Anarchisch-Praktisch-Gut?
Zur solidarischen Kritik linksradikal-autonomer Politik am Beispiel der Liebig 14

von
 Tommy Oliver

03/11

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Das langjährige Berliner Hausprojekt in der Liebigstraße 14 (L14) wurde im Zuge langjährigen Ausverkaufs städtischen Eigentums an Privatinvestoren am 8. Februar 2011 durch einen massiven Einsatz von Polizeikräften geräumt. Dem gingen Monate friedlicher Unterstützungsaktionen und Verhandlungen zwischen BewohnerInnen, AnwohnerInnen und Senat voraus, die den BewohnerInnen letztendlich keine andere Perspektive boten, als fragwürdige Alternativ-Wohnräume in Weißensee, denen in näherer Zukunft selbst ein Ausverkauf bevor stand. (1)

Der nachfolgende Artikel soll am Beispiel der L14 eine solidarische Kritik an linksradikal-autonomer Protestkultur und dem Häuserkampf von einem marxistisch-revolutionären Blickwinkel bieten.

Natürlich geht Gewalt vom System aus ...

Als am 8. Februar das selbstverwaltete Hausprojekt in der Liebig Straße 14 in Berlin Friedrichshain geräumt wurde, war die Konfrontation genauso vorprogrammiert wie die „Krawalltouristen“ und „Chaoten“ prophezeienden Schlagzeilen, die für zwei Tage die Titelblätter beinahe aller Tageszeitungen Berlins füllen sollten.

Doch bei wem ist die Schuld für diese militanten Auseinandersetzungen zu suchen?

Wessen Politik führte schließlich in eine Situation, in der sich 3.500 junge Menschen aufopfernd, stundenlang in Kälte und Dunkelheit einem voll ausgerüsteten Aufgebot von 2.500 PolizistInnen mit samt Panzerwagen und Wasserwerfern entgegen stemmten, um das Recht von 28 Männern, Frauen und Kindern auf ein Dach über dem Kopf bei bezahlbaren Mieten zu verteidigen?

Zu einem historischen Zeitpunkt, zu dem längst wirtschaftliche Möglichkeiten verwirklicht sind, die jährlich einen milliardenschweren Reichtum schaffen, auf dessen Grundlage einem jedem arbeitendem Menschen eine würdige Lebensgrundlage ermöglicht werden könnte, werden stattdessen tagtäglich Millionen Euro in imperialistische Kriege und die privaten Konten einer kleinen, herrschenden Machtelite investiert. So zum Beispiel inzwischen 36.000.000.000 Euro in den Krieg gegen Afghanistan (2). An die Bankenrettung 2008 muss hier wohl nicht erst noch erinnert werden.

Wenn dann schließlich die Kommunen verschuldet sind, werden wegen auf einmal nicht mehr vorhandenen Geldern (!) die Wohnhäuser an PrivatinvestorInnen verscherbelt und gerade die Menschen durch Mieterhöhung auf die Straße gesetzt, deren Klassenbrüder und -schwestern diese Häuser selbst errichtet haben.

Wer an dieser Stelle im Glauben an eine Absicherung über regelmäßige Mietzahlung oder wenigstens die oftmals gepriesene Gerechtigkeit des freien Marktes illusioniert, wird von den Tatsachen der gewaltsamen Räumung trotz regelmäßiger Mietzahlungen bis auf den letzten Tag ebenso vor den Kopf gestoßen, wie von dem Fakt, dass die Vetternwirtschaft des bisherigen Besitzers Edwin Thöne den Kaufvorschlag der L14-BewohnerInnen genauso wie deren Rahmenverträge mit der Stadtverwaltung einfach unter den Tisch fallen ließ, um das Wohnhaus seinem Ex-Schulkameraden Suitbert Beulker zu zu schustern.

Letzterer hat im Übrigen bereits mehrere, ehemals besetzte Häuser aufgekauft (3) und machte dabei nicht selten durch die Praktiken seiner privaten Wachdienste auf sich aufmerksam. Dem Wachschutz von Herrn Beulkers neuem Eigentum werden auch so manches mal gewaltsame Angriffe auf JournalistInnen zugerechnet. (4)

Wird dann von den BewohnerInnen schließlich Widerstand geleistet, ist – oh Wunder – doch noch genug Geld vorhanden, um Beulkers Schlägertrupps 2.500 hochgerüstete PolizistInnen samt Panzerwagen und Wasserwerfern zur Seite zu stellen, um gerade einmal 28 Menschen aus ihrem Haus zu prügeln.

Ist der Widerstand der BewohnerInnen und UnterstützerInnen der Liebig 14 in dieser Situation von Ausverkauf, Vertragsbruch und Gewalt noch als irgendetwas anderes zu bezeichnen, als Verteidigung?

... doch wie wird der Gewalt begegnet? ...

„Bring the war home!“ Dieser Slogan dominierte in seiner Öffentlichkeitswirksamkeit die Mobilisierungen von Unterstützung für die BewohnerInnen der Liebig 14. (5)

Eine Parole, die nicht in letzter Instanz an die Slogans der 1970 organisierten Roten Armee Fraktion (RAF) erinnert, den „Krieg in das Herz der Bestie“ zu tragen. (6)

Das ist eine Episode der Geschichte linker Politik, deren Lehren noch immer nicht vollends gezogen und deren Fehler damit einhergehend immer noch nicht Vergangenheit zu sein scheinen. Schon in der Auflösungserklärung der RAF vom März 1998 wird als schwerwiegendster Fehler der Stadtguerilla angeführt, „neben der illegalen, bewaffneten keine politisch-soziale Organisation “ (6) aufgebaut zu haben.

Und auch die linksradikal-autonome Politik der heutigen Linken tut sich – nach unserer Meinung – mit dieser Aufgabe schwer. Der Springer-Presse gelingt es in Zeiten der Aufrüstung von Militär und Polizei, dem Abbau demokratischer Rechte, der Verschärfung von Gentrifizierung und Sparpaketen noch immer, die AktivistInnen emanzipatorischer Politik bei weiten Teilen der Bevölkerung als „Hippies und Chaoten“ zu diffamieren. Der Antwort eben jener linken Bewegung bleibt, trotz beginnender Zuspitzung der objektiven Verhältnisse, die Massenunterstützung aus. Das war so zuletzt bei der „Bundestagsbelagerung“ vor wenigen Wochen zu sehen.

Dabei scheint eine solche, öffentlich wahrnehmbare Intervention – im Sinne der direkten Interessen der arbeitenden Massen – wie hier, eine Seltenheit zu sein. An deren Stelle sind in der links-autonomen Alltagspolitik in der Regel eher solche politischen Kämpfe zu finden, die in ihrer Themengebung zwischen individualistischem Anarchismus und utopischen Emanzipationsideologien hängen bleiben. Perspektiven, deren Verbindung zu den direkten, täglichen Interessen der arbeitenden Bevölkerung nur schwerlich hergestellt wird.

Eine Notwendigkeit, die – wie wir finden – oftmals schon an der direkten Praxis scheitert. So war auch die Unterstützungsdemo für die L14 vom leider allzu typischen Bild einer linksradikalen, autonomen Demonstration geprägt: Einem schwarz gekleideten Mob, der in aggressivstem Ton akustisch unverständliche Parolen brüllte, nur unterbrochen von den widerhallenden Explosionen von Böllern. Das von rechts propagierte Bild vom gewalttätigen, „chaotischen Autonomen“ schien hier von selbst bestätigt; ebenso wie der Einsatz der angeblich schützenden Einsatzhundertschaften der Polizei.

Bei einer Fortsetzung der momentanen Alltagspolitik linksradikal-autonomer Organisationen sehen wir auch in Zukunft nicht die oben als Notwendig beschriebene, politisch-soziale Verbindung zu den Massen.

Der oben zitierte Aufruf geht allerdings noch weiter: „Gegen Krieg, Polizeigewalt und für die Liebig 14“. (7)

Der anti-militaristische wie internationale Anspruch der linksradikalen Szene wird also auch zu diesem politischen Kampf – richtigerweise – in Verbindung gebracht. Zumindest in der Theorie, in der Praxis macht dies nämlich einen anderen Anschein. Während die lokal-politische Verteidigung der Liebig 14 nämlich 3.500 linksradikale UnterstützerInnen zu größter Bereitschaft des militanten Widerstandes mobilisierte, kannte die nur Tage vorher stattfindende Demonstration gegen die Verlängerung des Afghanistan Mandates und damit gegen eine Fortsetzung des seit nunmehr zehn Jahren anhaltenden, imperialistischen Krieges gegen die afghanische Bevölkerung kaum ein Zehntel dieser Teilnehmerzahl.

Das selbe Bild bot sich bei der letzten Solidaritäts-Demo mit den aufständischen Massen Ägyptens. Während die Zusammenarbeit des deutschen Staates via Gefangenen-Austausch und Waffenverkäufen mit noch offenerer unterdrückerischeren Regimen als dem eigenen – wie eben auch dem von Mubarak – in der linksradikalen Szene stetiger, theoretischer Kritik ausgesetzt ist, fand sich auch auf dieser Demo die ägyptische Gemeinde Berlins beinahe völlig alleingelassen.

Die internationalistische Perspektive scheint in der Praxis also kaum wahrnehmbar, die Verbindung zu den Massen selbst dann ausbleibend, wenn deren Forderungen nicht mehr rein ökonomisch, sondern offen revolutionär sind!

...und wie sollte ihr begegnet werden?

Wir lehnen die spät-operaistische Verweigerung einer Orientierung an den objektiven Begebenheiten bzw. Bedingungen einer revolutionären Situation genauso ab, wie die spezifisch autonome Vorstellung vom revolutionären Subjekt unabhängig von seinen materiellen Bedingungen. (8) An deren Stelle setzen wir eine Orientierung auf die ArbeiterInnenklasse, wegen ihrer einmaligen Stellung im Produktionsprozess, die sie zur einzigen objektiv revolutionären Kraft in der kapitalistischen Gesellschaft macht.

Wir treten für eine politische Arbeit ein, die eine bewusste Verbindung von den alltäglichen Nöten und Interessen der ArbeiterInnenklasse zu den revolutionär-emanzipatorischen Perspektiven der linken, marxistischen Bewegung schlägt. Wir agieren für eine Unterstützung der kämpfenden ArbeiterInnen Nordafrikas, eine Bewusstwerdung der Interessensverwandschaften der deutschen ArbeiterInnenklasse mit der Ägyptischen und der Schaffung der sich selbst bewussten „Klasse für sich“ (nach Marx) in jedem Kampf der linken Alltagspolitik; ob der unmittelbar arbeiternahen Betriebsarbeit, als auch der Selbstverteidigung besetzter Häuser.

Dabei sind nach unserer Meinung diese verschiedenen Kämpfe in ihrer revolutionären Bedeutung keines Falls gleich zu setzen. Nach der marxistischen Perspektive bietet der Kampf am Arbeitsplatz die direkte, ökonomische Basis für den politischen Kampf. Das Ringen um die Verteilung des produzierten Wertes, die Größenverhältnisse zwischen Lohnzahlung für die ArbeiterInnen und Mehrwert für die KapitalistInnen, all dies muss in letzter Instanz die entscheidende Frage auf die Tagesordnung setzten, wer die Produktionsmittel in der Hand hält: die ArbeiterInnen oder die KapitalistInnen.

Vom Besitz an den Produktionsmitteln – und nur von diesem – geht schlussendlich die Macht in der Gesellschaft aus. Keine soziale Gruppierung und keine staatliche Organisation kann eine Gesellschaft nach ihrem ideellen Bilde formen, ohne sich den entsprechenden, materiellen Einfluss auf die Produktionsverhältnisse zu sichern. Und schließlich sind in genau diesen die ArbeiterInnenklasse und die Bourgeoisie – aufgrund ihrer einmaligen Stellungen im Produktionsprozess – die einzigen sozialen Klassen, die diese Kämpfe entscheiden können und werden.

Der Häuserkampf kennt diese revolutionäre, ökonomische Bedeutung nicht. Er kann kein Widerstreit von Arbeit und Kapital sein, wie er sich im Betrieb findet, da er keine Mehrwertschöpfung und keine Arbeit kennt. Wie Engels bereits in seinen Schriften „Zur Häuserfrage“ aufzeigt (9) tritt der Mensch dem/der VermieterIn in der Häuserfrage nicht als ArbeiterIn, sondern als KäuferIn, als HändlerIn gegenüber. Es geht hier nicht um die Verteilung von zu schaffendem Wert, sondern um jene von bereits existierendem Wert.

Auch kann der Häuserkampf keine Freiräume im System schaffen. Wenn er nicht selbst im Zentrum der gesellschaftlichen Machtfrage steht, dann kann er auch kein unabhängiges Gegengewicht zu den gesellschaftlich Machthabenden bilden. Besetzte Häuser sind mit Sicherheit wichtige Ankerpunkte linker Alltagspolitik: In Ideenfindung und Organisation, Zusammenhalt und Solidarität. (An dieser Stelle großen Dank an die Rote Insel für die Unterstützung über all die Jahre!) Im revolutionären Moment jedoch werden sie zu Werkzeugen des Kampfes, nicht zu dessen entscheidenden Mittelpunkt.

Wenn demzufolge nach unserer marxistischen Auffassung der Kampf um besetzte Häuser allein keine revolutionäre Machteroberung durch die ArbeiterInnenklasse ersetzen kann, so unterstützen wir doch jeden Kampf um deren Verteidigung und fordern die notwendige, politische Aufklärungsarbeit, die bei den ArbeiterInnen Berlins nicht nur ein Bewusstsein der Einheit in der Nötigung durch die immer radikaler um sich greifende Gentrifizierung schafft, sondern auch ein Bewusstsein der Einheit im Kampf um bezahlbare Mieten, besetzte Häuser und in letzter Runde schließlich gegen den Staatsapparat als manifestierten Ausdruck der Interessen des Großkapitals.

Und wenn sich, wie oben beschrieben, in der Häuserfrage nicht mehr explizit ArbeiterIn und KapitalistIn finden, sondern nur KäuferIn und KäuferIn, so ist es doch die ArbeiterInnenklasse, die zusammen mit allen anderen unterdrückten Klassen und Schichten (MigrantInnen, Arbeitslose, prekarisierte Jugendliche) die Lasten der Gentrifizierung am schwersten zu tragen hat. So gilt es also mit einer Orientierung auf die ArbeiterInnenklasse das Opfer des städtischen Ausverkaufs selbst, zum Subjekt des Kampfes dagegen werden zu lassen!

Und wer schließlich am militanten Potenzial der ArbeiterInnen zweifelt, dem/der sei abschließend noch folgendes gesagt: 3.500 Autonome konnten für einige Stunden einen Teil Friedrichshains lahmlegen, doch schon wenige Hundert Bahn- und BVG- ArbeiterInnen könnten das selbe Chaos tagelang auf ganz Berlin ausbreiten!

Wir von RIO, der Revolutionären Internationalistischen Organisation, haben keinen Zweifel, dass eine erfolgreiche Politik in der ArbeiterInnenklasse nach den obigen Leitlinien am 3. Februar 2011 den 3.500 Linksradikalen in ihrem berechtigtem Kampf tausender weitere, kampfbereite ArbeiterInnen, Jugendliche, Arbeitslose und MigrantInnen an die Seite gestellt und den Bullen die Hölle heißgemacht hätte!

Für die Unterstützung der Kämpfe um besetzte Häuser gegen den imperialistischen Staatsapparat!

Für eine politische Arbeit an und in der deutschen und internationalen ArbeiterInnenklasse!

Für eine revolutionäre Machteroberung der ArbeiterInnenklasse im Sinne aller vom Kapitalismus unterdrückten Klassen und Schichten!

Für die Emanzipation der Menschheit durch den Klassenkampf!

Fußnoten

(1) http://de.indymedia.org/2011/02/299288.shtml

(2) http://www.neues-deutschland.de/artikel/171442.afghanistan-krieg-kostet-das-dreifache.html

(3) http://liebig14.blogsport.de/das-haus/

(4) http://www.scheinschlag.de/archiv/2003/05_2003/texte/09.html

(5) http://www.jungewelt.de/2011/01-26/052.php

(6) http://www.rafinfo.de/archiv/raf/raf-20-4-98.php

(7) http://arab.blogsport.de/2011/02/02/bring-the-war-home-fight-police-terror-take-back-the-city/#more-142

(8) Nachdrücklich empfehlenswerte Abhandlung der Gruppe Arbeitermacht zur Geschichte der links-autonomen Bewegung: http://www.arbeitermacht.de/rm/rm41/autonomismus.htm

(9) http://www.mlwerke.de/me/me18/me18_209.htm#Kap_III

Editorische Hinweise

Wir spiegelten den Bericht auf Vorschlag von RIO von ihrer Website. Der Autor ist Mitglied von
RIO, Potsdam.