Repression & Widerstand unter Hartz IV
Hungern oder frieren?
Wenn die zugestandenen Heizkosten aufgebraucht sind, stehen
Hartz-IV-Betroffene vor einer schweren Entscheidung.
von Peter Nowak |
03/11
trend
onlinezeitung |
Die Begrenzung der Heizkosten für ALG II-Bezieher steht
in der Kritik, wird aber immer häufiger praktiziert.
»Das Sozialamt/Jobcenter erkennt
grundsätzlich Heizkosten an, die auf einem jährlichen
Heizverbrauch von 22 Liter je Quadratmeter angemessene
Wohnfläche beruhen«, heißt es in einen Formular des Jobcenters
Rhein-Kreis-Neuss für Hartz IV-Empfänger. Die Antragsteller
werden aufgefordert, die entsprechende Menge Öl für die Fläche
ihrer Wohnung zu berechnen und anzugeben. Sind die Kosten höher,
muss der Erwerbslose die Differenz selber zahlen. Bei einer
fehlenden oder mangelhaften Mitwirkung der Erwerbslosen »kann
der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der
Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen«, heißt
es in der Belehrung.
Scharfe Kritik an dieser Praxis kommt von der
Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Hartz IV der Linken. Deren
Bundessprecher Werner Schulten sieht sogar den Tatbestand der
Nötigung erfüllt. »Hier werden auf perfide Weise Betroffene mit
der Vorspiegelung, diese Begrenzung sei gesetzlich
vorgeschrieben, genötigt, auf Leistungen zu verzichten«.
Letztlich stünden diese Menschen nach dem Verbrauch der
zugestandenen Heizmittel vor der Wahl: hungern oder frieren,
moniert Schulte.
Im Gesetz hingegen ist heißt es: »Leistungen für Unterkunft und
Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht,
soweit diese angemessen sind.« Nicht nur Schulten ist der
Meinung, dass nicht von vorn herein pauschal festgelegt werden
kann, welche Heizkosten angemessen sind. Sie richten sich nach
der Strenge des Winters ebenso wie nach der Wärmeisolation der
Wohnungen und der technischen Beschaffenheit der Heizanlagen.
Auch das Bundessozialgericht hat in mehreren Urteilen
entschieden, dass die Behörden bei einer angemessenen Unterkunft
grundsätzlich die tatsächlichen Heizkosten übernehmen müssen und
keine Pauschale zahlen dürfen.
Ein Schlupfloch für die Behörden ließen die Sozialrichter
allerdings. Bei einem besonderen unwirtschaftlichen
Heizverhalten müsse im Einzelfall nicht alles gezahlt werden.
Die Unwirtschaftlichkeit könne mittels des lokalen Heizspiegels
ermittelt werden. Die Bundesagentur für Arbeit wies die Kritik
an der Pauschalisierung des Neusser Jobcenters zurück. Die
Heizkosten gehören zu den kommunalen Aufgaben, auf die die
Bundesagentur keinen Einfluss habe. Für Schulten bewegt sich die
Kommune damit im rechtsfreien Raum. Er rät Betroffenen keiner
Pauschalisierung ihrer Heizkosten zuzustimmen und den Rechtsweg
zu beschreiten.
Erwerbsloseninitiativen weisen daraufhin, dass die Praxis des
Neusser Jobcenters durchaus keine Ausnahme ist, sondern im vom
Gesetzgeber gewollten Trend liegt. Schließlich ist es den nach
der kürzlich beschlossenen Hartz IV-Reform künftig möglich,
Leistungen der Unterkunft niedriger als bisher und unterhalb der
Vorgaben der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
festzulegen. Denn den Kommunen soll es über landesgesetzliche
Regelungen ermöglicht werden, die Angemessenheit der Wohnkosten
in einer kommunalen Satzung selbst zu definieren. Dabei sollen
erstmals auch abgeltende Pauschalen für Wohn- und Heizkosten
möglich sein. Erwerbsloseninitiativen fürchten hier
Entscheidungen nach Kassenlage zum Nachteil der Betroffenen,
denn viele Kommunen stehen vor der Pleite.
Editorische
Hinweise
Wir erhielten den Artikel vom Autor.
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Widerstand unter Hartz IV "loswerden" oder mitarbeiten will,
der wende sich per Email an Anne Seeck (anne.snk44[at]yahoo.de
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