Betrieb & Gewerkschaft
Neue Bossnapping-Affären
Wieder mal Bossnapping: In weniger als 24 Stunden höhere Abfindungszahlungen durchgesetzt...

von Bernard Schmid

03/10

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Vor knapp einem Jahr, im Laufe des Frühjahrs 2009, breitete sich die neue Kampfform wie ein ,Modephänomen’ in Frankreich aus – und das „Bossnapping“ war vorübergehend in aller Munde. Es handelte sich um das vorübergehende Festsetzen von Manager/inne/n, Betriebsleitern oder Unternehmenschefs, in aller Regel mit dem Ziel, deutlich höhere Abfindungszahlungen für von Entlassung bedrohte Lohnabhängige herauszuholen. Derzeit ist es in der breiten Öffentlichkeit weitgehend still um dieses Phänomen geworden; und tatsächlich hat es im weiteren Halbjahr 2009 kaum noch „Vorfälle“ solcher Art gegeben. Und dennoch kommt es auch weiterhin zu Arbeitskonflikten, bei denen seitens der abhängig Beschäftigten auf diese Kampfform zurückgegriffen wird. Von sich reden machte in den letzten Wochen in diesem Zusammenhang besonders die Möbelhandelskette ,Pier Import’, bei welcher es Anfang Februar dieses Jahres zu einem „Bossnapping“fall kam – und wo der Kampf der Lohnabhängigen um bessere Abfindungsbedingungen in anderer Form bis heute anhält. Doch eines nach dem anderen...

Lastenaufzugfirma ,Renolift’: In Nullkommanix zur Abfindung

Voller Anerkennung schreibt die, als eher den Arbeitgebern nahe stehend geltende, Wirtschaftstageszeitung ,Les Echos’ am vergangenen Mittwoch, 24. Februar 10: „Das Kräftemessen zeitigt nicht nur in großen (Unternehmens-)Strukturen Ergebnisse. Im Département Rhône“ - d.h. im Umland von Lyon - „haben die abhängig Beschäftigten im Lastenaufzug-Unternehmen Renolift soeben innerhalb relativ kurzer Zeit den Beweis dafür erbracht. Die Firma, die seit Ende September 2009 unter Konkursverwaltung steht, dürfte am morgigen Donnerstag (25. 02. 10) ihre Insolvenz vom Handelsgericht ausgesprochen sehen. Bislang hatten es die abhängig Beschäftigten trotz eines mehrwöchigen Streiks nicht geschafft, ihre Forderung nach einer (Sonder-)Abfindung in Höhe von 8.000 Euro zusätzlich zur gesetzlich vorgesehenen (Mindest-)Abfindung erfüllt zu sehen. Ein Teil der abhängig Beschäftigten hat deswegen am Montag (22. Februar) beschlossen, drei Direktionsmitglieder des Unternehmens festzuhalten. Sie wurden im Laufe des Dienstag Morgen freigelassen, nachdem die abhängig Beschäftigten ihre Forderung durchgesetzt haben. Am Ausgang erklärte der Werksdirektor, dass auch er <mit dem gefundenen Abkommen zufrieden sei, das eine mehrwöchige (Anm.: Verhandlungs-) Tätigkeit krönt>.“ (Vgl. http://www.lesechos.fr/) So viel Effizienz ruft bei der arbeitgebernahen Tageszeitung wohl Bewunderung hervor.

Na also, es geht doch! Und wenn sie es als besonders „effizient“ betrachten und des Öfteren Ähnliches wünschen, dann können sie es vermutlich auch haben.

Das Unternehmen für Lastenaufzüge und Aufzug(bestand und -ersatz)teile, Renolift, in Meyzieu in der Nähe von Lyon, war früher eine Filiale des Großunternehmens Schindler. Doch vor fünf Jahren verkaufte der Aufzugbauer und Marktführer Schindler es an eine andere (kleinere) Unternehmensgruppe, Ruget, die über weitere im Umland von Lyon (Chaponost), etwas weiter nördlich (in Dagneux im Département Ain) sowie in Le Havre verfügt.. Da facto blieb Renolift weiterhin, als Subunternehmen, zu rund 90 % für den Markführer Schindler tätig. Ein klassischer Fall von Outsourcing und Knüpfen von Subunternehmer-Beziehung zur Kostendämpfung, mutmaßlich. Doch im Rahmen des neuen Unternehmens schrieb die Fabrik später rote Zahlen. Im September 2009, wie oben geschildert, meldete Renolift seine Konkurseröffnung an.

Die Lohnabhängigen hielten im Laufe des Montag Nachmittag und in der darauffolgenden Nacht – also am 22./23. Februar 10 - drei Direktionsmitglieder: Patrick Ruget, der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens Ruget; Gilles Pechet, Generaldirektor; Salvador Jara, Werksdirektor. Laut Angaben des CGT-Vertrauensmann Noël Jouet begann die Festsetzungsaktion infolge eines Verhandlungstermins, der ergebnislos verlaufen war. Den drei festgehaltenen Direktionsmitgliedern wurde Essen gebracht; drei Polizisten wurden vor den Toren der Fabrik postiert, und ein Gerichtsvollzieher kam am Montag Nachmittag, um festzustellen, dass die Führungsmitglieder tatsächlich festgesetzt waren. Circa 60 bis 70 von insgesamt 103 Lohnabhängigen der Firma nahmen an der Aktion teil. (Vgl. http://www.lefigaro.fr oder http://abonnes.lemonde.fr/ In der Folge konnte ein Abkommen geschlossen werden, das die - durch die Lohnabhängigen geforderten - Abfindungszahlungen in Höhe von 8.000 Euro zusätzlich zur gesetzlichen Minimalabfindung beinhaltet. Letztere beträgt (nachdem sie im Jahr 2001 unter der „Linksregierung“ Lionel Jospins verdoppelt worden ist) derzeit ein Fünftel eines Monatsgehalts pro Jahr zurückliegender Betriebszugehörigkeit.

Bei Akers, in Fraisses

Voraus ging am 20. und 21. Januar 2010 die vorübergehende Festsetzung von vier Führungskräften durch rund 150 Beschäftigte des schwedischen Konzerns Akers - der durch den Investmentfonds Altor kontrolliert wird –und in der Metallindustrie tätig ist in Fraisses, im zentralfranzösischen Département Loire, um gegen ihre Entlassung zu protestieren. Bis dahin stellten die Lohnabhängigen dort Zylinder (Maschinenteile?) für Stahlwalzwerke her. Der Werksdirektor Laurent Dousselin, der Leiter der Personalabteilung Dominique Lassalle, ein weiterer führender Manager für Personalpolitik – Benoît Bourg – sowie der durch die Eigentümer des Werks mit der Umsetzung eines „Sozialplans“ betraute Philippe Bello wurden 36 Stunden lang festgehalten. Am Ende hartnäckiger Verhandlungen, die eine Nacht und einen vollen Tag hindurch dauerten, und nach Einschaltung eines „Vermittlers“ durch die Präfektur (zentralstaatliche Behörde im Département) konnten die Abfindungsbedingungen für die Lohnabhängigen erheblich verbessert werden. Über die gesetzlich vorgeschriebene Minimal-Abfindung - in Höhe von einem Fünftel eines Monatsgehalts pro Jahr Betriebszugehörigkeit – hinaus wurde eine Festsumme von 20.000 Euro Abfindung pro Beschäftigten ausgehandelt. Zusätzlich werden die Beschäftigten bei Schlieung des Werks, die im Mai oder Juni 2010 stattfinden soll, eine weitere variable Abfindung in Höhe von insgesamt 12 Prozent des bis dahin noch erzielten Umsatzes ausbezahlt bekommen. (Vgl. http://www.leprogres.fr) Die insgesamt 161 Lohnabhängigen sind inzwischen an ihre Arbeit zurückgekehrt; ihr Werk wird voraussichtlich zum 30. Juni endgültig dichtmachen. (Vgl. http://rhone-alpes-auvergne.france3.fr )

Auch Lohnabhängige einer Niederlassung des deutschen Siemens-Konzerns, die in Saint-Chamond und Savigneux im Département Loire gegen die Streichung von 274 (von insgesamt 604) Arbeitsplätzen kämpfen, entsandten eine Delegation und unterstützten ihre Kolleginnen und Kollegen bei Akers. (Vgl. http://www.lutte-ouvriere-journal.org/?act=artl&num=2167&id=34 )

Bei Béru in Chazelles-sur-Lyon

Im weiteren Umland von Lyon fand im Zündkerzen-Werk des Unternehmens Béru, in Chazelles—sur-Lyon, am o4. Februar 10 eine weitere Festsetzungsaktion statt. Der Betrieb war im Juni 2009 durch den US-amerikanischen privaten Rentenfonds Borg-Warner übernommen worden, der seitdem die Kontrolle ausübt. Die neue Direktion plant unter Berufung auf derzeitige Verluste (angeblich vier Millionen pro Jahr), 57 Arbeitsplätze im Unternehmen zu streichen, darunter 53 in dem Werk in Chazelles, das insgesamt 316 Beschäftigte zählt. Ferner sollen die Lohnabhängigen ohne Lohnausgleich mehr und länger arbeiten, was diese bislang verweigern – unter Berufung darauf, dass in profitreichen Jahren die Gewinne nicht verteilt wurden, nun aber die Verluste sozialisiert werden sollen. Am 28. Januar begannen Anhörungen des Conseil d’entreprise (ungefäääähre Entsprechung zum deutschen Betriebsrat) über die Entlassungs- und sonstigen Umstrukturierungspläne. Die damals geplante Sitzung musste jedoch - mangels hinreichend informativer Mitteilungen an das CE, das sich nicht genügend informiert sah, um zu diskutieren - zunächst verschoben werden. Am 4. Februar fand daraufhin eine auerordentliche Sitzung des CE statt, die Situation blieb jedoch „blockiert“.

Am selben Tag, dem o4. Februar, blieben der Werksdirektor und der Leiter der Personalabteilung – die sich nach der Rückkehr der Beschäftigten von einer Demonstration in ihre Büros geflüchtet hatten – dort festgesetzt. In der Zeit von 12.30 Uhr bis circa 20 Uhr blieben sie dort de facto eingesperrt, und „erhielten als einzige Nahrung ein paar Bananen und Joghurt“, wie ein Zeitungsbericht präzisieren zu müssen glaubt. (Vgl. http://www.leprogres.fr) Ansonsten laufen die Verhandlungen, bislang ergebnislos.

Pier Import

Bei „Pier Import“, einer Möbelhandelskette, dauert der Arbeitskonflikt – um die Bendingungen der bevorstehenden Kündigungen – unterdessen noch fort.

,Pier Import’ hatte am 02. September 2009 Konkurs angemeldet, und das Handelsgericht von Bobigny (im näheren Pariser Umland) hat am 20. Januar dieses Jahres einen Konkursverwalter eingesetzt. Das Unternehmen war im Jahr 1976 durch den Geschäftsmann François Lemarchand gegründet worden und hatte sich zunächst auf den Import handwerklicher Erzeugnisse spezialisiert und damit floriert. Später allerdings, unter dem Einfluss der Aktionärsfamilie Ben Behe, änderte Pier Import seine Ausrichtung und versuchte sich auf den Import von Billigmöbeln (und preiswerter Inneneinrichtung) zu spezialisieren. Doch gab es auf diesem Sektor bereits Marktführer, etwa Foir’Fouille (ungefähr: Krimskrams’Jahrmarkt). Letzteres Unternehmen wurde 1994 durch einen US-Pensionsfonds mit Namen CVC übernommen und beinahe gegen die Wand gefahren – obwohl über 90 Prozent seiner Geschäfte schwarze Zahlen schrieben, wurde es (ab 1998) beinahe in den Ruin getrieben, weil es der wirtschaftlichen „Zentrale“ schlecht ging, und eine Reihe von Niederlassungen wurden geschlossen. Hatte die Kette auf ihrem Höhepunkt (1996) insgesamt 160 Geschäfte umfasst, blieben im 1999 noch 111 übrig. (Vgl. http://www.observatoiredelafranchise.fr) Im selben Jahr 1999 wurde es ebenfalls durch Alain und Claude Ben Behe übernommen. Auf diese Weise bereiten sich die beiden Unternehmen im Besitz der Familie Ben Behe – Pier Import und Foir’Fouille - gegenseitig Konkurrenz.

Aufgrund der Strategiefehler der Aktionärsfamilie ist das Unternehmen Pier Import stark defizitär (- 9,9 Millionen Euro Verlust im Jahr 2008) und akut bedroht. Der Onkel der Vorstandsvorsitzenden Sonia Ben Behe, Claude Ben Behe, als Hauptaktionär ist jedoch gleichzeitig Eigentümer eines gut gehenden Finanzunternehmens (Forfinance), dem rund 85 % der Anteile an der Kette gehören; doch geht ihm die Situation bei Pier Import notorisch – pardon – am A.... vorbei. Der Konkursplan sieht nun vor, dass 20 der Geschäfte von Pier Import frankreichweit von der Atmosphères-Gruppe (einer auf Dekoration spezialisierten Kette) übernommen und mit ihren 142 Beschäftigten „gerettet“ werden. Rund 140 Lohnabhängige in den übrigen rund 25 Niederlassungen werden dabei jedoch „geopfert“. (Vgl. http://www.lexpansion.com

In der Nacht vom 1. zum 2. Februar 10 wurden Sonia Ben Behe und ihr Generaldirektor – Géard Démaret - durch 50 bis 60 Lohnabhängige, die am Firmensitze in Villepinte nördlich von Paris versammelt waren, festgesetzt. Sie mussten in Büros übernachten, während die Lohnabhängigen – ohne zu schlafen – vor den Türen aushielten. Sonia Ben Behe zeigte sich aus diesem Anlass verhandlungsbereit. Allerdings liegt die wirkliche Macht im Unternehmen inzwischen nicht mehr bei ihr, sondern bei den Konkursverwaltern.

Die Lohabhängigen, die durch die CGT unterstützt werden, fordern über das gesetzliche Minimum hinausgehende Abfindungszahlungen in Höhe von 5.000 bis 11.000 Euro pro Beschäftigten. Die Anwendung des gesetzlichen Minimums würde, für einen Beschäftigten auf Höhe des Mindestlohns mit zehnjähriger Betriebszugehörigkeit, nur rund 2.000 Euro betragen. (Vgl. http://www.lemonde.fr/) Da der Durchschnittslohn bei ,Pier Import’ konkret rund 1.200 Euro monatlich beträgt, kämen dabei bei entsprechender Betriebszugehörigkeit – zehn Jahre – dann 2.400 Euro heraus. (Vgl. http://www.humanite.fr/)

Auch nach dem Ende der Bossnapping-Aktion vom 01./2. Februar ging die Mobilisierung der Lohnabhängigen weiter. Am Samstag, 05. Februar fanden in mehreren Städten, wo die Kette Möbelgeschäfte unterhält, Demonstrationen statt. (Vgl. http://www.lejdd.fr/) Am Freitag, den 12. Februar fand eine Demonstration von einigen Dutzenden seiner abhängig Beschäftigten unter den Fenstern des Arbeits- und Sozialministeriums in Paris statt. Und am Mittwoch, den 17. Februar befragten zwei Oppositionsabgeordnete den zuständigen Minister (Xavier Darcos) in einer Fragestunde der Nationalversammlung zu der Situation in der Handelskette. Am selben Tag wurde eine Abordnung von demonstrierenden Lohnabhängigen der Möbelkaufhauskette von Abgeordneten der Sozialdemokratie und der KP im Parlament empfangen. (Vgl. http://www.lest-eclair.fr) Ein Ende des Kampfs um höhere Abfindungen ist bislang nicht abzusehen. Doch schlossen eine Reihe von Geschäften der Möbelhandelskette inzwischen definitiv ihre Tore, so dass ihre Lohnabhängigen in Arbeitslosigkeit landeten. (Vgl. http://www.niort.maville.com/)

Siehe zu Bossnapping-Affären im zurückliegenden Jahr

Editorische Anmerkungen

Wir  erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.