Nazischmierereien in Berlin-Steglitz
Und der Schoß ist fruchtbar noch

von Peter Sonntag

03/10

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Verstärkt tauchten in den letzten Tagen an den Eingängen und Wänden der Mietshäuser von ukrainischen und russischen Zuwanderern in der Birkbuschstraße die Kennzeichen neonazistischer Organisationen auf: die der National Socialist Movement (NSM) [1], die in den USA ihren Stammsitz hat, sowie die der Nationalen Autonomen (NDA). Am Zugang zum Viertel prangen mannshohe Lettern der NSM in teurer Silbersprayfarbe.

Am vielbefahrenen Wolfensteindamm, der in die Birkbuschstraße mündet, in den 60er Jahren anläßlich der „Woche der Brüderlichkeit“ nach Moses Wolfenstein, dem Stifter einer Synagoge, so benannt, steht unter der S-Bahn-Brücke in mannshohen Lettern NSM.


NDA-Schmiererei Birkbuschstr. 36

Geht man ein paar hundert Meter weiter, steht man vor der auf dem Hermann-Ehlers-Platz vor einigen Jahren zum Gedenken an die ermordeten Juden Steglitz’ errichteten Spiegelwand, gegen die es damals seitens nationalkonservativer Kräfte heftigen Widerstand gab. Jetzt trägt sie Spuren von Steinwürfen.

Die Behörden sind von den systematisch durchgeführten Stigmatisierungen zugewanderter Menschen inzwischen unterrichtet worden.

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel und die Fotos vom Autor für diese Ausgabe.

1) Wie bei den meisten US-amerikanischen Neonaziorganisationen reichen die Wurzeln des »National Socialist Movement« bis zur »American Nazi Party« (ANP) um Georg Lincoln Rockwell zurück, welche sich ideologisch wiederum an der NSDAP der NS-Dikatur orientierte. Mehr....

Redaktionelle Ergänzung vom 10.4.2012

Am Dienstag den 27.3. 2012 (!) erhielten wir zwei Emails, worin sich die Absender über den obenstehenden Bericht von Peter Sonntag über Nazischmiereien in Berlin Steglitz beschweren. Ihrer Meinung nach gehören die Tags "NDA" und "NSM" zu zwei Berliner Grafitti-Gruppen, die nichts mit Neonazis zu tun hätten. „NDA“ stehe angeblich für „Never Die Alone“. Persönlich kennen beide Absender die Graffiti-Gruppen nicht, aber sie wüssten, dass bei Facebook „einige sehr verärgert“ über Peter Sonntags Artikel seien.

Wir nahmen anlässlich dieser Mail Rücksprache mit dem Autor und erhielten von ihm weitere Informationen:

8. 03. 2009: In Wurzen werden Briefkästen mit neonazistischen Flugblättern geworfen, die das Logo "NSM" tragen.

09. 02. 2011 Büro der LINKEN-Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz in Grimma: Das Büroschild wird großflächig mit dem Kürzel "NSM" beschmiert.

06. 05. 2011 in Berlin-Reinickendorf wird eine Schaufensterscheibe des Büros der LINKEN mit dem Kürzel "NSM" beschmiert

23. 4. 2011 - am Nicolai-Platz in Grimma erscheint großflächig an einer Schaufensterscheibe das Nazi-Kürzel "NSM".

28. 05. 2011 Das Einkaufszentrum in Grimma wird mit dem Kürzel "NSM" beschmiert.

Ferner wies Peter Sonntag ausdrücklich daraufhin, dass die teilweise großflächigen Bemalungen von Häuserwänden vor allem mit dem Kürzel "NSM" in dem genannten Steglitzer Wohngebiet bei den dortigen Bewohnern, die größtenteils russische, ukrainische und jüdische Einwanderer sind, Ängste ausgelöst haben. Zu bedenken ist auch die in mehreren aktuellen Studien zum Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland belegte Tatsache, dass Rechtsextremisten und Neonazis verstärkt dazu übergehen, sich aus Gründen der Tarnung hinter Codes, Symbolen und Labels der Neonazibewegung in den USA und im Vereinigten Königreich, die sie einfach übernehmen, zu verstecken. Verstärkt ist auch das Phänomen zu verzeichnen, dass rechtsgerichtete Kräfte hierzulande sich perfiderweise der Symbolsprachen linker und demokratischer Kräfte bedienen, um die gewerkschaftliche, globalisierungskritische, studentische und Friedensbewegung unterwandern zu können. Hier ist politische Wachsamkeit und phantasievolles Reagieren gefragt - nicht zuletzt von den autonomen Graffiti-Gruppen.

Solange die Verantwortung für die in Steglitz gefundenen Tags „NDA“ und „NSM“ von diesen sogenannten nichtfaschistischen bzw. nichtrassistischen Graffiti-Gruppen nicht übernommen wird bzw. uns keine entsprechende Stellungnahme vorliegt, sondern nur die Vermutungen der beiden Emailschreiber, sehen wir keine Veranlassung, diesen Artikel zurückzuziehen.