trend spezial:  Die Aufstände in Nordafrika

Die Neokon-Falken fliegen über Libyen

von Jim Lobe

03/11

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Als deutliches Echo der Taktik, die sie verfolgten, als sie die US-Intervention im Balkan und Irak ermutigten, forderte eine nur zu bekannte Gruppe von Neokonservativen am Freitag die Vereinigten Staaten und die NATO auf, „sofort“ eine militärische Aktion zu ergreifen, um das Regime des libyschen Führers Muammar al-Gaddafi zu stürzen und die Gewalt zu beenden, die wahrscheinlich schon über 1000 Menschen in der vergangenen Woche getötet hat.

Der Aufruf, in Form eines Briefes, von 40 politischen Analytikern unterzeichnet, darunter mehr als ein Dutzend ehemalige hohe Beamte, die unter Präsident George W. Bush dienten, wurde organisiert und veröffentlicht von der Foreign Policy Initiative (FPI = Initiave für Außenpolitik), einer zwei Jahre alten neokonservativen Gruppe, die weithin als Nachfolger des berühmteren oder „berüchtigteren“ Projektes für das Neue Amerikanische Jahrhundert (PNAC) angesehen wird.

Mit der Warnung, dass Libyen „auf der Schwelle zu einer moralischen und humanitären Katastrophe“ steht, forderte der Brief, der an Präsident Barack Obama gerichtet war, spezifische unmittelbare Schritte einschließlich einer militärischen Aktion in Verbindung mit der Auferlegung einer Reihe von diplomatischen und ökonomischen Sanktionen, um „das mörderische libysche Regime zu Fall“ zu bringen.

Insbesondere rief er Washington auf, Druck auf die NATO auszuüben, „um Operationspläne auszuarbeiten, um Kampfflugzeuge einzusetzen, um das Regime daran zu hindern, Jagdflugzeuge und Kampfhubschrauber gegen Zivilisten zu benutzen, und andere erforderliche Missionen durchzuführen; (und) Kriegsschiffe in libysche Gewässer schicken“, um „bei Evakuierungen zu helfen und für Eventualitäten bereit zu sein“; ferner „für die Fähigkeit zu sorgen, libysche Kriegsschiffe kampfunfähig zu machen, damit sie nicht Zivilisten angreifen“.

Zu den Unterzeichnern des Briefes gehören der ehemalige stellvertretende Verteidigungsminister von Bush Paul Wolfowitz; der Spitzenberater von Bush für globale Demokraie und den Nahen Osten“ Elliott Abrams; die ehemaligen Ghostwriter von Bush Marc Thiessen und Peter Wehner; Vizepräsident Dick Cheneys ehemaliger stellvertretende Sicherheitsberater John Hannah sowie die vier Direktoren der FPI: Weekly Standard Herausgeber William Kristol; Brookings Institution Mitglied Robert Kagan; der ehemalige Sprecher der Provisorischen Irakischen Koalitions Behörde Dan Senor; und der ehemalige stellvertretende Verteidigungsminister für Politik und Botschafter in der Türkei Eric Edelman.

Kagan und Kristol waren es, die zusammen die PNAC gründeten und in ihrer Glanzzeit von 1997 bis zum Ende der Bush-Amtszeit 2005 leiteten.

Der Brief kommt inmitten des wachsenden Drucks auf Obama, auch von liberalen Falken, stärkere Maßnahmen gegen Gaddafi zu ergreifen.

Zwei prominente Senatoren, deren außenpolitische Ansichten häufig neokonservatives Denken aufweisen, der Republikaner John McCain und der unabhängige Demokrat Joseph Lieberman riefen am Freitag in Tel Aviv Washington auf, die libyschen Rebellen mit Waffen zu versehen und u. a. eine no-fly-Zone über das Land zu verhängen.

Am Mittwoch sagte Obama, dass sein Stab „die gesamte Reihe von Optionen“ für Aktionen vorbereite. Er kündigte auch an, dass Außenministerin Hillary Clinton zu einem Treffen der Außenminister beim UN Menschenrechtsrat in Genf am Montag fliegen werde, um eventuelle mulilaterale Aktionen zu diskutieren.

„Sie wollen die Möglichkeit offenhalten für eine Reihe von Maßnahmen, die sie ergreifen können, wie etwa eine 'no-fly-Zone', das Einfrieren der ausländischen Guthaben der Gaddafi-Familie, Maßnahmen zur Verhinderung von Söldnertransporten (von Gaddafi angeworben) nach Libyen, Sanktionen gegen einige seiner Unterstützer, um sie zu überreden, ihn aufzugeben“, sagte am Donnerstag Steve Clemons von der New America Foundation, der am Treffen der unabhängigen außenpolitischen Analytiker teilnahm zusammen mit Abrams, Nationaler Sicherheitsberater im Weißen Haus.

In den 90-er Jahren haben die Neokonservativen ständig gedrängt, militärischen Druck auf sogenannte „Schurkenstaaten“, insbesondere im Nahen Osten, auszuüben.

Nach dem Golfkrieg von 1991 zum Beispiel gabem viele „Neo-Cons“ ihrer bitteren Enttäuschung Ausdruck, dass die US-Truppen an der Kuweitischen Grenze Halt gemacht hatten, statt auf Baghdad zu marschieren und das Regime von Saddam Hussein zu stürzen.

Als der irakische Präsident dann seine Truppen gegen die kurdischen Rebellen im Norden und die Shia-Aufständischen im Süden schickte, haben sie „zusammen mit vielen liberalen Interventionisten-Kumpanen“ Druck auf Präsident George W. Bush ausgeübt, 'no-fly-Zonen' über beiden Regionen einzurichten und zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen – ähnlich dem, was sie jetzt für Libyen vorschlagen – um das repressive Militärregime zu schwächen.

Diese Aktionen haben das Muster für 1990 geliefert. Am Ende des Jahrzehnts haben die Neokonservativen, oft unter der Schirmherrschaft einer sogenannten „Briefkopf“ -Organisation wie PNAC, daran gearbeitet mit Hilfe von einigen liberalen Internationalisten, die eifrig waren, ein Recht auf humanitäre Interventionen herzustellen, Druck auf Präsident Bill Clinton auszuüben, um militärische Aktionen gegen Feinde auf dem Balkan „erst in Bosnien, dann in Kosovo“ und im Irak zu ergreifen.

Innnerhalb weniger Tage nach 9/11 zum Beispiel hatte die PNAC einen Brief mit Unterschriften von 41 prominenten Persönlichkeiten, „fast alles Neokonservative, darunter 10 von den Libyen-Unterzeichnern“ herausgebracht, der nach militärischer Aktion, „um Saddam Hussein von der Macht in Irak zu entfernen, rief und nach Vergeltungsschlägen gegen Iran und Syrien, falls sie nicht sofort ihre Unterstützung für die Hisbollah im Libanon einstellten.

PNAC und ihre Verbündeten haben danach eng mit Neokonservativen in der Bush-Verwaltung zusammengearbeitet, mit Abrams, Wolfowitz und Edelman, um diese Ziele durchzusetzen.

Während die Neokonservativen die ersten waren die nach militärischer Aktion gegen Gaddafi in der vergangenen Woche riefen, haben sich inzwischen prominente liberale und rechte Aktivisten angeschlossen, davon drei Brief- Unterzeichner: Neil Hicks von Human Rights First, Bill Clintons Human Rights Chef; John Shattuck und Leon Wieseltier vom The New Republic, die auch den Irakbrief vor 10 Jahren unterzeichneten.

Außerdem zitierte Anne-Marie Slaughter, bis vorigen Monat einflussreiche Direktorin vom politischen Planungsbüro des Außenministeriums, die US-NATO Kampagne als möglichen Präzedenzfall. „Die internationale Gemeinschaft kann nicht dastehen und beim Massaker libyscher Demonstranten zuschauen“, schrieb sie auf Twitter. „In Ruanda schauten wir zu, in Kosovo handelten wir.“

Derlei Kommentare haben jedoch starke Reaktionen bei einigen Militärexperten hervorgerufen.
„Ich bin entsetzt zu lesen, mit welcher Leichtigkeit liberale Interventionisten fortfahren, humanitäre Krisen und regionale Konflikte mit dem Einsatz von militärischer Macht lösen zu wollen“, schrieb Andrew Exum, ein Spezialist für Aufstandsbekämpfung beim Zentrum für Neue Amerikanische Sicherheit, dessen Abu Muqawama Blog hier viel gelesen wird. „So glatt über solche Dinge zu reden, zeigt ein unreifes Verständnis für die Grenzen der Gewalt und der Schwierigkeiten und Komplexität zeitgenössischer militärischer Operationen.“

Andere Kommentatoren schreiben, dass es jetzt weit schwieriger sein würde, eine neue Koalition von Neokonservativen und liberalen Interventionisten aufzustellen, als während der Balkankriege in den 90-ern.

„Wir haben jetzt Irak und Afghanistan als Warnzeichen und unsere Finanzkrise, weshalb ich glaube, dass es keinen großen Appetit auf dem Capitol Hill oder im Publikum auf noch ein militärisches Engagement gibt“, sagte Charles Kupchan, ein außenpolitischer Spezialist beim Rat für Ausländische Beziehungen (CFR).

„Ich unterstütze diplomatische und ökonomische Sanktionen, aber ich würde sofort Stopp sagen für militärische Aktionen, einschließlich von no-fly Zonen“, fügte er hinzu und verwies darauf, dass die meisten Morde in Libyen jedenfalls von Söldnern und Paramilitärs zu Fuß oder aus Fahrzeugen verübt wurden.

„Es mag ein paar Dinge geben, die wir tun können, wie eine 'Luftbrücke' für humanitäre Hilfe in die Grenzregion, wo es eine wachsende Menge Flüchtlinge gibt, aber ich würde es nur tun mit der vollen Unterstützung der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union, wenn nicht mit der UNO“, sagte Clemons.

„(Die Neokonservativen) sind im wesentlichen für Interventionen, für den Krieg, ohne Rücksicht auf die Kosten für unser Land“, sagte er zu IPS. „Sie begreifen nicht, dass wir unerhört überfordert sind und dass die Art Dinge, die sie wollen, dass wir tun, in Wirklichkeit unseren bereits angefressenen Vorrat an militärischer Macht noch mehr schwächen.“
 

Editorische Hinweise

Der Artikel erschien am 25.2. 2011 bei http://www.tlaxcala-int.org/ und wurde übersetzt  von Einar Schlereth.
Wir spiegelten den Artikel von dort.