Wirtschaftswissenschaft als herrschaftssichernde Ideologie
Thesen zum Verhältnis von Herrschaft und Ökonomie


von Christian Girschner

03/12

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Auch die Philosophen verraten schließlich immer, in wessen Dienste sie stehen.“
Paul Nizan[1]

1. Aufgrund der anhaltenden Weltwirtschaftskrise wird der Realitätsgehalt der Wirtschaftswissenschaft hinterfragt. So liest man beispielsweise: „Ein ganzer Berufsstand, die Ökonomen, sieht sich heute blamiert.“[2] Der „Ruf“ der Ökonomen, schreibt man im Internetmagazin Gegenblende vom DGB, „ist ramponiert. (…) Die Volkswirtschaft steht seit der Krise ziemlich nackt da. (…) Selbst der Wirtschaftspresse platzt inzwischen mitunter der Kragen.“[3] Denn, so bemerkt der Wirtschaftsjournalist Wolf, die „neoklassische Wirtschaftswissenschaft der letzten vierzig Jahre (hat) (…) die Krise weder vorhergesehen noch konnte sie etwas zu ihrer Bewältigung“ beitragen.[4] Der Ökonom Orléan gibt im Deutschlandfunk zu bedenken: „Ich denke, die meisten Volkswirtschaftler sind heute bereit, das Versagen ihrer Disziplin anzuerkennen. Uneinigkeit gibt es über die Frage: Wie muss sich die Theorie ändern? (…). Viele Wissenschaftler an den Universitäten und in der Forschung wollen am bestehenden Theoriegebäude der Neoklassik festhalten. (…) Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz ist der prominenteste dieser Fraktion.“ Es würde in Frankreich, Deutschland und den USA eine Mehrheit von Ökonomen geben, die glaubt, „dass man im Prinzip das neoklassische Standardmodell retten kann.“[5] Insoweit war die Behauptung eines kritischen Ökonomen etwas voreilig, als er formulierte: „Die globale Wirtschaftskrise stellt nicht nur das materielle, sondern auch das methodische Fundament der Volkswirtschaft radikal in Frage.“[6]

Letzteres wird vermutlich nicht eintreten, weil die vorgebrachte Kritik an der Wirtschaftswissenschaft in der Regel oberflächlich und geschichtslos ist. Geschichtsvergessen ist diese Kritik, da hier nur ansatzweise wiederholt wird, was seit etlichen Jahrzehnten gegen die Wirtschaftswissenschaft vorgebracht wurde. Bislang hat sich die neoklassische Wirtschaftswissenschaft gegen jede prinzipielle Kritik erfolgreich immunisiert. In der Physik oder in anderen naturwissenschaftlichen Bereichen wäre eine solche Art von akademischer Gaunerei wohl kaum über einen so langen Zeitraum möglich. Diese Ignoranz der Ökonomen gegenüber der vorgetragenen Kritik an den Grundlagen ihres Faches bedingt eine unverbesserliche Dogmatik und ist in dieser Gestalt wohl auch nur im sozialwissenschaftlichen Milieu möglich. Man betreibt eine in sich abgeschlossene Weltanschauung, eine „Pseudo-Wissenschaft“ (R. Kanth): „Was derzeit als >Wirtschaftswissenschaft< durchgeht, ist so vielen vernichtenden Kritiken unterzogen worden und hat so wenig Bezug zur Realität, dass sich mit ihr überhaupt zu beschäftigen ebenso anachronistisch und unergiebig erscheinen mag, wie auf tote Gäule einzudreschen.“ [7] Die derzeit vorgetragenen kritischen Äußerungen über die Ökonomenzunft bieten also keine neuen Erkenntnisse. Zudem wurde bislang nach jeder größeren Krise der kapitalistischen Ökonomie die Erklärungskraft bzw. Realitätstauglichkeit der Wirtschaftswissenschaft von einigen Experten und Wirtschaftsjournalisten in Zweifel gezogen. Aber diese Kritik hielt nie lange an und führte beileibe nicht zu irgendwelchen ernsthaften Konsequenzen. Die Mainstream-Ökonomen lassen sich dadurch nicht beeindrucken. Wie kommt es, dass die Wirtschaftswissenschaft die vorgebrachte Kritik durchgehend ignoriert?

2. Oberflächlich bleibt die aktuelle Kritik, weil sie innerhalb des von der Wirtschaftswissenschaft selbst vorgegeben Denkrahmens verbleibt, man verwirft diesen nicht, sondern man kritisiert nur einige darin enthaltene Aspekte. Die Kritiker wollen die Wirtschaftswissenschaft als Wissenschaft erhalten. Sie wollen den Nimbus und die Autorität der Wissenschaftlichkeit ihres Faches nicht aufgeben, sondern fortführen. Im Internetmagazin Spiegelfechter heißt es beispielsweise: „Nun ist es nicht so, dass diese neoklassische Theorie keinerlei Relevanz hätte. Immerhin lässt sich mit ihr herleiten, unter welchen Bedingungen Märkte effizient sein können. Problematisch wird es aber spätestens dann, wenn man die Marktgesetze für universell gültig erklärt, wenn man Monokulturen züchtet, sich der Blick auf eine Denkrichtung verengt.“[8] Ähnliche kritische Aussagen, die auf halbem Wege stehen bleiben, weil man sich vor der neoklassischen Theorie weiter verbeugt, kann man augenblicklich öfters lesen. Aber warum wollen diese Kritiker die neoklassische Ökonomie nie als unsinnige >Theorie< und Pseudo-Wissenschaft verwerfen?

Und die häufig angeführte Klage, dass die Neoklassik kein >Marktversagen< kennt, ist keine bahnbrechende, sondern eine irreführende und verkehrte Kritik, weil man damit die von den neoklassischen Ökonomen willkürlich unterstellte Zwecksetzung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung teilt, die in der Befriedigung von Bedürfnissen und daher in der Überwindung >knapper Güter< liegen soll. Deshalb beklagt man nur noch den nicht eingetretenen, aber postulierten ökonomischen Erfolg des Marktes, statt den von den Ökonomen der kapitalistischen Ökonomie untergeschobenen Zweck als Unsinn zu verwerfen. Schließlich wird mit dieser ahistorischen Bestimmung des >Wirtschaftens< das kapitalistische Herrschafts- und Produktionsverhältnis völlig auf den Kopf gestellt, genauer gesagt: aus der Welt eskamotiert. Dass dieser auf der Hand liegende Sachverhalt relativ selten von Ökonomen und Journalisten anerkannt und thematisiert wird, belegt, in welchem großen Ausmaß die neoklassische Indoktrination das Bewusstsein der akademischen (Wissens-)Klasse prägt und bestimmt, die ja vor allem in den für die Machtelite entscheidenden, herrschaftssichernden und meinungsbildenden Leitungs-, Autoritäts- und Aufsichtsfunktionen arbeitet. Für diese Herrschaftstätigkeit erhält die Wissensklasse materielle Privilegien, einen besonderen sozialen Status und Prestige. [9] Wer sich jedoch nicht an den von der herrschenden Machtelite vorgegebenen ideologischen Argumentations- und Denkrahmen hält, der eine bestimmte Bandbreite von Meinungen absteckt, damit seinen ideologischen Gehorsam aufkündigt, statt diesen antizipierend zu verinnerlichen bzw. zu versubjektivieren[10], wird mehr oder minder, mal früher oder später institutionell und beruflich aussortiert. Den Rest erledigt dann in der Regel der Arbeitsmarkt. Diese mehr oder minder unsichtbare Fabrikation von Konsens ist, da sie ohne staatliche Zensur und offene Gewalt erfolgt, daher sehr wirkungsvoll[11] und erweckt darüber hinaus das herrschaftssichernde Trugbild, dass die Volkswirtschaftslehre nur ein Resultat des unabhängigen wissenschaftlichen Arbeitens und Forschens wäre [12] .

3. Es ist deshalb richtig, davon zu sprechen, dass die dominierende Wirtschaftslehre nichts anderes als eine im wissenschaftlichen Gewand auftretende herrschaftssichernde Ideologie ist, die an den Universitäten von den professoralen Polit-Kommissaren der Ökonomie, welche die Reinheit und Monopolstellung ihrer ökonomischen Lehre überwachen und durchsetzen, in „katechismusartige(r) Aufbereitung“ praktiziert wird: „Sie wird an 90 Prozent der Universitäten in 90 Prozent der Lehrveranstaltungen gelehrt.“ Und sie „steht für den festen und unverrückbaren Glauben an die Fähigkeit der sich selbst regulierenden Märkte ohne staatliche Intervention.“ [13]

In der Tat ist die herrschaftssichernde ideologische Indoktrination der Studierenden sehr erfolgreich, weil man ihnen das wissenschaftliche Denken und Urteilen gründlich austreibt: „Die Studenten, die in neoklassischer Denkweise unterwiesen worden sind, zeigen in aller Regel alsbald Wirkung. Zu Anfang ihres Studiums, so haben diverse Untersuchungen und Befragungen unter Studenten der Wirtschaftswissenschaften an US-amerikanischen Universitäten gezeigt, interessieren sich die Studenten noch stark für reale ökonomische Probleme und deren mögliche Lösungen. Während der ersten zwei Jahre ihres Studiums, also dank ihres >Trainings< in neoklassischer Denkweise, wird ihnen dieses Interesse gründlich ausgetrieben. Am Ende glauben 68% und mehr, dass empirische Kenntnisse der realen ökonomischen Welt völlig irrelevant seien, um als Ökonom zu reüssieren“. [14] Die Studenten lernen vor allem eines, das unkritische Nachbeten des abstrakten Modelldenkens, welches ihnen die Ökonomen vorsetzen. Grundlegende empirische Tatsachen und Zusammenhänge über die Funktionsweise der kapitalistischen Ökonomie gilt es nicht mehr im Studium zu erarbeiten, vielmehr wird die unkritische Übernahme von a priori gesetzten Annahmen und Prinzipien des - von den Ökonomen zusammengeschusterten - ökonomischen Modells gepredigt[15]. Alle weiteren Aussagen über die Mechanismen >der Ökonomie< werden anschließend durch logische Deduktionen bzw. Ableitungen aus diesem markttheoretischen Modell >gewonnen<, welches die angeblich zeitlosen und reinen ökonomischen Gesetze des Wirtschaftens beinhaltet[16].

Diese Verfahrensweise abstrahiert prinzipiell von allen kulturellen, sozialen, herrschaftlichen und politischen Bedingungen und Fesseln [17]. Zudem sind die ökonomischen Aussagen stets von tautologischer Natur, da sich die Ergebnisse bereits in den a priori gesetzten Voraussetzungen befinden.[18] In der Wirtschaftswissenschaft wird also nicht die herrschaftsstrukturierende kapitalistische Produktionsweise untersucht: Denn der Zweck des >Wirtschaftens< wird von vornherein in der Befriedigung von Bedürfnissen und damit in der Überwindung der >Knappheit< von >Gütern< bestimmt. So wird zum Beispiel die Funktionsweise des Arbeitsmarktes aus diesem ahistorischen Reißbrettmodell des >Wirtschaftens< logisch deduziert. Es versteht sich von selbst, dass man hierbei auf die Berücksichtigung historischer wie soziologischer Erkenntnisse und Erklärungen verzichtet. Dadurch verschwinden - wie durch Geisterhand - die existierenden Herrschafts-, Abhängigkeits-, Ausbeutungs- und Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt. Dementsprechend werden massenhaft infantile Aussagen über die Funktionsweise und den Stellenwert des Arbeitsmarktes von den Ökonomen fabriziert und verkündet; man werfe dazu nur ein Blick ins Gutachten des Sachverständigenrates, um zu sehen, was für ein erkenntnisfreies, aber herrschaftssicherndes Geschwätz dabei herauskommt[19].

Allerdings wird von den Ökonomen häufig festgestellt, dass die ökonomische Realität von ihrem angebeteten Modell abweicht. Aber in diesem Fall ist für die Ökonomen nicht ihre Modellbastelei verkehrt oder fehlerhaft, sondern die zutage getretene Diskrepanz wird aus dem falschen Verhalten der >uneinsichtigen<, >maßlosen bzw. gierigen< und >faulen< Lohnabhängigen und aus der Existenz des >Wohlfahrtsstaates< erklärt, weil sie den >unfehlbaren< Marktmechanismus untergraben, aushöhlen und damit unwirksam machen. Mit diesem albernen Kniff befreit sich die neoklassische Ökonomie von jeder empirischen Kontrolle: Man hat sich so gegenüber der ökonomischen und sozialen Wirklichkeit erfolgreich immunisiert. Folgerichtig hat sich die soziale Realität in den Augen der Ökonomen dem frei erfundenen, ewig krisenfreien und Güter vermehrenden Marktmodell anzupassen und zu unterwerfen.

Von dieser >erhabenen< Warte heraus erklären sich die Ökonomen zu allmächtigen Experten, die wissen, was die Politik im Namen der ökonomischen Vernunft und des Allgemeinwohls rigoros – vor allem gegenüber den Interessen der Lohnabhängigen - umzusetzen hat. Dies ist zugleich die heilige Mission des Ökonomen in den Medien geworden: Er tadelt, er warnt beständig und hilft mit Ratschlägen seine ökonomisch unmündigen Mitmenschen, die ihr Geschick, wie kleine Kinder, einfach nicht in die eigene Hand nehmen können, weil sie nicht nach den strengen Gesetzen des >Marktes< leben.

Mit der skizzierten empiriefreien Methodik der Ökonomen entfällt selbstverständlich jede historische Spezifik und soziale Form- und Herrschaftsbestimmung der kapitalistischen Ökonomie. Infolge dieser enthistorisierten, naturalisierten und ungesellschaftlichen Bestimmung des Wirtschaftens wird die kapitalistische Ökonomie nicht nur theoretisch weggezaubert, sondern vielmehr in einen vorkapitalistischen und primitiven Austauschprozess umgelogen: „Indem sie vom Produktionswert der Waren auf den Genusswert von >Gütern< überging, griff sie auf vorgestellte Verhältnisse vorkapitalistischen, ja vorkommerziellen Wirtschaftens zurück. Und diese archaisierende Vorliebe für eine naturale, überzeitliche Allerweltswirtschaft, deren Grundregeln gelegentlich selbst für das Tierreich als gültig postuliert worden sind, ist der Ökonomie seit den Tagen der Grenznutzenlehre geblieben. (…) Diese Tilgung gesellschaftlicher Besonderheit vollzieht sich allerdings auf eigenartige Weise: In die erdachte geschichtslose Wirtschaft als technisches Naturverhältnis gehen unter der Hand wesentliche Seiten der gegebenen unternehmerischen Wirtschaft ein. Grundbedingungen unserer erwerbswirtschaftlichen Ordnung werden damit ins Anthropologische erhöht.“[20] Der aus dieser Modellhuberei entspringende >methodologische Individualismus< - also das nutzenmaximierende Individuum [21] - der Ökonomen beinhaltet die „personalistische Sicht des Wirtschaftslebens, die Verwandlung der von außen gesetzten Bedingungen des ökonomischen Verhaltens der Einzelnen in eine persönliche Verhaltensbereitschaft derselben, (…). Das durch den Marktwettbewerb vereinzelte Wirtschaftssubjekt erscheint als einzig verlässlicher Ausgangspunkt der Wirtschaftslehre und das objektive Gesetz seines Handelns als Gesetz seiner eigenen Natur.“[22] Dies führt dazu, dass die Ökonomen die kapitalistische Ökonomie stets nur aus betriebswirtschaftlicher Sicht betrachten und erklären können. Nebenbei wird das zentrale soziale Verhältnis zwischen den Lohnabhängigen und den Kapitalverwertern, also das sich daraus ergebene Arbeits-, Abhängigkeits-, Ausbeutungs- und Unterwerfungsverhältnis, mit den „sonderbarsten Verrenkungen“ aus der Welt geschafft [23], indem jeder Lohnabhängige kurzerhand zum unternehmerischen Akteur auf dem Markt erklärt wird. Es gibt deshalb keine Klassenunterschiede mehr, geschweige eine Klassen- und Herrschaftsstruktur, sondern nur noch gleichberechtigte bzw. gleichgesetzte nutzenmaximierende Individuen.

So resümierte W. Hofmann schon vor einigen Jahrzehnten über das Elend Wirtschaftswissenschaft: „Dem bisher Entwickelten entspricht schließlich die durchgängige und gründliche Enthistorisierung der ökonomischen Verhältnisse durch die neuere Wirtschaftslehre. Die Welt des Gegebenen hat sich zur Welt des immer Seienden und einzig Möglichen, des einzig Vernünftigen gedehnt.“ [24] Die Wirtschaftswissenschaft ist „heute weder Theorie noch Empirie. Ihre formalen Modelle, in welche grundlegende begriffliche Irrtümer und ideologische Deformationen schon eingegangen sind, schweben als Ausgeburten kreativer Eigenmacht jenseits der Wirklichkeit. (…) Die bloße Sprache des Faches hat eine entfremdende, die Meinung des Einzeldenkers vielfach beirrende, verkehrende, verhexende Macht gewonnen. Auch hierin verrät die Nationalökonomie unserer Tage ihre zwingende, ihre totalitäre Tendenz.“[25]

4. Die neoklassische Theorie wird uns trotz der jüngst vorgebrachten Kritik auch in absehbarer Zeit weiterhin erhalten bleiben. Letzteres liegt vor allem daran, dass die Wirtschaftswissenschaft eine herrschaftssichernde Ideologie ist und im „Klassenkampf als Waffe der Herrschenden“[26] fungiert. Deshalb rechtfertigt die im frühbürgerlichen Zeitalter entstandene Wirtschaftswissenschaft bis heute die kapitalistische Ökonomie als natürliche und überlegene ökonomische Ordnung. Zuerst kämpften die ersten systematisch arbeitenden Ökonomen mit ihrer theoretischen Lobhudelei auf den freien Markt gegen die alten feudalen bzw. agrarischen Kräfte und Verhältnisse. So beinhaltete z. B. am Anfang des 19. Jahrhunderts die Theorie des freien Marktes und Außenhandels von David Ricardo in Großbritannien, der damit zum „Heiligen der Bourgeoisie“ aufstieg, nichts anderes als eine neue gesellschaftliche Diktatur: „Laissez-faire war die Forderung nach Protektion der Profite gegen die Rente und Löhne; es war die Forderung nach Umverteilung der Einkommen zugunsten der industriellen Kapitalisten; es war die Forderung nach Restrukturierung der politischen Ordnung zugunsten einer kapitalistischen Regierung. (…) Laissez-faire (..) kann als Diktatur bezeichnet werden, aber einer besonderen Ordnung: die Industrie über die Agrikultur, die Baumwolle über das Korn, das Industriekapital über jede andere Ordnung, und die Kapitalakkumulation über alle anderen sozialen Prioritäten“ [27] Die von Marx stets gelobte >wissenschaftliche< wie selbstlose >politische Ökonomie< von D. Ricardo war in Wirklichkeit nie was anderes als eine elaborierte Rationalisierung der politischen Interessen der aufsteigenden industriellen Bourgeoisie gegenüber den politikökonomisch vorherrschenden Landlords und den rechtlosen Armen, Arbeitslosen und Arbeitern. Dieser politische Zweck bestimmte durchgehend die Argumentation und theoretische Konstruktion seiner >politischen Ökonomie< - einschließlich seiner dafür entwickelten Arbeitswerttheorie[28].

Nachdem diese erste große ideologische Schlacht praktisch gewonnen und damit die politische wie ökonomische Vorherrschaft des industriellen Bürgertums durchgesetzt war, musste man anschließend die eroberte gesellschaftliche Hegemonie im permanenten Konflikt mit der sich entwickelnden Arbeiterbewegung erhalten und legitimieren. Da gleichzeitig mit der Etablierung und Expansion der kapitalistischen Ökonomie neue politikökonomische Probleme auftraten, die nun kontinuierliche Interventionen und Protektionen des Staates und damit eine Abkehr vom >freien Markt< erforderten, wurde die ökonomische Theorie des Laissez-faire >plötzlich< aufgegeben. Gleichzeitig wurde die >politische Ökonomie< im Hinblick auf die veränderten politikökonomischen Anforderungen umgeschrieben (z. B. John Stuart Mill). Denn sowohl die historische Durchsetzung als auch die Erhaltung und Expansion der kapitalistischen Ökonomie resultiert nicht aus einem automatischen Vollzug höherer Geschichtsgesetze, sondern hängt vom ungewissen Ausgang politischer Kämpfe und Auseinandersetzungen ab. Schließlich trägt die bürgerliche Gesellschaft die „Infragestellung der bestehenden Ordnung“ in sich[29] und bedarf daher – neben anpassungsfähigen politikökonomischen Steuerungsmechanismen - eine ausgefeilte und flexible ökonomische Rechtfertigungslehre, um die Zustimmung der Herrschaftsunterworfenen zu gewinnen und zu sichern.

5. Theoretische Paradigmen in der Wirtschaftswissenschaft steigen und fallen mit den sie erzeugenden sozialen Bedingungen und Kämpfen, sie hängen unmittelbar von dem jeweiligen politischen Kräfteverhältnis ab.[30] Diese Bedingungen verändern sich aufgrund der kapitalistischen Entwicklungsdynamik kontinuierlich, manchmal auch abrupt, entsprechend variieren die ökonomischen Paradigmen und Konflikte in der Wirtschaftswissenschaft. Aber eines bleibt dabei konstant: Hinter den sich wechselnden ökonomischen Paradigmen verstecken sich allezeit besondere politikökonomische und herrschaftssichernde Interessen. Die politikökonomischen Zielsetzungen der hegemonialen Fraktionen der ökonomischen Elite bestimmen dabei den von den Ökonomen zu entwickelnden Inhalt der ökonomischen Theorie. Da dies in der Regel nur konflikthaft zwischen den verschiedenen Fraktionen der Elite vonstattengeht, entspringen aus diesen Auseinandersetzungen stets unterschiedliche wirtschaftliche Konzeptionen und Strategien.

Es ist daher ein Hirngespinst, welches man allerdings in den meisten theoriegeschichtlichen Lehrbüchern der Ökonomie - eine weitere „Abteilung der Pseudo-Wissenschaft“[31] - vorfindet, dass es eine zeitlose, jedoch eine noch nicht völlig bekannte Wahrheit des Wirtschaftens bzw. der ökonomischen Theorie gibt, die aber kontinuierlich durch fleißige und selbstlose Ökonomen entdeckt und freigelegt wird, indem frühere Irrtümer korrigiert und ausgeräumt werden.[32] Es kann demgegenüber nicht genug betont werden, dass die Wirtschaftswissenschaft nicht in einem gesellschaftsfreien Raum schwebt, sondern ein integraler Bestandteil der die Gesellschaft durchziehenden Konflikte, Interessen und Herrschaftsstrategien von Unternehmen und ihren Verbänden ist. Ökonomische Wissenschaft und Ideologie gehören daher nicht zwei verschiedenen Sphären an, vielmehr bilden sie eine unauflösliche Einheit. Schon in den Grundbegriffen der Wirtschaftswissenschaft geht „die ganze ideologische Verbiegung der Wirklichkeit unkontrolliert ein“.[33] Wer dies nicht beachtet, wird in der Beurteilung der unterschiedlichen ökonomischen Paradigmen in einem Sumpf von unerklärlichen und ahistorischen Abstraktionen versinken. [34] Deshalb kann die Vorherrschaft eines ökonomischen Paradigmas nicht durch eine größere Übereinstimmung mit der wirtschaftlichen Realität erklärt werden. Vielmehr begründet sich die Hegemonie eines wirtschaftswissenschaftlichen Paradigmas allein dadurch, dass es die sich durchsetzenden herrschaftlichen und ökonomischen Interessen der sozial und ökonomisch dominierenden Kapitalfraktionen am besten zum Ausdruck bringt und legitimiert.

6. Derzeit ist es die politikökonomische Macht der Finanzaristokratie und international agierender Konzerne, die der neoliberalen bzw. neoklassischen Weltanschauung ihre Vorherrschaft in Politik und Gesellschaft sichert und erhält. Der Neoliberalismus, so führte C. Crouch kürzlich passend aus, beruht „auf dem politischen Einfluss von Großkonzernen und Banken. (...) Heute (…) besteht die Aufgabe nicht darin, den Untergang des Neoliberalismus infolge der von ihm selbst herbeigeführten Krise zu erklären, sondern vielmehr die Tatsache, dass er nach dem Zusammenbruch der Finanzmärkte politisch einflussreicher dasteht denn je. Obwohl die Krise durch das marktwirtschaftliche Agieren der Banken ausgelöst wurde, sucht man ihre Folgen zu bekämpfen, indem man den Sozialstaat stutzt und die Ausgaben der öffentlichen Hand beschneidet.“ [35]

Der angesichts der Weltwirtschaftskrise von vielen erhoffte Untergang des Neoliberalismus erwies sich als Fehleinschätzung. Dies liegt vermutlich daran, dass man die hinter dem Neoliberalismus stehenden politikökonomischen Kapitalfraktionen als nicht wirklich entscheidende Antriebskräfte der marktradikalen Politik angesehen hatte. Vielmehr war man wohl der Auffassung, dass die Politik nur die falsche ökonomische Theorie des Neoliberalismus befolgte und dass sich mit dem >Scheitern< des Marktradikalismus nun wieder eine vernünftigere Wirtschaftspolitik durchsetzen würde. Diese Illusion beruht auf dem Verkennen der herrschaftlichen Grundlagen der ökonomischen Theorie in der bürgerlichen Gesellschaft: „Was die Eliten in Wirtschaft und Politik betreffen“, bemerkt Crouch hierzu, „so werden sie alles ihnen Mögliche tun, um den Neoliberalismus im Allgemeinen und seine finanzmarktgetriebene Form im Besonderen zu erhalten. Dieses System hat ihnen hochgradig Zuwächse an Geld und Macht eingebracht, vor allem im Vergleich zum System der sozialdemokratischen Periode mit seinem auf Umverteilung zielenden Steuern, starken Gewerkschaften und staatlichen Eingriffen in den Markt.“[36].

Die unangefochtene politikökonomische Hegemonie des Neoliberalismus beruht – neben der Schaffung neuer Anlagensphären für das Kapital durch die erfolgten Privatisierungsorgien - aber vor allem darauf, dass es allen Kapitaleigentümern die Wiederherstellung der unternehmerischen Handlungssouveränität und Herrschaft gegenüber den in ihren Augen zu mächtig gewordenen Lohnabhängigen verspricht, indem man u.a. sozialstaatliche Leistungen und Rechte zerstört, den Arbeitsmarkt >flexibilisiert< und >prekarisiert< (Löhne drückt, Arbeitszeit verlängert, Arbeitsbedingungen verschlechtert, Leiharbeit und befristete Arbeitsverträge fördert usw.), Niedriglöhne und Arbeitslosigkeit gezielt als politische Waffen zur Disziplinierung, Verunsicherung und Unterwerfung der Arbeitenden einsetzt[37]: Die „neoliberale Wende (war) von Anfang als ein Projekt angelegt (…), das die alte Klassenmacht wiederherstellen sollte.“ [38] Diese neoliberale Konterrevolution hat dem Kapitalismus inzwischen „die wenigen Kontrollmittel beseitigt, die ihm in hundertfünfzig Jahren politischer, sozialer und ideologischer Kämpfe erfolgreich aufgezwungen werden konnten.“[39]

Allerdings werden die propagierten neoliberalen Prämissen und Forderungen in dem Augenblick von der politikökonomischen Elite verworfen, wenn sie ihren Reichtum, ihre Privilegien, Gewinne, Markt- und Herrschaftsposition gefährden: Marktdisziplin ist in ihren Augen nur etwas für die Armen, Bedürftigen, Arbeitslosen und den Lohnabhängigen, während sie selbst – wie dies die aktuelle Wirtschaftskrise deutlich bestätigt – „im Schoß von Vater Staat geborgen fühlen dürfen“[40], also Subventionen, Steuersenkungen, Protektionen, Vergünstigungen usw. einfordern und durchsetzen.

Selbstredend benötigt diese politikökonomische Vorherrschaft, wie schon zu Zeiten von David Ricardo, ein verborgenes, aber finanziell gut ausgerüstetes Netzwerk zwischen Verbänden, Einzelpersonen, Stiftungen, Instituten, Parteien, Zeitschriften, Zeitungen und TV-Sendern, die beständig die gleichen >wissenschaftlichen< Botschaften der marktgläubigen Ökonomen verbreiten und wiederkäuen. Diese leninistische Avantgarde der bürgerlichen Elite, die der unwissenden Menge das Evangelium des freien Marktes ins Bewusstsein einflößt, bildet das bis heute erhalten gebliebene institutionelle Fundament der neoliberalen Vorherrschaft.

7. Daraus folgt, dass das politikökonomische Kräfteverhältnis der ultimative Schiedsrichter über die >Wahrheit< eines ökonomischen Paradigmas ist, nicht aber die vermeintliche wissenschaftliche Beweisführung der Ökonomen.[41] Die weitverbreitete Vorstellung, ökonomische Paradigmen werden durch überlegenere, bessere wissenschaftliche Erklärungen abgelöst, ist ein gern gepflegter Erkenntnismystizismus, der glaubt, Sozialwissenschaft vollziehe sich unabhängig von sozialen Kämpfen, Herrschaftsstrategien, Interessen und den historischen Wandlungen der institutionellen Bedingungen von >Wissenschaft<. Die Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft ist stets gewesen, herrschaftssichernde Antworten auf praktische Probleme der kapitalistischen Ökonomie für die Machtelite zu entwickeln, um deren materiellen Interessen zu verteidigen und zu legitimieren.

Wirtschaftswissenschaftliche Theoriebildung kann also niemals von der Frage der ideologischen Herrschaftssicherung und Durchsetzung besonderer Geschäftsinteressen getrennt werden. Deshalb ist die >Wissenschaft< als „Politische Ökonomie sehr flexibel und lässt sich allen möglichen Zwecken anpassen.“ [42] Folglich trägt jedes ökonomische Paradigma den Keim der eigenen Vergänglichkeit in sich. Denn über kurz oder lang verändern sich in der kapitalistischen Gesellschaft immer die herrschaftlichen und ökonomischen Interessen und Probleme. Aus diesem Grund ist die entscheidende Frage zur Beurteilung einer ökonomischen Theorie nicht, wie es aktuell unter Ökonomen und Wirtschaftsjournalisten diskutiert wird, ob diese noch die richtige >wissenschaftliche< Erklärung, Methode und Prognose liefert, oder ob sie >wahr< oder >falsch< ist, sondern nur einfach: cui bono?[43]

Wer diese banale Frage ernsthaft stellt und dieser nachgeht, dem wird klar, dass die Wirtschaftswissenschaft eine herrschaftssichernde Pseudo-Wissenschaft und Ideologie im Dienste der politikökonomischen Machtelite ist, weil sie auf die „Formierung der Geister im Sinne ihrer Identifizierung mit dem Bestehenden und seinem tragenden und bewusstseinsprägenden Teil gerichtet“ ist. [44] Deswegen haben die wirtschaftswissenschaftlichen „Fehllehren (…) einen zwanghaften, aller Argumentation letztlich spottenden, verdinglicht-fetischisierten Charakter angenommen. (…) Aller Rat, alle fromme Zukunftshoffnung ist da vergebens, solange das Interessenverhältnis selbst fortbesteht, das die Ökonomie in ihren Bann geschlagen hat. – Wenn es freilich das Kennzeichen des Paupers ist, dass er sich aus eigener Kraft nicht mehr zu helfen weiß, so wird man kaum umhin können, im Elend der heutigen Nationalökonomie den Ausdruck einer allgemeinen Pauperisierung des Geistes zu sehen.“[45]

Anmerkungen

[1] P. Nizan 1981: Die Wachhunde. Essay; Leipzig/Weimar, S. 37

[2] J. Galbraith 2010: Der große Betrug; in: Blätter für deutsche und internationale Politik Nr.6, S. 56

[3] T. Schimmeck 2012: Die nackten Propheten; in: www.gegenblende.de vom 9.01.2012

[4] M. Wolf 2010: Jenseits des Homo oeconomicus, im Gespräch mit S. Fuchs; in: Deutschlandfunk 13.11.2011

[5] A. Orléan 2011: Ökonomie – Sozialwissenschaft wider Willen?; im Gespräch mit S. Fuchs, in: Deutschlandfunk vom 20.11.2011

[6] R. M. Marquardt 2010: Volkswirtschaftslehre im Dornröschenschlaf; in: Blätter für deutsche und internationale Politik Nr.6, S.16

[7] C. Castoriadis 2001: Die „Rationalität“ des Kapitalismus; in: Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit Nr. 16, S.433; weiter heißt es dort: „Dinge, die man aus gutem Grund für gesicherte Erkenntnis halten konnte, wie die vernichtende Kritik der Cambrigder Schule (Sraffa, Robinson, Kahn, Keynes, Kalecki, Shackle, Kaldor, Pasinetti usw.) an der akademischen Volkswirtschaftslehre zwischen 1930 und 1960, werden nicht etwa diskutiert oder widerlegt, sondern schlicht dem Schweigen oder Vergessen überantwortet, während Erfindungen von unerhörter Naivität, wie die >Angebotsökonomie< oder der >Monetarismus<, das Geschehen bestimmten, und gleichzeitig die Herolde des Neoliberalismus ihre Absurditäten als Gebote des gesunden Menschenverstandes darstellen und die absolute Freiheit der Kapitalbewegungen dabei ist, ganze Produktionszweige in fast allen Ländern zu ruinieren und die Weltwirtschaft sich in ein globales Kasino verwandelt.“ (ebd., S. 425)

[8] T. Trares 2012: Der Autismus der Ökonomen; in: www.spiegelfechter.com , vom 23.01.2012

[9] C. W. Mills 1962: Die amerikanische Elite; Hamburg; H. J. Krysmanski 2004: Hirten & Wölfe; Münster

[10] „Man passt sich ein wenig an und spürt, dass darin ein Privileg liegt. Weil es nützlich ist, glaubt man bald selbst an das, was man sagt. In diesem Augenblick hat man das System aus Indoktrinierung, Täuschung und Verzerrung bereits verinnerlicht und ist ein williges Mitglied der privilegierten Elite geworden, der Herrin über die Gedanken und die Indoktrinierung. Das ist überall so, ob unten oder oben. Es dürfte kaum einen Menschen geben, der diese sogenannte >kognitive Dissonanz< aushalten kann: an etwas glauben, aber etwas anderes sagen. Man fühlt sich genötigt, gewissen Dinge zu sagen, und sehr bald glaubt man selbst daran, schon weil es gar nicht anders geht.“ (N. Chomsky 2001: Noam Chomsky – Wege zur intellektuellen Selbstverteidigung (Hg. M. Achbar); München, S.170

[11] „(…), denn in der Wirtschaftswissenschaft sind diejenigen ja recht dünn gesät, die sich Gedanken über die gesellschaftliche Wirklichkeit bzw. über die Wirklichkeit überhaupt machen“ (P. Bourdieu 2004: Gegenfeuer; Konstanz, S. 107).

[12] Diese Entwicklung einer geistigen „Regression“ (Castoriadis) hat in den letzten Jahrzehnten nicht nur Ökonomen erfasst: „Auch die Intellektuellen, Humanwissenschaftler, Philosphen und Publizisten haben sich weitgehend mit den waltenden Verhältnissen arrangiert und sich selbst zu Protokollführern und Hofberichtserstattern des Gegebenen degradiert, ob aus Opportunismus oder Resignation sei dahingestellt. Was die westliche Intelligenz zur Zeit produziert, ist größtenteils Rechtfertigungsarbeit für die herrschenden Schichten.“ (H. Sana 2007: Würde und Widerstand; Köln, S. 60)

[13] A. B. Voegele 2007: Das Elend der Ökonomie; Zürich, S. 14

[14] M. Krätke 1999: Neoklassik als Weltreligion?; in: Loccumer Initiative kritischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Hg): Die Illusion der Freiheit; Hannover, (S.100-144), (hier zitiert nach: www.offizin-verlag.de  , letzter Zugriff vom 15.5.2007)

[15] Die neoklassische Theorie ist zur herrschenden Lehre geworden, weshalb „man in den Buchläden ganzer Universitätsstädten kein einziges einführendes Lehrbuch der Volkswirtschaftslehre mehr findet, das nicht dieser Schule zuzurechnen ist.“ (C. P. Ortlieb 2004; Markt-Märchen. Zur Kritik der neoklassischen akademischen Volkswirtschaftslehre und ihres Gebrauchs mathematischer Modelle; in: Exit Nr.1, S.167)

[16] Auf dieser Grundlage erfolgt dann die Mathematisierung der Wirtschaftswissenschaft, wo sie sich mit ihren ideologischen Dogmen, aber diesmal im Gewand mathematischer Objektivität und Wissenschaftlichkeit selbst bestätigt, welche eine illusorische ist, denn fehlerhaftes Denken wird durch Mathematisierung nicht richtiger: „Die volkswirtschaftlichen Abhandlungen und Lehrbücher sind voller Gleichungen und Grafiken, die fast nie Sinn machen, außer als Übungsaufgaben für Differenzialrechnung und lineare Algebra.“ (C. Castoriadis 2001: Die „Rationalität“ des Kapitalismus; in: Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit Nr. 16, S. 435; vgl. C. P. Ortlieb 2004; Markt-Märchen. Zur Kritik der neoklassischen akademischen Volkswirtschaftslehre und ihres Gebrauchs mathematischer Modelle; in: Exit Nr.1,)

[17] R. Kanth 1997: Against economics: rethinkung political economy; Suffolk, S. 197

[18] W. Hofmann 1971: Universität, Ideologie, Gesellschaft; Frankfurt/M., S. 134 (5. Auflage)

[19] vgl. L. Cordonnier 2001: Kein Mitleid mit dem Pöbel; Konstanz

[20] Hofmann 1971: Universität, Ideologie, Gesellschaft; Frankfurt/M., S. 125, Herv. im Original

[21] Das >nutzenmaximierende Individuum< ist die Grundlage für die inzwischen von den Ökonomen unter dem Teppich gekehrte subjektive Werttheorie, welche das Eingeständnis beinhaltet, „dass Lust- und Unlust-, Glücks-, Nutzen- und Wertquantitäten, selbst wenn sie individuell zu bestimmen möglich sind, doch interindividuell vollkommen inkommensurabel sind. Sie sind Quantitäten sui generis. Vergleich oder Addition sind unmöglich. In keinem Punkte sind sich die Werttheoretiker so einig wie hier. Leider unterlassen sie es durchweg, die Konsequenz hieraus zu ziehen.“ (G. Myrdal 1976: Das politische Element in der national-ökonomischen Doktrinbildung; Bonn, 2. Auflage, S.37f.) Daraus folgt, dass die Ökonomen keine makroökonomischen Kategorien verwenden dürften, wenn sie ihrer eigenen theoretischen Grundlage folgen würden, aber sie – wie Myrdal schon bemerkte – halten sich nicht daran! Auf der Basis der von den Ökonomen entwickelten >Modell-Theorie< kann es beispielsweise kein Wirtschaftswachstum, kein Bruttosozialprodukt und kein Kapitalwachstum geben, da sie diese Größen nicht berechnen und diese Kategorien nicht erklären können. Schließlich besitzen diese makroökonomischen Größen eine von den Ökonomen abgelehnte überindividuell geltende Wertqualität, ansonsten wären sie gar nicht addierbar und vergleichbar. Aber was machen die Ökonomen? Sie praktizieren das Gegenteil ihrer Theorie, indem sie mit diesen makroökonomischen Kategorien beständig hantieren und die Größe derselben ganz selbstverständlich berechnen, vergleichen usw. (die Ökonomen wissen also nicht, worüber sie eigentlich schreiben und reden, wenn sie die für sie nicht erklärbaren Kategorien benutzen). Diesen Widerspruch klärt die Wirtschaftswissenschaft nicht auf. Man schweigt in der Wirtschaftswissenschaft dieses Problem einfach tot. Dieses Paradoxon betrifft sowohl die neoklassische als auch die keynesianische Theorie, da letztere die enthistorisierte, ungesellschaftliche und subjektive Begründung des >Wirtschaftens< übernahm. Die Ökonomen operieren daher „mit einem erschlichenen Wertbegriff“, deren besondere soziale Qualität sie nicht erklären bzw. akzeptieren wollen und können: „Mehr oder minder bewusstlos bewegt sich die Ökonomie zwischen einem explizit verfochtenen Subjektivismus, der naturalistisch argumentiert, und einem erschlichenen objektiven Wert.“ (H. Reichelt 2008: Neue Marx-Lektüre. Zur Kritik sozialwissenschaftlicher Logik; Hamburg, S. 55) „Und tatsächlich wird von konsequenten Subjektivisten die Möglichkeit von Makroökonomie bestritten. Robert Liefmann z. B. verwirft alle >Gesamtbegriffe<. Da es keine >Gemeinschaftsbeziehungen< gibt in dieser Gesellschaft, (…), kann es auch kein >Gesamtprodukt<, kein >Gesamteinkommen<, keinen >Gesamtgewinn< oder >Gesamtkapital< geben.“ (ebd., 54f.) Die Quintessenz lautet: Die Ökonomen benutzen makroökonomische Kategorien (und berechnen ihre Größe), die es nach ihrer eigenen theoretischen Grundlage nicht geben dürfte. Aber warum verwenden die Ökonomen diese makroökonomischen Kategorien und Größen? Weil die von ihnen geleugnete kapitalistische Herrschafts- und Formbestimmung der Produktion (bzw. die besondere soziale Qualität des kapitalistischen Reichtums) ihnen diese empirisch gegebenen oder vorgefundenen makroökonomischen Kategorien aufzwingt, wenn sie etwas über die Entwicklung der kapitalistischen Ökonomie aussagen wollen. Als herrschaftssichernde Ideologie für die politikökonomische Machtelite muss diese >Wissenschaft< auf dieses (selbst geschaffene) Paradoxon keine Antwort geben: Schließlich hat man >höhere Aufgaben< zu erledigen.

[22] Hofmann 1971: Universität, Ideologie, Gesellschaft; Frankfurt/M., S. 86, Herv. im Original

[23] ebd., S. 127

[24] ebd., S. 128

[25] ebd., S. 136, 139

[26] N. Chomsky 2004: Eine Anatomie der Macht, Hamburg, Wien, S. 311

[27] R. Kanth 1997: Against economics: rethinkung political economy; Suffolk, S. 129f., eigene Übersetzung, Vgl. R. Kanth 1986: Political Economy and Laissez-Faire; New Jersey, S. 50ff.

[28] R. Kanth 1986: Political Economy and Laissez-Faire; New Jersey, S.136ff.; vgl. C. Girschner 2008: Hartz IV-Ökonomie: David Ricardo und die Wiederkehr frühkapitalistischer Herrschaftsmethoden des Liberalismus; in: TREND Ausgabe 3/08

[29] Castoriadis 2001: Die „Rationalität“ des Kapitalismus; in: Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit Nr. 16, S. 433

[30] R. Kanth 1992: Capitalism and Socialtheory; New York, S. 87; R. Kanth 1997: Against economics: rethinkung political economy; Suffolk, S. 132ff.

[31] R. Kanth 1997: Against economics: rethinkung political economy; Suffolk, S. 124; die enthistorisierte und entpolitisierte Darstellung der Entwicklung der ökonomischen Theorie ist nicht nur bei Schumpeter zu finden, sondern auch bei: D. Bell 1986: Die Sozialwissenschaften seit 1945; Frankfurt/New York;

[32] R. Kanth 1992: Capitalism and Socialtheory; New York, S. 99f.

[33] W. Hofmann 1971: Universität, Ideologie, Gesellschaft; Frankfurt/M., S. 134

[34] R. Kanth 1986: Political Economy and Laissez-Faire; New Jersey, S. 183

[35] C. Crouch 2011; Das lange Leben des Neoliberalismus; in: Blätter für deutsche und internationale Politik Nr. 11, S. 47

[36] ebd., S. 58

[37] „Die Prekarität ist Teil einer neuartigen Herrschaftsform, die auf der Errichtung einer zum allgemeinen Dauerzustand gewordenen Unsicherheit fußt und das Ziel hat, die Arbeitnehmer zur Unterwerfung, zur Hinnahme ihrer Ausbeutung zu zwingen.“ (P. Bourdieu 2004: Gegenfeuer; Konstanz, S. 111; Herv. im Original)

[38] D. Harvey 2007: Kleine Geschichte des Neoliberalismus; Zürich, S. 26; Von den „Mächtigen der Wirtschaft (werden) >Arbeitsdisziplin und >politische Stabilität< höher bewertet als die Profite. Der Klasseninstinkt sagt ihnen, dass permanente Vollbeschäftigung von ihrem Standpunkt aus >ungesund< ist und dass Arbeitslosigkeit einen integralen Bestandteil der normalen kapitalistischen Wirtschaft darstellt.“ (M. Kalecki 1987: Krise und Prosperität im Kapitalismus; Marburg, S. 238)

[39] C. Castoriadis 2001: Die „Rationalität“ des Kapitalismus; in: Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit Nr. 16, S. 445

[40] N. Chomsky 2001: War against people – Menschenrecht und Schurkenstaaten; Hamburg, S. 77; vgl. D. Harvey 2007: Kleine Geschichte des Neoliberalismus; Zürich, S. 90ff.

[41] R. Kanth 1992: Capitalism and Socialtheory; New York, S. 116

[42] N. Chomsky 2003 : Eine Anatomie der Macht, Hamburg, Wien, S. 312f.

[43] R. Kanth 1985: The decline of ricardian politics; in: Europäische Zeitschrift für Politische Ökonomie (S. 157-187), S. 180

[44] W. Hofmann 1971: Universität, Ideologie, Gesellschaft; Frankfurt/M., S. 130, Herv. im Original

[45] ebd., S. 139f., Herv. im Original

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