Vor 90 Jahren
Die machtvolle Einheitsaktion der deutschen Arbeiterklasse zur Zerschlagung des konterrevolutionären Kapp-Putsches

Autorenkollektiv Walter Ulbricht u.a.

03/10

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Im ersten Halbjahr 1919 war die revolutionäre Vorhut der deutschen Arbeiterklasse von der Reaktion in blutigen Kämpfen niedergeworfen worden. Die Konterrevolution erstarkte. Vor allem auf den Gütern der ostelbischen Großgrundbesitzer und in Bayern sammelten sich be­waffnete konterrevolutionäre Verbände. Die reaktionärsten Kräfte des deutschen Imperialismus bereiteten sich darauf vor, mit Waffengewalt die bürgerliche Demokratie und die Errungenschaften der November­revolution zu beseitigen, die Arbeiterklasse niederzuwerfen, deren Organisationen zu zerschlagen und in Deutschland eine Militärdikta­tur zu errichten.
 

Im Sommer 1919 gründete Hauptmann Waldemar Pabst, einer der Hauptverantwortlichen für die Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs, die Nationale Vereinigung, das Zentrum der Verschwö­rung. Sie stand in Verbindung zum Nationalklub, dem unter anderen die Großindustriellen Ernst von Borsig, Emil Kirdorf, Hugo Stinnes, Albert Vogler, der Militaristenklüngel um Erich Ludendorff und die reaktionären Politiker Karl Helfferich und Alfred Hugenberg ange­hörten.

Diese Verschwörergruppe aus schwerindustriellen Kriegsgewinn­lern, eingefleischten Militaristen und deren politischen Interessen­vertretern aus der Deutschnationalen Volkspartei und der Deut­schen Volkspartei stützte sich auf Teile der von den rechtssozial­demokratischen Führern zur Niederwerfung der revolutionären Arbeiterklasse gebildeten Reichswehr, auf die in der blutigen Unter­drückung der Arbeiter und im antisowjetischen Interventionskrieg „bewährten" Freikorps und auf Teile der bürgerlichen Einwohner­wehren.

Die auf Grund des Versailler Vertrages geforderte Reduzierung des Landheeres auf 100 000 Mann und die von Gustav Noske auf die Forderung der Entente hin verfügte Auflösung der Marinebrigaden Ehrhardt und Loewenfeld nahmen die Verschwörer zum Vorwand, um den geplanten Putsch auszulösen. Am 10. März 1920 unterbreitete General von Lüttwitz dem sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert ein Ultimatum, dessen Hauptforderungen waren: Keine Verringerung der Reichswehr, keine Abgabe von Waffen und Munition an die Entente, Neuwahl der Nationalversammlung und des Reichspräsidenten. Jetzt erst erließ die Regierung, die seit langem von den Putschvorbereitungen wußte, einen Haftbefehl gegen die Ver­schwörer. Der Befehl kam zu spät. Als in der Nacht vom 12. zum 13. März die konterrevolutionäre Soldateska gegen Berlin vorrückte, weigerte sich Generalmajor Hans von Seeckt, der Chef des Truppenamtes im Reichswehrministerium - das Truppenamt hatte die wesentlichen Funktionen des durch den Versailler Vertrag verbotenen Generalstabs übernommen -, die Reichswehr gegen die Meuterer ein­zusetzen.

In den frühen Morgenstunden des 13. März 1920 zog die berüch­tigte Marinebrigade Ehrhardt unter schwarz-weiß-roten Fahnen mit dem Hakenkreuz am Stahlhelm in die deutsche Hauptstadt ein und besetzte das Regierungsviertel. Die Regierung hatte schon vorher fluchtartig die Stadt verlassen. Auch in anderen Teilen Deutschlands schlugen die militaristischen Verschwörer los. Ihre Führer nahmen die Regierungsgewalt in die Hand, erklärten die Nationalversammlung für aufgelöst und die Regierung Bauer für abgesetzt.51 Es begann ein rücksichtsloser Terror der Putschisten. Arbeiter, vor allem Mitglieder und Funktionäre der KPD, der USPD und der SPD, aber auch bürger­liche Demokraten wurden von den militaristischen Banden verhaftet, mißhandelt, ermordet.

An der Spitze des Putsches standen Junker und Militaristen wie der einstige Gründer der reaktionären Deutschen Vaterlandspartei, der Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp, der Befehlshaber des Gruppenkommandos I der Reichswehr, General von Lüttwitz, der ehe­malige kaiserliche Polizeipräsident von Berlin, Traugott von Jagow, der geschlagene Heerführer des Weltkrieges, General Erich Luden-dorff, und Waldemar Pabst.

Der Kapp-Putsch war der Versuch der extremsten Konterrevolutio­näre, ihre unverhüllte Diktatur zu errichten. Sie hielten die Zeit für gekommen, da sie ohne die rechten Führer der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften regieren könnten. So glaubten sie am besten die Herrschaft des Finanzkapitals in Deutschland sichern und die innen­politischen Voraussetzungen für neue Kriegsabenteuer schaffen zu können.

Außenpolitisch waren die Verschwörer Verfechter einer offenen und aktiven Beteiligung Deutschlands am imperialistischen Kreuzzug gegen die junge Sowjetrepublik. General von Lüttwitz erklärte, daß der Kampf gegen den Bolschewismus ein Hauptgrund der ganzen Bewe­gung sei, und forderte die Verstärkung der Reichswehr, um zur Offen­sive im Osten übergehen zu können.

Die Rettung der Macht der Monopolherren und Militaristen während und nach der Novemberrevolution, die verderbliche antikommunistische Politik der bürgerlichen Parteien und der rechtssozialdemokra­tischen Führer hatten den Boden für den Putsch bereitet.

In der Stunde der höchsten Gefahr für das deutsche Volk, als die Regierung geflohen war und die Reichswehr direkt oder indirekt die Verschwörer unterstützte, erwies sich erneut die Arbeiterklasse als entschiedenste Verfechterin der Demokratie und konsequenteste Gegnerin des Militarismus. Der Vorstoß der Konterrevolution löste in der gesamten deutschen Arbeiterklasse tiefe Empörung aus. Mit ele­mentarer Wucht erhob sie sich zur Abwehr des Putsches. Millionen Arbeiter, Mitglieder der KPD, der USPD, der SPD und Parteilose, erkannten, daß dieser Angriff gegen die Interessen aller Teile der Arbeiterschaft, unabhängig von ihrer politischen Auffassung, gerichtet war. Millionen legten die Arbeit nieder und beantworteten den Putsch mit stürmischen Versammlungen und Demonstrationen. Unter dem Eindruck der Gefahr, die von den Putschisten ausging, besann sich die durch die opportunistische Politik der Führung der SPD und rechter Führer der USPD gespaltene Arbeiterklasse auf ihre stärkste Waffe, auf ihre Einheit.

Der Putsch bedrohte die bürgerliche Republik und die von der SPD in Regierung und Verwaltung errungenen Positionen. Angesichts des­sen riefen die Führungen der SPD53, der USPD und der Gewerkschaf­ten54 am 13. März 1920 zum Generalstreik gegen die Putschisten auf.

Die Kommunisten und die linken Kräfte der USPD standen in der ersten Reihe der Kämpfer. Die revolutionäre Agitation und Propa­ganda der KPD, die seit ihrer Gründung konsequent gegen Imperia­lismus und Militarismus gekämpft hatte, ihre wiederholten Warnungen vor konterrevolutionären Putschen trugen wesentlich dazu bei, daß die Volksmassen den Putschisten so entschlossen die Stirn boten. Die große Mehrzahl der Bezirks- und viele Ortsorganisationen beteiligten sich von den ersten Stunden an entschlossen an den Abwehrkämpfen des Proletariats.Am 13. März riefen die Organisationen der KPD in Rheinland-Westfalen und im Bezirk Erzgebirge-Vogtland zum Kampf gegen die Putschisten auf und forderten die Bewaffnung der Arbeiter und die Bildung von Arbeiterräten. Kommunisten traten in die vielerorts entstehenden Streikleitungen und Aktionsausschüsse ein und drängten am nachdrücklichsten darauf, daß entschiedene Kampf­maßnahmen gegen die Kapp-Putschisten getroffen wurden.

Während die meisten Organisationen der KPD von Anfang an konsequent den Kampf gegen die Putschisten aufnahmen, kam es in der Zentrale in dieser Situation erneut zu Diskussionen über Grund­probleme der Taktik. Der Putsch traf die junge Partei gerade in dem Augenblick, als sie durch die Abspaltung vieler Mitglieder nach dem 3. Parteitag organisatorisch stark geschwächt war und erst begann, eine richtige Massenpolitik zu entwickeln. In Berlin zählte zu dieser Zeit die KPD beispielsweise nur etwa achthundert Mitglieder. Alle diese Um­stände beeinflußten die Auseinandersetzungen in der Parteiführung.

Am 13. März beschloß die Mehrheit der in Berlin anwesenden Mit­glieder der Zentrale, auch unter dem Einfluß der ultralinken Führer der Berliner Bezirksleitung, unter ihnen Ernst Reuter-Friesland, im Gegensatz zur Haltung der Mehrheit der Parteimitglieder, nicht zur Beteiligung am Generalstreik aufzurufen. Eine Minderheit, die sich gegen den Beschluß wandte und für den Generalstreik eintrat, konnte sich nicht durchsetzen. In dem Aufruf der Zentrale vom 13. März wurde zwar die Notwendigkeit des entschiedenen Kampfes gegen die Militär­diktatur betont, aber es wurde abgelehnt, für die Verteidigung der Re­gierung der Mörder Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs, für die Verteidigung der bürgerlichen Republik zu kämpfen. Dafür sei, so hieß es in falscher Einschätzung des Kampfwillens der Arbeiterklasse und des Kräfteverhältnisses der Klassen, das Proletariat nicht bereit und auch nicht in der Lage. Der Kapp-Putsch wurde nur als Ausein­andersetzung innerhalb der herrschenden Klasse gewertet. Wenn das Gesicht der Militärdiktatur sich enthüllt haben werde, dann würden die Arbeiter den Kampf aufnehmen. Der Aufruf spiegelte Unklar­heiten über das Verhältnis des Kampfes um Demokratie und Sozialis­mus in der KPD wider.
Diese sektiererische Stellungnahme, die von einer Unterschätzung der Notwendigkeit zeugte, den bürgerlich-demokratischen Kampf­boden gegen die Militaristen zu verteidigen, wurde bereits am folgen­den Tag korrigiert.

Die Zentrale der KPD rief am 14. März, wie es schon vorher die Mehrzahl der Parteiorganisationen in vielen Bezirken und Orten ge­tan hatte, zum gemeinsamen Kampf der Arbeiterklasse gegen die Put­schisten auf.57 Sie forderte die Entwaffnung der Reichswehr, der Sicherheitspolizei, der Einwohnerwehren und der der Reichswehr unter­stehenden Zeitfreiwilligen sowie die Bildung einer Arbeiterwehr; sie entlarvte die großkapitalistischen und junkerlichen Hintermänner der Verschwörer und die verderbliche proimperialistische, arbeiterfeind­liche Politik der Koalitionsregierung. Dadurch wies sie den Aktionen der Volksmassen Richtung und Ziel und erleichterte dem Proletariat die klassenmäßige Einschätzung des Putsches und des Weimarer Staa­tes. Völlig richtig wandte sie sich gegen die Wiederkehr der bisherigen Regierung, unter deren Augen der Putsch vorbereitet worden war.

Am Montag, dem 15. März, war der Generalstreik allgemein. In ganz Deutschland ruhte die Arbeit.
Insgesamt standen etwa 12 Millionen Arbeiter und Angestellte im Kampf gegen die Konterrevolution. Der Verkehr war lahmgelegt. In fast allen größeren Städten fanden Massenkundgebungen und Protest­versammlungen statt. Dort, wo die KPD und der linke Flügel der USPD den größten Masseneinfluß besaßen, wurden die Kämpfe am entschiedensten geführt. Im örtlichen Maßstab kam es mehrfach zu Ab­kommen zwischen Organisationen der KPD, der USPD und der SPD. Gemeinsam bildeten Kommunisten, Sozialdemokraten und Mitglieder der USPD sowie christliche und parteilose Arbeiter mannigfache Einheitsorgane wie Streikausschüsse, Einheitskomitees, Vollzugsräte und Volksausschüsse zur Führung des Abwehrkampfes gegen die Kapp-Putschisten. Viele Angehörige der Mittelschichten, der Intelli­genz und des demokratischen Bürgertums schlössen sich unter dem Ein­druck der machtvollen einheitlichen Kämpfe der Arbeiterklasse der Front gegen die militaristischen Verschwörer an. Die Deutsche Demo­kratische Partei und das Zentrum nahmen in Erklärungen gegen die Kapp-Putschisten Stellung. Der damalige Chefredakteur der „Berliner Volkszeitung", Otto Nuschke, wirkte in Berlin aktiv bei der Organi­sierung des Widerstandes gegen den Putsch.
Für Berlin wurde aus Vertretern der Führung der USPD, der Ber­liner Gewerkschaftskommission und der Zentrale der KPD eine Zen­trale Streikleitung gebildet. Ähnlich zusammengesetzte Streikleitungen entstanden auch in anderen Städten. Zur Niederhaltung der Konter­revolution und zur Sicherung der Lebensmittelversorgung der Bevöl­kerung übernahmen Vollzugsräte vielfach die örtliche Gewalt. So wurden in Chemnitz auf Initiative der KPD bereits am Montag, dem 15. März, in den Betrieben Wahlen für Arbeiterräte abgehalten. In geheimer Abstimmung wurde ein Vollzugsrat gebildet, in dem sich zehn Mitglieder der KPD, neun der SPD, ein Vertreter der USPD und ein Vertreter der DDP befanden. 3000 Arbeiter bewaffneten sich und be­setzten Rathaus, Post, Telegrafenbüro und Bahnhof. Mit Unterstützung der Arbeiter von Chemnitz wurden im Umkreis von 50 Kilometern die reaktionären Zeitfreiwilligeneinheiten und Einwohnerwehren ent­waffnet.

In Forst (Lausitz) schufen sich die Arbeiter einen Vollzugsrat, dem Kommissionen für Bewaffnung, Ernährung, Propaganda, Verkehr und für den Kurierdienst unterstanden.

In Eberswalde bildete sich eine zentrale Kampfleitung für das ganze Finowgebiet heraus. Dieser Zentralrat stützte sich auf 2000 bewaffnete Arbeiter. Er übte die Polizeigewalt im Finowgebiet aus, beschlag­nahmte Waffen, Autos, kontrollierte Mühlen und Lebensmittelläden, organisierte die Beschaffung von Lebensmitteln und verbot den Alko­holausschan k.

In den Gebieten Mitteldeutschlands, wo der Einfluß der KPD und des linken Flügels der USPD besonders stark war, wurden paritätisch zusammengesetzte Aktionsausschüsse aus Vertretern aller drei Arbei­terparteien gebildet. Sie waren die geeignetste Form, um den Kampf­willen der Arbeiter auf die Erreichung des gemeinsamen Zieles, die Vernichtung der Konterrevolution, zu lenken.

Diese vielfältigen Formen der Leitung des Kampfes spiegelten den unterschiedlichen Grad des Bewußtseins und der Organisiertheit der Arbeiter in den verschiedenen Teilen Deutschlands wider. Dort, wo der Einfluß der sozialdemokratischen Führer groß war, kam es meist nur zur Bildung von Streikleitungen, in denen Sozialdemokraten die Führung innehatten.

In Flugblättern, auf Kundgebungen und in Demonstrationen kehrte die Forderung nach Entwaffnung der Konterrevolution, Bewaffnung der Arbeiter und Bildung von Arbeiterwehren immer wieder. Nicht nur der Kapp-Putsch sollte niedergeschlagen, sondern die Konterrevo­lution insgesamt sollte zerschmettert werden. Es galt, den Kampf für die Verteidigung und die Erweiterung der demokratischen Rechte und Freiheiten zu führen, um die Wiederholung eines konterrevolutionären Futsches unmöglich zu machen und die Positionen der Arbeiterklasse zu stärken.
Unter der Führung der Kommunisten und linker Mitglieder der USPD beschränkten sich die Arbeiter in einigen Gebieten Deutsch­lands nicht auf den Generalstreik, sondern nahmen gegen den Widerstand opportunistischer Führer der SPD und der USPD den bewaff­neten Kampf gegen die Konterrevolution auf. Die Arbeiter entwaffneten reaktionäre Einwohnerwehren und einzelne Truppenteile, hoben ge­heime Waffenlager der Freikorps auf den großen Gütern in Nord- und Ostdeutschland aus und besetzten einzelne Waffenfabriken, so in Suhl und Zella-Mehlis. In Berlin, Leipzig, im Senftenberger Revier und in weiteren Gebieten Deutschlands kam es zu bewaffneten Ausein­andersetzungen der Arbeiter mit der brutal vorgehenden konter­revolutionären Soldateska. Im Mansfelder Revier hatten sich über zehntausend Arbeiter bewaffnet und die Putschisten zum Rückzug ge­zwungen.

Größeren Umfang nahmen die Kämpfe in Thüringen an. Hier war der Einfluß der USPD stark, der der KPD wuchs ständig. In Gotha bestand noch eine Regierung aus Mitgliedern der USPD. Als der Reichswehrbefehlshaber am 13. März diese Regierung für abgesetzt er­klärte, rief sie zum Generalstreik und zur Bildung von Verteidigungs­ausschüssen und Volkswehren auf. Einige hundert Arbeiter wurden bewaffnet. Arbeiter und Polizei besetzten gemeinsam die wichtigsten öffentlichen Gebäude der Stadt. Am 14. März gelang es schwerbewaff­neten Reichswehrtruppen, Gotha zu besetzen. Inzwischen hatten die Suhler Arbeiter die Reichswehr zur Kapitulation gezwungen. Die Ar­beiter aus den Dörfern des Thüringer Waldes bildeten bewaffnete Ein­heiten und besetzten am 17. März den Truppenübungsplatz Ohrdruf. Von dort aus erfolgte der Angriff zur Befreiung Gothas, der im Zu­sammenwirken der Arbeiter aus Gotha und aus den Walddörfern am 22. März nach erbitterten Kämpfen zur Vertreibung der Reichswehr­truppen führte. Auch in Erfurt, Greiz, Jena und Weimar kam es zu Auseinandersetzungen. In Gera wurden nach harten Kämpfen die konterrevolutionären Truppen zurückgeschlagen, in Sömmerda wurde die Reaktion entwaffnet.
Auch in Greifswald, Rostock und in anderen Orten Mecklenburgs entwickelten sich heftige Kämpfe. Die Landarbeiter griffen zu den Waffen. Der Streik und die bewaffneten Aktionen der mecklenburgi­schen Landarbeiter trafen die Putschisten dort, wo sie ihre Kräfte zu­sammengezogen hatten, auf den großen Gütern, verhinderten die wei­tere Konzentrierung der konterrevolutionären Kräfte und deren Eingreifen in anderen Teilen Deutschlands. Unter dem Einfluß revolu­tionärer Industriearbeiter bildeten die Landarbeiter in Übereinstim­mung mit dem Aufruf der Zentrale der KPD vom 14. März 1920 auf einigen großen Gütern Gutsräte. Die Aktionen des Landproletariats zeugten von dessen sprunghaft gewachsenem Klassenbewußtsein.

Den Höhepunkt erreichte der bewaffnete Kampf der Arbeiterklasse im Ruhrgebiet. Hier war die USPD die stärkste Arbeiterpartei. Dem Aufruf zum Generalstreik folgend, waren die Arbeiter auch hier in den Ausstand getreten und hatten gemeinsame Kampfleitungen, Aktions­ausschüsse und Vollzugsräte gebildet. Bereits in der Nacht vom 13. zum 14. März 1920 kam es in einzelnen Städten zu bewaffneten Zu­sammenstößen der Arbeiter mit Sicherheitswehr und Polizei. General­leutnant von Watter ordnete daraufhin die militärische Besetzung des Ruhrgebietes an. Im Kampf gegen die Freikorps, die Reichswehrein­heiten und die Polizei bildeten Kommunisten, Mitglieder der USPD, Sozialdemokraten und gewerkschaftlich organisierte Arbeiter Abtei­lungen der Roten Armee.

Die Rote Armee war etwa 100 000 Mann stark. Sie war in Kompa­nien und Bataillone gegliedert, deren untere Führer aus den eigenen Reihen gewählt wurden. Die höheren Führer wurden von den zentralen Leitungen eingesetzt. Zum größten Teil war die Rote Armee nach lo­kalen Gesichtspunkten aufgebaut. Jeder Ort stellte seine Kompanien, die von dem betreffenden Aktions- oder Vollzugsausschuß Verpflegung und Löhnung erhielten.

Die in allen Orten eingerichteten Werbebüros der Roten Armee stellten nur Werktätige ein, die bereits militärische Erfahrungen be­saßen und die den Gewerkschaften oder einer der Arbeiterparteien an­gehörten.

Die ersten Waffen der Roten Armee waren die wenigen, die die Arbeiter versteckt und über alle Razzien gerettet hatten. Dann wurden in vielen Orten die Bürgerwehren, Einwohnerwehren und Kriegerver­bände entwaffnet. Den größten Teil der Waffen, der Munition und der Transportmittel eroberten sich die Arbeiter im Kampf.
Fast allen Kompanien waren Spezialkräfte wie Artilleristen, Ma­schinengewehrschützen, Radfahrer, Kuriere und Sanitäter zugeteilt.

Es gab Sonderformationen wie Maschinengewehr-, Radfahrer- und Sanitätskompanien. Die Arbeiterfrauen des Ruhrgebietes unterstützten aktiv den Kampf gegen die Konterrevolution. Vor allem bei der Ver­pflegung und bei der Behandlung der Verwundeten halfen zahlreiche Frauen den Soldaten der Roten Armee.
Am 15. März 1920 begann der Kampf der Roten Ruhrarmee gegen die Kapp-Putschisten und gegen die sie unterstützenden Reichswehrund Polizeitruppen. Der Aktionsausschuß in Hagen ging daran, eine zentrale militärische Leitung zu bilden und reguläre Fronten aufzu­bauen. Eine einheitliche und überall anerkannte Leitung entstand aber nicht.
Am Morgen des 17. März begannen die Kämpfer der Roten Ruhr­armee, Dortmund anzugreifen, das nach hartem Kampf, an dem sich etwa 10000 bewaffnete Arbeiter beteiligten, genommen wurde. In Ahlen, Beckum und Hamm wurden militärische Stützpunkte der Roten Ruhrarmee errichtet. Bei Barmen kam es zu Gefechten. Die Reichswehr flüchtete nach Remscheid, das von der Roten Ruhrarmee am 17. März eingeschlossen wurde. Nach der Ablehnung eines Ultimatums, das die reaktionären Truppen zum Abmarsch ohne Waffen aufforderte, wurde die Stadt nach erbitterten Straßenkämpfen am 18. März den Reichs­wehrtruppen entrissen.

Die Hauptkräfte der Roten Ruhrarmee standen im Westen des Indu­striegebietes. In heftigen Gefechten wurde am 18. und 19. März Essen von der Arbeiterarmee besetzt. Ein Teilnehmer dieser Kämpfe berich­tete darüber:
„Mit frischem Mut und verstärkt durch viele hundert Kumpel, die auf dem,gestürmten Flugplatz bewaffnet werden konnten, ging am Morgen der Sturm auf Essen los. Den ersten größeren Widerstand gab es am Essener Schlachthof. Hier hatte sich der Hauptteil der reaktio­nären Truppen eingenistet. Nachdem der Schlachthof von allen Seiten eingekreist worden war, zog der Haupttrupp weiter zum Viehhofer­platz.

Im Schlachthof gab es um jede Halle heftige Kämpfe. Hier kam den kämpfenden Arbeitern wieder die bessere Ortskenntnis zu Hilfe. Immer, wenn die Verteidiger sich im Hinterhalt glaubten, bekamen sie von der Flanke oder von hinten Feuer. Ihre Verluste waren deshalb hier besonders groß.

Durch den schnellen Vormarsch der Arbeiter zur Stadtmitte wurde verhindert, daß sich dort größere Polizeitruppen konzentrieren konnten.

Während auf dem Schlachthof noch heftig gekämpft wurde, stieß der Haupttrupp auf dem Viehhoferplatz auf den ersten größeren Wider­stand. Hier hatte sich die verstärkte Besatzung der Polizeiwache am Pferdemarkt eingenistet. Die Polizisten waren es hier gewohnt, daß die Arbeiter schon bei den ersten Schüssen auseinanderliefen. Als sie diesmal aber selbst blaue Bohnen bekamen, waren sie sehr erstaunt.

Diesmal waren sie es, die auseinanderrannten. In der Rottstraße und am Kopstadtplatz machten sie einen letzten Versuch des Widerstandes, den sie aber unter dem Feuer der von allen Seiten heranstürmenden Arbeiter nach wenigen Minuten aufgaben. Wild umherschießend, zogen sie sich zum Rathaus zurück.

Trotz der frühen Morgenstunden waren die von den Arbeitern be­herrschten Straßen Essens ungewöhnlich stark belebt. Vor den Geschäf­ten, wo bei dem Kampf Schaufenster zertrümmert worden waren, stan­den sofort bewaffnete Arbeiter Posten, um Plünderungen zu verhindern."

Bis zum 23. März war fast das ganze Ruhrgebiet von den militari­stischen Verbänden gesäubert.

Unter dem Eindruck der Wucht der einheitlichen Abwehraktion griff Furcht im Lager der herrschenden Klasse um sich. Die Widersprüche in ihren Reihen spitzten sich zu. In der Reichswehr kam es zu Gegen­sätzen zwischen den einfachen Soldaten und den Offizieren. Die an­fänglich mit Kapp sympathisierenden nationalistischen Kreise des Bürgertums holten angesichts des Massenwiderstandes die schwarz­weiß-roten Fahnen, das Symbol des deutschen Militarismus, rasch wie­der ein.

Teile der Großbourgeoisie, die politisch vor allem von der DVP ver­treten wurden und anfänglich mit den Zielen des Futsches sympathisiert hatten, wagten es unter dem Eindruck der gewaltigen Massenaktionen nicht mehr, für die Putschisten Partei zu ergreifen.

Andere Vertreter des deutschen Monopolkapitals hatten aus Abnei­gung gegen die abenteuerlichen Pläne der Putschisten und auch aus Furcht vor dem Kampf der Volksmassen versucht, den Putsch möglichst schnell zu ersticken. Die Monopolherren der Arbeitsgemeinschaft Che­mie hatten bereits am 15. März den Generalstreik als Abwehrmittel gebilligt und sich kurz darauf auch bereit erklärt, die Streiktage zu be­zahlen. So suchten die Chemiegewaltigen die Arbeitermassen zu be-schwichtigen.

Der einmütige Generalstreik und die Erfolge der Arbeiter im be­waffneten Kampf gegen die Konterrevolution führten zu einem voll­ständigen Zusammenbruch des Futsches.

Am 17. März 1920 mußte die Regierung Kapp abdanken. Kapp und andere führende Putschisten flohen ins Ausland.
Der Sieg der Arbeiterklasse über die Putschisten offenbarte die ge­waltige Kraft der einheitlich handelnden und kämpfenden Arbeiter­klasse. Mit dem Sieg über die extremen konterrevolutionären Kräfte des deutschen Monopolkapitals halfen die deutschen Arbeiter, den Plan der Weltreaktion zu vereiteln, Deutschland aktiv in den anti­sowjetischen Kampf einzubeziehen. Sie unterstützten auf diese Weise Sowjetrußland im Kampf gegen die imperialistischen Interventen.

Erschreckt von der Wucht der einheitlichen Aktionen der Arbeiter­klasse, richtete die herrschende Klasse jetzt alle Kraft darauf, die Kampffront der Arbeiter zu sprengen. Der Vizekanzler Eugen Schif­fer, der von der Regierung in Berlin belassen worden war, hatte in deren Auftrag versucht, die Putschisten zum schnellen Rücktritt zu ver­anlassen. Dann sollten der Abbruch des Generalstreiks und die Ent­waffnung der Arbeiter durchgesetzt werden.

Am 17. März, nach dem Sturz der Kapp-Regierung, setzte Eugen Schiffer im Auftrag von Friedrich Ebert den General von Seeckt als obersten Militärbefehlshaber ein. Mit fast den gleichen Worten wie die Putschisten in ihrer letzten Kundgebung riefen Eugen Schiffer und von Seeckt im Namen der Regierung zum „Kampf gegen den Bolsche­wismus" auf. Die Regierung setzte Freikorps und Reichswehrverbände, auch solche, die es abgelehnt hatten, gegen die Putschisten zu kämpfen, zur Niederwerfung der Arbeiterklasse in Marsch. In Berlin verpflich­tete General von Seeckt auch die Ehrhardt-Truppen zum „Kampf gegen den Bolschewismus". Diese Kerntruppe der Konterrevolution provozierte am 17. März und in den folgenden Tagen bewaffnete Aus­einandersetzungen, denen zahlreiche Berliner zum Opfer fielen. Dieser Putschistenbande sprach General von Seeckt seinen Dank aus, ihr zahlte die Regierung die vom Putschistenführer General von Lüttwitz eingeführte Kapp-Zulage von sieben Mark pro Tag weiter aus.

Reichs­wehrtruppen und Zeitfreiwillige marschierten auf Befehl der Koali­tionsregierung gegen diejenigen, die unter Einsatz ihres Lebens die Re­publik gegen die Militaristen verteidigt hatten. In dieser Situation rief am 18. März die Führung der SPD zum Abbruch des Generalstreiks auf.

Überall verlangten die Arbeiter echte Garantien gegen die Wieder­holung eines Militärputsches. Erneut wurden Forderungen nach Sozia­lisierung und nach Enteignung des Großgrundbesitzes laut. Diese Forderungen spiegelten sich in abgeschwächter Form in einem vom Vorstand des ADGB ausgearbeiteten Neunpunkteprogramm wider, in dem unter anderem verlangt wurde: Einflußnahme der Gewerkschaf­ten auf die Regierungsbildung, Entwaffnung aller putschistischen Trup­pen und Auflösung aller konterrevolutionären militärischen Organisa­tionen, Rücktritt Gustav Noskes, Reinigung der Verwaltung von Reaktionären, neue Sozialgesetze, Sozialisierung, Übernahme des Sicherheitsdienstes durch die Arbeiterschaft. Diese Punkte bildeten die Grundlage für Verhandlungen zwischen Vertretern der Gewerkschaf­ten und der Regierungsparteien. Als sidi die Regierungsparteien bereit erklärten, für die Erfüllung der gewerkschaftlichen Forderungen ein­zutreten, riefen die Führungen des ADGB und der Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände ebenfalls zum Abbruch des Streiks auf. Am 22. März stimmte dem auch die Führung der USPD gegen den Widerstand Wilhelm Koenens, Walter Stoeckers und anderer linker Mitglieder des Zentralkomitees zu. Daraufhin riefen am gleichen Tage die Vorstände des ADGB, der Arbeitsgemeinschaft freier An­gestelltenverbände, der SPD und der USPD gemeinsam zum Abbruch des Generalstreiks auf.60 Dieser Beschluß verstieß gegen die Inter­essen der Arbeiterklasse und der Demokratie, denn es gab keine Garantien für die Verwirklichung des gewerkschaftlichen Programms. Im Gegenteil, die konterrevolutionären Truppen rückten gegen die revolutionären Zentren vor, die Arbeiter wurden entwaffnet. Am 23. März beschloß auch die Generalversammlung der revolutionären Betriebsräte Groß-Berlins den Abbruch des Generalstreiks.

Die Forderungen der Gewerkschaften durchzusetzen, bedingte die weitere gemeinsame Aktion der Arbeiterklasse, die Weiterführung des Generalstreiks und die Bewaffnung des Proletariats.

Allein die KPD nahm entschieden die Interessen der Werktätigen und der ganzen Nation wahr. Die Zentrale rief am 19. März auf, den Streik fortzusetzen, bis die Reaktion entwaffnet sei und die Waffen sich in den Händen der Arbeiter und Angestellten befänden. Gemein­sam mit dem linken Flügel der USPD suchten die Kommunisten in vielen Orten den Streik in der richtigen Erkenntnis weiterzuführen, daß es galt, den Sieg über die Putschisten durch die völlige Zerschla­gung des Militarismus und die Erweiterung der politischen Rechte der Arbeiter zu sichern.

Diese Aufgabenstellung entsprach dem gegebenen Kräfteverhältnis.

Die Bereitschaft der Arbeiter zum Kampf gegen die Militaristen, für demokratische Forderungen war deutlich sichtbar geworden. Die nächste Aufgabe, die Entwaffnung der Konterrevolution und die Ent­fernung der reaktionären militaristischen Kräfte aus dem Staatsappa­rat, zu lösen, erforderte eine Änderung der Regierung.

Der Sieg der Arbeiterklasse über die Kapp-Putschisten hatte das Kräfteverhältnis der Klassen verändert. Das ließ die Möglichkeit zu, die Fortsetzung der verhängnisvollen Koalitionspolitik der rechten sozialdemokratischen Führer zu verhindern und die Bildung einer Ar­beiter- beziehungsweise Gewerkschafts- oder Volksregierung zu er­zwingen.
Unter dem Eindruck der Veränderung des Kräfteverhältnisses zu­gunsten der Arbeiterklasse und angesichts der Tatsache, daß die Koa­litionspolitik vor den Massen diskreditiert war, begann der Vorstand des ADGB unter Leitung Carl Legiens am Tage des Sturzes der Kapp-Regierung Verhandlungen über die Bildung einer neuen Regierung. Sie sollte sich aus Vertretern der SPD, der USPD und der Gewerkschaften zusammensetzen. Die rechten Gewerkschaftsführer suchten sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Die Bildung einer solchen Regierung im Ergebnis des Generalstreiks und des bewaffneten Kampfes, die sich auf die kampfbereiten Massen stützen konnte und mußte, hätte einen Schritt vorwärts bedeutet. Die Führung der SPD, die an ihrer Koali­tionspolitik festhalten wollte, nahm zu dem Vorschlag nicht offen Stel­lung und versuchte, Zeit zu gewinnen. Die Führung der USPD lehnte gegen den Widerstand einiger Mitglieder des Zentralkomitees der USPD, unter denen Wilhelm Koenen besonders hervortrat, den Vor­schlag mit linksradikalen Phrasen ab. So erklärte Artur Crispien unter Zustimmung der Mehrheit des Zentralkomitees der USPD: „Niemals werde ich mich mit Arbeitermördern an einen Tisch setzen!" Ernst Däumig, der zusammen mit Artur Crispien Vorsitzender der USPD war, drohte für den Fall einer Einigung über den Eintritt in die Arbei­terregierung mit der Niederlegung seiner Funktion und mit dem Aus­tritt aus der Partei.

Diese Ablehnung war ein ernster Fehler. Eine Gewerkschaftsregie­rung wäre zwar keine sozialistische Regierung gewesen; aber sie hätte unter dem Druck der bewaffneten Arbeiter der revolutionären Bewegung einen weiten Spielraum lassen müssen. Sie hätte den Arbeitern und ihren Kampforganen gestatten müssen, mit außerparlamentari­schen Mitteln den Kampf gegen die Konterrevolution fortzusetzen. Sie wäre eine Übergangsregierung gewesen. Bei stetem Wachstum des Klassenbewußtseins und der Organisiertheit des Proletariats hätte sie einen Schritt auf dem Wege zur Errichtung der revolutionär-demokra­tischen Diktatur der Arbeiter und Bauern bedeutet, die sich später zur Diktatur des Proletariats hätte entwickeln können. Die Bildung einer solchen Regierung hätte im Interesse der Arbeiterklasse, im Interesse der demokratischen Entwicklung der Nation gelegen.

Auch innerhalb der Führung der KPD gab es heftige Auseinander­setzungen über die Stellungnahme zu einer Arbeiter- oder Gewerk­schaftsregierung. Ein Teil der Mitglieder der Zentrale erkannte nicht, daß in der gegebenen Situation die Orientierung auf die Bildung von politischen Arbeiterräten mit dem Ziel der baldigen Errichtung der Diktatur des Proletariats falsch war, daß es vielmehr galt, eine Regie­rungsumbildung zu erzwingen. Millionen hatten den Kampf gegen die Putschisten aufgenommen. Aber noch immer war die Mehrzahl der Arbeiter in parlamentarisch-demokratischen Illusionen befangen. Die Mittelschichten und vor allem die Bauern befanden sich in überwiegen­der Mehrheit unter dem Einfluß der Bourgeoisie. Die Forderung nach der unmittelbaren Errichtung der proletarischen Diktatur in Form der Rätemacht und nach der Bildung von politischen Arbeiterräten, mit der die KPD in verschiedenen Stellungnahmen ihre richtigen Losungen verband, entsprach nicht dem Entwicklungsstand der Massen. Diese Forderung war nicht geeignet, die Mehrheit der Arbeiterklasse an die nächsten Aufgaben auf dem Weg zur Erringung der politischen Macht der Arbeiterklasse heranzuführen.

Einige Vertreter der KPD, unter ihnen Wilhelm Pieck, und einzelne Führer der USPD drängten in den Beratungen der Zentralen Streik­leitung in Berlin am 21. März richtig auf den Eintritt der USPD in eine zu bildende Arbeiter- oder Gewerkschaftsregierung. In der Führung der KPD sprachen sich neben Wilhelm Pieck vor allem August Thal-heimer und Jacob Walcher für die Bildung solch einer Regierung aus. Am 23. März erklärte sich die Zentrale der KPD für die Bildung einer Arbeiterregierung.62 Die Zentrale ging in ihrer am 26. Mär2 veröffent­lichten Erklärung davon aus, „daß die objektiven Grundlagen für die proletarische Diktatur im gegenwärtigen Moment nicht gegeben sind". Die Parteiführung legte dar, daß eine Arbeiterregierung günstigere Möglichkeiten für die Entfaltung des proletarischen Kampfes gewähren könne. Die KPD werde, so hieß es weiter, „gegenüber der Regierung eine loyale Opposition treiben, solange diese Regierung die Garantien für die politische Betätigung der Arbeiterschaft gewährt, solange sie die bürgerliche Konterrevolution mit allen ihr zu Gebote stehenden Mit­teln bekämpft und die soziale und organisatorische Kräftigung der Arbeiterschaft nicht hemmen wird".

Diese Erklärung war, wie W. I. Lenin in seinem Werk „Der .linke Radikalismus', die Kinderkrankheit im Kommunismus" schrieb, so­wohl ihrer grundlegenden Voraussetzung nach als auch in ihren prak­tischen Schlußfolgerungen richtig.
Die Erfahrungen der KPD und der revolutionären Linken in der USPD reichten noch nicht aus, um die Bildung einer Arbeiterregierung zu erzwingen. Vor allem aber verhinderte die Politik der rechten Führer der SPD und der USPD, daß die Möglichkeiten für die Bildung einer Arbeiterregierung in Deutschland im Frühjahr 1920 hätten genutzt werden können. Die Führung der SPD setzte ihre Koalitionspolitik fort, mußte allerdings der Stimmung breiter Massen Rechnung tragen und die in der Arbeiterklasse verhaßten Minister Gustav Noske und Wolfgang Heine fallenlassen. Am 27. März 1920 wurde die Regierung Bauer durch eine neue Koalitionsregierung unter dem sozialdemokra­tischen Kanzler Hermann Müller abgelöst.

Nachdem die Einheitsfront der Arbeiter durch die opportunistische Politik der rechten Führer der SPD und der USPD zerbrochen worden war, ging die Monopolbourgeoisie dazu über, mit Hilfe der Koalitions­regierung den Kampf der Arbeiter vollends abzuwürgen und die Ar­beiter zu entwaffnen.

Im Berliner Raum und in Mecklenburg, in Mitteldeutschland und im Vogtland kam es erneut zu bewaffneten Kämpfen der Arbeiter mit den konterrevolutionären Militärverbänden. Dort, wo Kommunisten und linke Kräfte der USPD einen bestimmenden Einfluß besaßen, konnte dem weißen Terror besonders erfolgreich begegnet werden. So er­kämpften die Arbeiter in Halle in tagelangem Ringen die Freilassung ihrer gefangenen Klassengenossen. Am 28. März rief die Zentrale der KPD angesichts des weißen Terrors in Mitteldeutschland und des drohenden Einmarsches der Reichswehr in das Ruhrgebiet die Arbeiter Deutschlands auf, den Kampf gegen die Konterrevolution weiterzu­führen.
Mit besonderer Sorge betrachteten das deutsche Monopolkapital und die Koalitionsregierung die Entwicklung im rheinisch-westfälischen Industriegebiet, das fast völlig in der Hand der bewaffneten Arbeiter war.

Die Leitungen der SPD und der USPD im Ruhrgebiet sahen den Kampf ebenfalls als beendet an. Der gemeinsame Aufruf der Gewerk­schaften, der SPD und der USPD vom 22. März zur Beendigung des Generalstreiks diente dem sozialdemokratischen Reichs- und Staats­kommissar für Rheinland-Westfalen, Carl Severing, als Grundlage für seine arbeiterfeindliche, die einheitliche Front des Ruhrproletariats zersetzende Tätigkeit.

Carl Severing hatte die Vollzugsausschüsse und Stadtverwaltungen der wichtigsten Städte des Industriegebietes sowie die zuständigen Re­gierungspräsidenten für den 23. März zu einer Besprechung nach Biele­feld geladen, an der auch der Reichspostminister Johann Giesberts und der preußische Landwirtschaftsminister Otto Braun teilnahmen. Von • den politischen Parteien waren auf der Konferenz die drei Arbeiter­parteien, die Deutsche Demokratische Partei und das Zentrum ver­treten.

Das Ergebnis der Verhandlungen war das sogenannte Bielefelder Abkommen vom 24. März65 sowie der Abschluß eines sofortigen Waf­fenstillstandes. Das Abkommen wurde von den Regierungsvertretern Johann Giesberts und Carl Severing, von Vertretern der Arbeiterpar­teien, der Gewerkschaften, der Deutschen Demokratischen Partei, des Zentrums, einigen Kommunalvertretern sowie von dem Protokollführer Ernst Mehlich unterzeichnet. Die zwei Vertreter der KPD, die an der Beratung teilgenommen und das Abkommen mit unterzeichnet hatten, besaßen dazu keinen Auftrag der Partei und wurden deshalb später von der Bezirksleitung der KPD zur Rechenschaft gezogen.
Das Bielefelder Abkommen beruhte im wesentlichen auf den neun Forderungen der Gewerkschaften. Es verlangte von der Arbeiterschaft, den Generalstreik abzubrechen und die Waffen an die Behörden abzu­liefern. Von der Regierung wurde unter anderem die Entwaffnung und Bestrafung der Putschisten, die Auflösung der konterrevolutionären militärischen Formationen, die Bildung von Ortswehren aus den Krei­sen der republikanischen Bevölkerung, insbesondere der organisierten Arbeiterschaft, sowie die Sozialisierung der dazu reifen Wirtschafts­zweige gefordert.

Die Gewerkschaften sollten entscheidenden Einfluß bei der Neuregelung der wirtschafts- und sozialpolitischen Gesetze er­halten. Der Arbeiterschaft wurde versprochen, daß bei Einhaltung der Vereinbarungen die Reichswehr nicht in das Industriegebiet einmar­schiere.

Im Vertrauen auf diese Versprechungen legte nach dem 24. März ein großer Teil des Ruhrproletariats die Waffen nieder. Einige der militä­rischen Führer der Roten Armee dagegen weigerten sich, den Kampf einzustellen. Die bis dahin einig kämpfende Arbeiterklasse war ver­wirrt und aufgesplittert.- Unterdessen wurden weitere Reichswehr­truppen um das Ruhrgebiet zusammengezogen. Die Regierung gab keine Zusage, das Bielefelder Abkommen einzuhalten.
Nur die KPD unterstützte entschlossen das Ruhrproletariat. Sie wandte sich gegen die Spaltungsmanöver der rechten sozialdemokra­tischen Führer und bemühte sich angesichts des drohenden Reichswehr­einmarsches, die einheitliche Front der Ruhrarbeiter wiederherzustel­len. Am 24. März traf Wilhelm Pieck, den die Zentrale der KPD in das Ruhrgebiet entsandt hatte, in Essen ein. Da in fast allen Teilen Deutschlands der Streik und der bewaffnete Kampf der Werktätigen abgebrochen worden waren, riet Wilhelm Pieck dazu, das Waffenstill­standsabkommen durchzuführen. Damit sollte Zeit gewonnen werden, die im Bielefelder Abkommen vorgesehenen, aus Arbeitern, Angestell­ten und Beamten zu bildenden Ortswehren aufzustellen und die in den Händen der Arbeiter befindlichen Waffen zu sichern.
Auf Vorschlag der KPD wurde am 25. März auf einer Vollversamm­lung der Vollzugsräte des Industriegebiets in Essen, an der auch einige militärische Führer der Roten Ruhrarmee teilnahmen, ein Zentralrat zur einheitlichen Leitung der Abwehrkämpfe gewählt. Wilhelm Pieck wies darauf hin, daß das Bielefelder Abkommen keinerlei Garantien böte, zumal ihm die Regierung noch nicht zugestimmt habe. Die einzige Garantie für die Arbeiter sei, die Waffen zu behalten, um jederzeit ein Eindringen der Reichswehr verhindern zu können. Die Regierung müsse durch die Kraft der Arbeiter gezwungen werden, sich auf das Abkommen zu verpflichten und die Truppen zurückzuziehen. Der Essener Zentralrat machte sich diese politische Linie der KPD zu eigen. Weiterhin lehnte aber ein Teil der militärischen Führer die Einstellung der bewaffneten Kämpfe ab und kam so den provokatorischen Plänen der Militaristen entgegen, die ihrerseits die Truppen allmählich weiter gegen die bewaffneten Arbeiter vorrücken ließen.

Um ein Blutbad unter den Arbeitern zu vermeiden, schlug der Zen­tralrat auf einer Konferenz von Vertretern der Arbeiterparteien am 26. März in Hagen vor, den bewaffneten Kampf überall im Ruhrgebiet einzustellen. Wilhelm Pieck erklärte, sich gegen unreale radikalistische Forderungen wendend, daß in der gegebenen Situation die Voraus­setzungen fehlten, in einem Sprung zur Diktatur des Proletariats zu gelangen. Zu erreichen sei aber die Bewaffnung der Arbeiter und die Entwaffnung der Bourgeoisie. Einem Vorschlag, mit der Regierung zu verhandeln, wurde zugestimmt. Ziel der Verhandlungen sollte sein, die Regierung zu verpflichten, das Bielefelder Abkommen einzuhalten. Es wurde weiter beschlossen, den Kampf einzustellen, aber die errunge­nen Positionen nicht aufzugeben. Im Falle des Scheiterns der Verhand­lungen oder des Einrückens der Reichswehr sollte erneut der General­streik ausgerufen werden. Auf ein entsprechendes Waffenstillstands­angebot des Zentralrats antwortete die Regierung am 28. März abends ablehnend und stellte Bedingungen für die Beendigung des Kampfes, die bis zum 30. März, 12 Uhr, erfüllt werden sollten. Während der Zentralrat diese Bedingungen unter der Voraussetzung annahm, daß die Regierung die Bielefelder Vereinbarungen verbindlich anerkennt, stellte General von Watter am gleichen Tage ultimative Forderungen zur Auflösung und Entwaffnung der Arbeitertruppen, die so angelegt waren, daß ihre Erfüllung praktisch unmöglich war. Das sollte den Militaristen den Vorwand verschaffen, unter allen Umständen ins Ruhrgebiet einmarschieren zu können.
Gegen den drohenden Einmarsch der Reichswehr riefen die Zentrale der KPD und der Essener Zentralrat erneut zum Generalstreik auf, dem sich im Ruhrgebiet große Teile der Arbeiterschaft anschlössen. Zur gleichen Zeit sandte der Zentralrat Wilhelm Pieck und einen zwei­ten Vertreter nach Berlin, die mit führenden Funktionären der Ge­werkschaften und der Arbeiterparteien über die durch die Militaristen verschärfte Situation verhandeln sollten. Diese Organisationen be­schlossen, die Regierung zu ersuchen, eine bindende Zusage zum Biele­felder Abkommen zu geben, die über dieses Abkommen hinausgehen­den militärischen Maßnahmen aufzuhalten, den General von Watter abzuberufen und eine achtundvierzigstündige Frist für die Ausführung des Abkommens zuzugestehen. Eine fünfköpfige Delegation verhandelte darüber mit dem Reichskanzler. Unter dem Druck der anschwel­lenden Streikbewegung im Ruhrgebiet und der Proteste in anderen Teilen Deutschlands sah sich die Regierung gezwungen, die Frist für die Auflösung und Entwaffnung der Arbeitertruppen bis zum 2. April, 12 Uhr, zu verlängern und den Befehl zu geben, bis zu diesem Zeit­punkt den Vormarsch der Reichswehr ins Industriegebiet einzustellen. Diese Vereinbarung wurde am 3I.März auf einer Besprechung in Münster getroffen, die Carl Severing mit Vertretern der politischen Parteien und des Zentralrates führte.

Am 1. April sprach sich die Vollversammlung der Vollzugsräte Rheinland-Westfalens für die Anerkennung der Vereinbarungen von Bielefeld und Münster aus und erklärte den Generalstreik für beendet.

Den rechten Führern der SPD, der USPD und der Gewerkschaften war es gelungen, die von der KPD geforderte Ausdehnung des Ge­neralstreiks auf ganz Deutschland zu verhindern. Das erleichterte es der Reaktion, die durch die Politik der rechten sozialdemokratischen Führer gespaltene und von den Arbeitern des übrigen Deutschlands isolierte Arbeiterschaft des Ruhrgebiets Ende März und Anfang April 1920 zu schlagen.

Der Zentralrat und auch die militärische Leitung der Roten Ruhr­armee taten alles, um den aussichtslos gewordenen bewaffneten Kampf abzubrechen. Aber Reichswehrtruppen verlegten Einheiten der Roten Armee den Rückweg mit Sperrfeuer; andere Reichswehrverbände setz­ten den Vormarsch und die Kampfhandlungen fort. Einzelne militä­rische Führer der Roten Armee weigerten sich noch immer, den Kampf einzustellen. Teilweise war ihnen das aber auch durch das Vordringen der Reichswehr unmöglich gemacht worden. Einige Einheiten der Roten Armee hatten keine Verbindung mit dem Zentralrat und waren nicht über die getroffenen Abmachungen informiert. Alles das hatten die Militaristen einkalkuliert, als sie derartig kurze Fristen für die Einstellung der Kämpfe, die Entwaffnung der Arbeiter und die Frei­lassung der Gefangenen gestellt hatten. Die Reaktion wollte einen Anlaß, um blutig mit den Arbeitern abrechnen zu können.

In den ersten Apriltagen begann unter dem Vorwand, die Ab­machungen seien nicht eingehalten worden, ein brutaler Terrorfeldzug gegen die Werktätigen des Ruhrgebietes. Die Regierung ließ Reichs­wehr, Sicherheitspolizei und Freikorps, unter ihnen die berüchtigte Bri­gade Ehrhardt, weiter in das Ruhrgebiet einrücken. Nur vereinzelt leisteten Gruppen der Roten Armee Widerstand, Gegen die mit modernen Waffen ausgerüsteten, zentral gelenkten, zahlenmäßig über­legenen Truppen vermochte sie sich nicht zu behaupten. Die Soldateska verübte unvorstellbare Greuel an den Arbeitern und deren Angehöri­gen. Hunderte Arbeiter, darunter viele, die nicht an den Kämpfen teil­genommen hatten, auch Frauen und Jugendliche, wurden häufig auf bloße Denunziation hin ohne Verhör erschossen. Viele Hunderte wur­den verhaftet und unmenschlich mißhandelt, teilweise zu Tode ge­prügelt. Arbeiterfrauen und -mädchen wurden vergewaltigt. Die Klassenjustiz der Weimarer Republik offenbarte ihr wahres Gesicht, indem sie Tausende Arbeiter in die Gefängnisse werfen ließ, während die Kapp-Putschisten - mit Ausnahme Traugott von Jagows, der zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt wurde - straffrei ausgingen.

Die Massenkämpfe der deutschen Arbeiterklasse im März 1920 ge­hören zu den großen Ruhmestaten in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. In der bis dahin bedeutendsten proletarischen Ein­heitsaktion der deutschen Geschichte verhinderte die deutsche Ar­beiterklasse die Errichtung einer offenen Militärdiktatur in Deutsch­land und verteidigte die demokratischen und sozialen Errungenschaften der Novemberrevolution.
Der Sieg über den Kapp-Putsch vermittelte die geschichtliche Lehre, daß die einheitlich handelnde Arbeiterklasse im Bündnis mit den üb­rigen werktätigen Massen eine gewaltige Kraft ist. Kommunisten, Ge­werkschafter, Parteilose, die Mehrheit der Mitglieder der USPD und der sozialdemokratischen Arbeiter hatten gemeinsam gekämpft. Die Aktionseinheit ermöglichte es der Arbeiterklasse, breite werktätige Schichten, Angehörige der Mittelschichten, der Intelligenz und des de­mokratischen Bürgertums in den Kampf für die demokratischen Rechte und Freiheiten einzubeziehen.

Der Sieg der deutschen Arbeiterklasse über die Kapp-Putschisten konnte nicht ausgebaut werden. Ursache dafür waren die opportunisti­sche, auf die Erhaltung der Macht des deutschen Monopolkapitals ge­richtete Politik der Führung der SPD und die Schwankungen und Halbheiten der zentristischen Führer der USPD. Die KPD war organi­satorisch noch zu schwach und besaß noch keine ausreichenden Erfah­rungen, die Arbeiter in den Kampf um die Sicherung ihres Sieges über die Kapp-Putschisten führen zu können.

Die Erfahrungen aus dem Kampf gegen den Kapp-Putsch beschleu­nigten den revolutionären Reifeprozeß in der deutschen Arbeiterklasse. In der SPD kam es zu heftigen Auseinandersetzungen.

Editorische Anmerkungen

Wir  entnahmen den Text aus: Autorenkollektiv Walter Ulbricht u.a., Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Berlin 1966, Band 3, S. 264 - 284

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