Zwischen Sorge um Israel und
Solidarität mit Antizionisten

Das neuste Buch von Moshe Zuckermann

von Peter Nowak

03/11

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Der Nahostkonflikt ist in Deutschland noch immer für endlosen Streit. Wo wird eine Israelkritik zum Ressentiment und wann gar zum Antisemitismus? Die Debatte hat zumindest bei dem reflektierteren Teil der Linken in Deutschland Spuren gezeigt. Während noch Ende der 80er Jahre an den Wänden der Hamburger Hafenstraße zum Israelboykott aufgerufen wurde und ein Großteil, der sich als radikal verstehenden Linken, daran nichts auszusetzen hatte, stellt sich im Jahr 2010 ins Abseits, wer an solche Forderungen anknüpfen möchte. Andererseits hat sich im Zuge dieser Debatte eine Strömung herausgebildet, die jede Kritik an der israelischen Regierung und Politik als Antisemitismus bezeichnet. Dann geraten auch regierungskritische Juden schnell in den Verdacht, Antisemiten zu sein und wurden auch öffentlich so bezeichnet. Viele der so Angegriffenen nehmen dann wiederum Positionen fragwürdige Positionen, indem sie die Existenz des Antisemitismus im arabischen ignorieren und Hamas und Hisbollah kaum kritisieren.

Diese Entwicklung konnte man an Rolf Verleger beobachten, der als Mitglied der jüdischen Gemeinde in Lübeck durch Kritik an der israelischen Politik auffiel und in relativ kurzer Zeit explizit antizionistische Positionen vertrat. Eine ähnliche Entwicklung kann man auch bei dem israelischen Professor Moshe Zuckermann beobachten. In den 90er Jahren war er gelegentlich Referent bei antideutschen Veranstaltungen und Kongressen, die damals allerdings noch den Aufstieg Deutschlands kritisierten. Noch vor 10 Jahren schrieb er regelmäßig für die Zeitschrift Konkret. Seine Debatte um Israel und den Nahen Osten mit Hermann L. Gremliza und Thomas Ebermann gehört sicher zum Fundiertesten, was in den letzten Jahren zum dem Thema geschrieben und gesagt wurde. Der Konkret-Herausgeber schreibt in der aktuellen Ausgabe: „Die große Differenziertheit, mit der Zuckermann den Fragen nach Ansicht der „Zeit“ begegnet war, ist längst dahin“.

Anlass ist das von Zuckermann herausgegebene Buch, das schon mit dem Titel „Antisemit“ – ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument“ provozieren will. Wenn es dann in dem Buch heißt, dass „der Vorwurf des Antisemitismus“. israelisch-jüdischen Lobbys als Instrument“ dient, fühlt sich der Leser an Norman Finkelstein erinnert, der sich mit seinem Buch über die „Holocaustindustrie“ auch all jene zu Freunden machte, die sich von einem Juden endlich dass bestätigen lassen wollen, was sie selber eigentlich denken und noch nicht zu sagen wagen .

Finkelstein und Lanzmann

Tatsächlich wird Finkelstein von Zuckermann in dem Buch vehement verteidigt und der nach Protesten israelsolidarischer Gruppen abgesagte Auftritt des US-Publizisten wurde als Beispiel für eine „kampagnenartig orchestrierte Verhinderung“ bezeichnet. Im Kapitel davor wird jedoch eine von antizionistischen Gruppen in Hamburg organisierte Verhinderung einer Filmvorführung des Films „Warum Israel“ als Theaterperfomance mit beidseitigen Rempeleien bagatellisiert. Bemerkenswerterweise nimmt Zuckermann die Aktion, die von der großen Mehrheit auch der nicht israelsolidarischen Linken in Deutschland kritisiert wurde, zum Anlass, den Regisseur des verhinderten Films anzugreifen. Damit geht er noch über die erklärte Intention der Hamburger Antizionisten hinaus, die offiziell erklärt haben, ihre Aktion habe sich nicht gegen den Regisseur Claude Lanzmann sondern seine Instrumentalisierung durch antideutsche Gruppen gerichtet. Zuckermann hingegen greift Lanzmann wegen seiner proisraelischen Haltung an und nennt als Beispielinterviews, die der Regisseur während der Bombardierung Israels durch irakische Scud-Raketen im Golfkrieg 1990/91 dem israelischen Rundfunk gegeben hat: Dort beklagte Lanzmann, dass Israel zum ersten Mal seit seiner Gründung durch deutsches Gas bedroht sei und mit gebundenen Händen dasitzt. Der Hintergrund der Äußerungen war, dass deutsche Firmen unter Umgehung von UN-Bestimmungen Giftgas an den Irak geliefert hatten und dass Israel, das nicht Kriegspartei war, auf die Angriffe aus dem Irak auf Druck der USA nicht reagieren durfte, damit die fragile Allianz mit den arabischen Staaten a la Saudi Arabien im Kampf gegen Saddam Husein nicht gefährdet wird. Zuckermann kreidet Lanzmann an, dass der in diesen Tagen in verschiedenen Interviews Metaphern aus der jüdischen Verfolgungsgeschichte, vor allem der Shoah verwendete, um die Situation der in Bunkern vor dem Giftgas aus dem Irak Zuflucht nehmenden Juden zu beschreiben . Bemerkenswerterweise sieht Zuckermann in diesen Äußerungen nur eine versuchte Instrumentalisierung der Geschichte und geht überhaupt nicht darauf ein, dass diese Bilder in einem Land der Shoah-Überlebenden sehr vielen Menschen gekommen sind. In Deutschland gingen die Menschen damals hingegen massenhaft auf die Straße, um ein „zweites Dresden“ in Bagdad zu verhindern, wie eine beliebte Losung auf den Demonstrationen der Anti-Kriegsbewegung hieß. Empathie mit den vor dem Giftgas made in Germany Schutz suchenden Juden gab es nur bei einem verschwindend geringen Teil der Linken. Hierin liegt übrigens eine der Geburtsmomente jener antideutschen Bewegung, die Zuckermann im zweiten Teil des Buchs mit dem Holzhammer angreift.

Haaretz als Bezugspunkt

Der erste Teil des Buches hingegen, der sich um die innerisraelische Debatte dreht, passt eigentlich nicht dazu. Dort bekennt sich Zuckermann als linker Israeli und zitiert immer wieder aus seinem Lieblingsblatt, der linksliberalen Haaretz. Deren regierungskritischen Kommentare, in denen nicht nur über Plagiatsvorwürfe gegenüber Ministers und andere Petitessen berichtet wird, sondern eine radikale, d,. h. an den Wurzeln gehende Kritik geübt wird, wie sie der deutschen Presselandschaft unbekannt ist, sind eine Sternstunde des unabhängigen Journalismus. Selbst die Frankfurter Rundschau kam in ihren besten Zeiten nie an die Haaretz-Berichterstattung und – kommentare heran. Sie bilden die Grundlage für Zuckermanns ersten Abschnitt des Buches. Ihm merkt man an, dass es mit der Leidenschaft eines Israelis geschrieben wurde, der über die Politik seines Landes auch deshalb verzweifelt ist, weil er gerade darin eine Gefahr für den Bestand Israels sieht. Warum er sich dann aber im zweiten Teil mit Gruppen und Personen gemein macht, denen es oft nicht um die Sorge um Israel sondern um dessen Abschaffung geht, warum er mit den Holzhammer rausholt und allen israelsolidarischen Kreisen unterstellt, eigentlich heimliche Antisemiten sind, bleibt die große Frage. Ob es darin liegt, dass in Deutschland heute Israelis, die sich auf die Haaretz beziehen, keine Gesprächs- und Diskussionspartner außerhalb der offen antizionistischen Kreise zu haben? Die Entwicklung des am Beginn erwähnten Rolf Verleger legt diesen fatal Befund nahe und sollte zum Nachdenken anregen.
 


 
Moshe Zuckermann
"Antisemit!"
Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument

Promedia Verlag, Wien, 2010
208 Seiten, 15,90 Euro,
ISBN 978-3-85371-318-1