trend spezial:  Die Aufstände in Nordafrika

Zum Milieu und zur Politik des Bundes Junger Revolutionäre

Eine Einschätzung von "Aug & Ohr"

03/11

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Nachdem der Bund Junger Revolutionäre am vergangenen Samstag (12.2.2011 - red. trend) als Antwort auf die ständigen, zum Teil nichts sagenden, zum Teil die Opposition eindämmenden und die bisherige Politik konservierenden Kommuniqués des Obersten Rats der Streitkräfte (kurz Oberster Militärrat) ein eigenes “Volkskommuniqué Nr. 1” herausgegeben hat (1), sollte man sich aber auch mit den Forderungskatalogen anderer Kräfte beschäftigen. Darunter ist ein sehr detaillierter von Amnesty International vom 11. 2. 2011, genannt Agenda für den Wandel (2), sowie einer, der sich speziell auf die Folter bezieht (3) ein ebenfalls ausführlicher und prägnanter einer Plattform der wichtigsten ägyptischen Menschenrechtsorganisationen, unter anderem des Hisham Mubarak Law Center (4), darunter sind desweiteren die Forderungen der Moslembrüder (5), sowie die Forderungen der KP Ägyptens (6). Und es sollte nicht die Forderung der Streikenden nach Auflösung der gelben Gewerkschaften vergessen werden.

Ein Kern-Set von grundsätzlichen Forderungen ist den meisten dieser Programme gemein, darin konvergieren sie, einzelne spezifische Forderungen charakterisieren die jeweilige Tendenz und Bemühtheit (Beispiel: sofortige Abschaffung der Folter) und könnten zusammen mit den fundamentalen, für das Überleben wichtigen Kernforderungen (Beispiel: Aufhebung des Ausnahmezustandes) in die dringend notwendigen Forderungen der Solidaritätsarbeit abroad übernommen werden, die konkreter werden müssen.

Wenn hier verschiedene Programme dargestellt werden, so in erster Linie deshalb, weil man die politische Gesamtlandschaft der Opposition kennen sollte, der militanten Straßenopposition, der Mittelschichts- und Mitte-Links-opposition der Blogger, der proletarischen Opposition und die der legalen und noch nicht legalen politischen Parteien. Die einzelnen Komponenten der Gesamtopposition werden ja durch die jeweiligen Losungen und Programme genau gekennzeichnet.

Ich glaube, daß in der derzeitigen Situation nach wie vor ein breiter Druck notwendig ist, um das Folter- und US-hörige System zu beseitigen. Wenn jemand für eine sehr radikale Option plädiert: Priorität der Arbeitskämpfe, Enteignungen, etwa gar Volksmacht, so stehen diese Zielsetzungen ja nicht notwendigerweise im Widerspruch zu einer Breiten- und Sammlungspolitik “nach Augenmaß”, die jetzt für das Überleben der Bewegung unabdingbar ist.

Der Bund Junger Revolutionäre, der mit einem ersten Forderungsprogramm an die Öffentlichkeit getreten ist, setzt auf Verhandlungen, mit denen diese Forderungen umgesetzt werden sollen, sowie begleitende Mobilisierung. Sie verstehen sich als Beauftragte der Bewegung. “Das Ziel dieses Delegiertenrates ist die Einrichtung eines Dialogs mit dem Obersten Militärrat und die Weiterführung der Revolution in der Übergangsphase, erklärte Khaled Abdel Qader Ouda, der wie viele AktivistInnen aus dem universitären Bereich stammt, den Journalisten auf dem Tahrirplatz. Weiters gehöre es “zu den Aufgaben des Rats, Protestaktionen einzuberufen oder zu beenden, je nachdem wie sich die Situation entwickelt” (7).

Dieses Konzept steht im Widerspruch zu den Auffassungen einer sehr großen Zahl von AktivistInnen, die auf permanente Proteste setzen. Damit nabelt sich Ouda zusätzlich von den Arbeiterkämpfen ab, die er wohl mit seinem Rat nicht “einberufen” oder “beenden” kann. Es scheinen ihm diese Kämpfe etwas ganz Anderes zu sein, von den “Jugendprotesten” Getrenntes. Was aber, wenn beide Komponenten gemeinsam mobilisieren?

Seinen Mittelschichtdemokraten wird gerade diese Abnabelung und diese Trennung beider Bereiche von linken Bloggern, also linken Basis-Journalisten, und der linken Aktivistenszene vorgeworfen. - Und wer sagt denn, ob nicht die Kämpfe der Arbeiter und Arbeiterinnen (in Mahalla al-Kubra war vor drei Jahren die Initiative der Frauen im Betrieb von großer Bedeutung!) auch auf den zentralen Protesten in Kairo in Zukunft ein größeres Gewicht bekommen werden, ob sie nicht etwa gar einmal “den Tahrirplatz” übernehmen werden?

Die Verantwortung dieses Rates ist groß. Was für Strukturen sind geplant, wie ist sein politisches Selbstverständnis?

“Er soll etwa 20 Mitglieder umfassen, darunter Organisatoren der Protestbewegung, bekannte Persönlichkeiten und Führungskräfte aus der ganzen Breite des politischen Spektrums” teilt Ouda mit (7).

Auf einer Pressekonferenz am Montag den 14. 2. rief der Bund dazu auf, es sollte innerhalb eines Monats eine neue, aus Experten bestehende Übergangsregierung gebildet werden, die Regierung sollte von “einer patriotischen Persönlichkeit aus dem zivilen Leben” angeführt werden, die “den Respekt und das Vertrauen des Volkes genießt” (8). Ob mit “Patriotismus”, ein Wort, das in Ägypten mehrere Bedeutungen hat (9) auch die Lösung von der bisherigen Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten mitgemeint war?

Shady Harb, der hier als Vertreter der Jugend bezeichnet wird (Zwanzigjährige werden ihn als alt empfinden (10)) sagt offen: “Wir fordern von den Streitkräften, dies sobald wie möglich auf die Tagesordnung zu setzen, und alle Regierungsmitglieder, die zur Nationaldemokratischen Partei gehören, zu entlassen.” (8)

Die Übergangsperiode sollte nicht länger als 9 Monate dauern. Es finden zunächst vorbereitende Gespräche statt. “Wir haben noch keine Verhandlungen begonnen”, sagt Harb am 14. 2..

Bei dieser Pressekonferenz wurde bereits angekündigt, daß ein umfangreicherer und detaillierterer Forderungskatalog bis Ende der Woche ausgearbeitet werden soll. In der Zwischenzeit ist ein erweiterter Katalog bereits veröffentlicht worden, er besteht aus 12 Forderungen, deren erste sich auf die Aufhebung des Ausnahmezustands bezieht (1).

Innerhalb von 10 Tagen, so lautet eine weitere Forderung auf der Pressekonferenz, sollen die Gesetze aufgehoben werden, mit denen bisher die Gründung von politischen Parteien extrem erschwert oder verhindert wurde. Für die Ausarbeitung eines Gesetzes, mit dem das Recht auf freie politische Betätigung garantiert werden soll, wird eine Monatsfrist gesetzt (8). Nach jahrzehntelanger Petrifizierung und Mumifizierung spürt man, wie ernst es den Menschen ist, schnell und konsequent vorzugehen. Den verfaulten Regimes Europas ist Ähnliches zu wünschen.

Am Samstag den 13. trafen sich zunächst sieben Aktivisten der Protestbewegung, darunter Wael Ghonim, mit den Militärs. Wael Ghonim hat die Seite “Wir sind alle Khaled Salid” begründet. Khaled Salid ist – war - ein Blogger, der im Juni des vergangenen Jahres in Alexandria von der Polizei auf brutalste Weise ermordet wurde. Da Bild seines zerschlagenen und zerstörten Kopfes findet sich im Internet. Auf seiner Seite rief Wael Ghonim zur ersten Demonstration gegen Mubarak auf, am 25. 1. 2011. Wie bei anderen politischen Bloggern sind seine roots im establishment: Der Kommunikationsfachmann war an der Entwicklung des Portals der ägyptischen Regierung beteiligt, wurde dann Google-Manager, wie bekannt.

Aus den Statements der Delegierten sowie ihnen nahestehender Kräfte kann man die unterschiedlichen politischen Nuancen herauslesen, die verschiedenen Positionen in der Gesamtbewegung entsprechen. Khaled Abdel Qader Ouda etwa hat ein ungebrochen rühmendes Verhältnis zu den Militärs. “Wir sprechen den Streitkräften unsere Anerkennung aus für ihre ernsthaften Schritte, mit denen sie den Forderungen des Volkes Rechnung tragen” meint er (11), und es ist noch ein bißchen Pharaonensprache. Oder ist es eine diplomatische captatio benevolentiae?

Die Aktivisten der Protestbewegung (die von diesem Ausschuß vertreten wird), haben selbst und natürlicherweise unterschiedliche Positionen. Ein Aktivist des Tahrir-Platzes, von der Washington Post zitiert, meint: Diejenigen, die für diese Verbrechen verantwortlich sind, müssen vor Gericht gestellt werden.” (12) Ein Computertechniker aus Mansoura, Mitbesetzer, stellt die Forderungen hoch: “Das ist eine Revolution, keinen halbe Revolution. Wir brauchen einen Zeitplan für Wahlen, und wir brauchen eine Übergangsregierung. Wir brachen einen (inzwischen eingerichteten, AuO) Ausschuß zur Ausarbeitung eine neuen Verfassung. Wenn wir das alles haben, dann können wir nach Hause gehen.” (14) Wenn das erfüllt ist, will er demobilisieren? Auch die Reaktion wird revolutionär. Safwat Highazi wird in der Washington Post als moslemischer Geistlicher zitiert mit der Forderung “Das Geld, das sie gestohlen haben, muß dem Volk zurückgegegen werden.” (14). Wenn es sich um denjenigen Geistlichen handelt, der fanatischerweise dem Buddhismus und der (im Iran gejagte) Baha´i-Religion die Qualität von Religionen aberkennen will, dann hat die Bewegung gefährliche Freunde. Er sagt auch: “Wenn das Heer unseren Forderungen nicht nachkommt, dann wird die Revolte und werden die Gegenmaßnahmen nur noch stärker werden” (15). Scheint eher ein Maoist zu sein.

Will man sie einwickeln? Die jungen Revolutionäre waren beeindruckt von der „Achtung“, die ihnen während der ersten Sondierungssitzung entgegengebracht wude. Es habe gar nicht der ansonsten übliche paternalistische Tonfall geherrscht. Ob sie nicht reichlich raffinierten Verhandlungspartnern gegenübersitzen? (16)

Am 14. 2. bereits berichtet BBC, das Militär habe zugesagt, innerhalb von 10 Tagen Vorschläge für die Änderung der Verfassung vorzulegen, und innerhalb von 2 Monaten soll eine Volksabstimmung abgehalten werden (17)

Ein “Erfolg”, wie man im Westen sagt. Und die vor einer Woche angekündigte Befreiungsfeier ist heute zu einem großen Massenereignis geworden.

Und inzwischen ist die Entwicklung noch weitergegangen.

Mit diesem Bericht sollte ein wenig klargestellt werden, daß dieser Bund oder diese Koalition eine diplomatische Kernkomponente der Bewegung ist, eine nützliche und wichtige, aber nur eine Komponente. Es wäre falsch, sich ausschließlich auf diese politisierten Computerspezialisten der Mittelschicht zu beziehen, es wäre falsch ihr Gewicht in der Bewegung und ihre Bedeutung für die Bewegung geringzuschätzen.

Anmerkungen

(1) Es liegt nun die vollständige Version vor, in englischer Übersetzung ist sie hier zu finden:
Egypt's Protesters Communique Number 1, 14. 2. 2011, Press Release: Egyptian Protesters http://www.scoop.co. , ebenso bei: Egypt: It’s Not Over Yet! http://www.kabobfest.com .
Die englische Version bezieht sich auf eine arabische Quelle:  http://3yonhala.com/vb/showthread.php?t=31223 Es ist uns nicht bekannt, was für eine politische Tendenz die arabische Quelle und die angeführte kabobfest.com haben und von wem sie betrieben werden.
Das genannte 5. Kommuniqué des Militärrats bei: Jeff Pozmantier: Victory? Not So Fast, 14. 2. 2011 http://bumpspot.com/victory-not-so-fast/
(2) Agenda für den Wandel , 11. 2. 2011 http://www.amnesty.at/informiert_sein/menschenrechte_in_aegypten/
(3) Militär muss Folter endlich stoppen! 17. 2. 2011,  http://www.amnesty.at/
Die Linke hat verabsäumt, dieses prioritäre Thema zu einer ihrer Hauptforderungen zu machen, geschweige denn Kampagnen auf die Beine zu stellen, deren Voraussetzung freilich Koordinationsarbeit sein muß zwischen den in zahlreichen Ländern noch isoliert dahinarbeitenden Grüppchen. Bei Irakkrieg gab es noch so etwas wie Solidaritätsfronten, wenn auch aufgeweicht durch die schmierigen und zerstörerischen Elemente aus den Reihen der Grünen und der Sozialdemokraten.
(4) "Egyptian Initiative for Human Rights, 12. 2. 2011, http//eipr.org/en/pressrelease/2011/02/12/1097  
(5) Aug und Ohr: Die Moslembrüder sind diplomatisch und gründungsfreudig, Indymedia Deutschland, 16. 2. 2011
(6) Jens-Torsten Bohlke: KP Ägyptens erhebt Grundforderungen für den Übergang/ Verfassungsgebende Versammlung jetzt, Kommunisten-online, 16. 2. 2011  http://www.kommunisten-online.de/International/aegypten1.htm#KP
Übersetzt aus: Tribuna Popular, 14. 2. 2011 http://www.tribuna-popular.org/i
Die Tribuna Popular ist eine Zeitung des Partido Comunista de Venezuela
(7) Marwa Awad/Alistair Lyon: Protesters form council to defend Egypt revolution, Reuters, 12. 2. 2011
(8) Noha El-Hennawy: Young revolutionaries call on military to form technocratic interim govt, Al Masry al-Youm, 14. 2. 2011
(9) eine der Regimetreue, eine mit der Erinnerung an die antikolonialen Kämpfe getränkte, eine eines klassenneutral mit einem gesamtnationalen Ich agierenden neuen Bewußtseins eines Teils der Protestbewegung.
(10) Dr. Shady Ghazli Harb ist Arzt und unterrichtet an der Universität Kairo. Er gründete in London die „Egyptians For a Change“ und ist der Neffe von Dr. Osama Ghazli Harb, dem Vorsitzenden der Partei der Demokratischen Front, die 2007 von dem ehemaligen NDP-Mitglied Osama Ghazli Harb und Yehia el-Gamal, einem früheren Regierungsmitglied, gegründet wurde. (Angaben zu Shady Ghazli Harb und zur Partei der Demokratischen Front aus Wikipedia). So werden die aus dem Bürgertum ererbten Kompetenzen und die skills der ruling class für die (besonnene) Transformation der Gesellschaft eingesetzt.
(Where Is Dr. Harb ??, Egyptian Chronicles, 14, 9. 2010)
(11) Marwa Abad, Tom Perry: Egypt protesters call for Friday celebration march, Reuters, 13. 2. 2011
(12) Craig Whitlock: Elated protesters 'staying put' in Tahrir Square until demands for  democracy are met", Washington Post, 12. 2. 2011 (zitiert und Hinweis bei (13))
(13) Andy Worthington: In Post-Mubarak Egypt, Protestors Demand A Date for Free and Fair Elections from the Supreme Council, New Left Project, 12. 2. 2011 http://www.newleftproject.org
(14) Craig Whitlock, Leila Fadel and Samuel Sockol: Egyptian soldiers clear protesters from Tahrir Square, as pockets of tension bubble up in Cairo, Washington Post, 13. 2. 2011 (zitiert und Hinweis bei (13))
(15) Egypt military rulers under pressure from protesters, Reuters, 12. 2.
(16) Egypts Ruling Generals Meet With Opposition, NYT, 14. 2. 2011
(17) Egypt crisis: Protests swith to demands on pay, BBC, 14. 2.

Editorische Hinweise

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