Für die Politik ist mit dem Hartz-IV-Kompromiss
zwischen Bundesrat und Bundesregierung die Debatte über die
Regelsätze beendet. Für die Betroffenen gilt das nicht, wie auf
einer von der AG Soziales des Berliner Sozialforums sowie der
Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte organisierten
Veranstaltung am Montagabend deutlich wurde.
»Was sind die
sozialen Grundrechte wert?«, lautete die Frage an die
Bundestagsabgeordnete Mechthild Rawert (SPD), an Katina Schubert
vom Bundesvorstand der LINKEN und Udo Geiger vom Berliner
Sozialgericht. Letzterer dämpfte die Hoffnung mancher
Erwerbsloser, das Bundesverfassungsgericht (BVG) könne den
Hartz-IV-Kompromiss schnell wieder kippen. Der Justiz dürften
nicht Aufgaben der Politik zugeschoben werden, meinte er.
Massenklagen, wie sie in Erwerbslosengruppen diskutiert werden,
seien juristisch eher hinderlich. Gut vorbereitete Musterklagen
in ausgewählten Fällen versprächen mehr Erfolg. Gleiches gelte
für eine Normenkontrollklage, die von den Bundesländern oder
einem Viertel der Bundestagsabgeordneten eingereicht werden
kann.
Die SPD werde sich daran aber nicht beteiligen, meinte
Mechthild Rawert. Schließlich habe ihre Partei dem Kompromiss
zugestimmt, den sie persönlich auch vertreten könne, selbst wenn
die Errechnung der Regelsätze nicht den Kriterien des
Bundesverfassungsgerichtsurteils genüge. Die Verbesserungen beim
Mindestlohn für Leiharbeiter seien für ihre Zustimmung
ausschlaggebend gewesen.
Die Notwendigkeit von Kompromissen sei ihr als Politikerin der
Berliner LINKEN bekannt, erwiderte Katina Schubert, aber dieser
Regelung hätte sie auf keinen Fall zugestimmt. Der Regelsatz sei
willkürlich berechnet worden. Zudem sei ein Mindestlohn von 6,83
Euro bei der Leiharbeit in Ostdeutschland keineswegs
existenzsichernd.
Rainer Wahls von der AG Soziales zog ein ernüchterndes Fazit:
»Wir haben es nicht geschafft, das BVG-Urteil zu nutzen, um die
Situation der Erwerbslosen zu verbessern.« Selbst die
Minimalforderung, die Situation der Kinder zu verbessern, sei
nicht durchgesetzt worden. Er lobte die Arbeit des Bündnisses
»Krach schlagen statt Kohldampf schieben«, das im letzten Herbst
in Oldenburg eine bundesweite Erwerbslosendemonstration
organisierte. Durch Zusammenarbeit mit Milchbauern sei es im
Ansatz gelungen, Brücken zu anderen Gruppen zu schlagen.
Aus dem Publikum wurde der Zorn vor allem auf die SPD, aber auch
auf die Politik insgesamt deutlich. Mehrfach geäußerte
Faschismusvergleiche wurden von den Rednern auf dem Podium und
von Moderator Sebastian Gerhardt zurückgewiesen. Er kritisierte
die Konzentration auf die Höhe der Regelsätze in der
Hartz-IV-Debatte. Von den Verschlechterungen für Erwerbslose,
die in den neuen Bestimmungen enthalten seien, werde dagegen
kaum geredet. Die Verschärfung von Sanktionen vor allem für
Erwerbslose unter 25 Jahren gehöre ebenso dazu wie die
Pauschalisierung der Mietkosten, welche zur Zunahme von
Mietschulden und von Zwangsräumungen bei Erwerbslosen führen
könne.
Ebenfalls verschlechtert hat sich die Situation von behinderten
ALG-II-Empfängern, die nur noch 80 Prozent vom Regelsatz, also
291 Euro, bekommen sollen. Die SPD-Politikerin Rawert
versicherte, dass diese Bestimmung auf Druck ihrer Partei noch
einmal überprüft werden soll.
Editorische
Hinweise
Wir erhielten den Artikel vom Autor.
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Widerstand unter Hartz IV "loswerden" oder mitarbeiten will,
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