Guinea-Conakry
Übergangsphase – hin zur Demokratie? Oder wohin?

von Bernard Schmid

03/10

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Ein wahres Wechselbad der Gefühle: Die jüngste Entwicklung in der westafrikanischen Republik Guinea ist reich an Überraschungen und Kehrtwenden. Anders als noch vor einigen Wochen scheint aber erstmals Anlass zu ein wenig Hoffnung zu bestehen - falls sich die derzeitige Entwicklung fortsetzt, könnten die regierenden Militärs sich nun vielleicht doch in einiger Zukunft in ihre Kasernen zurückziehen. Doch stellt dies bislang nur eine pure Hypothese dar.

Viele hatten bereits das Schlimmste befürchtet, nachdem Anhänger der zivilen Oppositionskräfte Ende September 2009 in einem Stadion der Hauptstadt Conakry durch Militärs buchstäblich massakriert worden waren (vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd1009/t381009.html). Eine neue Phase bleierner Repression, wie die Republik Guinea sie seit ihrer Unabhängigkeit 1958 des Öfteren durchlebt hat, erschien ebenso wie möglich wie eine Phase des Staatszerfalls mit „ethnisch“ aufgeladenen Konflikten zwischen Bevölkerungsgruppen. Dies erschien plausibel, nachdem die herrschende Politik seit 35 Jahren eine „Ethnisierung“ gesellschaftlicher Konflikte betrieben hatte.

Vom Beschwören eines „Komplotts der Peul“ durch den, mit fortschreitender Amtsdauer zunehmend paranoid werdenden, „Tropenstalinisten“ und autoritär regierenden Präsidenten Ahmed Sékou Touré (1958 bis 84) bis zu einer erneuten Agitation gegen diese „ethnische“ Gruppe zu Ende der Amtszeit seines Nachfolgers Lansana Conté wurde dieses Herrschaftsinstrument immer wieder aufgegriffen. Die Sprachgruppe der Peul macht rund 35 bis 40 Prozent der, heterogen zusammengesetzten, guineeischen Bevölkerung aus und bildet ihre stärkste Einzelgruppe. Den Peul gehören sowohl viele Händler an, gegen welche in bestimmten historischen Phasen der Sozialneid geschürt wurden, als auch viele Einwohner der als ,banlieues’ bezeichneten Armenvororte von Conakry.

Rückblick auf einen (zunächst weithin begrüßten) unblutigen Putsch

Seit dem 23. Dezember 2008 regierte eine Gruppe jüngerer Offiziere, zusammengeschlossen im „Nationalrat für Entwicklung und Demokratie“ (CNDD), den westafrikanischen Staat. Einen Tag vor ihrer Machtübernahme war der Tod des alternden, herz- und zuckerkranken Präsidenten Lansana Conté, der seit dem Tod Sékou Tourés und damit seit 24 Jahren regiert hatte, bekannt gegeben worden. Möglicherweise war dessen Leiche zu diesem Zeitpunkt allerdings auch schon seit längerem erkaltet, bevor man an der Staatsspitze wagte, sein Ableben bekannt zu geben. Viele Funktionäre des in seinem Inneren morsch gewordenen, oligarchischen Regimes fürchteten den Ausbruch eines Chaos infolge dieser Nachricht.

Die jüngeren Militärs kappten einige Netzwerke der Korruption und setzten der engen Verwicklung in den internationalen Drogenhandel - zwischen Kolumbien, Westafrika als Durchgangsbasis und Europa -, in den Teile der oligarchischen Führungsschicht eingebunden waren, ein vorläufiges Ende. Ihre Ankündigung, im Land „aufzuräumen“, bevor man die politische Macht an eine Zivilregierung übergeben werden, entpuppte sich jedoch schon nach einigen Wochen als Rechtfertigung für harte Repressionsmaßnahmen, und Ausschreitungen von Soldaten gegen die Zivilbevölkerung bei Hausdurchsuchungen oder Kontrollen häuften sich. Auf der anderen Seite schien das Versprechen, nach einer Phase des „Ordnungsschaffens“ Wahlen abzuhalten - mit der zivilen Opposition vereinbart waren Parlamentswahlen im Oktober, und Präsidentschaftswahlen im Dezember vorigen Jahres (vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd0409/t360409.html ) - immer weitere in die Ferne zu rücken.

Bequemes Einrichten an der Macht

Die Militärs schienen sich an der Macht alsbald wohl zu fühlen. Der damalige Anführer der „Armeejunta“ - wie Kritiker die Regierung des CNDD alsbald bezeichneten -, der 45jährige Offizier Moussa Dadis Camara, zeigte zunehmend Ambitionen, selbst als Kandidat zur angekündigten Präsidentschaftswahl anzutreten. Er ließ sich als Kandidat durch, in Wirklichkeit wenig spontane, „Jugenddemonstrationen“ herbeirufen. Dass er eine wichtige Rolle spielen müsse, rechtfertigte er unter anderem durch seine vorgebliche Rolle als Garant der staatlichen Einheit und nationalen Unabhängigkeit. Nunmehr waren es die Militärs, die lautstark eine Gefahr ethnisierter Konflikte und eines Staatszerfalls beschworen. Aber auch eine angebliche Bedrohung durch die Nachbarstaaten, so ließ Dadis Camara im Juni 2009 plötzlich Truppen an den Grenzen zu Senegal, Guinea-Bissau und Liberia zusammenziehen, weil diese angeblich Soldaten an den guineeischen Außengrenzen massiert hätten.

Aus einem ursprünglich realen Risiko, dass es zu ethnisierten bewaffneten Auseinandersetzungen kommen könnte - eine solche Gefahr schien vor allem in den Jahren 2007 und 2008 zeitweise zu drohen - wurde eine ständige Beschwörungsformel. Diese diente immer mehr dem offenkundigen Zweck, sich auf unabsehbare Zeit hin an der Macht zu halten. Zudem entpuppte sich auch die Hoffnung, Dadis Camara werde „über den einzelnen ethnischen Gruppen stehen“, als Illusion. Zwar stammt der Offizier, der seine militärische Ausbildung teilweise in Leipzig, Dresden und an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg absolvierte, aus der ländlichen Provinz „Guinée Forestière“ und damit einer Minderheitsgruppe, die nur rund sechs Prozent der Landesbevölkerung ausmacht. Dies erschien zunächst als Chance darauf, dass Dadis Camara sich „neutral“ zwischen den ethnischen Gruppen positionieren könnten. Dennoch besetzten Angehörige seiner eigenen, relativ kleinen Ethnie schließlich wichtige militärische Schlüsselposten in seinem unmittelbaren Umfeld.

Nichts schien den Mann mehr aufzuhalten, obwohl ein im Auftrag der UN erstellter Untersuchungsbericht das Massaker im Stadion von Conakry als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ einstuft. Doch am 3. Dezember nahm Dadis Camaras Karriere, jedenfalls vorläufig, ein jähes Ende. An jenem Tag schoss sein Adjutant, der groß gewachsene Offizier Aboubacar „Toumba“ Diakité, ihm mehrere Kugeln in den Kopf. Hintergrund für die Aktion waren wachsende Spannungen und Rivalitäten zwischen führenden Militärs der jüngeren Generation ,die eine politische Führungsrolle übernommen hatte. Diakité hatte nicht nur persönliche Ambitionen, ihm versuchen auch andere Mitglieder des CNDD eine Allein- oder Hauptverantwortung für das Massaker vom 28. September o9 zuzuschanzen (und genau in diesem Sinne fiel ein jüngst publizierter „Untersuchungsbericht“ denn auch, vgl. ,Jeune Afrique’ vom o7. Februar 10). Doch der Offizier hatte keinerlei Lust, sich die Allein- oder Hauptschuld in die Schuhe schieben zu lassen. Tatsächlich hatte der Mittvierziger, der ebenso wie Dadis Camara Universitätsbildung besitzt, eine Rolle als Befehlshaber vor Ort in dem Stadion gespielt. Allerdings sagen einzelne Oppositionspolitiker wie Jean-Marie Doré, die damals mit dem Leben davon kamen, auch aus, Diakité habe sich für ihre Verschonung ausgesprochen. Dies bleibt jedoch in den Reihen der ‚forces vives’ genannten Koalition aus zivilen Oppositionsparteien, Gewerkschaften, Sozialinitiativen und NGOs bislang umstritten.

Dadis Camara schien einige Tage lang zwischen Leben und Tod zu schweben. Er wurde in Marokkos Haupstadt Rabat ausgeflogen und dort im Krankenhaus behandelt. Am 12. Januar 10 jedoch nahm er, für viele Beobachter überraschend, ein Flugzeug und landete - jedoch nicht in Conakry, sondern in einer anderen Hauptstadt Westafrikas, in Burkina-Fasos Metropole Ouagadougou. Dies ist allerdings kein Zufall, da Burkina-Fasos Präsident, Blaise Compaoré, im Auftrag der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Cédéao/ECOWAS seit vergangenem Herbst eine Vermittlerrolle für die verfeindeten guineeischen Parteien - CNDD einerseits, die forces vives andererseits - übernommen hatte. Seit November hatten Verhandlungen zwischen den Streitparteien in Ouagadougou stattgefunden. Blaise Compaoré hat dabei auch die Unterstützung der westlichen Großmächte hinter sich. Der Staatschef, der infolge des Rechtsputschs gegen seinen progressiven Amtsvorgänger Thomas Sankara und dessen Ermordung am 15. Oktober 1987 ins Amt kam, gilt insbesondere als verlässlicher „Partner“ der früheren Kolonialmacht Frankreich in Afrika.

Westliche Hauptstädte gegen Dadis Camara

Sowohl Frankreich als auch die USA hatten beide kein größeres Interesse an einer Rückkehr Dadis Camaras ins Amt. In den Hauptstädten der beiden Großmächte, die - neben China als neu hinzukommendem Dritten, der jedoch neben seinem wirtschaftlichen Einfluss bislang eine weitaus geringere politische und militärische Rolle auf dem Kontinent spielt als Paris oder Washington – eine hegemoniale Rolle auf dem afrikanischen Kontinent spielen oder zu spielen suchen, hielt man Dadis Camara tendenziell für einen unzuverlässiger, unqualifizierten Emporkömmling. Der französische Außenminister Bernard Kouchner verglich ihn mit dem früheren ugandischen Diktator Idi Amin Dada, der im Laufe seiner Amtszeit (1971 bis 79) in eine blutige Paranoia abgeglitten war, und ein anderer hoher französischer Repräsentant behauptete vor kurzem, Camara sei ein Nichtsnutz, „der bis drei Uhr früh trinkt und erst am Nachmittag aufsteht“. Obwohl der Offizier den Ruf hat, dass er zwar spät zu Bett gehe, aber mit wenig Schlaf auskomme.

Zwar gab es in der französischen Politik auch eine starke Tendenz, einen Verbleib der Armee an der Macht in Guinea gutzuheißen (vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd1009/t381009.html). Aber nicht unbedingt mit Dadis Camara in Person, dessen Popularität unter den Entscheidungsträgern in Paris eher schwach ausfällt.

Übergang – wohin ?

Am 15. Januar 10 dann wurde ein Abkommen unter den drei Streitparteien in Ouagadougou unterzeichnet: den forces vives, dem CNDD und Dadis Camara selbst. Dabei wurde die Militärregierung durch General Sékouba Konaté vertreten. Der General, einer der ranghöchsten Militärs in den Reihen des CNDD, steht der „Junta“ seit dem Beginn der Amtsunfähigkeit Dadis Camaras vor. Er gilt Beobachtern eher als Vertreter des „moderaten Flügels“, der einen Kompromiss mit den zivilen Oppositionsparteien und anderen gesellschaftlichen Kräften und eine teilweise Abgabe ihrer Macht durch die Militärs hinnehmen würde.

Diese Option scheint sich, vorerst jedenfalls, durchgesetzt zu haben. Das Abkommen sieht vor, dass innerhalb von sechs Monaten freie Wahlen unter Einschluss aller politischen Formationen abzuhalten seien. Zugleich beinhaltet es auch, dass Dadis Camara „zur Konvaleszenz“ im Exil bleibt und nicht nach Conakry zurückkehrt. Dennoch deutet der Ausdruck „Konvaleszenz“, theoretisch jedenfalls ,auf einen eher vorübergehenden Charakter - eben für die Dauer einer Genesung - hin, auch wenn in dem Abkommen nicht von einer zeitlichen Befristung des Exils für Camara die Rede ist.

Bis zur Abhaltung der Wahlen wird eine Übergangsregierung gebildet, über deren genaue Zusammensetzung längere Verhandlungen liefen. Für die Spitze der Regierung überließen es die Militärs den Oppositionskräften, einen Namen für den Posten eines Premierministers oder einer Premierministers vorzulegen. Die ‚forces vives’ schlugen daraufhin, alternativ, den als „sauber“ geltenden Oppositionspolitiker Jean-Marie Doré - den Parteichef der „Union für den Fortschritt Guineas“ (UPG) - und die Gewerkschaftsführerin Rabiatou Diallo vom Dachverband CNTG vor. Am 18. Januar 10 einigten die Parteien sich auf Jean-Marie Doré für den Posten des künftigen Regierungschefs, über die weiteren Personalia wurde noch längere Zeit weiter verhandelt.

Rabiatou Diallo hatte in den ersten Jahreswochen 2007 eine zentrale Rolle bei der Organisierung des damaligen Generalstreiks, dessen Niederschlagung damals rund 120 Tote forderte, gespielt. Ihre Gewerkschaft unterstützt, wie andere soziale Kräfte, aktiv die Koalition der zivilen Opposition und die Bemühungen um eine „Transition“, einen Übergang von einer Militär- zu einer demokratisch gewählten Regierung. (Alle Probleme, gegen die ihre Organisation kämpft, werden auch danach selbstverständlich nicht gelöst sein: Das Elend, die materielle Unterversorgung, das Problem der geringen Erlöse für die Ausbeutung der Rohstoffe Guineas - ob durch US-Amerikaner, Kanadier, Franzosen, Russen oder Chinesen - werden zunächst bleiben. Aber vielleicht wird dann vielleicht beim nächsten sozialen Konflikt nicht so schnell mit scharfer Munition geschossen.)

Die Gewerkschaftsführerin Rabiatou Diallo wurde unterdessen an die Spitze eines „Nationalen Übergangsrats“ (Conseil national de transition) ernannt, dessen Aufgabe darin bestehen wird, bestehende Gesetze und auch Verfassungsbestimmungen im Hinblick auf ihre Tauglichkeit für eine demokratische ,Transition’ zu überprüfen. Mittlerweile befindet sie sich in einem klaren politischen Konkurrenzverhältnis zu Jean-Marie Doré, der nunmehr seinerseits zu regieren versucht. Doré (als Übergangspremierminister) hält sich unterdessen die Option einer persönlichen Kandidatur zu der kommenden Präsidentschaftswahl ausdrücklich offen, was jedenfalls strukturell ähnliche Probleme aufwirft wie vor einigen Monaten die Ambitionen von Moussa Dadis Camara: Wer garantiert unter diesen Umständen die Neutralität der Institutionen, die für die Abhaltung der künftigen Wahlen zuständig sind; d.h. wer kontrolliert, dass diese Wahlen nicht im Sinne der Regierenden manipuliert werden? Jean-Marie Doré schlägt inzwischen, seitens quasi aller seiner früheren Mitstreiter in den Reihen der zivilen Opposition, überwiegend Misstrauen entgegen.

Am Montag, den 15. Februar 10 wurde unterdessen nach dreiwöchigen Verhandlungen die konkrete Zusammensetzung der Übergangsregierung bekannt gegeben. 13 von insgesamt 34 Posten werden durch Militärs oder ihre Verbündeten aus der alten „Junta“, d.h. der früheren Militärregierung des CNDD, besetzt. (Vgl. etwa http://www.liberation.fr/monde/) Dabei sind fünf Minister selbst Offiziere (vgl. http://www.google.com/ die übrigen Kabinettsmitglieder aus Zeiten des CNDD sind demnach zivile Technokraten, die an führender Stelle mit dem damaligen Militärregime zusammen arbeiteten. Die „Übergangsperiode“ findet also mit aktiver Beteiligung, aber in gewisser Weise auch unter Kontrolle einer Reihe aktiver Militärs statt.

Frankreich hat unterdessen die Ankündigung von Präsidentschaftswahlen innerhalb von sechs Monaten zum Anlass genommen, um „die Wiederaufnahme der zivilen u n d militärischen Zusammenarbeit“ mit der Republik Guinea anzukündigen. (Vgl. http://www.google.com ) Dies dürfte die Militärs erfreuen. Andererseits hegen viele zivil-demokratische Politiker im Lande die Hoffnung, - oder Illusion? - die Rückendeckung eines Landes wie Frankreich werde die Phase eines „Übergangs zur Demokratie“ schützen und garantieren.

Editorische Anmerkungen

Wir  erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.