Kleine Medienkritik
Oskar Kokoschka im Deutschlandfunk

von
Antonin Dick

03/10

trend
onlinezeitung

Anläßlich seines 30. Todestages wurde der Maler und Schriftsteller Oskar Kokoschka am Montag im Deutschlandfunk mit einem »Kalenderblatt« gewürdigt – nicht der Linksintellektuelle, es ging um das private Künstlerschicksal. Der Hörfunk nannte Kokoschka einen scharfsinnigen Chronistes des Verfalls der bürgerlichen Welt mit ihren »Unglücklichen und Verdammten«.

Das bleibt eine Halbwahrheit, solange man die andere Hälfte unterschlägt: Er rang Zeit seines Lebens um die Darstellung der Kräfte der gesellschaftlichen Veränderung, hat die Marginalisierten dabei nie aufgegeben.


Diese Widmung von Oskar Kokoschka stammt aus einem
Exemplar der Gedichtsammlung „Und sie bewegt sich doch!“,
 publiziert im Jahre 1943 vom Verlag Freie Deutsche Jugend
 London, das die Mutter des Autors dieses
Artikels Dora Dick, Mitbegründerin des Freien Deutschen
Kulturbundes in Großbritannien, als Anerkennung
für erfolgreiche Verbandsarbeit erhalten hat.

Auf langen Reisen durch Südeuropa, Nordafrika und Asien hielt er das schöpferische Leben des einfachen und arbeitenden Volkes in befreienden Farben und Formen fest. Befreundet mit Paul Cassirer, Albert Ehrenstein, Leo Kestenberg, Karl Kraus, Else Lasker-Schüler, Alfred Loos, Walter Spies, Herwarth Walden und Paul Westheim, war Kokoschka alles andere als der Vereinzelte des »Kalenderblatts«.

Das beginnt mit: »Gerade hatte sich Kokoschka in der Kunstwelt durchgesetzt – da erklären die Faschisten seine Bilder für ›entartet‹.« Außen vor bleibt, daß Kokoschka 1933, also lange, bevor er als »entartet« stigmatisiert wurde, mit einem in der Frankfurter Zeitung veröffentlichten Brief für den verfemten Juden Max Liebermann eintrat und dadurch ins Visier der Nazis geriet. Nicht als bedrängter Künstler, wie die Würdigung suggeriert, setzte er sich 1934 nach Prag ab, sondern als Antifaschist, wie schon seine aufrüttelnden Flugblätter für die Verteidigung der Spanischen Republik beweisen. Auf dem Brüsseler Friedenskongreß 1936 vertrat Kokoschka die Tschechoslowakische Republik.

Über sein Wirken ab 1938 im englischen Exil weiß das »Kalenderblatt« zu berichten: »Als Mitglied des Freien Deutschen Kulturbundes schreibt er gegen die deutschen Kriegstreiber; und malt, statt müder, unglücklicher Menschen, nun humanistische Hoffnungsträger: 1942 den sowjetischen Botschafter Ivan Maisky. Später den vor Franco geflüchteten Cellisten Pablo Casals. Beide zeigt er kraftvoll, dem Leben zugewandt.«

Erstens war Kokoschka nicht einfach nur Mitglied des Kulturbundes, sondern sieben Jahre lang Präsident und einer von vier Gründern. Die anderen waren John Heartfield, Jürgen Kuczynski und Fred Uhlmann.

Zweitens hat Kokoschka in England einen originären Beitrag zur Faschismustheorie erarbeitet. Gegen die These vom Zivilasitionsbruch beschrieb er den Faschismus in Artikeln, Briefen, Reden und Studien als Bestandteil unserer Zivilisation.

Drittens ist die mechanische Entgegensetzung von der Darstellung »müder, unglücklicher Menschen« und der von »Hoffnungsträgern (…), kraftvoll, dem Leben zugewandt« alles andere als aus dem Schaffen Kokoschka ableitbar, im
Gegenteil. Sie wirkt eher wie eine dem Arsenal nazistischer Ästhetik des »gesunden Volksempfindens« entliehene.

Viertens setzte sich der Künstler in diesem Exil vor allem mit dem Versagen der westlichen Demokratien beim Vormarsch des Faschismus auseinander. In balladesken, volkstümlichen Bildern voller Bitternis und Sarkasmus
gestaltete er das geistig-politische Inferno unserer Epoche. Bilder wie »Das rote Ei« (1940 / 1941), »Loreley« (1941), »›Anschluß‹ – Alice in Wonderland« (1942), »Marianne – Maquis« (1942) oder »What we are fighting for« (1943) haben wenig an politischer Aktualität eingebüßt.

Wer einen Repräsentanten der linksalternativen Moderne so würdigt, muß eine Jugend ohne Vorbilder wollen.

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir zur Zweitveröffentlichung vom Autor, das Foto exklusiv. Die Erstveröffentlichung des Textes  erfolgte am 24.2.2010 unter  http://www.jungewelt.de