassenaktion zu schaffen. Es passt gut für Attac, aber niemals für eine revolutionäre Partei.

Zweifellos ist eine Phase von Spannungen, internen Konflikten, krisenhafter Fahnenflucht und Spaltungen in der NPA entbrannt. Die GA hat die Lage in einer Analyse vom 12.2.12 wie folgt beschrieben:Wir brauchen einen linken Antikrisenblock auf den Straßen wie an den Wahlurnen, einen Präsidentschaftskandidaten, der in enger Verbindung mit der Selbsttätigkeit der Massen, ein Programm zum Bruch mit dem Kapitalismus verbündet und umsetzt.“ Dieser Block soll ein Spektrum der äußersten Linken bis zuantineoliberalen’ Linksreformisten aufweisen. Die GA schlägt vor, die als nutzlos und schädlich eingeschätzte Poutou-Kampagne sofort aufzugeben und unverzüglich eineoffene Schlacht um die Einheit’ aufzunehmen. Sie wollen dies als NPA, notfalls auch allein durchziehen. Ihr Hauptziel ist die Aufstellung von Kandidaten der linken Einheit, nicht der NPA, für die Parlamentswahlen im Juni. Damit würde die GA-Fraktion den Beschluss der eigenen Partei, nicht im Bündnis mit der Linksfront anzutreten, offen missachten und wollen, dass die NPA-Mitgliedergleich auf lokaler Ebene in dieser Richtung tätig werden“.

Das ist natürlich eine Perspektive der Abspaltung, wenn die NPA diesem Kurs nicht folgen sollte. In Ortsgruppendiskussionen offenbart sich dies noch deutlicher. Es finden dort bereits Separattreffen unter dem TitelLebt die NPA noch?’,Ist das politische Projekt der NPA gestorben?’ oder ‚Ist die NPA durch einen Notkongress noch reformierbar?’ zur Vorbereitung dieser Wende statt. Auf einer Zusammenkunft der GA am 17./18.3 könnten diese Fragen bereits geklärt werden und eine Abspaltung bevorstehen. Der GA gehören 500 Mitglieder an.

Möglicherweise wird der Bruch schon an dem Wochenende vollzogen, oder es wird der Zeitpunkt der vermutlichen Wahlschlappe für die NPA abgewartet, und dann wird die von Gauche Unitaire und Convergences et Alternatives lancierte Wende durch Übertritt des rechten NPA-Flügels zur Linksfront manifestiert.

Schon jetzt hat die französische Sektion der CWI (Komitee für eine Arbeiterinternationale (deutsche Sektion SAV)), die sich Revolutionäre Linke nennt, die Partei verlassen. Ursprünglich war sie Teil der linken Plattform und der nationalen Leitung der NPA. Ihr Abgang verlief auf die denkbar unrühmlichste Art und Weise als plötzliche Fahnenflucht, ohne einen ernsthaften Kampf um die Orientierung der NPA und ihre Kampagne geführt zu haben.

Wohin steuert die NPA?

Die derzeitige Schwäche und Desorientierung der Linken stellt eine große Gefahr dar, und eine beschränkt handlungsfähige und nach rechts rückende NPA wäre ein herber Rückschlag auch für die Massen.

Anzeichen von Resignation machen sich in Poutous Presseerklärungen bemerkbar:Wir verteidigen die Idee, dass wir kämpfen müssen, aber die Menschen glauben nicht mehr daran, selbst wenn sie unsere Gedanken teilen.“ Zwar wird Poutou mehr Stimmen erhalten, als es die gegenwärtigen Prognosen unter 1% besagen, andererseits ist ein Ergebnis zwischen 4 und 5% wie für Olivier Besancenot schwer vorstellbar.

Nach den Präsidentschafts- werden die Parlamentswahlen wahrscheinlich nach dem selben Muster ablaufen. Das wäre halb so schlimm, wenn die NPA-Führung nicht so besessen wäre von der Idee eines Wahlerfolgs als einzigem Motor für den Parteiaufbau und der Mitgliedschaft nicht mit dem parlamentarischen Kretinismus die Hirne vernebelt hätte.

Die demoralisierende Wirkung wäre für eine auf bürgerliche Wahlen fixierte NPA fast sicher verheerend, selbst ohne Abspaltung. Trotz all jener Einschränkungen und Fehlschläge bleibt die NPA aber im Augenblick ein Sammelpunkt für viele der besten AktivistInnen. Sie könnte immer noch eine zentrale Kraft im Widerstand gegen die kapitalistische Sparpolitik Sarkozys oder Hollandes bilden.

Aber um diese Antriebskraft auszustrahlen, muss die Partei sich praktisch umgestalten. Sie muss ihre elektoralistischen und syndikalistischen Irrtümer erkennen und in Gewerkschaften, Betrieben, an Schulen und Universitäten ein Aktionsprogramm gegen die bürgerlichen Sparmaßnahmen auf Schiene setzen. Die NPA muss grundsätzlich mit der Praxis der strengen Scheidung von Politik (Wahlen und Demonstrationen) und dem reinen Gewerkschaftlertum brechen.

Trotz der regen Teilnahme von NPA-Mitgliedern an allen Streiks und Aktionstagen und trotz Besancenots klarer Ablehnung gegen die Anmutung der Gewerkschaft CFDT 2010, sich aus den Streikpostenketten herauszuhalten, begreift die Partei nicht, dass sie strategisch an allen Fronten und in allen Sektoren des Klassenkampfes tätig sein muss.

Wahlen dürfen nicht in Jagd nach Stimmen auf einem Minimalprogramm ausarten, sondern müssen als Tribüne des Klassenkampfes dienen, von der aus eine revolutionäre Strategie künftiger Kämpfe verkündet wird, gleich wie die Wahlen ausgehen. Die gesellschaftlichen Bewegungen und Aktionstage dürfen nicht den GewerkschaftsführerInnen überlassen bleiben, die sie immer wieder nur ausverkaufen. Die NPA muss laut und mutig vor deren Verrat warnen, die demokratische Kontrolle von unten organisieren, gegen jeden Ausverkauf auftreten und die besten militanten Elemente für die Partei rekrutieren.

Die NPA ist nun davon bedroht, selbst Opfer eines zwischen Reform und Revolution schwankenden Kurses der LCR-Führer zu werden. Die inneren Widersprüche der Partei, die auf einen verrotteten zentristischen Konsens zurück gehen, reißen das positive fortschrittliche Potenzial der NPA herunter und drohen es zu zerstören. Jenes Potenzial zeigte sich, als sie tausende von militanten ArbeiterInnen anzog. Die NPA befindet sich nun im Niedergang und in Verwirrung. Der Kampf um ihre Zukunft ist aber noch nicht entschieden. Darum rufen wir nicht nur zur Stimmabgabe für Philippe Poutou auf, sondern v.a. für das Ringen um ein revolutionäres Programm gegen Reformismus und Zentrismus in den Reihen der NPA.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel von:

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 610
12. März 2012

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