„Modell Deutschland“ – unter Helmut
Schmidt dereinst ein politischer Werbeslogan in der BRD, der
durch Linke heftig kritisiert wurde – lautet für einen Teil
der politischen Elite Frankreichs offenkundig die Devise.
Eingekeilt zwischen der vermeintlich krisenfesten Ökonomie
des deutschen Exportweltmeisters einerseits und den
südeuropäischen „Krisenländern“ und „Schuldenstaaten“
andererseits, orientiert die aktuelle Regierung voll auf die
Annäherung an das vermeintliche „Modell“ östlich des Rheins.
Allerdings unter gesamtwirtschaftlichen Voraussetzungen, die
höchst ungleich ausfallen.
Dies ist inzwischen vielerorts Anlass für Satire. Ungefähr
so wie bei der beliebten Polit-Puppensendung Les Guignols
de l’info des Privatfernsehsenders Canal +, die für
ihren sarkastischen Charakter bekannt ist. Am 06. März 12
ging die wichtigste Pointe der Sendung so: Kommt ein Mann
zum Paradiestor und stellt sich bei „Petrus“, dem legendären
Türwächter, vor. Petrus fragt ihn, ob der Deutsch spreche.
Dies wird von dem Mann bejaht. Daraufhin wird er ins
Paradies eingelassen – und dieses stellt sich als eine
Abwandlung des Oktoberfests mit Bier und Würstel sowie
tanzenden Menschen in Lederhosen bei deutschsprachiger
Schunkelmusik heraus. Eine Stimme kommentiert dazu, im
Anblick deutscher Wachstumsraten und Wirtschaftsdaten habe
man sich „aus Rationalitätsgründen dafür entschieden, das
Paradies gleich hierher zu verlagern.“ Noch ein anderer
Mann kommt ans Tor. Auf die Frage, ob er Deutsch spreche,
antwortet er: „Nein, ich hatte Spanisch als erste
Fremdsprache.“ Daraufhin wird er in die benachbarte Hölle
eingewiesen.
Die bittere Wirklichkeit ist weniger amüsant als die Satire.
Vor allem von den negativsten Seiten des „Modells BRD“ lässt
sich die aktuelle politische Führung Frankreichs
inspirieren. Etwa betreffend die Sanktionen für Erwerbslose,
die es in ihrer Vorstellung wagen, so genannte „zumutbare
Arbeitsangebote“ auszuschlagen. Bislang existierte diese
Möglichkeit zwar auch im französischen Sozialrecht, doch
blieb sie im Gesetz vage formuliert und fand in der Praxis
in den letzten Jahren so gut wie keine Anwendung.
Theoretisch ist es seit einigen Jahren möglich, eine/e
Arbeitslose/n für eine Dauer von i.d.R. zwei Monaten aus der
Statistik zu entfern – und ihm oder ihr die Bezüge zu
streichen -, wenn diese Person „dem Arbeitsmarkt nicht zur
Verfügung steht“. Dies soll sich an mangelndem Eifer bei der
Jobsuche oder an der Ablehnung entsprechender „vernünftiger
Angebote“ (une offre raisonnable d’emploi)
ablesen lassen. Seit dem Kriseneinbruch 2007/08 haben die
französischen Arbeitsvermittler jedoch ohnehin kaum
Jobangebote zu unterbreiten, die Regel blieb deswegen in der
Praxis weitgehend unbeachtet.
Dies soll sich laut Präsident Nicolas
Sarkozy, Kandidat für seine eigene Nachfolge, jedoch ändern.
Am 11. Februar 12 kündigte er seine erneute
Präsidentschaftsbewerbung erstmals an, durch ein Interview
mit dem konservativ-reaktionären Wochenmagazin Le
Figaro Magazine. Darin spricht er sich für das
vermehrte Durchführen von Volksabstimmungen in der Amtszeit
des nächsten Staatsoberhaupts aus. Sollte er dieser neu-alte
Präsident sein, so schlägt er auch gleich zwei Themen für
Referenden vor: einmal soll über verschärfte Sanktionen für
Erwerbslose, die „Angebote“ von den Arbeitsvermittlern
ablehnen, abgestimmt werden. Und da es aber auch dann
voraussichtlich wenig Jobvorschläge geben könnte, will
Sarkozy die Arbeitslosen in dem Fall einfach mit
„Fortbildungsangeboten“ belästigen. Lehnen die damit
behelligten Erwerbslosen solche „Weiterbildungsmaßnahmen“
ab, dann sollen sie ebenfalls reif für allfällige Sanktionen
sein. Und das zweite Abstimmungsthema soll vermehrte
Abschiebungen von „illegalen“ Einwanderern zum Gegenstand
haben. Neu ist, dass in einer „traditionsreichen“
bürgerlichen Demokratie ernsthaft vorgeschlagen wird,
demographische Mehrheiten über mehr oder minder
existenzielle Rechtspositionen von – ihnen sozusagen
ausgelieferte – Minderheiten abstimmen zu lassen und diese
einer einfachen Abstimmungsmehrheit zur Disposition zu
stellen.
Ansonsten hat Sarkozy noch weitere
„tolle“ Vorschläge auf Lager. Einer davon wurde in der Nacht
vom 28. und 29. Februar 12 bereits im Schnelldurchlauf durch
die französische Nationalversammlung angenommen, kurz bevor
das bisherige Parlament am 06. März 12 zu seiner letzten
Sitzung zusammentrat – danach wurde es aufgelöst und wird im
Juni neu gewählt werden. Gegenstand des Beschlusses ist eine
Erhöhung der allgemeinen Mehrwertsteuer (von bislang 19,6 %
auf 21,2 %), welche angeblich das inländische Wachstum
ankurbeln soll. Dahinter steht der Plan, einen Teil der
Sozialabgaben der so genannten Arbeitgeber alias
„Lohnnebenkosten“ auf die Verbrauchsbesteuerung – und damit
die ungerechteste Besteuerung überhaupt, da die
Konsumsteuern in keinerlei proportionalem Verhältnis zum
Einkommen stehen – umzuwälzen. Dies soll in Frankreich
„Arbeit verbilligen“ und zugleich Importprodukte verteuern.
Dadurch, so die Behauptung, würden angeblich inländische
Unternehmen zusätzliche Markanteile zu Lasten von
ausländischen gewinnen können. (Sollte allerdings François
Hollande zum künftigen französischen Präsidenten gewählt
werden, dann möchte er die Entscheidung zugunsten der so
genannten „sozialen Mehrwertsteuer“ oder ,TVA sociale‘
rückgängig machen.)
Den Beschluss dazu hatte Präsident Sarkozy erst einen Monat
zuvor, am 29. Januar 12, im Parlament angekündigt. Eine
zweite Weichenstellung kündigte er am selben Tag an, sie
könnte aber erst nach den anstehenden Präsidentschafts- und
Parlamentswahlen spruchreif werden. Dann möchte Sarkozy,
sofern er seine Androhung wahrmacht, so genannte „Abkommen
für Wettbewerbsfähigkeit“ (accords de compétivité)
in den Unternehmen gesetzlich ermöglichen. Hinter dem
Begriff steht nichts anders als die Vorstellung,
Betriebsvereinbarungen – wie man es in Deutschland nennen
würde – zwischen Arbeitgebern und einzelnen Gewerkschaften
sollten in Krisenzeiten auch Lohnsenkungen beinhalten
können. Oder aber zeitweilige Erhöhungen der Arbeitszeit
gegenüber der gesetzlichen Norm (35 Stunden im wöchentlichen
Durchschnitt, wobei Schwankungen zwischen kürzen und
längeren Arbeitswochen über das Jahr hinweg ohnehin bereits
zulässig sind), ohne Lohnausgleich. Zu diesem Zweck soll das
betriebliche Abkommen auch den individuellen Arbeitsvertrag,
den Lohn betreffend, oder das Gesetz (bezüglich der
Arbeitszeit) abändern respektive sich über diese bislang als
„zwingend“ geltenden Normen hinwegsetzen können. Bis heute
wäre dies strikt gesetzeswidrig. Die Mehrzahl der
französischen Gewerkschaften möchte davon erklärtermaßen
nichts wissen. Allerdings schlug ein Spitzenvertreter der
CFDT – des rechtssozialdemokratisch beeinflussten,
zweitstärksten Dachverbands französischer Gewerkschaften
(hinter der „postkommunistischen“ CGT) – da in Libération
vom 31. Januar 12 bereits andere Töne an.
Dort erklärte er sich zwar empört über
die kurze Frist, die Sarkozy den so genannten Sozialpartnern
gegeben habe – er ließ ihnen am 29. Januar d.J. zwei Monate
Zeit, um sich auf zentraler Ebene über die Modalitäten
solcher Produktivitätspakte in den Unternehmen zu
verständigen, ansonsten werde der Gesetzgeber eingreifen -,
und wandte sich dagegen, dass den Gewerkschaften solcherart
die Pistole auf die Brust gesetzt werde. Doch in der Sache
erklärte Marcel Grignard im Namen der CFDT, dass man
durchaus gesprächsbereit sei, um über betriebliche
Vereinbarungen zur Krisenbewältigung mit sich reden zu
lassen.
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