Mehrere Wochen waren
die Hartz IV-Sätze ein zentrales Thema in den Medien,
die Betroffenen werden dabei aber meist gar nicht erwähnt.
Diese Entwicklung ist kein Zufall.
Schließlich wurde die neue Debatte um die Hartz IV-Sätze durch
ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im letzten Jahr
ausgelost. Darauf hatten allerdings im Vorfeld auch einige
Erwerbslosengruppen gesetzt. Es gab nur wenige Kritiker inner-
und außerhalb der Erwerbslosenbewegung, die diese positive
Bezugnahme auf die Justiz problematisierten. Denn damit werden
wieder Staatsapparate und nicht die Betroffenen in den
Mittelpunkt des Interesses gerückt. Diese Warnungen sollten sich
bald bewahrheiten.
Schnell brach unter den politischen Parteien, die Hartz IV
unterstützt und verteidigt hatten, ein Streit über die
Konsequenzen des Richterspruchs aus. Dazu trug bei, dass er, wie
alle juristischen Urteile auslegbar war. Entgegen mancher zu
positiver Bewertung auch in Erwerbslosenkreisen schrieb er
keineswegs eine Erhöhung der Hartz IV-Sätze fest, sondern
verlangte lediglich ihre transparente, nachvollziehbare
Festlegung. Über die Umsetzung dieser richterlichen Vorgaben
entbrannte fortan der Streit zwischen Regierung und Opposition.
Dabei spielte auf beiden Seiten wahltaktische Überlegungen eine
Rolle. Während SPD und Grüne im Vorfeld wichtiger Landtagswahlen
ihre Verantwortung für die Einführung Hartz IV vergessen machen
wollen und sich als Interessenvertreter von Erwerbslosen
aufspielen, geht es der Regierungskoalition vor allem um die
Senkung des Preises der Ware Arbeitskraft insgesamt, die
mediengerecht als Stärkung des Wirtschaftstandortes Deutschland
verkauft wird.
Senkung des Preises der Ware Arbeitskraft
Dabei spielt die Höhe des Hartz IV-Satzes eine entscheidende
Rolle, die weit über die Diskriminierung von Erwerbslosen
hinausgeht, wie sie Westerwelle und die FDP im letzten Jahr mit
der Debatte über die spätrömische Dekadenz auf die Spitze
getrieben hat. In der öffentlichen Debatte wird noch immer zu
wenig zu Kenntnis genommen, dass die Zahl der Menschen, die in
einen Vollzeitjob so wenig verdienen, dass sie mit Hartz IV
aufstocken müssen, kontinuierlich steigt. So verdienen nach
Angaben des DGB-Arbeitsmarktexperten Wilhelm Adamy ein Drittel
der Leiharbeiter weniger als 1200 Euro im Monat brutto. In
Ostdeutschaland sind die Gehälter oft noch niedriger. Das
Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit kommt in einer
Studie zu dem Schluss, dass Zeitkräfte im Schnitt 15 Prozent
weniger verdienen als Stammbeschäftigte mit ähnlichen Aufgaben.
Eine Untersuchung für das Arbeitsministerium in
Nordrhein-Westfalen kommt bei Helfern sogar auf eine Lohnkluft
von 45 Prozent. Dieser Niedriglohnsektor wurde im letzten
Jahrzehnt von CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne geschaffen. Der DGB
hat ihn trotz anfänglichem Sträuben mittlerweile akzeptiert und
macht Tarifabschlüsse im Leiharbeitsgewerbe. Niedrige Hartz
IV-Sätze sollen diesen Niedriglohnsektor zementieren. Hierin
liegt auch der Grund, warum sich die Bundesregierung so vehement
weigert, über die Höhe des Hartz IV-Satzes mit sich reden zu
lassen. Wenn SPD und Grüne in die Verhandlungen das Thema
Mindestlohn einbrachten, ist das eigentlich, weil damit deutlich
wird, dass die Hartz IV-Sätze kein Spezialproblem von
Erwerbslosen sind. Doch den beiden Hartz IV-Parteien ging es
natürlich um Wahlkampftaktik. Eine Mobilisierung der Betroffenen
war von ihnen nicht zu erwarten. Die Linke, die sich ihren Platz
in die Verhandlungsrunde über die Hartz IV-Sätze mit einer
Klagedrohung erkämpfen musste, hat allerdings auch wenig zu
ihrer Mobilisierung beigetragen. Ihre Verhandlungsführerin
Dagmar Enkelmann sogleich kürzte für die Verhandlungen, den im
Parteiprogramm festgelegten Hartz IV-Satz von 500 Euro auf 420
Euro, was bei Erwerbslosengruppen auf Widerspruch stieß Hier
stellt sich einmal mehr die Frage, warum eine linke
Oppositionspartei die Interessen von Erwerbslosen nicht besser
mit ihnen auf der Straße und im Jobcenter vertreten kann, als in
einer Verhandlungsrunde, wo sie als Zeichen ihrer
Politikfähigkeit ihre eigenen Forderungen zurechtstutzt.
Krach schlagen statt Kohldampf schieben
Denn allen medialen Schein zum Trotz, gibt
es weiter aktive Erwerbslose, die sich für ihre Rechte
einsetzen. Sie finden sich meist nicht auf Großdemonstrationen
sondern in Jobcentern, wo sie andere Erwerbslose begleiten und
gemeinsam versuchen, Rechte durchzusetzen. Diese Zahltag
genannten Aktionen werden in den Medien kaum wahrgenommen. Aber
auch wenn die Erwerbslosen die Arbeitsagenturen und Jobcenter
verlassen und ihren Protest auf die Straße tragen, haben sie es
schwer, wahrgenommen zu werden. So hat sich anlässlich des
Gerichtsurteils zu den Hartz IV-Sätzen im letzten Jahr ein
Bündnis aus autonomen und gewerkschaftlichen Erwerbslosengruppen
gegründet, das unter dem Motto „Krach schlagen statt Kohldampf
schieben“ am 10.Oktober im Oldenburg nach langen Jahren wieder
eine bundesweite Erwerbslosendemonstration organisierte. Die
zentrale Forderung war eine Erhöhung der Hartz IV-Sätze um 80
Euro. Das Symbol des Bündnisses, ein Kochlöffel, der auf einen
leeren Kochtopf schlägt, hat sich verbreitert. An der
bundesweiten Großdemonstration für gesunde Ernährung am 22.
Januar Berlin beteiligte sich der „Krach-Schlagen-Block“ laut.
Wenn gesunde Ernährung nicht ein Privileg für Wenige sein soll,
müssen alle genug Geld haben, um sie kaufen zu können, lautete
das Argument für die Beteiligung. Dabei werden auch die
Nahrungsmittelproduzenten wie den Milchbauern unterstützt, die,
so die Berichterstattung des medialen Mainstream, durch geizige
Verbraucher gezwungen wird, immer billiger zu produzieren. Dass
der wachsende Niedriglohnsektor dazu führt, dass immer mehr
Menschen auf billige Lebensmittel angewiesen sind, wird dabei
nicht natürlich geblendet. Die Aktivisten haben aber genau
diesen Zusammenhang in den Mittelpunkt gestellt.
Doch das Anliegen der
Erwerbslosenaktaktivisten wurde in der Berichterstattung
entweder total verschwiegen oder mit wenigen Sätzen abgetan. Das
Aktionsbündnis Sozialproteste hat zu einem bundesweiten Treffen
mit der Frage eingeladen. „Wie lange noch werden die Politiker
über unsere Köpfe hinweg über unser Schicksal verhandeln?“ Die
Frage ist nicht schwer zu beantworten. Es muss wohl noch viel
mehr Krach geschlagen werden, damit das Thema Hartz IV-Sätze den
Parteien und Staatsapparaten entwunden und wieder auf den
Straßen und in den Jobcentern dieser Republik ein Faktor wird.